Zürich: Polizei hebt «Salò»-Zensur auf!

PigBrother.info 14.02.2007 13:51 Themen: Medien Repression Weltweit
Nach «Gesprächen» und verschiedenen «Reaktionen» und unter Berücksichtigung von «Gerichtsurteile[n] in den Nachbarländern» krebst die Stadtpolizei zurück und hebt ihr eigenmächtiges Verbot gnädigerweise wieder auf.

Nicht ganz unbeteiligt daran wohl auch der couragierte Protest aus Genf: 2 Kinos programmierten den Film aufs nächste Wochenende, zudem hatten die KinobetreiberInnen zusammen mit anderen Personen aus dem Künstlermillieu ein «Komitee gegen die Zensur» gegründet.
Die Winkelzüge hinter den Kulissen, die zum selbstherrlichen Verbot geführt hatten, werden wohl ebenso wenig je bekannt werden wie diejenigen, welche die Stapo nun wieder zurückbuchstabieren liessen. Die heutige Pressemeldung der Stapo von 12:06 h ist bezeichnend dürr und nichtssagend:

« Pasolini Film Salò

Umstrittener Film darf vorgeführt werden.

Die Stadtpolizei hat diesen Film letzte Woche visioniert und wegen seiner relevanten Darstellungen von Vergewaltigung, Folter und Szenen mit menschlichen Ausscheidungen, gemäss StGB Art. 197.3, als gewaltverherrlichend und pornografisch eingestuft. Deshalb wurde am vergangenen Freitag, 9. Februar 2007, ein Gespräch mit den Veranstaltern gesucht, bei welchem die obgenannten Gründe dargelegt wurden. Aufgrund dessen hat sich der Veranstalter entschieden, auf die Vorführung zu verzichten. Verschiedene Gespräche und Reaktionen, aber auch Gerichtsurteile in den Nachbarländern haben gezeigt, dass die Polizei den künstlerischen Wert (Absatz 5 des gleichen Artikels im StGB) offenbar zuwenig gewürdigt hat. Die Polizei kommt deshalb heute zum Schluss, dass der Film " Salò oder die 120 Tage von Sodom" von Pasolini gezeigt werden darf, sofern die gängigen Altersvorschriften betreffend Jugendschutz eingehalten werden. »

Quelle:  http://www.stapo-content.ch/artikel.php?id=4822

Insbesondere Welschschweizer Medien hatten empört über den unhaltbaren Entscheid berichtet -- mit ungeahnten Folgen:

«Pasolini-Film: Welsches Komitee gegen Zürcher Intoleranz

Wer den in Zürich verbotenen Film «Salò oder Die 120 Tage von Sodom» in einem Kino sehen will, kann dies am kommenden Wochenende in Genf tun.

In zwei Genfer Kinos wird der Film aus Protest gegen die Zensur der Zürcher Polizei ausgestrahlt.

Gleichzeitig habe[n] die Cineasten zusammen mit anderen Personen aus dem Künstlermillieu ein Komitee gegen die Zensur gegründet, bestätigte die frühere Genfer Grossrätin Salika Wenger einen Bericht der Zeitung «Le Matin Bleu» vom Dienstag.

Zurzeit sammelt das Komitee Unterschriften für eine Petition. Darin fordern sie die Zürcher Behörden auf, die Zensurmassnahme gegen den Film des italienischen Regisseurs Pier Paolo Pasolini aufzuheben. »

Vollständiger Artikel:  http://www.20min.ch/tools/suchen/story/23747851

Ebenso für zusätzlichen Druck dürfte der gestern bekannt gewordene Entscheid des Xenix gesorgt haben, auf der Aufführung zu bestehen und mit Juristen nach Möglichkeiten zu suchen, dies auch durchzusetzen.


Ende gut, alles gut?

Auch wenn die Rücknahme des Verbots eine überrschend positive Wendung darstellt, so zeigt das Vorgehen der Stapo deutlich, wie sie die Freiheit der Kultur geringschätzt, offensichtlich mit Billigung auch politischer Instanzen. Diese Geringschätzung (auch bei anderen Polizeikorps) kommt auch in anderen Fällen zum Ausdruck, etwa wenn es (wie im vorherigen Artikel beschrieben) darum geht, Filmsammlungen Privater mit juristisch wenig sauberen Mitteln durch amtl. bew. Verbrennung aufzulösen. In diesen Fällen stehen die Opfer der Staatsmacht allein gegenüber, und nirgends bilden sich Komitees o.ä., in den allermeisten Fällen geschieht solches sowieso unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Auch das wohl nicht ganz grundlose Verhalten der Filmhändler und Videotheken, den "verbotenen" Film panikartig verschwinden zu lassen, weist darauf hin, dass die kulturelle Freiheit in der Schweiz oft ein Gang auf sehr dünnem Eis darstellt und Polizei und Behörden sich gewohnt sind, willkürlich zuschlagen können -- im Gegensatz zu ihren Opfern ohne Risiko und Schadenfolge, schlimmstenfalls müssen sie einfach ausnahmsweise einmal wieder zurückkrebsen. Auch im vorliegenden Fall hatte ausschliesslich das Xenix und die St. Jakobskirche den Schaden und die Umtriebe, die selbstredend nicht entschädigt werden, von der Stapo sowieso nicht.

Vom prinzipiell rückgratlosen Verhalten der kommerziellen Filmverleiher, Medien usw. jenseits ihrer eigenen Partikulärinteressen und vom allgemeinen Duckmäusertum fang ich gar nicht erst an ... ebenso wenig wie vom neuen Zürcher Polizeigesetz, der längst erfolgten Rückkehr des Fichen(Schnüffel)staats inkl. Telefon-, Internet- und Emailüberwachung à discretion, Dum-Dum-Munition für Polizisten nach Deutschland jetzt auch in der Schweiz, Taser als Gehorsamserzwingungsmittel, Trojaner für Bundesschnüffler, Mikrowellenwaffen vorerst im Irak, und und und ...

Früherer Artikel zum Fall «Salo»:
 http://de.indymedia.org/2007/02/168228.shtml
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Salò o le 120 giornate di Sodoma

Grosses Kino 14.02.2007 - 21:28
Dazu Wikipedia

>  http://de.wikipedia.org/wiki/Die_120_Tage_von_Sodom_(Film)
>  http://en.wikipedia.org/wiki/Salò_o_le_120_giornate_di_Sodoma

Auf der englischen Seite hat es sogar paar Bilder.

Zuviel Energie würde ich nicht einsetzen für das Recht, einen Film, in dem Leute gezwungen werden Kot zu fressen, ohne jegliche Alterskontrolle aufzuführen.

Das Detail mit der ursprünglich nicht vorgesehenen Alterskontrolle fehlt irgendwie im Original-Artikel.

Zitat PigBrother:
Diese Geringschätzung (auch bei anderen Polizeikorps) kommt auch in anderen Fällen zum Ausdruck, etwa wenn es (wie im vorherigen Artikel beschrieben) darum geht, Filmsammlungen Privater mit juristisch wenig sauberen Mitteln durch amtl. bew. Verbrennung aufzulösen.

Frei nach PigBrother gehören beschlagnahmte Kinderpornos also sicher nicht verbrannt sondern müssen unter Bildung von Komitees o.ä. unbedingt den ursprünglichen Besitzern zurückgegeben werden? Genau um solche Sachen dürfte es sich nämlich handeln in den allermeisten Fällen bei der erwähnten amtl. bew. Verbrennung.

re: keine alterskontrolle & kinderpornos

pigb. 14.02.2007 - 22:59
bitte jeweils zuerst genauer (oder überhaupt) lesen, nachdenken und erst dann kommentieren, statt unhinterfragt falschmeldungen zu kolportieren (oder auch absichtlich).

betreffend keine alterskontrolle:
aus dem verlinkten indy-artikel:  http://de.indymedia.org/2007/02/168228.shtml
"Ausserdem, führte Burr weiter aus, sei ihm in der Meldung von 20 Minuten mehrfach das Wort im Mund herumgedreht worden, er habe z.B. gesagt, man werde Alterskontrollen machen, während in der Zeitung dann genau das Gegenteil gestanden habe."

um welche filme es betreffend der angesprochenen amtl. bew. verbrennungsaktionen ging:
aus demselben artikel:
"Die Schweiz war noch nie ein so freies Land wie die meisten denken. [13] Seit Jahren werden Menschen, deren einziges Verbrechen es ist, einen Horror- oder sonstigen missliebigen Film per Post importiert zu haben, von Polizei und Justiz drangsaliert. PigBrother weiss von Fällen, wo z.B. anlässlich einer Hausdurchsuchung den Betroffenen eröffnet wurde, entweder sie gäben ihre ganze Sammlung zur Beschlagnahme und Vernichtung frei, oder sie würden verzeigt. Nicht wenigte willigten ein, aus Angst und weil sie wissen, dass sie kaum einen fairen Prozess bekommen.

Etwas, wovon auch Mitglieder von PigBrother ein Liedchen oder zwei, drei singen können, trotzdem wurden wir doch wegen einer ketchuphaltige Satire auf Hausbesetzer und die Polizei verurteilt, haben jahrelang Bussen abgestottert oder auf ziemlich ungesunde Art und Weise mit dem Flughafengefängnis nähere Bekanntschaft gemacht, der Film inkl. Mastertape wurde bekanntlich in bester 3.-Reich-Manier offiziell VERBRANNT ... [14]

Als wir uns erdreisteten, den Fall auf dem Internet zu dokumentieren (woraus auch PigBrother.info entstand), kam die nächste illegale Razzia postwendend. Vor Gericht kam jedoch nicht die Polizei, sondern der Homepageverantwortliche ... [15]"

um kinderpornos und andere filme, in denen das dargestellte nicht gespielt ist und die darsteller nicht freiwillig mitmachen, ging es also kaum. solche fime, deren herstellung auf prinzipiell auf menschenrechtsverletzungen und straftatbeständen beruht, sind ein völlig anderes paar schuhe als die angesprochenen filme oder auch salo.

dass menschen, die sie sich kritisch gegenüber zensur äussern, sofort immer wieder in den mund gelegt wird, eigentlich ginge es ihnen nur darum, kinderpornos usw. zu verteidigen, ist eine typische taktik aus welcher ecke wohl ... ?