ETA sprengt baskischen Friedensprozess

Ralf Streck 02.01.2007 11:17 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Was von vielen befürchtet wurde, hat sich schneller in eine Realität verwandelt als erwartet. Mit mehr als einer halben Tonne Sprengstoff hat die baskische Untergrundorganisation ETA ihre Waffenruhe aufgekündigt, die sie seit März eingehalten hat. Sie hat damit dem siechenden Friedensprozess einen weiteren schweren Schlag versetzt, der nun von der spanischen Regierung "ausgesetzt" wurde. Am frühen Samstag zerstörte die Bombe das Parkhaus am Terminal 4 des Madrider Flughafens Barajas vollständig. Drei Warnanrufe gingen eine Stunde vor dem Anschlag ein, trotzdem gelang es der Polizei offenbar nicht, das Parkhaus vollständig zu räumen. Zwei Menschen werden vermisst, 24 wurden leicht verletzt.
Zunächst ging man wegen der frühzeitigen Vorwarnung davon aus, dass nur 24 leicht verletzte Menschen zu beklagen sind. Befürchtet wird, dass die Trümmer des Parkhauses zwei Leichen verbergen. Zwei Ecuadorianer werden seit dem Anschlag vermisst. Beide sollen in ihren Autos geschlafen haben. Verónica Arequipa, die Freundin des Vermissten Diego Armando Estacio beklagte, sie habe der Polizei bei der Evakuierung des Terminals mehrfach vergeblich mitgeteilt, dass ihr Freund im Auto ein Nickerchen mache.

Die Bestätigung, dass es bei einem Anschlag der ETA nach drei Jahren erstmals wieder Tote gegeben haben könnte, kann noch lange dauern. Trotz des Jahreswechsels dauern die Bergungsarbeiten ohne Unterbrechung an, es konnten aber nur kleine Teile der 40.000 Tonnen Schutt beseitigt werden. Man dürfe die Hoffnung nicht aufgeben, aber bei einer Explosion dieses Ausmaßes bestünden kaum Hoffnungen die Vermissten lebend zu finden, erklärte die Feuerwehr.

Betroffen von der Explosion ist eine Fläche von etwa 70.000 Quadratmetern. Inzwischen hat die Regionalregierung von Madrid erklärt, in dem Kleinbus hätten sich 500-800 Kilogramm Sprengstoff befunden. Nähere Angaben zum Sprengstoff gibt es bisher nicht. Nur so ließen sich die völlige Zerstörung des Parkhauses erklären. Inzwischen ist klar, dass der spanische Kleinbus eines Skifahrers am 27. in den französischen Pyrenäen mit vorgehaltener Pistole von ETA-Mitgliedern geraubt wurde. Den Fahrer hätte das Kommando erst nach dem Anschlag wieder frei gelassen.

Anders als bei den Anschlägen vom 11. März 2004 in Madrid, zweifelt praktisch niemand daran, dass die ETA für ihn verantwortlich ist und so ihre Waffenruhe vom März aufgekündigt hat. Etwas Verwirrung gab es nach der Explosion, als Medien berichteten keiner der beiden Warnanrufe sei im Namen der ETA abgegeben worden. Auch die zeitliche Nähe zur Hinrichtung von Saddam Hussein ließen Vermutungen in eine andere Richtung ins Kraut schießen. Hinzu kam, dass die ETA das Ende einer Waffenruhe bisher stets in einem Kommunique ankündigte, was diesmal nicht der Fall war. Bis zu diesem Zeitpunkt war allerdings nicht bekannt, dass sich es noch ein drittes Telefonat gab, in dem sich der anonyme Anrufer im Namen der ETA gemeldet hat.

Völlig überrascht und geschockt von den Vorkommnissen trat der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero erst am frühen Abend vor die Presse. Er hatte Madrid schon für einen Kurzurlaub zum Jahreswechsel verlassen und musste eilends in die Hauptstadt zurückkehren. "Ich habe beschlossen, alle Initiativen zu Gesprächen mit der ETA auszusetzen", sagte Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero auf einer Pressekonferenz. "Mit der Gewalt kann es keinen Dialog geben." Mit dem Anschlag habe die ETA gegen die Bedingung für die Gespräche verstoßen, sich von der Gewalt abzukehren.

Durch sein Vorgehen ist offensichtlich, dass Zapatero den Prozess völlig falsch eingeschätzt hatte. Noch am Tag vor dem Anschlag hatte er seine Bilanz zum Jahr 2006 vorgelegt. Und zum Friedensprozess erklärt: "Heute sind wir weiter als vor einem Jahr" und "in einem Jahr werden wir noch weiter sein". Entsprechend dieser Fehleinschätzung musste er sich beißende Fragen von den Journalisten gefallen lassen.

Zapatero ist offensichtlich in den letzten Monaten völlig falsch beraten worden. Seit Monaten tut er so, als wäre alles, mit kleinen Höhen und Tiefen, weitgehend in bester Ordnung. Dabei wirft ihm die ETA ebenfalls seit Monaten vor, sich nicht an die Verspechen im Vorfeld gehalten zu haben, die zur "permanenten Waffenruhe" geführt hatten und drohte sogar im Oktober mit der Rückkehr zum bewaffneten Kampf.

Statt Gesten der Entspannung, setzte man in Madrid vor Weihnachten auf eine Offensive in der Öffentlichkeit, um der trüben Stimmung zu begegnen. Gezielt ließ man an Zeitungen durchsickern, es habe Mitte Dezember nun ein erstes Treffen mit der ETA in einem "europäischen Land" gegeben. Die regierungsnahe Zeitung El País berichtete mit Bezug auf die sozialistische Regierung, die ETA habe dabei versichert, an der Waffenruhe festzuhalten. Als Details wurden genannt, an dem Treffen soll mit Josu Urrutikoetxea der angebliche Chef der ETA teilgenommen haben.

Diese Meldungen wurden von der Regierung zwar weder bestätigt noch dementiert, doch um ihnen Nachdruck zu verleihen, lud Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero plötzlich auch den Oppositionsführer Mariano Rajoy ein, um über den Friedensprozess zu sprechen. Es war das erste Treffen mit dem Chef der ultrakonservativen Volkspartei (PP) nach neun Monaten. Die PP die ohnehin stets gegen den Friedensprozess war, forderte Zapatero nun noch einmal auf, den Prozess definitiv zu beenden. Die Erklärungen von Zapatero hält Rajoy für "unbefriedigend". So gespalten wie die Äußerungen zeigen sich auch die nun statt findenden Proteste gegen den Anschlag. In Madrid demonstrierten die Sozialisten (PSOE) von Zapatero nicht mit den Anhängern der (PP).

Der Sprecher der verbotenen baskischen Partei Batasuna (Einheit), die den Friedensprozess angestoßen hatte, machte auf einer Presseerklärung deutlich, dass der Friedensprozess "nicht zerstört" sei. Arnaldo Otegi erklärte, er sei "nun noch nötiger als zuvor". Er erinnerte daran, dass ein solcher Prozess auf einer soliden Basis stehen müsse. Die, so warf Otegi dem spanischen Regierungschef vor, sei "zwar ausgehandelt gewesen, aber ist nicht erfüllt worden".

Damit meinte Otegi zum Beispiel die Relegalisierung seiner Partei über die Streichung des Gesetzes, das einst extra für ihr Verbot geschaffen wurde. In neun Monaten sei praktisch nichts passiert, weder hätten die Allparteiengespräche begonnen, noch sei das Gesetz gestrichen worden, dass einst extra von der PP zum Verbot von Batasuna geschaffen wurde. Gemeint war auch eine Entspannung für die Gefangenen. Allgemein war erwartet worden, dass Zapatero zu Weihnachten hier Hand anlegt. Kurz zuvor hatten auch 150 spanische Juristen in einem Manifest gefordert, das von der PP-Parteiengesetz zu streichen. Sie forderten auch die Verlegung der baskischen Gefangenen ins Baskenland. Das sei nicht einmal ein Zugeständnis an den Friedensprozess, sondern nur die Umsetzung des geltenden Strafrechts, würde aber den Friedensprozess voran bringen.

Trotze des verheerenden und möglicherweise tödlichen Anschlags muss er nicht das definitive Ende eines Friedensprozesses markieren. Mit dem Begriff "suspendiert" ließ Zapatero die Tür für die Neuaufnahme offen. Das sagte er, obwohl zu diesem Zeitpunkt bekannt war, dass es möglicherweise seit drei mehr als drei Jahren wieder zwei Tote bei Anschlägen der ETA gegeben haben könnte. Dass die Zeitung El País, die als Sprachrohr der Regierung fungiert, ausgerechnet heute deutlich an den Friedensprozess in Irland erinnert, weist ebenfalls darauf hin, dass nicht alle Hoffnungen auf Frieden begraben werden müssen. Der Artikel erinnert, dass die IRA zwei Mal ihre Waffenruhe vor dem Friedensabkommen abgebrochen hat. Zuletzt beendete die IRA eine 17monatige Waffenruhe am 10 Februar 1996 mit einer halben Tonne Sprengstoff das Londoner Finanzviertel Canary Wharf verwüstet und zwei Menschen dabei getötet. "Nach weiteren Anschlägen erklärte die IRA eine n neue definitive Waffenruhe am 20 Juli 1997, welche den Weg für das good friday-agreement 1998 frei machte", schreibt die Zeitung.

© Ralf Streck, den 01.12.2006
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

Unglaubwürdig — aber-aber

Lies doch mal — Paul