Zürich: Wieder Film-Razzia +Beschlagnahmungen

PigBrother.info 16.02.2007 06:17 Themen: Antifa Medien Repression Weltweit
15. Februar 2007 -- der Tag, an dem in allen lokalen Zeitungen stand, die zürcher Stadtpolizei habe sich endlich eines besseren besonnen und offiziell bekannt gegeben, der Film «Salò oder Die 120 Tage von Sodom» sei nicht mehr "verboten" und dürfe wieder aufgeführt, gehandelt und in den Videotheken verliehen werden. Der junge Filmproduzent und -Händler Heiko «Psyko» Muuss öffnet wie gewohnt um 10 Uhr morgens sein auf Horrorfilme und Merchandise spezialisiertes Ladengeschäft für Erwachsene, den «Psyko-Store» an der General-Guisan-Strasse 9 in 8400 Winterthur.

Heiko fährt den Computer hoch und will sich einen Kaffe machen. Plötzlich drängen sich drei Personen in den Raum, weisen sich als BeamtInnen der Kantonspolizei in Zivil aus und halten ihm einen vom 8.2.07 datierten Durchsuchungsbefehl der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland «betreffend Pornographie etc.» unter die Nase, unterzeichnet von Staatsanwältin P. D'Angelo.

Während seine KollegInnen das Lokal auf den Kopf zu stellen, fragt ein Beamter: «Führen Sie den Film "Salò"?»
«Nein, aber ich könnte ihn für Sie bestellen», entgegnet der der Verblüffte schlagfertig. Dann muss er seinen Bürosessel räumen, damit die Beamten ungehindert (wenn auch erfolglos) den PC nach der Kundenkartei durchsuchen können. «Rape and Revenge» heisst der nächste Filmtitel, den die Beamten zu sehen wünschen. Wiederum muss der Filmhändler passen, er führe keine Pornos. (Wie eine Internetrecherche ergab, handelt es sich um eine eher obskure deutsche Produktion aus dem Jahre 2004 unter der Regie einer gewissen A. Simona, die in Online-Versandläden in Deutschland und Österreich ab 18 Jahren problemlos erhältlich ist.) Warum er ausgerechnet auf diese Filme versessen ist und worum es bei der Razzia überhaupt geht, will der leitende Beamte Det. Kpl. A. R. S. nicht verraten.

Seine KollegInnen gehen die gesamten Bestände des Kauf- und Verleihangebots durch, vergleichen sämtliche Titel mit einer reichlich veralteten "Liste problematischer Filme" aus dem Jahre 2005 des Schweizerischen Video-Verbandes. Auf die Einwendung des Filmemachers und Genrefachmanns Heiko, diese (strafrechtlich ohnehin nicht relevante) Liste betreffe aber ausschliesslich Horrorfilme, und was an der Kundenkartei pornographisch sein soll, könne er sich auch nicht erklären, erklärt ihm der Beamte: «Das ist halt ein Sammelbegriff.»

Nebst dem Ladenlokal wird auch die Privatwohnung von Heiko samt Estrich und Keller durchwühlt. Im Wohnzimmer werden die Beamten ein erstes Mal fündig und beschlagnahmen eine Videokassette, bei der zumindest der Filmtitel mit einem Eintrag in der Liste übereinstimmt: «Braindead», eine Horrorkomödie des mittlerweile weltberühmten «Herr der Ringe»-Regisseurs Peter Jackson, die in der Schweiz bisher in mehreren DVD-Versandhäusern und Videotheken ab 18 Jahren erhältlich war und ist (weltweit schwanken die Altersfreigaben von 15-18, einzig in Deutschland ist die ungeschnittene Fassung immer noch verboten). Der Film erhielt 13 Preise und wurde so nebenbei in seinem Entstehungsland Neuseeland u.a. mit Mitteln der Filmförderung erstellt. Wäre Peter Jackson Schweizer Staatsbürger, hätte er statt Oscars und anderen renommierten Preisen wohl eher Polizeivorladungen und Gerichtsverfahren gesammelt ...
 http://imdb.com/title/tt0103873/
 http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Jackson
 http://www.kaihoro.net/default.php?content=sitemap/news.php

Gut 2 Stunden dauerte die gesamte Schnüffel-Aktion. Um nicht mit leeren Händen wieder abziehen zu müssen, behändigen sich die Beamten schliesslich alles, was auf dem Cover einen Anflug von Nacktheit oder Verruchtheit verbreitet, insgesamt 6 weitere Titel, die allesamt sowohl in der Schweiz wie auch in allen umliegenden Ländern problemlos ab 18 Jahren erhältlich sind. Mehrheitlich handelt es sich dabei um Neuauflagen von sog. Exploitation-Filmen aus den 70er und 80er Jahren mit ihren typisch reisserischen Covers und Titeln. Hervorgehoben sei hier lediglich der auch via amazon.de ungeschnitten erhältliche "Soft Erotik"-Film «Sadomania, Hölle der Lust» des spanischen Vielfilmers Jesus «Jess» Franco erwähnt (der übrigens zusammen mit der CH-Filmlegende Erwin C. Dietrich in der Rolle des Produzenten allein 1975-77 nicht weniger als 14 "verruchte" Trashperlen in die Welt setzte).
 http://www.amazon.de/Sadomania-H%C3%B6lle-Lust-Ursula-Buchfellner/dp/B000AQEHO4/
 http://de.wikipedia.org/wiki/Jesus_Franco
 http://www.erwincdietrich.ch/ger/jessfranco.htm
 http://imdb.com/name/nm0226244/
Benedikt Eppenberger, Daniel Stapfer: Mädchen, Machos und Moneten. Die unglaubliche Geschichte des Schweizer Kinounternehmers Erwin C. Dietrich. Mit einem Vorwort von Jess Franco. Verlag Scharfe Stiefel, 2006,  http://www.scharfestiefel.ch/

Zusammen mit Freunden und Bekannten der Produktionsfirma «Nuckleduster» hat Heiko auch schon bei mehreren Filmen mitgewirkt oder Regie geführt, die meisten davon sind in der «Splatbox»-DVD versammelt. Beim ebenfalls auf DVD erhältlichen »Debilitas» ist auch der bekannte Künstler HR Giger in einer kleinen Rolle zu bewundern.
 http://www.psyko-store.ch --> nuckleduster
 http://nuckleduster.com/

Es ist nicht das erste Mal, dass Heiko und sein Laden zur Zielscheibe der Behörden werden. Einmal gab es Reklamationen wegen einem Weihnachtsschaufenster, das angeblich die Winterthurer Bevölkerung in ihren Gefühlen verletzt habe, auch wenn es -- vgl. wiederum den Fall «Salo» -- letztlich doch nicht für ein Strafverfahren reichte. Regelmässig erhält er auch Droh- und Hassbriefe. In den letzten Monaten kam es zudem mehrmals vor, dass sich die Polizei einen Spass daraus machte, Kunden, die aus dem Psyko-Store kamen, hinter der nächsten Ecke oder gleich vor dem Laden anzuhalten und zu filzen.

Eine Liste der beschlagnahmten Filme erhielt der junge Gewerbler erst nach mehrmaligem, hartnäckigem drängen. Diese Liste auch zu unterzeichnen, hielten die Beamten nicht für nötig. Worum es bei der gestrigen Durchsuchung eigentlich ging, wollten sie ihm bis zum Schluss nicht bekanntgeben, sondern lediglich, dass er sich heute morgen 08:00 h auf dem Posten zu einem weiteren Verhör einzufinden habe ...

Kleine Schweiz, kleines Denken.

 http://www.psyko-store.ch

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Jetzt debattieren und vernetzen! So 20:30 h, Magnusstr. 20, Zürich

Der Zürcher Skandal um Pasolinis "Salo oder die 120 Tage von Sodom" gibt
Anlass, eine Debatte auszulösen. Die Wirksamkeit der diffusen polizeilichen
Androhungen ist das eine, die gegenwärtige kulturelle, gesellschaftliche und
politische Relevanz von Pasolinis Botschaften das andere. Das wollen wir
nicht verpassen!

Weil die Informationsfreiheit und künstlerische Freiheit grob beschnitten
wurden.

Weil wir hinschauen wollen, statt in staatsbürgerliche Lethargie und
zynischem Rückzug ins Private zu verfallen.

Weil wir zu mehr Engagement für Freiheitsrechte auffordern wollen - nicht
nur vom Bürger auf der Strasse, auch von Prominenz aus Politik, Kultur,
Wissenschaft und Medien.

Deswegen laden wir alle unsichtbaren Komplizen ein, aus ihrem Versteck zu
kommen. Deswegen zeigen wir den Film!

"Salo oder die 120 Tage von Sodom" an der Magnusstrasse 22, 8004 Zürich,
Sonntag, 20.30 Uhr (Ausweichmöglichkeit vorhanden).

Wir sind überzeugt, dass viele unser Unbehagen gegenüber einem latent
wahrnehmbaren Zerfall der freiheitlichen Grundrechte teilen. Wir wollen Euch
kennen lernen!


Club-Komitee: [...]


Zusatz-Information:
"Salo"läuft auch am kommenden Sonntag in Genf im Kino Spoutnik oder Kino CAC
Voltaire. Danke an unsere Komplizen in Genf! Das Kino Xenix zeigt "Salo" im
Mai im Rahmen einer Serie über Brutalität im Film
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Ergänzungen

Bitte um Aufklräung

Nix Ahnung von Schweiz 16.02.2007 - 10:44
Moin,
ich verstehe das nicht.

Welche Filme sind denn in der Schweiz verboten? In Deutschland dürfen Pornos und Horror in den Länden vertrieben werden (auch wenn ein Gesetzentwurf aus Bayern dies ändern könnte  http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,466149,00.html).
Außerdem dürfen Hausdurchsuchungen nur von Richtern angeordnet werden. Angenommen es wäre so gewesen, was es ja nicht war, hätten die nicht die Wohnung durchsuchen dürfen. Wie schaut es in der Schweiz aus???

Auf jedenfall Anwalt einschalten, falls noch nicht geschehen!

Ansonsten hier noch mal ein Link zum Verhalten bei Hausdurchsuchungen (wirklich interessant und auch unterhaltsam was der Anwalt da referiert. Allerdings deutsches Recht):  http://video.google.de/videoplay?docid=-1550832407257277331

Bitte um Aufklärung

UPDATE -- alle bis auf 1 film zurückgegeben!

pigb. 16.02.2007 - 17:14
da pigbrother gleichzeitig mit dem hochladen des obigen artikels einen spam an die gesamte presse (und unsere newsletterliste) verschickte, dürfte bei der polizei schon vor 08:00 das telefon mehr als einmal geklingelt haben ...

als heiko dann brav zum verhör antrabte, erhielt er sogleich bescheid, er dürfe alle bis auf einen film gleich wieder mitnehmen. auf verlangen erhielt er sogar eine schriftliche bestätigung, wonach wegen dieser filme das verfahren abgeschlossen sei und diese auch wieder für den verkauf zugelassen seien (inkl. braindead!).

der eine noch zurückbehaltene film gehe an die staatsanwaltschaft zur weiteren prüfung. da es sich dabei um ein in deutschland freigegebens, jk-geprüftes teil handelt, dürfte wohl oder übel auch die winterthurer staatsanwältin zum gleichen schluss kommen.

gleichzeitig erfuhr heiko nun auch, wie es zur anzeige gekommen war: die polizei hatte bei einem ex-kunden vor gut einem jahr in anderer sache eine razzia veranstaltet, war dabei über dessen filmsammlung gestolpert und hatte dabei u.a. den auch bei heiko erfragten "rape and revenge" konfisziert. worauf der typ dann zu plaudern begann und auf die frage, woher er diese filme habe, fälschlicherweise auf heiko verwies. die filme habe der mittlerweile obdachlose nie mehr zurück erhalten, obwohl er in dieser angelegenheit von der polizei oder staatsanwaltschaft auch sonst nichts mehr vernommen ...

folglich handelte es sich bei der razzia um einen relativ normalen, real existierenden ermittlungsvorgang, auch wenn das beschlagnahmeverhalten der involvierten beamtinnen wieder einmal als typisch zu bewerten ist.

fazit -- es kann nie schaden, wenn sich polizei und staatsanwaltschaft bewusst sind, dass ihre aktionen im fokus von medien und öffentlichkeit stehen, und durch das timing der aktion unmittelbar nach dem «salo»-skandal plus den pigbrother-spam war dies sehr wohl gegeben. (anders, als wenn z.b. der zoll ein paket mit einem genau derselben filme abfängt und dann die polizei beim adressaten reinguckt und seine gesamte sammlung mitnimmt nach dem motto "entweder sie geben sie alle zur vernichtung frei oder wir machen sie unter weitgehendem ausschluss der öffentlichkeit in einem hexenprozess platt", wie es in der deutschschweiz vor allem, aber nicht nur in ländlichen gegenden nach wie vor üblich ist -- auch heiko weiss von mehreren solcher fälle zu berichten.)

anmerkungen zur ch-rechtssituation:

dass hausdurchsuchungsbefehle von der staatsanwaltschaft ausgestellt werden (und nicht von einem richter) ist hier zu lande nicht nur im kanton zürich durch die strafprozessordnung abgesegnet, desgleichen, dass mit einem durchsuchungsbefehl computer vor ort durchgesehen werden dürfen (auch wenn es, wie z.b. im falle der illegalen razzia bei pigbrother, beides immer wieder mal "einfach so" geschieht -- auch in diesem falle wurde das verfahren gegen die beamten bekanntlich vom staatsanwalt wie üblich eingestellt und dieser entscheid auch durch den instanzenweg abgesegnet, siehe  http://polizeistaat.com )

betreffend welche filme legal sind und verkauft werden dürfen, herrscht in der schweiz eine ziemliche rechtsunsicherheit, da es im gegensatz zu kinofilmen für videos / dvds keine prüfungsstelle à la fsk / jk gibt. der videoverband setzt sich deshalb dafür ein, die deutschen freigaben entsprechend dem cassis-de-dijon-prinzip zu übernehmen (schnitte der fsk werden in der schweiz sowieso zwangsläufig nachvollzogen, da es sich für labels in der regel nicht lohnt, nur für die schweiz eine andere schnittfassung auf den markt zu bringen). doch das ist nur ein vorschlag und rechtlich nicht bindend, weshalb die polizei wie auch im vorliegenden fall gerne ihre bandbreite ausnutzt.

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