Chipkartensystem in Berlin ist abgeschafft

freyafluten 15.12.2006 11:33 Themen: Antirassismus
In Berlin ist die rassistische Diskriminierung von Flüchtlingen und MigrantInnen durch die Verweigerung von Bargeldzahlungen gekippt! Die Kartenfirma Sodexho hat Spandau den Vertrag gekündigt und ab Februar 2007 gibt es keine Chipkarten mehr!!!
„Die Chipini ist tot - lange lebe die Chipini“

In Berlin ist das letzte Bollwerk zur Diskriminierung von Flüchtlingen und MigrantInnen durch die Verweigerung von Bargeldzahlungen gekippt! Die Kartenfirma Sodexho hat Spandau den Vertrag gekündigt und ab Februar 2007 gibt es keine Chipkarten mehr!!!

Chipkarte, die: Ausgegeben an Menschen die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz keinen Anspruch auf Bargeldzahlungen haben und stattdessen die Hilfe zum Lebensunterhalt auf einer besonderen Karte - „Infracard“ - der Firma Sodexho erhalten. Der hier gespeicherte Betrag, der um 25% reduzierte Sozialhilfesatz, muss einmal im Monat beim Sozialamt aufgeladen werden und kann nur in Läden ausgegeben werden, die ein entsprechendes Lesegerät haben.

Waren es anfangs fast alle Berliner Westbezirke und über 65 Geschäfte, die sich an diesem System beteiligten und ihren Profit damit machten, ist es heute nur noch Spandau, das an 70 Einzelpersonen und Familien Karten ausgibt. Aber nicht nur die Bezirke konnten nach und nach, wenn auch aus unterschiedlichsten Gründen, zum Umdenken bewegt werden, auch der sinkende Profit sorgte für eine Reduzierung der Geschäfte mit dem entsprechenden Vertrag mit Sodexho. Momentan beteiligen sich nur noch 15 Geschäfte und eine Apotheke an der systematischen Diskriminierung von Flüchtlingen und MigrantInnen und auch für diese wenigen lohnt es sich erfreulicherweise eigentlich kaum noch.

Initiative gegen das Chipkartensystem, die: hat es sich zum Ziel gemacht, auf politischer Ebene durchzusetzen, dass alle Menschen das ihnen zustehende Geld in bar erhalten. Praktisch organisiert sie den Umtausch der Karten, in dem UnterstützerInnen mit den Karten einkaufen gehen und den Betroffenen den ausgegebenen Betrag in bar zurückgeben. Zusätzlich veranstaltet sie antirassistische Einkäufe, bei denen öffentlich gemeinsam getauscht wird und zudem die Geschäfte und die Bevölkerung auf diese staatlich verordnete Diskriminierung aufmerksam gemacht werden.

Seit nunmehr 6 Jahren versuchen wir als „Initiative gegen das Chipkartensystem“ diese Form des Sachleistungsprinzips für Menschen ohne gesicherten Aufenthalt in Berlin auf allen möglichen Ebenen anzugreifen und letztendlich abzuschaffen. Als Anfang dieses Jahres selbst Reinickendorf als rechter Außenbezirk den Vertrag mit Sodexho nicht mehr verlängerte, freuten wir uns schon auf nun bald anstehende unsere politische Neuausrichtung, aber das war verfrüht. Die CDU und FDP in Spandau hielten bis vor wenigen Tagen verbittert an ihrem Monopol auf Chipkarten fest und weder Podiumsdiskussionen noch BVV- Besuche konnten ein Einlenken ihrerseits einläuten.

Spandauer BVV, die: hatte bis zu den letzten Wahlen im Herbst 06 bedauerlicherweise ein Mehrheitsverhältnis, das es CDU und FDP mit einer Stimme erlaubte, jeden ihnen missbeliebeigen Antrag abzulehnen. Das galt auch für die Chipkarten, deren Beibehaltung gerade für die CDU besonders relevant ist, da sie das System gerne auf ALGII- EmpfängerInnen ausweiten würden.
Die letzten Wahlen haben die Grauen Panther mit ins politische Karussell geholt, die mit ihren drei Sitzen nun eine Abschaffung durchsetzen könnten. Deren wirkliche politische Orientierung ist aber immer noch unklar - und das heißt im Zweifelsfall in Spandau nix Gutes.

Aber nicht nur die politische Ebene zeigte sich uneinsichtig, auch ein Teil der beteiligten Läden weigert sich, auf den Profit durch die Diskriminierung von Menschen zu verzichten. Bei einer PiratInnenaktion der Ini im Sommer 06, bei der angekündigt worden war, eines der Geschäfte der Kette EXTRA zu ‚entern’, schafften wir es zwar, sowohl die Polizei als auch die Marketingabteilung von EXTRA derart zu verunsichern, dass wir a) gar nicht mehr in den Laden reinkamen und b) sich ein Angestellter der Pressestelle in den Prenzlauer Berg schleppen musste, um sich die Kritik vor Ort live abzuholen. Sein vollmündiges Versprechen, mensch werde nun alles noch mal prüfen, verpuffte bald in der Anonymität seines Büros. Es sei Aufgabe der Politik, derartige Praktiken zu erlauben oder aber eben zu ändern, EXTRA hat mit all dem natürlich nichts zu tun und setzt halt nur um, was politisch gewünscht ist; so seine schriftliche Erklärung zur Nachfrage unsererseits. Das sehen wir allerdings etwas anders.

ProfiteurInnen von staatlichem Rassismus, [auch] die: können sich durch den Vertrag mit Sodexho relativ günstig Zwangsverpflichtete KundInnen sichern, da diese mit ihren Karten auf diese Geschäfte angewiesen sind - wie teuer und unfreundlich sie auch sein mögen. Die Bereitschaft ein solches Gerät aufzustellen ist von der Fialleitung abhängig, zu keinem Zeitpunkt waren in Berlin alle Geschäfte einer Kette daran beteiligt sprich: dazu verpflichtet.

Im November diesen Jahres wollten wir uns nun eigentlich vom Konzept der öffentlichen Einkäufe verabschieden, weil einer der Widersprüche, mit dem wir oft gehadert haben, die Tatsache ist, dass diese Geschäfte ärgerlicherweise sogar von den antirassistischen Einkäufen profitieren, da dort in konzentrierten Form sehr viele Karten auf einmal entleert werden, die sich sonst vielleicht auf alle vorhanden Geschäfte verteilt hätten.
Während wir noch diskutieren, wurden wir vom eigenen Erfolg überrollt: Sodexho kündigte zum 31.01.2007 den Vertrag mit Spandau! Scheinbar lohnt es sich für die Firma nicht mehr, lediglich den Hardlinern aus Spandau ihre Aufladegeräte zu warten und da die meisten Läden eh schon ausgestiegen sind, gibt es wohl auch kaum noch Prozente von den zwangsverpflichteten Einkäufen abzugreifen. Gegen den Willen von CDU und FDP, die eigentlich gerade klären wollten, ob die Karten nicht noch zusätzlich mit Photos ausgestattet werden könnten, um auch die solidarischen Einkäufe zu erschweren, wurde das Chipkartensystem still und leise vertraglich beerdigt.
So sehr uns das freut, wir können es so natürlich nicht auf uns sitzen lassen - wir wollen feiern, dass zumindest ein Aspekt, der dank des rassistischen Asylbewerberleistungsgesetzes überhaupt erst möglich wurde, in der politischen Praxis zu knacken war.

Antirassistischer Erfolg, der: in der Regel und Praxis eher selten, da das gesamte System gut verzahnt und aufeinander abgestimmt ist. In kleinen Formen vor allem in der solidarischen Alltagsgestaltung möglich (Spenden, Unterstützen, Begleiten, Heiraten, Abschiebung blockieren etc.). Wenn er denn doch mal auftritt, ist er ein Grund zur Freude und sollte massentauglich sein. Beispiel:

16.12.2006 14 Uhr: „Nightmare before Extra“ - Jubelkundgebung der Ini gegen Chipkarten zum Ende des Chipkartensystems in Berlin, U-Bahnhof Rosenthaler Platz - mit Musik, Redebeiträgen und Getränken (warm und kalt - unabhängig von Wind und Wetter)

Wie es nun mit uns weitergeht, müssen wir mal gucken, sicher ist, dass mensch auf Spandau ein Auge haben sollte. Und Chipkarten tauschen wir bis zum 31.01.2007 natürlich auch weiterhin um!

Initiative gegen das Chipkartensystem

c/o Berliner Büro für Gleiche Rechte
im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalderstr. 4, 10405 Berlin
mobil: 0160/3410547 -  konsumfuerfreiesfluten@yahoo.de

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mensch sollte — aber dennoch