Piazza Fontana – Massaker des Staates

per non dimenticare 13.12.2006 08:55 Themen: Antifa Repression Weltweit
Gestern jährte sich das Massaker an der Piazza Fontana. Am 12. Dezember 1969 detonierte in der Schalterhalle der Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana in Mailand ein Sprengsatz. Die Explosion tötete 16 Personen, 87 wurden verletzt. Noch immer gibt es keine Schuldigen.
Nichts deutete zunächst darauf hin, dass der 12. Dezember 1969 eine Wegscheide kennzeichnen sollte. Die Innenstadt der lombardischen Metropole ist an diesem nebligen, kalten Freitag bevölkert mit Passanten, die auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken waren. Um 16. 37 zerreißt der Lärm einer Detonation die weihnachtliche Atmosphäre. Schnell wird klar, dass in der Schalterhalle der Landwirtschaftsbank ein Sprengsatz hochgegangen ist. In rascher Folge kommt es zu weiteren Explosionen, eine ereignet sich in Mailand, drei in Rom, ohne jedoch Tote zu fordern.

In der veröffentlichten Meinung und bei den Sicherheitsbehörden gibt es wenig Zweifel: Anarchisten stecken hinter dem Verbrechen. Die Polizei ermittelt hauptsächlich in diese Richtung.
Einige Mailänder Anarchisten werden schließlich festgenommen und im Polizeipräsidium verhört.
Einer der Festgenommenen ist Giuseppe Pinelli, ein Eisenbahner. Am 15.12. stürzt er in Anwesenheit von Polizisten aus einem Fenster im 4. Stock des Polizeipräsidiums in die Tiefe und stirbt. Ein Richter benennt später in einem Urteil die Ursache: „aktives Unwohlsein“.

Obwohl es zahlreiche Verdachtsmomente gegen Mitglieder der faschistischen Organisation Ordine Nuovo gibt, wird gegen die Anarchisten weiter ermittelt. Schließlich wurden Anarchisten bereits
für Anschläge im Frühjahr auf die Mailänder Messe und auf eine Wechselstube im Mailänder Bahnhof verantwortlich gemacht. Doch der hartnäckigen Arbeit einiger Richter und Staatsanwälte ist es zu verdanken, dass schließlich auch gegen Mitglieder der Ordine Nuovo und gegen Mitarbeiter des Geheimdienstes SID Anklage erhoben wird. Nur durch das Eingreifen des Kassationsgerichtshofes, des höchsten italienischen Gerichtes, konnte der Geheimdienstchef Henke einer Anklageerhebung entgehen. Ein Mitarbeiter des Geheimdienstes wurde als Verbindungsglied einer aus Faschisten gebildeten Terrorzelle und unbekannten Auftraggebern enttarnt und verurteilt.
Die Anarchisten wurden freigesprochen. Aber: Die Verurteilung der Faschisten und der Geheimdienstmitarbeiter hatte keinen Bestand, die Urteile wurden aufgehoben.

Erst 2005 bestätigte der Kassationsgerichtshof im Revisionsverfahren eines weiteren Prozesses gegen Mitglieder der Ordine Nuovo, dass die faschistische Terrorzelle für die Ausführung des Verbrechens verantwortlich ist. Wer jedoch die Bombe in der Bank deponiert hatte, wurde nicht geklärt. Ebensowenig wurde ermittlet, wer hinter den Faschisten stand. Klar ist jedoch: Das Massaker war kein „faschistisches Verbrechen“. Die Terrorzelle war von Geheimdienst- und Polizeiinformanten durchsetzt. Der Sprengstoffspezialist der Truppe war ein Mitarbeiter eines US-Geheimdienstes. Mitglieder der Terrorzelle haben eine militärische Ausbildung in einem NATO-Land erhalten. Auch Geld aus dem Ausland erreichte die Terroristen. Das oberste Gericht griff ein, wenn es eng wurde und entzog den ermittelnden verfassungstreuen Staatsanwalten und Untersuchungsrichtern den Fall.

Die häufig zu hörende Einschätzung, der von Faschisten inszenierte Terror sei letztlich ein Terror der CIA gewesen, geht auch vorbei. Auch wenn US-amerikanische Geheimdienste Spuren hinterlassen haben, so bleibt für eine abschließende Bewertung die Rolle des italienisches Staates sowie der Stellenwert des Beitrages anderer Geheimdienste zu klären.

Italien war ein Experimentierfeld der Aufstandsbekämpfung. Die Unterwanderung linker Organisationen mit dem Ziel, diese zu Attentaten anzustiften, gehörte ebenso zum Arsenal der präventiven Konterrevolution wie die Inszenierung des Terrorismus unter einer falschen, nämlich linken Flagge.

Das Ziel der „Strategie der Spannung“? Zur Beantwortung genügt es auf die Worte des von angeblichen Linksextremisten 1978 entführten und ermordeten Christdemokraten Aldo Moro hinzuweisen: Die Ende der 60er Jahre in Unordnung geratenen Verhältnisse sollten wieder ins Lot gebracht werden. Der Staat sollte als Garant von Ruhe und Sicherheit verlorenes Terrain zurückgewinnen. 1969 war das Jahr der revoltierenden Arbeiterklasse, die nicht mehr gewillt waren, die Herrschaft der Bourgeoisie als Naturkonstante zu akzeptieren. Betriebsversammlungen, wilde Streiks, Sabotageaktionen, Mietboykott, Demonstrationen – der Angriff auf die Herrschaft des Kapitals war umfassend. Die stalinistische KP und die Gewerkschaften des Regimes begannen die Kontrolle über die Massen zu verlieren. Verständlich, dass Teile der Macht ein Mittel suchten, diese Entwicklung zum Stillstand zu bringen und umzukehren. Unter linkem Vorzeichen praktizierter Terrorismus schien das geeignete Mittel.

Und leider, die Strategie verfing, die Machthaber hatten Erfolg.

Bleibt die Hoffnung, dass die Lehren der Geschichte bei einem erneuten Anlauf berücksichtigt werden.

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Ergänzungen

KP-Stalinisten oder Euro-Kommunisten?

Besserwisser 13.12.2006 - 14:54
Die italienische KP war damals schon lange nicht mehr "stalinistisch", sondern lief damals unter dem berüchtigten Etikett "Euro-Kommunisten" - wie die französische KP -, die behaupteten, man könnte den Kommunismus und Sozialismus über bürgerliche Wahlen und durch Reformen im kapitalistischen Staat auf parlamentarischem Wege einführen, und die der Sowjetunion & den Ostblockstaaten äußert kritisch gegenüber standen. Der sog "historische Kompromiss" die reaktionäre Kumpanei mit italienischen Christdemokraten der Moros, Rumos, Andreottis der DC war das staatstragende und systemstabilisierende Ergebnis.
KP-Chf Berlinguer war reformorientierter, nach rechts kompromissbereiter KP-Rechter, der heute ncoh von der politschen Mitte als "Prakmatiker" gefeiert wird
So wie heute der deutschen und auch italienischen PDS ging damals der italienischen KPI Machtteilhabe über Interessenvertretung der Arbeiterklasse! Heute sitzen die Reste der ehemaligen KPI bei Prodi in der Regierung und organisieren Kriege in Afghanistan und den Krieg gegen die eigene arbeitende oder arbeitslose Klasse - im Dienste der Reichen!
Ansonsten aber guter Beitrag!