Politisches Urteil in GI: 2 Monate obendrauf

K.O.B.R.A. 22.11.2006 15:09 Themen: Repression
Am 20.11.2006 wurde ein Aktivist aus der Projektwerkstatt nach einem wieder umfangreichen Prozess mit vielen falschen Verdächtigungen, einer spektakulären Verfahrensmanipulation seitens Polizei und Justiz (die aber aufflog) und etlichen peinlichen Enthüllungen über Rechtsbrüche der Repressionsorgane erwartungsgemäß verurteilt: 140 Tagessätze für Farbattacken und Schlossverklebung. Die Beweisdecke war dünn, das einzige Beweismittel illegal, der Tatablauf und -zeitpunkt wurde nie geklärt und umstritten blieb auch, ob überhaupt eine Sachbeschädigung vorlag - die Gießener Justiz jedoch störte das nicht. Das Folgende ist ein Bericht der Urteilsverkündung und des Urteilsinhaltes. Der Auflauf des letzten Prozesstages (20.11.2006) mit einigen interessanten Vorgängen, Anträgen und Vernehmungen folgt.
Anfang vom Ende: Die Plädoyers

Der Staatsanwalt begann den Reigen der Schlussworte mit einem für ihn typischen, d.h. langweiligen und im wesentlichen die Anklage wiederholenden Plädoyer, wobei er aber alle Gutachten außer dem anthropologischen auch wegließ – die waren alle derart zerlegt, dass nicht einmal Vaupel sie noch erwähnen mochte.
Anschließend plädierte der Angeklagte ca. 2,5 Stunden (siehe inhaltliche Stichpunkte unter  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/farbgericht/instanz1/20_11_06plaedoyer.html), der Verteidiger anschließend ca. 1 Stunde.


Im Namen des Volkes

Das letzte Wort hat am Ende wiederum der Angeklagte – so will es die Strafprozessordnung. Zwei Punkte waren es, die der Angeklagte ausführte. Zum einen die groteske Situation, dass bei diesem Verfahren eine Vielzahl von Straftaten Gegenstand der Debatte waren. In allen Fällen bis auf einen sei er Opfer gewesen: Illegale Festnahmen, illegale Inhaftierung, illegale Hausdurchsuchungen, illegale Beschlagnahmen, falsche Verdächtigungen und üble Nachrede. Nur in einem Punkt sei er nicht Opfer, sondern Unbeteiligter oder (wie die Anklage behauptet) Täter – bei den Farbverschönerungen an den Justizgebäuden. Das aber sei der einzige Punkt, der vor Gericht gelangte. Alle sonstigen TäterInnen würden mit Sicherheit gedeckt und müssten nie hier stehen – aber das zigfache Opfer der Justizwillkür werde wieder verurteilt. Das sei sicher.
Zum zweiten kündigte der Angeklagte an, der Urteilsverkündigung nicht beiwohnen zu wollen. Er begründete das mit der Floskel „Im Namen des Volkes“ und erläuterte, warum erstens RichterInnen nicht im Namen von anderen reden, sondern ihren eigenen Allmachtsphantasien nachgehen, wenn sie über wahr und falsch, schuld und unschuldig entscheiden. Höchstens würden sie politischem Druck nachgeben, aber nicht im Namen von irgendwelchen Menschen reden, denen sie ansonsten (z.B. im Gerichtssaal) sonst sogar das Lachen verbieten. Außerdem sei die Bezugsgröße „Volk“ eine Unverschämtheit, weil in diesem gingen die Menschen vollends in einem scheinbaren Gemeinwillen unter, den es nicht gebe. Der Angeklagte wies auf die Polizei- und Justizbediensteten und sonstige Menschen im Saal hin und meinte, dass es schon bei dieser kleinen Menge an Menschen sicherlich keinerlei Gemeinwillen gäbe – Richter Wendel aber würde sogar 80 Millionen Menschen mit seinem Spruch mal eben zu einer Einheitsmasse zusammenstauchen, um damit seine Allmachtsphantasie zu legitimieren.
Richter Wendel wies nach diesem letzten Wort die anwesenden Uniformierten an, den Angeklagten in der Pause vor dem Urteil zwangsweise im Saal festzuhalten. Damit machte er einen Rechtsfehler, denn nun hatte der das letzte Wort (reingefallen ...) – zudem bereitete er damit einen aberwitzigen Showdown vor.


Die Urteilsverkündung

Als die Pause zuende war, stand der Angeklagte in der Tür des Saals vor einer Uniformiertenkette, die sein Rausgehen verhinderte. Auf Anweisung des Richters wurde er in den Saal geschleift. Dort ließ er sich fallen. Aber ein Richter will nun mal, dass alle stehen, wenn er seinen Unsinn vom Volk, und dass er in dessen Namen reden würde, verkündet. Also befahl er den Uniformierten, den Angeklagten aufzuheben und aufrecht zu halten. Das taten auch zwei uniformierte Typen, so dass der Angeklagte in deren Armen hängend dem Urteil zuschauen musste. Zuhören tat er nicht, er hing da und hielt sich die Ohren zu.
Aber auch etliche ZuschauerInnen standen nicht auf. Die mussten nacheinander aus dem Saal getragen oder geschleift werden und fanden sich kurz danach vor der Tür wieder. Dann konnte Richter Wendel im Namen des halluzinierten Volkes das Urteil verkünden, dessen Bestandteile er vorher entfernt hatte. Immerhin – er entschuldigte sich, dass er diesen Satz ja sagen müsse vom Gesetz her ...


Das Urteil

Im Gesamten ist das Urteil keine Überraschung. Den gesamten Prozess über zeigte Richter Wendel seinen Verurteilungswillen, in dem er entlastende Spuren nicht verfolgte und für „ohne Bedeutung“ erklärte und immer wieder neue Wege versuchte, ein belastbares Indiz zu basteln. Grob verlief dieser Versuch so: Zuerst sollte die Fülle der Gutachten erschlagen. Diese wurden von der Verteidigung und dem Angeklagten ausnahmslos alle zerlegt. Dann setzten Staatsanwaltschaft und Gericht auf die Zeugen Puff und Broers, die allerdings so viele Lügen und falsche Verdächtigungen vor sich hinstammelten, dass sie am Ende auch ungenießbar waren. So steuerte Wendel dann am letzten Tag zurück zu einem der Gutachten (die anderen blieben im Urteil unerwähnt), bog noch einige Sachen in einer weiteren Vernehmung der Gutachterin zurecht und entschied dann im Urteil, dass diese Gutachterin nun die Topnummer gewesen und der Angeklagte damit überführt sei. Dennoch bleiben Details seiner mündlichen Urteilsbegründung spannend.


Nazis können die besseren Wissenschaftler sein!

Die Gutachterin Dr. Kreutz, auf deren Aussagen sich Richter Wendel also nun einzig stützte, hatte als maßgebliche Literatur ein Werk aus dem Jahr 1931 angegeben. Dazu gab der Angeklagte am folgenden Prozesstag eine umfangreiche Erklärung ab, in der er unter anderem die Tätigkeit des Autors als führender Nazi-Forscher aufzeigte. Prof. Dr. Walter Scheidt war ab 1924 Dozent am Universitätsinstitut für Rassenbiologie in Hamburg und 1933 bis 1965 (also unterbrechungsfrei als führender Rassewissenschaftler in Drittem Reich und BRD) Leiter des Universitätsinstitutes für Rassenbiologie in Hamburg. Veröffentlichungen des Autors seien unter anderem „Die rassischen Verhältnisse in Nordeuropa“, „Rassenkunde und Kulturpolitik“, „Die Rassen der jüngeren Steinzeit in Nord-, Mittel- und Osteuropa“ und „Neue Methoden der Erb- und Rassenforschung“. Richter Wendel muss das gewurmt haben, dass seine einzige Gutachterin, auf die er sich überhaupt noch zu stützen wagte, solche ein Buch als Grundlage ansah. Also sagte er erst, dass nationalsozialistische Gesinnung nicht automatisch bedeute, dass jemand ein schlechter Wissenschaftler sei. Das wäre noch gegangen. Aber er fügte an, dass ein NS-Ideologe „vielleicht auch ein besonders guter Wissenschaftler sein könne“, weil er es „mit dem Volk besonders genau wissen wollte“.

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Ausgeblendet: Die Aussage der Gutachterin „Bei schlechten Bildern sind Personen oft besonders gut zu erkennen“

Die neueste Aussage der Gutachterin am gleichen Tag wie das Gutachten blendete Richter Wendel im Urteil schlicht ganz aus. Dass das Bild schlecht gewesen und deshalb als Beweismittel besonders gut geeignet gewesen sei, schien auch ihm nicht völlig einzuleuchten.


Ausgeblendet: Widersprüche

Verteidigung und Angeklagter wiesen in allen Gutachten, auch im anthropologischen Gutachten eine Masse an Fehlern nach – einschließlich offensichtlicher zielgerichteter Manipulation. Alle anderen Gutachten schieden deshalb ganz aus. Die klaren Belege für gezielte Ergebnisbegradigung wie z.B. der Nachweis, dass zwei völlig unterschiedliche Brillen als gleich vermessen wurden, beachtete Richter Wendel im Urteil auch gar nicht. Was blieb ihm auch – ohne das Gutachten der Anthropologin hätte er nichts mehr in der Hand gehabt und dann als Verurteilungsgrund nur noch den Druck von oben benennen können – den er so verschwieg.


Schwer von Verstand

Einen fatalen Fehler machte auch Wendels Verstand. Dreimal fragte er beim Gebäudereiniger, der als Zeuge auftrat, nach, ob die Wand bei der Reinigung beschädigt worden sei. Der erzählte immer wieder, dass von der Wandfarbe bei der Reinigung eine hauchdünne Schicht (5-10 Prozent der Farbdicke) abgehen würde. Wendel kapierte das nicht – und verkündete im Urteil, es sei alles eine Sachbeschädigung gewesen, weil auch 10 Prozent des Putzes (!) mit runtergekommen wären ... da hätte das Gericht wohl wie eine Bruchbude ausgesehen.


Wenn ein Beweismittel rechtswidrig ist, wird halt die Rechtsgrundlage gewechselt

Wie beim Eishockey ... was nicht mehr geht, wird im fliegenden Wechsel ausgetauscht. Alle (!) Bullen aus Gießen, darunter auch die Person aus dem Führungsstab, die den Auftrag zur Anbringung der Kamera gab (an das Landeskriminalamt) haben gesagt, dass sei nach HSOG (Hess. Sicherheits- und Ordnungsgesetz) geschehen. Auch der Hausmeister des überwachten Gebäudes hat das gesagt (und hinzuerfunden, dass er Schilder aufgehängt hätte). Wenn es aber nach HSOG geschehen wäre, hätten Schilder da sein müssen. Das war nicht der Fall, daher die Sache illegal. Richter Wendel aber verkündete im Urteil, es sei eine andere Rechtsgrundlage gewesen. Die Kamera hätte der Aufklärung vorheriger Straftaten gedient. Wie das hätte gehen soll, konnte er zwar nicht erklären, hatte aber damit einfach das Fehlende-Schilder-Problem taktisch gelöst, denn nun war ein anderes Gesetz die Grundlage. Die Einstellung von Wendel ist klassisches Legel-illegal-scheißegal, was an sich nichts Schlechtes ist, aber als Grundlage ausgerechnet der Rechtsprechung etwas merkwürdig kommt. Brillant ist hier auch erkennbar, was es heißt, dass Richter eine gottähnliche, weil wahrheitsschaffende Instanz sind. Da können alle Bullen und beteiligten Personen A sagen, wenn der Richter hinterher B entscheidet, dann ist es B.
Kleiner Schönheitsfehler: Nun haben alle Polizeibeamten eine Falschaussage vor Gericht gemacht. Wenn nicht der Obrigkeitsschützer Vaupel als Staatsanwalt alle Verfahren abwehren würde, gäbe es jetzt viel zu tun für die Justiz.


Straftäter haben keinen Rechtsschutz

Zudem sagte Richter Wendel, dass das Beweismittel auch nutzbar sei, wenn es illegal gewesen sei. Schließlich seien Gesetze nicht dafür da, Straftäter zu schützen. Zum einen ist das eine absurde Rechtsauffassung – gerade von einem Richter. Natürlich sind Gesetze von der Propaganda her dazu da, alle Menschen gleichermaßen zu schützen. Das fordert auch das Grundgesetz mit dem Artikel zu Gleichheit aller Menschen vor dem Gericht (insofern hat Richter Wendel hier praktisch die Tür zu einer Verfassungsklage gegen sein Urteil geöffnet!). Richte Wendel sieht das anders. Zum zweiten macht seine Rechtsauffassung keinen Sinn. Wenn die Schilder bei Kameraüberwachung nur wichtig sind, wenn auf den Kameras ohnehin nichts Wichtiges, d.h. rechtlich Relevantes, aufgezeichnet wird, aber in allen anderen Fälle ein anderes Rechtsinteresse überwiegt, kann mensch die Schilder auch weglassen. Denn immer wenn es drauf ankommt, ist es rechtlich unbedeutend, ob es beschildert war. Schon im Plädoyer hatte der Verteidiger darauf hingewiesen, dass im Falles eines solchen Urteils kein Polizist und keine andere Stelle mehr Schilder aufhängen würde – Richter Wendel ließ das unbeeindruckt.


Hessische Verfassung dient nur den Konservativen

In der gleichen Logik legte er auch nochmal zum Artikel 147 der Hessischen Verfassung nach. Der würde nicht für Menschen gelten, die staatskritisch sind, sondern der sei nur für „Konservative“ da – also Menschen, die Veränderungen verhindern wollten. Woher er diese Rechtsauffassung bezog, ließ er offen. Aber das Schutzparagraphen der Verfassung nur für Menschen mit bestimmten politischen Meinungen da seien, ist eine recht abenteuerliche Sichtweise. Sie zeigt aber erstens, wie stark Richter Wendel hier einen politischen Prozess geführt hat, und zweitens, wie wenig er als Richter sich an das geltende Recht gebunden fühlt (was nebenbei wiederum verfassungswidrig ist, weil die Verfassung gerade von der rechtsprechenden Gewalt eine besondere Beachtung der Gesetze fordert).


Ehrenwerte Ziele

Immerhin aber hatten wohl die verschiedenen politischen Vorträge des Angeklagten gegen Rechtsprechung, gegen Justizwillkür, gegen den Unsinn von Strafe, die Brutalität von Knast usw. eine Wirkung. Durchaus authentisch kam der Richter mit umfangreichen Ausführungen im Urteil herüber, dass er die Gesinnung des Angeklagten für „ehrenwert“ hält und ihm bescheinigte, einer Utopie von besserer Welt nachzugehen. Nur die Methoden seien „nicht zu akzeptieren“.


Missstände in der Justiz und in diesem Verfahren

Noch weiter ging Richter Wendel sogar damit, dass er die Kritik an der Justiz seitens des Angeklagten als zumindest in weiten Teilen gerechtfertigt ansah und erwähnte, diese Verhandlung sei in der Tat problematisch gewesen und hätte viele Missstände gezeigt. Allerdings konnte er an dieser Stelle das auch ohne Gefahr zeigen. Denn es tut wahrscheinlich dem Richter gut, aus seiner gottähnlichen Stellung heraus den beherrschten und bestraften Menschen noch wie ein gnädiger Patriarch ein paar weise Worte beizugeben, bevor er ihn endgültig in die Parallelgesellschaft des Knastes abschiebt (was er möglicherweise durchaus auch eiskalt gemacht hätte, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht den Vollzug der Strafe ausgesetzt hatte, mit dem jetzt auch diese Verurteilung zu einer Gesamtstrafe zusammengezogen wurde – daher ist auch die neue Strafe zur Zeit ausgesetzt).


Rechtliche Lage nach dem Urteil

Die erste Instanz ist durch. Eine Wiederholung ist möglich, weil die Strafe mit der vorherigen Strafe zusammengezogen wurde (insgesamt 10 Monate Haft ohne Bewährung), aber die vorherige durch das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt ist bis zu einer endgültigen Entscheidung.
Ansonsten legen Verteidigung und Angeklagter selbstverständlich Rechtsmittel ein – ob Berufung oder gleich Revision (Rechtsfehlerüberprüfung), ist noch offen. Es geht also weiter ... und wird ja nicht das einzige bleiben.


Wichtig: Neue Polizei-/Justizdokumentation!

Am 20.11.2006 haben zwei Betroffene mehrfacher Verfassungsbrüche, darunter der im oben genannten Verfahren verurteilte, dem Hessischen Staatsgerichtshof eine umfangreiche Dokumentation zu Rechts- und Verfassungsbrüchen durch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte in Gießen überreicht. Damit handeln sie nach dem § 147 der hessischen Verfassung, der lautet: „Widerstand gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt ist jedermanns Recht und Pflicht. Wer von einem Verfassungsbruch oder einem auf Verfassungsbruch gerichteten Unternehmen Kenntnis erhält, hat die Pflicht, die Strafverfolgung des Schuldigen durch Anrufung des Staatsgerichtshofes zu erzwingen.“ Entsprechend dem zweiten Satz handelten die Personen mit ihrem Brief an das für Verfassungsfragen in Hessen zuständige Gericht.
Mehr:  http://www.polizeidoku-giessen.de.vu
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Ergänzungen

Gießener Anzeiger zum Prozess

muss ausgefüllt werden 22.11.2006 - 16:34
Zur Urteilsverkündung in Saal getragen

Politaktivist zu zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt - 42-Jähriger kündigt Berufung an
GIESSEN (chs). Er wolle bei der Urteilsverkündung nicht anwesend sein, erklärte der Angeklagte. Und weil er partout nicht von seinem Standpunkt abweichen wollte, mussten ihn die Justizwachtmeister in den Sitzungssaal tragen, damit Strafrichter Michael Wendel mit der Urteilsverkündung beginnen konnte.
Nach Ansicht des Gerichts hat der Angeklagte in der Nacht zum 3. Dezember 2003 die Gebäude des Amtsgerichts und der Staatsanwaltschaft beschmiert sowie mehrere Türschlösser mit Klebstoff und Nägeln zugefüllt. Rund 2500 Euro Sachschaden waren dabei entstanden. Und deshalb verurteilte ihn Strafrichter Wendel unter Berücksichtigung einer früheren Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten.
Auf zwei Videos der Überwachungskameras, die an den Justizgebäuden angebracht sind, ist sie Tat zu erkennen gewesen. Die Person, die zu sehen ist, sei der Angeklagte, befand die Sachverständige in ihrer Expertise. Und damit war der 42-Jährige überführt.
Er könne verstehen, dass jemand Gerichte mit Farbe beschmiert, um sich zu wehren, betonte der Politaktivist, wies jedoch sämtliche Vorwürfe einer Beteiligung von sich. Das Gericht habe aber explizit ihn für die Tat verantwortlich machen wollen, "koste es was es wolle".
Die Sicherheitsvorkehrungen waren auch beim letzten Verhandlungstag gegen den Politaktivisten enorm. Etwa ein Dutzend Polizeibeamte hatten sich im Eingangsbereich des Amtsgerichts und auf dem Flur vor dem Verhandlungssaal eingefunden, um dort Aufsicht zu führen. Außerdem waren einige Wachtmeister bei dem Prozess zugegen.
Und die waren dort auch nötig. Immer wieder hatte Wendel zu Ruhe aufrufen müssen, um die vielen Zwischenrufe und Kommentierungen seitens der Zuhörer - größtenteils Anhänger des Politaktivisten - zu unterbinden. Und die Urteilsverkündung musste wegen der Unruhe innerhalb der Zuhörer sogar mehrfach unterbrochen werden. Weil sie sich weigerten, sich bei der Urteilsverkündung zu erheben, wurden sie mehrfach gebeten, den Sitzungssaal zu verlassen. Doch auch das zeigte keinerlei Wirkung, so dass die Wachtmeister einige der Zuhörer schließlich kurzerhand aus dem Sitzungssaal hinaustrugen. Ein Ende hat der Prozess zwar nun vorläufig am Amtsgericht, allerdings hat der 42-Jährige bereits angekündigt, Berufung gegen das Urteil einzulegen.

 http://www.giessener-anzeiger.de/sixcms/detail.php?id=2442799&template=d_artikel_import&_adtag=localnews&_zeitungstitel=1133842&_dpa=

Mitschriftsauszüge

BesucherIn 23.11.2006 - 16:43
Hier einige Originalzitate

Richter: "Warum haben Sie keinen persönlichen Vergleich gemacht, und den Angeklagten in Augenschein genommen?"
Gutachterin: "Das brauchte ich nicht."

Gutachterin: "Es mag komisch klingen, aber je schlechter das Bildmaterial ist, desto mehr treten die wichtigsten Merkmale hervor."

Angeklagter: "Macht es nicht gerade die schlechte Bildqualität viel einfacher, jemanden in das Material hineinzuerkennen? Wäre es nicht für Sie eigentlich schlechter gewesen, wenn das Bildmaterial gut gewesen wäre?"
Gutachterin: "Es müssen immer mehrere Merkmale berücksichtigt werden, jedes Ausschlußkriterium muß berücksichtigt werde. Die Dinge, die man sehen kann, müssen alle übereinstimmen."

Richter: "Nach der erneuten Befragung hat das Gericht keinen Zweifel mehr an der Qualifikation der Sachverständigen, und hält ein neues Gutachten nicht für notwendig."

Antrag des Angeklagten: Staatsschützer Broers muß Sehfehler haben (kann z.B. Farben nicht unterscheiden), daher Antrag auf Überprüfung der Sehfähigkeit und Antrag auf Überprüfung, ob er Drogen nimmt
Richter: Antrag abgelehnt - "Das ist ohne Bedeutung."
Verteidiger: "Was??? Sie haben das sicher anders gemeint."
Richter: "Nein, so wie ich gesagt habe."
Richter: "Es ist also egal, ob der Zeuge überhaupt SEHEN kann????"
Richter: (druckst herum, keine Antwort)

Aus dem Plädoyer Staatsanwalt: "Es kann dahinstehen, auf welcher Grundlage die POLIZEI die Aufnahmen gemacht hat - das Gericht hat das zu bewerten."

13.43 - 13.52 Schlußwort Angeklagter - er will nicht der Urteilsverkündung "Im Namen des Volkes" beiwohnen
Richter: "laut StPO muß ich Ihnen mitteilen, daß ich Sie dann mit Zwang dazu bringen muß. Bitte tun Sie mir das nicht an."
"Haben Sie noch was zu sagen?"
Angeklagter schweigt (damit hatte der Richter das letzte Wort!)
Wendel geht ab für angekündigte 10 min.
Zuschauerin setzt sich auf den leeren Richterstuhl und wird rausgeschleift
13.55 Richter kommt zurück, Angeklagter steht draußen an der Tür und wird
13.57 mit Gewalt (4 Cops) reingeschleift
13.58 Mehrere Zuschauer werden rausgeschleift bzw. rausgetragen, weil sie nicht aufstehen wollen
13.59 Ein Zuschauer muß raus, weil er mit dem Rücken zum Richter stehenbleiben will
2 Cops halten den Angeklagten die ganze Zeit über in halbgebückter Haltung "aufrecht" - er steckt die Finger in die Ohren)
14.00 Urteilsverkündung

Auszüge aus Urteil des Richters:
"Das Gericht ist zu dieser Überzeugung gekommen - nicht weil das der Herr Puff gesagt hat."
zu Anthropologen Scheit u.a.:
"vielleicht gerade WEIL er nationalsozialistische Ziele verfolgt hat, macht das seine Ergebnisse wissenschaftlich - muß man ja mal fragen dürfen."
"Gutachterin war sehr überzeugend"
"Ich bin der festen Überzeugung, daß das der Angeklagte war, der auf dem Video zu sehen ist."
"Weil das genau da stand, durfte man den Verdacht haben, daß die Täter aus diesem Personenkreis kamen - aus der Projektwerkstatt Saasen."
"Grundlage der Überwachungsmaßnahmen war der 100 C StPO - Aufklärung der früheren Sachen war der Zweck"
"Ausführung der Überwachungsmaßnahmen nach HSOG war rechtswidrig, weil keine Schilder da waren"
"HSOG ist für den Schutz des Gebäudes und zufälliger Passanten, nicht für den Täter - höchstens mittelbar"
"Was sieht man? Eine Person, die wilde Handbewegungen macht, die sich irgendwie an einem Schloß zu schaffen macht."
"Farbe auf dem Foto von der Videosequenz stammt wahrscheinlich von einer Spritzflasche, wie es sie für Senf o.ä. an Würstchenbuden gibt"
"ich muß dem Zeugen Broers widersprechen..."
"Zuordnung über Konstrukt der Mittäterschaft - enger zeitlicher Zusammenhang - ist ihm alles zuzurechnen, auch was auf den Bildern nicht zu sehen ist"
"Grundlage ist alter §303"
"bei den Schlössern gab es Reinigungsaufwand = Gebrauchsfähigkeit nicht mehr gegeben während dieser Zeit"
"da ging auch 10% Putz und Wand mit ab"
"rechtmäßiger Widerstand? Motive des Täters sind unbekannt, da sich der Angeklagte nicht zu der Tat bekannt hat"
"§147 ist kein Grundrecht der Revolutionäre, sondern ein Grundrecht der Konservativen"
"ich bin nicht der Auffassung, daß hier eine Freiheitsstrafe verhängt werden muß - für die Dauer des Verfahrens kann der Angeklagte nichts"

"zu seinen Gunsten:
er verfolgt ehrenwerte Ziele;
es gibt tatsächlich viele Mißstände (z.B. wie soll man erklären, daß jemand für den Tod eines Menschen verurteilt wird, für die Tötung von vielen als Soldat aber nicht);
ich will gar nicht bestreiten, daß hier vieles schiefgelaufen ist, auch in dieser Hauptverhandlung"
"Utopien sind in Ordnung - aber seine Wege dahin nicht"

"140 Tagessätze á 10 Euro - was er verdient, weiß man nicht"
"hat ja hier als Beruf 'Maler und Lackierer' angegeben - vom Meister ist er aber noch entfernt"
"als Grundlage fiktive 345 Euro pro Monat"
"ergibt insgesamt 10 Monate Freiheitsstrafe wg. der LG-Haft"

"Bewährung? Ich bin nicht an das LG-Urteil gebunden, sondern muß die Umstände heute neu bewerten. Ich muß neue Umstände haben, die für eine Bewährung sprechen, diese habe ich nicht finden können (Angeklagter nannte 'extrem hohes Verständnis für Leute, die Justizgebäude anmalen')."
"Prognose ist ungünstig = keine Bewährung"
"Kosten trägt der Angeklagte"

Aktionen und weiterer Bericht

xyz 23.11.2006 - 18:02
Einen weiteren Prozessbericht mit Fotos von Aktionen und veränderten Plakaten etc. im Vorfeld der Verhandlung gibts unter  http://de.indymedia.org/2006/11/162834.shtml

Knast und Psychiatrie - Kritik, Unterschiede

AbwehrspielerIn der Ordnung 26.11.2006 - 19:08
Vom 1.-3. Dezember 2006 findet in Dresden (AZ Conni) ein passendes Seminar zu Themen wie Strafe, Knast usw. statt. Kurze Inhaltsangabe: "Was soll Knast? Was wären Alternativen zu Strafe und Knast?"
Knast und Zwangspsychiatrie sind die härteste Unterdrückungsform des Staates und die letzte Drohung der Verhaltensnormierung. Daher sind ihre Strukturen und Grundlagen ein wichtiges Feld der Kritik von Herrschaft. Aus dem Nachdenken über eine Welt ohne Psychiatrie und Knäste können reizvolle Utopiediskussionen entstehen. Zudem können Aktionen gegen die Zwangseinrichtungen zu Symbolen für den Widerstand werden.
Wiki zum Seminar:  http://www.psychiatrieundknast.de.vu
Seite zur Kritik an Strafe:  http://www.welt-ohne-strafe.de.vu
Rechtstipps:  http://www.recht-extremismus.de.vu
Kritik an Zwangspsychiatrie:  http://www.irrenoffensive.de