Direct Action am Oberstufenkolleg

KollegiatIn 22.02.2007 15:39 Themen: Bildung
Am Oberstufen macht sich eine erneute Protestkultur bemerkbar, die sich gegen die veränderungen in Richtung Regelschule wendet.
So gab es anfang Februar ein plötzlich aufgetauchtes Fake im Namen der Kollegleitung, eine Fuck Gender! Ausstellung in den Klos und eine große Mal- und Sprühaktion in der Nacht vom 19.2 zum 20.2 in der Schule.
Das Oberstufenkolleg Bielefeld (OS), in den frühen 70er Jahren gegründet,
war einst als alternative Versuchsschule weit bekannt. Das Kolleg wurde nach
dem Konzept des Reformpädagogen Hartmut von Hentig gegründet und
zeichnete sich in den Anfangsjahren durch eine Abwendung von dem
Regelschulsystem in Deutschland aus. So gab es unter anderem keine
Klausuren, keine Noten, keine Anwesenheitspflicht in den Kursen und
alternative Unterrichtformen und nach einer vierjährigen Ausbildungszeit
das Grundstudium in den beiden Studienfächern. Durch zahlreiche
Beschneidungen des Schulsystems gleicht es nun fast völlig einer
Regelschule.

Eine große Rolle bei der Veränderung des Oberstufenkolleg spielen viele
Lehrenden die schon seit den Anfangsjahren maßgeblich an den
Veränderungen (z.B. Einführung von Klausuren, Anwesenheitspflicht,
Aufnahmeprüfungen) Teil haben. Durch diese Reformen, war es letztendlich
auch wenig verwunderlich, dass das Schulministerium 2001 beschlossen hat
das Oberstufenkolleg in seiner alten Form zu begraben und eine
Regelschule-ähnliche Struktur einzuführen (3 Jahre Ausbildungszeit, kein
Grundstudium, Benotung von Leistungsnachweisen)
Dazu gehört auch, dass da OS ab dem 1.1 dieses Jahres dem Landesministerium
untergeordnet ist, statt wie bisher der Universität Bielefeld. Ab dem 1.8
wird das in NRW geltende Schulgesetzt komplett vom OS übernommen, so fallen
die jetzt geltende schulinterne Grundordnung und Ausbildungs und
Prüfungsordnung weg. Außerdem kann jetzt die Stellen des/der pädagogische
LeiterIn und des/der KollegleiterIn öffentlich ausgeschrieben werden, statt
wie bisher intern, mit Leuten, die das Os-System kannten, besetzt werden.
Eine mehr oder minder aktive Protestkultur unter den KollegiatInnen und
sogar einigen Lehrenden ist auch "Tradition" der Schule, wenn gleich in
letzter Zeit die Haltung gegenüber dieser immer repressiver wurde.

Anfang Februar gab es ein Fake, welches auf eine kommende große
Installation von "visuellen Überwachungsmaßnahmen" vorbereiten sollte
wodurch es einen unterrichtsfreien Tag gebe, und in die Postfächer aller
KollegiatInnen ausgeteilt wurde.
Ungefähr zeitgleich tauchte auf allen Toiletten eine Fuck Gender!
Ausstellung auf, die Fragen an die Klo BenutzerInnen Fragen zu ihren eigen
Umgang mit Zweigeschlechtlichkeit und Rollenverhalten stellte.

Am Montag, den 20. Februar 2007 gab es eine größere Mal- und Graffiti
Aktion im Schulinneren. Es gab eine Reihe von Sprüche die typische
Lehrer- und Elternsprüche aufgriffen, z.b. "Ellenbogen vom Tisch, "Das
verstehst du noch nicht", "Das wird Konsequenzen haben" „Denken lernen
nicht gedachtes“. Auf den Klotüren wurden beidgeschlechtliche Klomenschen
gesprayt, in dem Raum wo Versammlungen und Lesungen stattfinden eine
Prügelszene eines Lehrer mit
Rohrstock mit dem Spruch "Zurück zu den alten Werten" und weitere
Schablonen. Auf den Boden der Schulstaße wurde mit weißer Farbe
"JA JA JA NEE NEE NEE" gemalt, und mit Beuys unterschrieben.

Die Kollegleitung hat am kommenden Morgen (erstmalig in der Geschichte
des Oberstufenkollegs) eine politische Aktion bei der Polzei zur Anzeige
gebracht und auch der Staatsschutz wurde gerufen. Kollegiaten hatten an
diesem Tag keinen Zutritt zum Oberstufenkolleg und auch einem Lehrenden
wurde aufgrund einer haltlosen Verdächtigung des Kollegleiters die
Zugangsberechtigung entzogen.
Am kommenden Tag wurde eine Vollversammlung einberufen, auf der die
Kollegleitung, die die Kollegiaten dazu bringen sollte sich zu stellen.
Allerdings ging dieser Plan nicht auf, die meisten KollegiatInnen
zeigten sich solidarisch mit der Aktion und es gab nur wenig Verständnis
für die Anzeige bei der Polizei. Besondere Erheiterung
brachte die Äußerung des Kollegleiters, dass das Oberstufenkolleg doch
eine demokratische Schule sei, und dass doch die Mehrheit für die
Enfernung der Graffitis sei, was augenscheinlich aber nicht der Fall
ist. Auf den Vorschlag eines Kollegiaten eine Abstimmung für die
Erhaltung der Graffitis und Malereien zu machen, gab es keine Reaktion
der Leitung.
Großen Applaus gab es bei der Äußerung, dass sich die KollegiatInnen
immer mehr als SchülerInnen fühlen und die Lehrenden sich immer mehr als
LehrerInnen aufführen, zur sichtlichen Irritationen des Kollegleiters.
Immerhin wurde die Vollversammlung nach 45min auf die nächste Woche vertagt,
wobei von Seiten der KollegiatInnen nun ein
Forderungskatalog erstellt wird, der unter anderem für eine
Demokratisierung der Schule wirbt, auch um das Kolleg aus der momentanen
Krise zu befreien.
Die Aktion war auf jeden Fall ein erster Anstoß zu einer hoffentlich folgenden
Debatte über selbstorganisiertem und gleichberechtigtem Lernen an einem zu
verändernden Oberstufenkolleg!


mehr Bilder:  http://gallery.kollima.de/index.php?v=list&i=0&p=Mal-Aktion%20im%20Februar%2007

OS Wiki: www.osk.c3bi.de

Offizielle Seite vom OS:  http://www.uni-bielefeld.de/OSK/
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Ergänzungen

Vollversammlung

KollegiatIn 22.02.2007 - 23:24
Die nächste Vollversammlung wird am Mittwoch, den 28.02. ab 12 Uhr stattfinden. Da in letzter Zeit die Versammlung immer Podiumsbezogen waren und diese nicht sehr gut liefen, soll dieses Mal ein Kreis aufgebaut werden, in dem einE ModeratorIn sitzt und die Gespräche delegiert.

Ihr seid nicht allein

Schwarze Feder 23.02.2007 - 16:28
Gestern machte die Meldung die Runde, dass in NRW erneut 16.000 Eltern nicht ihre Kinder auf eine der 240 Gesamtschulen in NRW unterbringen konnten, weil diese hoffnungslos überbelegt sind und die CDU/FDP aus ideologischen Gründen und weil sie die Kinder nach sozialer Herkunft selektieren wollen, am mehrgliedrigen Schulsystem festhalten. Ich finde Eure Aktion sehr gut und hoffe, dass Ihr was bewegen könnt mit Eurer Vollversammlung!

Haltet den Spirit am Leben!!!

Hegel -> Marx ; Hentig -> ? 25.02.2007 - 14:03
Ich bin wenigstens darüber beruhigt, dass es in der heutigen Kollegiatenschaft immer noch ausreichend Leute gibt, die das Besondere am OS (bzw. das was davon noch übrig ist) erkannt haben und verteidigen. So gut wie alle ehemalige Kollegiaten lieben diese Institution (das alte OS), da sie über 25 Jahre hinweg in der Praxis bewiesen hat, dass eine bessere Welt möglich ist, wenn man sie einfach lebt.
Selbst gescheiterte EX-Kollegiaten möchten ihre Zeit am OS nicht missen, denn die Erfahrungs- und Lebenswelt OS ist eine enorme Bereicherung für jeden Lebensweg.

Um so erschreckender ist es, dass gerade Lehrende, die seit vielen Jahren Mitglieder des OS sind, dieses nun aktiv zu grunde richten (Karriere?).
In den Köpfen der ehemaligen Kollis lebt der Spirit des alten OS weiter, und er darf auch nicht in Vergessenheit geraten in einer Zeit, in der politisch ein Fehler nach dem anderen begangen wird - in einer Zeit, in der die Arbeits- und Leistungsgesellschaft in den letzten Zügen liegt und nach neuen Sinn-Möglichkeiten Ausschau gehalten werden müsste, die Politik hingegen nichts besseres zu tun hat, als überall mit der Metapher eines vermeintlichen "Wettbewerbs" (zwischen Unis, Schulen, ja sogar Staaten - eine solche Absurdität muss man sich erstmal vorstellen) künstlich Druck zu erzeugen und die Phase der Kindheit und Jugend durch Leistungs-Stress und Anpassungsdruck zu verderben.

Auch an den Universitäten hat dieser unsägliche Zeitgeist Einzug gehalten und junge StudentInnen sind statt Lebensorientierung und Erfahrung der eigenen Fähigkeiten stattdessen damit beschäftigt, Credit Points und gute Noten zu sammeln, damit sie möglichst besser sind als ihre Kommilitonen und binnen kürzester Zeit fertig mit dem Studium werden, damit sie nicht weiter unter Studiengebühren leiden müssen und Karriere machen können - diese "Karriere" besteht dann darin, dass sie zunächst als Langzeitpraktikanten ausgebeutet werden und mit etwas Glück vielleicht irgendwo an einem anderen Ort in Deutschland oder der Welt (man hat ja flexibel zu sein, Familie und Freunde haben entbehrlich zu sein) für ein lächerliches Gehalt, das für Familiengründungen niemals ausreichen wird, in einem quadratischen 4x4Meter-Büro ein Dasein als angepasster und elektronisch überwachter "Arbeitnehmer" zu fristen (für ein paar Jahre, bis der Betrieb klotten geht).

Das Regelschulsystem bereitet die Kinder auf genau dieses Leben als angepasster und normierter Leistungsbringer vor, in dem es schon in frühen Jahren den Willen bricht und systematisch die Leichtmütigkeit und Unbeschwertheit junger Menschen vernichtet.
Die Einteilung in Klassen ist objektiv betrachtet ein vollkommen widerlicher, perfider und menschenverachtender Vorgang, der nur dazu dient, die Kinder besser kontrollieren und manipulieren zu können.
Die Schule ein perverses System - sie ist nichts anderes als eine totale Institution, die das Individuum über 10 Jahre hinweg systematisch verformt und zu einem ruhiggestellten Spielball bestehender Machtverhältnisse macht. Nur Gefängnisse sind mit Schulen vergleichbar - hohe Mauern mit einem Hof in der Mitte - Pläne nach denen sich alle Insassen zu richten haben, Hof-Ausgangszeiten (2x20 Minuten täglich - das sollte man mal einem Angestellten zumuten) und nicht zueletzt die Klingel, die akustisch den normierten Lager-Alltag regelt.

Doch je stärker dieses System aufrechterhalten wird, desto stärker erzeugt es in sich selbst und durch sich selbst einen zunehmenden Widerstand, der in den kommenden Jahrzehnten vermutlich an Stärke gewinnen wird - er muss sich nur besser organisieren!
Ich wünsche Euch viel Kraft und Stärke! Lasst euch nicht unterkriegen!

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Vollversammlung Ergänzung — KollegiatIn

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keine — darkwin