Das geschah wirklich in Genua

monster of göttingen 26.11.2006 00:52 Themen: G8 Globalisierung Soziale Kämpfe
Vor fünf Jahren kam Carlo Giuliani bei den Protesten gegen den damaligen G8 Gipfel im italienischen Genua durch einen Schuss aus der Dienstwaffe eines Carabinieri ums Leben. Heute war sein Vater, Giuliano Giuliani im Theaterkeller Göttingen zu Gast. Er stellte seinen Film “Was geschah auf der Piazza Alimonda?” vor. In diesem versucht er, die offizielle Darstellung der Staatsanwaltschaft anhand von Fotos und Videosequenzen, die in dem Ermittlungsverfahren gegen den vermeintlichen Schützen verwendet wurden, zu widerlegen, was ihm beeindruckend gelingt.
Dem von Erzählungen Giulianis begleitete Film gelingt es, zahlreiche Aussagen der beteiligten Staatsdiener zu widerlegen, viele Widersprüche aufzuzeigen und zu belegen, dass die Carabinieri an diesem Wochenende in Genua ein sehr gewaltätiges Verhalten an den Tag legten. Es wird schnell klar, warum selbst Amnesty International später von der “größten Außerkraftsetzung demokratischer Rechte in einem westlichen Land seit Ende des Zweiten Weltkrieges” sprechen sollte. Verschwörungstheoretisch anmutende Anschuldigungen, “die Macht” habe einen Toten gewollt, muten am Rande zwar etwas konstruiert an, im Großen und Ganzen wirkt die Darstellung aber seriös.

Anhand von Videos, aber vor Allem von Fotos, die von einem Balkon aus gemacht wurden, zeigt Giulianis Film die Abläufe auf der Piazza Alimonda. Carlo Giuliani wurde der Dokumentation zu Folge aus vier Meter Entfernung in den Kopf geschossen, war aber nicht sofort tot. Er lebte auch noch, nachdem der Jeep, aus dem der Schuß abgefeuert wurde, ihn zwei Mal überrollt hatte. Sehr glaubhaft gelingt es den Machern zu zeigen, dass hier von Notwehr seitens des Carabinieris keine Rede sein kann.

Genau mit dieser Argumentation aber begründet die Staatsanwaltschaft ihr Vorgehen, keine Anklage zu Erheben: der betreffende Carabinieri habe aus Notwehr gehandelt. Weil die gesammelten Bilddokumente das Gegenteil zu beweisen scheinen, zieht Giuliano Giuliani gerade vor den europäischen Gerichtshof und verklagt den italienischen Staat.

Weitere Fotos legen den Schluß nahe, dass dem am Boden liegenden, zu diesem Zeitpunkt schon Toten oder noch Schwerverletzen Carlo von den Carabinieri ein Pflasterstein an den Kopf gewurfen wurde. Der Obduktionsbericht wird später zeigen, dass sein Schädel gebrochen war. Ein Zeuge wird offenbar bedroht, der nahenden Presse wird ein absurdes Ablenkungsmanöver vorgespielt. Die Bilder, die man hier zu sehen bekommt, zeigen ein sehr hässliches Bild der italinischen Exekutive.

Giuliani verzieht beim ganzen Vortrag keine Miene und macht sogar ein paar ironische Witze, während auf der Leinwand blutüberströmte Fotos seines sterbenden Sohnes gezeigt werden. “Ein Lachen wird das System zu Fall bringen”, sagt er. Die Kraft, sich diese Bilder wieder und wieder anzusehen, gebe ihm die Solidarität, die ihm überall entgegen gebracht werde. Sein größter Wunsch sei es, dass die Verbreitung seines Filmes eine Anklage vor Gericht bewirken könne. Bleibt zu hoffen, das dieser in Erfüllung geht.

Den Film kann man sich hier kostenlos herunter laden:  http://www.piazzacarlogiuliani.org/carlo/index_de.php
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Ergänzungen

filmmaterial

monster 26.11.2006 - 11:04
wie gesagt, den film gibt es hier und der klärt eigentlich alle fragen:  http://www.piazzacarlogiuliani.org/carlo/index_de.php

Videos: G8 Genua-Prozesse

freundeskreis videoclips 26.11.2006 - 11:38
u.a. mit Haidi Gaggio (Comitato Piazza Carlo Giuliani, Mutter von Carlo Giuliani) zum Stand der Verfahren gegen AktivistInnen und ueber Manipulationen beim toten Carlo Giuliani

online:
 http://de.indymedia.org/2006/11/162879.shtml

Video-DVD:
gegen Spende beim freundskreis videoclips, videoclips(at)gmx.net
 http://www.freundeskreis-videoclips.de/index.php?page=shop.product_details&flypage=shop.flypage&product_id=36&category_id=8&option=com_virtuemart&Itemid=1

monster hat nicht alles verstanden

italiener 26.11.2006 - 12:19
damit die indymedia-leser nicht in die irre geführt werden, gibt es hier eine richtigstellung.
bei dem mutmaßlichen todesschützen carabiniere mario placanica stellt sich die frage, ob er geziehlt geschossen oder aus notwehr heraus gehandelt habe. aus dem film wird deutlich, dass er überhaupt nicht geschossen hat. placanica war damals sehr jung (19) und kein zuverlässiger schütze. die hinweise deuten darauf hin, dass im auto ein vierter carabiniere gesessen hat, ein älterer erfahrener schütze. offiziell wird dies bestritten, da die darstellung, ein junger carabiniere, der in einer notsituation aus panik heraus geschossen hätte, realistischer wirkt.
das ist aber nur die halbe wahrheit, denn man darf auch die frage stellen, wie denn carlo giuliani und die anderen demonstranten in die piazza alimonda gekommen sind. die polizei hat den großen demonstrationszug angegriffen und einige wenige demonstranten in die fast leeren seitenstraßen gelockt. diese greifen die sich zurückziehende polizei an, auf einmal steht carlo vor einem polizeiauto und wirft den feuerlöscher. perfekt. genau darauf hat die polizei gewartet.

BERLUSCONI PEZZO DI M....

Einiges müsste etwas genauer gesagt werden...

[...] not dead 27.11.2006 - 19:41
Die Staatsanwaltschaft hat seinerzeit ein Gutachten für gut befunden, das erhebliche Zweifel zulässt. Danach sei ein Warnschuss in die Luft auf einen fliegenden Putzbrocken gestoßen, was die Flugbahn des Geschosses derart unglücklich verändert habe, dass es Carlo Giuliani traf. Weitere Gutachten, die zu ganz anderen Ergebnissen kamen, wurden vom Gericht de facto ignoriert. U.a. wurde in einem Gegengutachten gezeigt, wie der berühmte Putzbrocken bruchteile von Sekunden vor dem tödlichen Schuss gegen den Jeep prallte. Das fand das Gericht offenbar unwichtig. Den Aussagen der als Insassen des Jeeps, aus dem der Schuss fiel bekannten Carabinieri, wurde offenbar ebenso nicht gerade kritisch Glauben geschenkt. Diese hatten u.a. angegeben, das zweimalige Überfahren des bereits schwer verletzten Demonstranten überhaupt nicht bemerkt zu haben. Die Hintergründe der Eskalation auf der Piazza Alimonda wurden erst REcht nicht berücksichtigt. Das Urteil wurde darüber hinaus aber direkt auf die Feststellung des "Vorliegens einer Rechtfertigung, welche die Strafbarkeit der Tat ausschließt" zugunsten des Placanica gefällt. Notwehr, eben. Die ganze Zeit stellt die Justiz auf die Grundaussage ab, es habe eine hoch gefährliche Bedrohung der Insassen des Jeeps vorgelegen. Genau das stellt der Film in Frage. Der Jeep ist der Rekonstruktion der Ereignisse zufolge, die Gegenstand der Dokumentation sind, nie durch die Müllcontainer blockiert gewesen, die angeblich ein Wegfahren des selben verunmöglichten. In unmittelbarer Nähe des Fahrzeugs befanden sich zudem jede Menge Kräfte, die jederzeit hätten einschreiten können. U.a. waren hochrangige Angehörige von Eliteeinheiten vor Ort, die für weit mehr als nur für Straßenschlachten in der Heimat ausgebildet sind. Wichtiger noch ist aber, dass die Rekonstruktion der Familie Giuliani die ernst zu nehmende These aufstellt, dass Carlo gerade erst an Ort und Stelle eingetroffen war und nur deshalb zum berühmten Feuerlöscher griff, weil er wahrgenommen hatte, dass aus dem Jeep heraus mit gezogener Waffe auf einen Demonstranten in der nahen Umgebung des Fahrzeugs gezielt wurde. Vor dem Hintergrund der Brutalität und Fahrlässigkeit, mit der eine genehmigte Demonstration von 10.000 + X Menschen ohne Anlass auf einem Streckenabschnitt fast ohne Fluchtwege angegriffen wurde, wird von Kritikern der offiziellen Geschichtsschreibung ohnehin Notwehr seitens der angegriffenen Demonstranten vermutet. Weil aber die gezogene Pistole schon vor der Geste, die Carlo das Leben kostete, auf Menschenhöhe gerichtet war - sogar auf eine ganz konkrete Person - lässt sich mittlerweile selbst Carlos Geste als Notwehrhandlung werten.

Die Inszenierung mit dem Stein wurde 2004 erstmals in vollem Umfang dokumentiert. Länger bekannt war schon der Auftritt des Offiziers Lauro, der einem auf dem Platz noch verbliebenen Menschen zuruft: "Du bist es gewesen! Du, mit deinem Stein!". Doch erst 2004 wurden die Bilder publik, die den mutmaßlichen Lauf der Dinge offenbaren. Wichtigste Erkenntnis dabei ist: Carlos Schädelfront kann mit dem besagten Stein nur zu einem Zeitpunkt eingeschlagen worden sein, als ihn nur noch Polizei umgab. Der Auftritt des Offiziers könnte demnach zur Verschleierung der wahren Urheberschaft der Stirnverletzung zustande gekommen sein. Der Urheber der Tat (es geht hier mindestens um Leichenschändung und Manipulation eines Tatorts) kann zumindest ohne einschlägige Ermittlungen nicht zweifelsfrei identifiziert werden, wohl aber die Vorgesetzten der am Ort anwesenden Kräfte. Der unmittelbare Vorgesetzte etwa könnte in seiner Eigenschaft als solcher durchaus auch für die Tat verantwortlich gemacht werden, dennoch scheint die italienische Justiz trotz alledem auf dem Ohr völlig taub zu sein. Einen Grund für Ermittlungen scheint sie trotz allen Dokumentationen, Rekonstruktionen und Nachweisen nicht zu sehen. Deswegen hoffen Giuliano Giuliani (Vater von Carlo) UND Haidi Giuliani (Mutter von Carlo AUCH auf das Europagericht. Allerdings ist auch die Hoffnung, doch noch in Italien etwas zu bewegen, nicht ganz begraben. Die Familie von Carlo Giuliani sorgte mit einem Einschreiben an den Carabiniere Placanica im Juni 2006 für die Unterbrechung der Verjährungsfrist, die sonst im Juli 2006 abgelaufen wäre. Dabei spielt die Forderung nach eingehender Feststellung der politischen Verantwortung und die genaue Offenlegung der Befehlskette auf der Piazza Alimonda nicht von Ungefähr eine Rolle. Ein ähnliches Ziel wird auch mit der - nicht ganz unumstrittenen - Forderung nach einer parlamentarischen Untersuchungskommission mit umfassenden (sprich den statsanwaltlichen Ermittlungskompetenzen vergleichbaren) Befugnissen verfolgt. Licht im Dunkeln der Befehlsketten bedeutet auch eine genaue offenlegung des Organigramms der Kräfte auf der Piazza Alimonda. Ein solches könnte auch Hinweise über den mutmaßlichen 4. Mann an Bord des Jeeps geben. Verplappert hatte sich seinerzeit ja schon der Carabiniere Placanica selbst: dieser gab bei seiner ersten Befragung an, der Jeep habe kurz vor der Eskalation einen weiteren Stabsfeldwebel an Bord genommen. Ein weiterer Stabsfelfwebel an Bord kann nur bedeuten, dass nicht drei, sondern vier Personen im Jeep saßen. Ein Mensch, der nachweislich vor Ort war, hat seinerseits auch schon immer beteuert, vier Mann an Bord gesehen zu haben und Bildvergleiche legen ähnliches nahe. Aber selbst die Presse, die vor der Einstellung des Verfahrens gegen den Carabiniere die Frage nach einem vierten Mann noch gestellt hatte, ist längst zum schweigen über gegangen. Die neuen Erkenntnisse werden - ebenso - weder innerhalb noch außerhalb Italiens von den Medien angemessen aufgegriffen, egal wie eindrucksvoll die jüngsten Dokumente daherkommen.

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