Codierte Polizisten- Urteil des VG

Soligruppe 04.12.2006 01:10 Themen: Antifa Repression
Am 12. Dezember startet in Berlin der Berufungsprozess gegen Leila und Christian wegen Landfriedensbruch. Das Verfahren wurde auch wegen der anonymisierten Polizeizeugen bekannt.
Ein Urteil des Verwaltungsgerichts sorgt für Trouble in der Glietschbehörde.
Codierte Polizisten als Zeugen - Verwaltungsgericht hebt Sperrerklärung des Innensenators teilweise auf

Der ausufernden Praxis des Berliner Landeskriminalamtes Polizeibeamte, die gegen Antifaschisten vor Gericht als Zeuge aussagen, komplett zu anonymisieren hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts einen Riegel vorgeschoben. Das Berliner LKA hat mittlerweile weit über 50 Beamte codiert; sowohl um Ordnungswidrigkeiten und Bagatellen wie Vermummung oder Beleidigung "aufzuklären" als auch bei beschuldigten Beamten in Strafverfahren. Zusätzlich werden bei jedem neuen Ermittlungsverfahren für die Beamten auch neue Codiernummern kreiert, was eine Verteidigung ad absurdum führt.

Der Berliner Antifaschist Christian S. wurde am 13. Februar 2005 in Dresden von zivilen Beamten des Berliner Landeskriminalamtes wegen Landfriedensbruch festgenommen und kam für mehrere Monate in Untersuchungshaft. Die als Zeugen auftretenden Polizeibeamten waren bereits in der ersten polizeilichen Vernehmung mit einer Codiernummer ausgestattet; ihre Namen wurden nicht genannt. Die Verteidigung versuchte erfolglos ihre Namen zu erfahren, um die Glaubwürdigkeit der Zeugen überprüfen zu können. Einen Tag vor der Hauptverhandlung erließ die Senatsverwaltung für Inneres eine Sperrerklärung.

Gegen diese hatte Christian geklagt , da in seinem Strafverfahren die Verteidigung erheblich behindert worden war, da die Beamten nur als Codiernummern und mit verändertem Aussehen auftraten. Das VG urteilte jetzt:

"Der Bescheid der Senatsverwaltung für Inneres vom 16. November 2005 wird insoweit aufgehoben, als er dem Amtsgericht Tiergarten aufgibt, es Zeugen im dortigen Strafverfahren 230 - 33/05 zu gestatten, ihr Äußeres in der Hauptverhandlung durch entsprechende Maßnahmen so zu verfremden, dass ihre Wiedererkennbarkeit erschwert ist."

Den Umstand, dass die Beamten Codiernummern statt Namen benutzen hält das VG zwar für zulässig, zur Maskierung mittels Perücke, Bart, Brille und Körperausstopfungen erklärt es jedoch:

"Der angegriffene Bescheid der Senatsverwaltung für Inneres vom 16. November 2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit dort das Amtsgericht Tiergarten angewiesen wird, eine Verfremdung der Zeugen zu gestatten. Für eine solche Anordnung der Senatsinnenverwaltung gegenüber einem Strafgericht fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Die Anordnung, in welchen Aufzug die Vernehmung der Zeugen zu gestatten ist, ist kein zulässiger Inhalt einer Sperrerklärung."

Für die Polizeiführung wird es jetzt problematisch. Am 12. Dezember 2006 beginnt das Berufungsverfahren in der Strafsache und weil die ominösen "Zeugen" dann auf den von ihnen manipulierten Videos zu erkennen sein werden – oder eben nicht - drohen ihnen neue unangenehme Enthüllungen.
Die Entscheidung VG 1 A 245.05 ist unter  http://freechristian.gulli.to nachzulesen.

Nach Beobachtungen der UnterstützerInnen Christians ist es in Berlin inzwischen zum Regelfall geworden, dass ganz gewöhnliche, zivil und uniformiert auftretende Polizeibeamte des Staatsschutzes unter Codiernummern auftreten. Diese Praxis unterliegt keiner tatsächlichen Kontrolle durch die dienstvorgesetzte Innenbehörde. Die Ausnahme- und Sonderregelungen in der StPO für verdeckte Ermittler, die eigentlich restriktiv gehandhabt werden müssen, werden damit in unzulässigerweise auf alle Auskunftspersonen ausgeweitet.

Die Berufungsverhandlung in der Strafsache findet am 12. Dezember 2006, um 9 Uhr im Raum 142 (Landgericht Berlin, Turmstraße 91) (Der Raum kann sich kurzfristig ändern)
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Ergänzungen

polizei darf das zwar nicht, aber

egal 05.12.2006 - 00:06
von gerichtsseite aus kann man/frau das sehr wohl gestatten, dass sich ein zeuge verfremdet.
ich finde das kommt bei dem artikel nicht heraus!

lediglich die anordnung durch die innenbehörder (executive) kann für das gericht (judicative) nicht bindend sein!
nichts anderes sagt das verwaltungsgericht. wo also ist hier der gewinn??

wetten, dass das gericht ähnlich vorgeht wie die innenbehörde?
alles andere wäre überraschend!

und machen wir uns mal nichts vor, im prozess wird hier doch nur ein nebenkriegsschauplatz eröffnet, da sonst wohl von verteidigungsseite keine ansatzpunkte mehr zu verfolgen sind.
diese art der verteidigung nennt man/frau in insiderkreisen auch "krawallverteidigung".
als nächstes wird im sinne dieser verteidigungsform wohl mal wieder ein befangenheitsantrag gegen die oder den richter/-in kommen... ;-)
dann noch unzählige, auch unsinnige beweisanträge, und, und, und....

ach ja, der angeklagte bleibt trotzdem in haft...

ich verstehe auch nicht, wo hier die verteidigungsrechte nun so dermaßen stark eingeschränkt sein sollen. selbst wenn ich einen namen habe, was hilft mir das weiter??
ohne perücke, erkenne ich da, ob jemand lügt und mit nicht?
schwachsinn!!
ein anderere verteidigungsstrategie halte ich für wirkungsvoller, aber christian hat sich ja entschieden...

@ egal

auchegal 05.12.2006 - 13:03
das gericht kann das zwar zulassen, hat aber bei ganz stinknormalen zivilpolizisten eigentlich keinen anlass dazu, da deren identität nicht geschützt werden muss, um ihre weitere arbeit zu ermöglichen.

und wenn eine anklage auf zeugenaussagen beruht, ist es die einzige sinnvolle verteidigungstrategie, entweder die glaubhaftigkeit der aussagen anzugreifen, etwa weil ein zeuge etwas gar nicht hätte wahrnehmen könnnen was er aussagt, oder die glaubwürdigkeit des zeugens selbst anzugreifen, etwa weil er auch in anderen verfahren schon unsinn erzählt hat. wenn der zeuge ikognito auftritt, ist das aber unmöglich. und da gerichte polizisten als zeugen in 99,99% erst einmal glauben, bis das gegenteil bewiesen worden ist, ist das verfahren dadurch nur noch ein farce. was für eine schlaue verteidigungstrategie hast du denn vorzuschlagen? einmal lecker arschkriechen? dazu braucht man keinen strafverteidiger, die ausgabe kann man sich dann auch sparen.

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@auchegal — egal