Stuttgart: Kampagne gegen Nazimusik

Karl Allgöwer 13.03.2007 11:30 Themen: Antifa
Am vergangenen Samstag, den 10.3.2007, veranstaltete das Aktionsbündnis „Antifaschistische Kehrwochen- Turn it down“ eine Infotour gegen Neo-Nazimusik und rechten Lifestyle in Stuttgart. An den Protesten gegen den Verkauf von rechtsextremer Propaganda beteiligten sich rund 200 Menschen. An Info-Stellwänden, einem Büchertisch und durch eine Broschüre konnten sich BürgerInnen über die rechten Umtriebe in ihrer Nachbarschaft informieren.
Die Infotour startete an der Leonhardskirche in der Innenstadt, hier richtete sich der Protest gegen den Laden „American Store“. Der Betreiber Peter Keupp verkauft in seinem Geschäft und über seinen Online-Versand die Bekleidungsmarke „Thor Steinar“, die aus dem Umfeld der Nazi-Szene vertrieben wird. Bereits Mitte der 90er Jahre geriet der Laden in die Schlagzeilen, weil über und unter der Ladentheke rechtsextreme Propaganda verkauft wurde. Autonome Antifas sorgten damals für Glasbruch an der Fassade des „American Store“ und das rechtsextreme Material verschwand für einige Zeit aus dem Laden.

In Bad Cannstatt beteiligten sich 200 AntifaschistInnen an einer Demonstration zur Ruhrstrasse 8, wo der Neonazi-Aktivist Sascha Deuerling (Foto siehe unten) einen Versandhandel, ein Tonstudio und ein Online-Auktionshaus betreibt. Von hier aus werden nicht nur Rechts Rock-CDs vertrieben, sondern auch Nazi-Kitsch wie SS-Gürtelschnallen oder Ölgemälde von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß. Sascha Deuerling ist seit vielen Jahren in der rechtsextremen Musikszene aktiv, er spielt oder spielte in mehreren rechten Bands, u.a. bei „Noie Werte“, „Propaganda“ und „Carpe Diem“. In einem Redebeitrag machten die OrganisatorInnen der „Antifa-Kehrwochen“ eine klare Ansage: „Wir werden so lange wiederkommen, bis die neonazistischen Aktivitäten eingestellt werden!“

Ihren Abschluß fand die antifaschistische Info-Tour gegen 18 Uhr in Stuttgart-Heslach. Dort probte bis vor einigen Wochen die Neonazi-Band „Sturmpropheten“ im Keller einer Gaststätte. Durch einen offenen Brief des Aktionsbündnisses konnte der Wirt allerdings überzeugt werden, den Mietvertrag zu kündigen. Die Band reagierte auf die Kündigung erwartungsgemäß unsportlich und fantasiert nun auf ihrer Homepage von „Drohungen“, die gegenüber dem Wirt und seiner Familie gemacht worden seien: „Auf absolut Feige art und weise, durch Drohbriefe ohne Absender, und Drohungen durch aufsehen in der Öffentlichkeit zwangen unbekannte den Wirt uns das Mietsverhältnis zu Kündigen.“ (Fehler im Original). Vorsorglich hat die Band außerdem nahezu ihre komplette Homepage deaktiviert, vermutlich um kein Verfahren wegen dem Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole oder Volksverhetzung zu riskieren. Immerhin waren in der Fotogalerie Nazis zu sehen, die auf ihren Pullovern das Kürzel „88“ verwendeten, die Waffen-SS glorifizierten und den verbotenen „Kühnen-Gruß“ zeigten (siehe Fotos unten).

Bereits am vergangenen Montag fand eine Mobilisierungsveranstaltung zum Thema „Rechts Rock“ mit Michael Weiss vom „Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin“ (apabiz) im „Alten Feuerwehrhaus“ statt. Über 60 ZuhörerInnen informierten sich hierbei über aktuelle Entwicklungen in der rechten Musikszene. Darüber hinaus wurden in den letzten Wochen ca. 30000 Info-Flyer in der Umgebung der drei Kundgebungsorte in Briefkästen verteilt.

Der selbst für Stuttgarter Verhältnisse völlig überzogene Polizeieinsatz vor und während den Kundgebungen wurde vom Aktionsbündnis kritisiert. Die Einsatzkräfte waren mit einem massiven, teilweise behelmten, Aufgebot inklusive Reiterstaffel und SEK-Truppe vor Ort. Die Mehrheit der DemonstrantInnen wurde bei Vorkontrollen gefilmt und Taschen kontrolliert, vereinzelt gab es Platzverweise. Außerdem war der Platz der Auftaktkundgebung an der Leonhardskirche so gründlich mit Absperrgittern und Kontrollpunkten abgeschirmt, dass nur die mutigsten BürgerInnen sich an den Infotisch wagten. Bereits in den Auflagen zu der Demo in Bad Cannstatt war davon die Rede, dass die Antifa lediglich in Rufweite, aber nicht „in Steinwurfnähe“ zum „RACords“-Versand gelassen werden sollte.
„In einer Zeit, in der sich in Deutschland Nazi-Strukturen verfestigen und rechte Übergriffe an der Tagesordnung sind, ist es ein Skandal, aktive AntifaschistInnen einzuschüchtern und zu kriminalisieren“, teilte das Aktionsbündnis dazu in einer Presseerklärung mit.

Nazis waren ebenfalls erschienen: Sie trieben sich in einigen Kleingruppen in Bad Cannstatt herum und eine größere ca. 30-40 köpfige Gruppe rannte etwas zu halbherzig auf das Ende der Demo zu, wo sie schnell von der Polizei abgedrängt, gekesselt und schließlich abtransportiert wurden. Bilder davon gibt's hier:
 http://www.infoladenludwigsburg.de.am (Faschogrüppchen in Bad Cannstatt)

Die Stuttgarter Polizei gab am Sonntag dazu bekannt es seien „90 Menschen aus der rechten Szene in Gewahrsam genommen worden“. Dieser Polizeibericht wurde dann auch komplett von der „dpa“ übernommen und von der gesamten Presse brav wiedergekäut.

 http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1377895

Inhaltliche Artikel zur Kampagne gab es trotz intensiver Pressearbeit leider nur wenige. Zum Beispiel einen in den „Stuttgarter Nachrichten“ am Freitag oder in der „Cannstatter Zeitung“ vom Montag.

Trotzdem zieht das "Antifaschistische Kehrwochen"-Bündnis ein positives Fazit:
„Wir bewerten die Kampagne als vollen Erfolg im Kampf gegen rechte Strukturen in Stuttgart. Die Region ist leider ein wichtiger Knotenpunkt im rechten Netzwerk, deshalb wird die Kampagne auch fortgesetzt. Geplant sind bereits weitere Aktionstage in Ludwigsburg, Leonberg und anderen Städten.“

Dieser Einschätzung kann mensch sich getrost anschliessen. Schließlich wurden durch zigtausende von Flyern viele Menschen für die rechten Aktivitäten in ihrer Umgebung sensibilisiert. Ein Ladenbesitzer, der weiter aus Nazi-Klamotten profitieren schlagen will, hat hoffentlich einige KundInnen verloren. Die Freiräume der Faschos wurden eingeschränkt: Eine Band hat ihren Proberaum verloren und der rechte Geschäftemacher Deuerling wurde aus seiner gemütlichen Reihenhaus-Anonymität ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Nicht zuletzt die panischen Reaktionen der Polizei und die aufgeregte, aber letzendlich erfolglose Mobilisierung der Nazis zeigen, dass die Angriffspunkte der Antifa gut gewählt waren.

Flyer, Pressemitteilungen und eine Chronik rechtsextremer Übergriffe in der Region findet ihr auf der Kampagnen-Seite:

www.antifa-kehrwochen.de.am
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Ergänzungen

Bilder

dd 14.03.2007 - 16:15
Die Bilder stammen wohl von der Homepage der Faschos selbst, daher sind sie unkenntlich

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 4 Kommentare

@mods

ergänzer 13.03.2007 - 14:05
den artikel bitte auf die startseite stellen, danke!

Kein Wunder

Informierter 13.03.2007 - 19:23
Der selbst für Stuttgarter Verhältnisse völlig überzogene Polizeieinsatz vor und während den Kundgebungen wurde vom Aktionsbündnis kritisiert. Die Einsatzkräfte waren mit einem massiven, teilweise behelmten, Aufgebot inklusive Reiterstaffel und SEK-Truppe vor Ort. Kein Wunder, wenn man in der nächsten Umgebung von Landeskriminalamt und Landesverfassungsschutz demonstriert.

Warum?

Peter G. 14.03.2007 - 13:07
werden Nazi-Gesichter unkenntlich gemacht? Und dann auch noch nur auf den Fotos, sonst wär´s ja okay...

@peter g

blubb 14.03.2007 - 16:29
so weit ich weiß waren die gesichter auf ihrer homepage schon unkentlich.