Impressionen vom 23C3

A. 05.01.2007 19:32 Themen: Indymedia Kultur Medien Netactivism
Der 23. Chaos Communication Congress ist vorüber und wie immer ging alles viel zu schnell. Zeit für einen Rückblick.
Von über 130 interessanten Vorträgen konnte ich wegen dem Zeitvertreib mit vielen anderen spannenden Personen und Events nur gut einem Dutzend beiwohnen, doch zum Glück gibt es "bald" alle Talks und Präsentationen als Download in Video und Audio-Form.
Genug Coverage von diesem "offiziellen Teil" gibt es jedoch in der Mainstream-Presse und Weblogs, ein prima Beispiel für letzteres ist plomlompom mit seinem Blog futur:plom.

Der verrückte Professor

Doch auch der informelle Teil kommt natürlich nie zu kurz und ist mindestens genau so spannend. Zum Beispiel ist da der zerstreute ältere Mathematik-Professor einer bayrischen Universität, der die funktionale Programmiersprache Haskell entwickelt. Auf dem Congress wurde ihm klar, dass sich die junge Generation auf einen "Techno-Krieg" gefasst machen und vorbereiten muss, denn dieser wird seiner Meinung nach kommen. Gegen unverständliche Gesetze helfe nur, sie zu missachten und zu "Outlaws" zu werden.

Vorratsdatenspeicherung

Ein Beispiel für so ein Gesetz dürfte die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung sein. Dieses an Orwell erinnernde Projekt einiger Sicherheitspolitiker, Verbindungsdaten jeglicher elektronischer Kommunikation der 490,77 Millionen EU-Einwohner verdachtsunabhängig auf Vorrat zu speichern (man könnte ja in Zukunft mal Straftaten begehen), wurde auf dem Congress heiss diskutiert. Die Talks Privacy, Identity, and Anonymity in Web 2.0 und Transparency and Privacy drehten sich um das Thema und unter der Überschrift Data Retention Update wurde sogar dediziert über den Stand rechtlicher Umsetzungen der Richtlinie und den Widerstand dagegen diskutiert. Zu zwei weiteren Gelegenheiten traf sich der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, um offen zu diskutieren, wie man den Widerstand gegen diese Richtlinie breiter gestalten kann. Schien dies bisher eine Sache der Netz- und Datenschützer-Szene, werden sich hoffentlich langsam auch die "üblichen Verdächtigen" der Polit-Aktivisten dieser krassen Entwicklung bewusst. So reichten gestern Anti-Atomkraft-Initiativen im Münsterland Verfassungsbeschwerde gegen so genannte "Online-Durchsuchungen" im neuen Verfassungsschutzgesetz NRW ein. Trotzdem scheinen bisher viel zu wenige Menschen die Reichweite einiger die Netzwelt betreffenden Gesetze auf dem Schirm zu haben.
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung erarbeitete ein Protokoll mit Aktionsideen und lädt alle interessierten Menschen ein, mit zu machen!
Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss kam zum Treffen um zu betonen, wie sehr er doch gegen die Vorratsdatenspeicherung ist. Leider ist er jedoch Politiker und stimmte im Bundestag FÜR die Überwachungsverordnung. Aber wenigstens hat er mal die Tür zu geknallt. Warum man ihn nicht als Bündnisparter braucht, erklären Ralf Bendrath und padeluunm im Video-Interview mit Mario Behling.

One Laptop per Child

Ein persönliches Highlight war der als "100 Dollar Laptop" bekannte One Laptop per Child (OLPC). Dieser auf dem Weltgipfel der Informationsgesellschaft vorgestellte Billig-Laptop soll nicht im freien Handel erhältlich sein, sondern an Bildungsministerien von Staaten im "globalen Süden" verkauft werden. Billiger als ein oft nichtmals vorhandener Satz Schulbücher, soll er Kindern ermöglichen, gemeinsam zu lesen, zu lernen, zu spielen und die digitale Welt kennen zu lernen.
Während einige beim Lightning Talk sehr erregt waren, ein Exemplar des Laptops für eine Sekunde beim Durchreichen in der Hand gehalten zu haben, war währenddessen beim Wikipedia-Stand durch Samuel Klein noch einer zur Betrachtung. Nach tagelangem überwältigendem Ansturm auf dieses kleine Gerät, habe ich es in der dritten Nacht noch geschafft, mir das Ding mal aus der Nähe anzusehen. Nicht nur das, ausserdem gab mir auch noch John Gilmore eine einstündige Einführung in den OLPC.
Die Hardware des wirklich winzigen und robusten Geräts ist soweit fertig und befindet sich gerade im Stress-Test. Das heisst, hunderte dieser Dinger werden allen möglichen Extrem-Situationen ausgesetzt, um möglichst robust und stabil zu werden. Falls doch Mal etwas kaputt geht, sollen die Kinder ermutigt werden, das Gerät selbst aufzuschrauben und zu reparieren. Genauere Spezifikationen gibt's auf der offiziellen Seite und Bilder vom in einem Contest gewonnenen Board bei yetzt. Das revolutionäre Display ist extrem stromsparend und gleichzeitig so kontrasttreich, dass es auch unter extremer Sonneneinstrahlung noch gut gelesen werden kann. Diese Entwicklung wird bestimmt früher oder später auch in "herkömmliche" Displays einfliessen.
Die Software wiederrum befindet sich noch in einem Alpha-Stadium und ist bei weitem nicht ausgereift. Als Basis-OS dient ein Fedora Core Linux, welches natürlich für die relativ minimale Hardware noch heftig angepasst wird. Die GUI ist auch eine Eigenentwicklung und soll durch eine Abkehr des weit verbreiteten WIMP-Prinzips intuitiver für Computer-Neulinge werden. Zufälligerweise verbrachte Rob Savoye, der Maintainer der freien Flash-Alternative Gnash, den gesamten dritten Tag damit, Gnash auf dem OLPC zum Laufen zu bekommen und so durfte ich einer der ersten Zeugen werden, auch Flash auf dem OLPC zu sehen. Und die "grosse Frage" nach der Kompatibilität von YouTube und Gnash beantwortete er vielversprechend, "bald" spiele Gnash Flash Videos ab und natürlich erhält diese Entwicklung auch Einzug in die finale OLPC-Version. Mit dem eingebauten Mikrophon und der Kamera im Gerät fehlt nur noch ein einfacher OLPC -> Flash Video Gateway. Wer gut in Python ist, sollte John eine Mail schreiben :)

TV-B-Gone

Durch Emmanuel Goldstein und seinen Radio-Shows Off The Wall und Off The Hook habe ich ja schon viel vom Nerd-Spielzeug TV-B-Gone gehört. Nach Belieben mit einem kleinen Gerät Fernseher an- und ausschalten klingt einfach nur zu toll, wie praktisch wäre so etwas während der Fussball-WM gewesen. Umso netter war es, einen Grossteil der Abende mit dem San Franciscoer Alt-Hippie Mitch Altman zu verbringen und neben seinem Werk über viele verschiedene Themen der Welt zu reden. Der Talk zu seiner Erfindung war dann jedoch nicht nur für ihn, sondern auch für mich mit 14:00 viel zu früh, aber es wird ja Mitschnitte zum freien Download geben.

Alles in allem war es Mal wieder ein toller Kongress und mit 4200 Teilnehmern auch der best besuchteste bisher. Achja, nebenbei ist noch eine erste Umsetzung einer Syndication-Seite der deutschsprachigen Indymedias herausgekommen. Stay tuned.
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Ergänzungen

Videos gibt es schon seit einigen Tagen zum D

Anm. 05.01.2007 - 19:51
 http://events.ccc.de/congress/2006/Streams
Es lohnt sich wirklich, dort reinzuschauen!

@Anm.

(muss ausgefüllt werden) 06.01.2007 - 01:50
jain, die streams dort sind schlechte rips von den wmv-streams, nicht die offiziellen. deswegen ist auch der link zu folgender seite im artikel:

Meine Eindrücke vom 23C3

ruca 12.01.2007 - 20:57
Schön noch einmal andere persönliche Erfahrungen vom 23C3 zu lesen.
Für mich war es der erste Chaos Communication Congress und ich bin immernoch total begeistert.
Wer Interesse hat (meine Fotos gitb's nicht bei flickr ;) ->  http://ruca.sgra.de/?cat=9

Und zu dem Thema Sexismus: Zwar sind nicht wirklich viele Frauen dort vertreten, ich schätze mal so auf ein Zehntel der Besucher. Aber das bedeutet doch nicht gleich Diskriminierung! Ich habe zu keinem Zeitpunkt das Gefühl gehabt ich werde in irgendeiner Weise abwertend o.ä. behandelt oder auch nur angeguckt. Eher im Gegenteil, Frauen sind sicherlich sehr erwünscht bei dem Testosteronüberschuss.
Aber leider ist es nun mal so, dass sich viele Frauen nichts unter dem Kongress vorstellen können, weil sie sich nichts oder nur wenig unter "Hackers" vorstellen können, und dies vielleicht als zu technisch-fixiert ansehen. Das ist jedenfalls meine persönliche Erfahrung. In meinem Umfeld scheint es leider so, dass die Frauen hinsichtlich Technik wirklich noch unemanzipiert sind.
Das Problem liegt meiner Meinung nach nicht in dem Umgang mit Frauen oder der Betrachtungsweise dieser, die auf dem Kongress vertreten sind, sondern in der Unaufgeklärtheit jener, die nichts von diesem Kongress wissen bzw. sich denken, dass es nichts für sie wäre!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 3 Kommentare

sexismus auf dem 23c3

maedchen 05.01.2007 - 22:00
betreffs der des alten nichtproblems "frauen und technik" und der sich hartnaeckig haltenden geschlechterrollen im IT-bereich (natuerlich nicht nur da) im allgemeinen und dessen auftauchen auf dem 23c3 siehe folgende seiten:
"she may be a scientist, but looks come first... you'd NEVER see a man described this way"
Scrupeda ueber den Vortrag von Annalee Newitz "Revenge of the Female Nerds" auf der 23c3
"binary gender sucks", Interview mit Annalee Newitz bei sammelsorium

Wirklich Sexismus oder nur Reflexe?

warda 05.01.2007 - 22:29
Vielleicht solltest Du nicht anhand einer Headline zu einer Veranstaltung voreilig Schlüsse ziehen. Du kannst Dir gerne das Video der Veranstaltung ansehen und DANN dein Urteil bilden. Die Veranstaltung war übrigens zu einem Großteil von interessierten Frauen besucht, die alles andere als unemanzipiert waren. Schade, daß die meisten Linken nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Bauch denken und voller Vorurteile und reflexe sind.

warum?

interessiertskein 09.01.2007 - 03:03
warum sollte es niemanden interessieren wenn nazis ne demo absagen? is nen wichtiger erfolg...es gibt zwar sicher unterschiedliche klientel auf indymedia aber nur weil es den schreiber des newsletter nicht interessiert heißt es nicht dass es niemanden interessieren würde. gibts stats die die behauptung belegen? thx