Baskische Jugendliche sollen doch Terroristen sein

Ralf Streck 16.11.2006 10:49 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Heute wird vor dem spanischen Obersten Gerichtshof der Prozess gegen die baskischen Jugendorganisationen (Jarrai, Haika, Segi) neu aufgerollt. Dem Ministerium für Staatsanwaltschaft in Madrid passte es nicht, dass damals kein Urteil kam, was die Jugendorganisationen als Teil der baskischen Untergrundorganisation ETA festschreibt und die Jugendlichen demnach nicht als Terroristen verurteilt wurden. Statt höchsten dreieinhalb Jahren sollen sie jeweils zehn Jahre mehr erhalten. Dieses Vorgehen der Regierung verträgt sich ebensowenig mit dem angeblichen Friedensprozess, wie die erneute Verurteilung des Hungerstreikenden Gefangenen zu 12 Jahren Haft, weil er zwei Artikel geschrieben hat.

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Mit der Neuauflage des Verfahrens dreht die spanische sozialistische Regierung erneut an der Repressionsschraube, denn der Einspruch gegen das Urteil kam vom Ministerium für Staatsanwaltschaft und ist damit ein direktes Vorgehen der Regierung. Der Willen umbedingt neue härtere Urteile zu erhalten, verträgt sich wohl kaum damit, einen Friedensprozess einleiten zu wollen.

Es ist aber auf der anderen Seite klar, dass das Urteil als Präjudiz für den zweiten Massenprozess dient, der sich nun seit einem Jahr hinzieht. Da es damals vor dem Sondergericht (Nationaler Gerichtshof) nicht möglich war die absurde These des Ermittlungsrichters Baltasar Garzón zu stützen, dass alle Organisationen der baskischen Linken zur ETA gehören, muss dieses Urteil nun gekippt werden.

Ohnehin war es juristisch absurd, das Verfahren gegen die Jugendlichen vorzuziehen, während das Hauptverfahren, denen ihr Verfahren eigentlich untergeordnet war, erst danach behandelt wird. Schon dahinter stand eine klare politische Entscheidung. Man hatte gehofft, dass den stark vorverurteilten Jugendlichen leichter als ETA-Teil abgeurteilt werden können, um das dann im Hauptprozess zu nutzen. Das ging schief, weil sogar die Richter des Sondergerichts keinen Nachweis für terroristische Tätigkeiten (keine Waffen) fanden, mit der das zu begründen gewesen wäre. Die Tatsache, dass einige Jugendliche später auch bei der ETA aufgetaucht sind, belegt keine organische Verstrickung.

Der Witz bei dem Urteil war ohnehin, dass sich das Sondergericht bei seinem Urteil ausgerechnet auf die von den Sozialisten aufgestellten Todesschwadrone (GAL) bezogen hatte. Die wurden nämlich trotz ihren Morden, Folterungen und Entführungen nie als "bewaffnete Bande" oder "Terroristen" abgeurteilt, obwohl sie eindeutig Waffen eingesetzt haben. Von den Mitgliedern der Todesschwadrone sitzt ohnehin keiner mehr, weil sie eine politische Vorzugsbehandlung der Sozialisten erhalten. Die erste Aktion der Sozialisten nach der Übernahme der Regierungsmacht vor zweieinhalb Jahren den Oberstaatsterroristen Galindo freigelassen haben.

In dem Urteil gegen die Jugendlichen musste ein weiterer Kunstgriff gemacht werden. Es wurde behauptet, die Organisationen führten "Anschläge auf Sachen", etc durch. Dabei konnte keinem der Angeklagten nachgewiesen werden, dass er daran teilgenommen hätte oder sie organisiert hat. Für irgendetwas musste man sie aber verurteilen, um die lange U-Haft und das Verbot der Organisationen zu legitimieren. Schließlich saßen einige fast vier Jahre, länger als danach sogar die Höchsturteile von dreieinhalb Jahren. Noch immer stehen die Organisationen (die in Frankreich weiter legal sind) aber auf der EU-Terrorliste, obwohl das bisherige Urteil dem klar widerspricht.

Es ist klar, dass die Definition, dass eine terroristische Organisation sich dadurch auszeichnet, bewaffnet vorzugehen, nun gekippt werden soll, um die gesamten verbotenen baskischen Organisationen doch als Teile der ETA ansehen und aburteilen zu können. Darin ist sich die Staatsanwaltschaft mit der Nebenklage der sogenannten "Vereinigung der Terrorismusopfer" einig, eine Frontorganisation der rechtsradikalen Volkspartei (PP). Da der Oberste Gerichtshof von Anhängern der PP ist, kann davon ausgegangen werden, dass das einstige Urteil gekippt wird. Die Anhänger der Franco-Diktatur stemmen sich ohnehin gegen den Friedensprozess.

Dieses Vorgehen der Regierung verträgt sich ebensowenig mit dem angeblichen Friedensprozess wie die erneute Verurteilung des Hungerstreikenden Gefangenen zu 12 Jahren Haft, weil er zwei Artikel geschrieben hat. Da ja selbst der baskische Regierungschef nun vor Gericht gestellt werden soll, weil er Batasuna empfangen hat, hat Batasuna, zum Jahrestag ihres Friedensvorschlags vor zwei Jahren eine etwas traurige Bilanz gezogen und die Sozialisten (PSOE) aufgefordert, ihr Vorgehen zu verändern.

© Ralf Streck den 16.11.2006
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Ergänzungen

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Ralf Streck 23.11.2006 - 11:48
Eskerrik asko Martin!

Die haben im Gerichtshof offenbar ziemliche Probleme mit der Bewertung des Falls der Jugendlichen und haben sich nun einen Monat mehr Zeit eingeräumt. (man muss wohl erst abwarten, wie sich der Friedensprozess weiter entwickelt, muss man vermuten).

Derweil wurde die bekannte Band Soziedad Alkoholika gestern vom Vorwurf frei gesprochen, sie hätte den "Terrorismus verherrlicht" mit ihren Texten.

Plötzlich will nun auch die Staatsanwaltschaft nichts mehr davon wissen, dass die Herriko Tabernas zu Batasuna gehören, das hatten sie kürzlich aber noch behauptet und damit die Durchsuchungen begründet.

Um es klar zu sagen, es gibt also Anzeichen dafür, dass die Sozialisten (Staatsanwaltschaft ist ein Ministerium) die Notbremse ziehen und nach ihrem Wahldebakel in Katalonien und der Tatsache, dass die neuen Umfragen die PP aufholen lassen ein Stück weit Konsequenzen ziehen. Wenn der Friedensprozess den Bach runter geht, hat die PSOE nichts, womit sie die Wahlen gewinnen könnte.

In der letzten Umfrage des CIS hat die rechtsradikale PP den Abstand zur PSOE fast aufgeholt. Demnach hat die PSOE nur noch einen mageren Vorsprung von knappen 1,4 %. Nach der Umfrage, in der dritten Oktoberwoche gemacht wurde, bekäme die PSOE noch 39,3% und die PP erreichte 37,9%. Das ist für die PSOE alarmierend, wenn man die Daten mit den letzten aus dem Juli vergleicht. Da hätten die Sozialisten 40,6% erreicht mit einem Vorsprung von 3,7 % vor der PP. Der Zusammenhang zum kriselden baskischen Friedensprozess ist klar.

Somit war klar, dass sich die PSOE in der Belebung des Friedensprozesses was einfallen
lassen muss. Es ist klar, dass die PP weiter aus allen Rohren von den von ihr besetzten Stellen in der Justiz schießen wird, um den Prozess zum scheitern zu bringen.

Der PSOE fällt wieder mal auf die Füße, dass sie sich in der Frage von der PP vor sich hertreiben lässt. Es war ja ihr Ministerium für Staatsanwaltschaft hat das Urteil gegen die Jugendorganisatioen angefochten hat, um gut vor der PP dazustehen.

Wie schon bei den Anschlägen am 11.März 2004 in Madrid versucht man sich wieder mal in massiven Manipulationen. In dem Video über die angebliche Unsicherheit in Spanien unter der PSOE, wurde gleich als zweite Szene (die mehrfach im Video widerholt wird) ein Angriff von Drogenhändlern in Medellin (Kolumbien) gezeigt. Die Bilder stammen zudem aus dem Jahr 2003 (als die PP noch regierte). Auch zu anderen Geschichten musste man auf die Zeit unter
Aznar für Bilder zurückgreifen, um die angebliche Unsicherheit heute in Spanien anzuklagen. Das ganze wäre nur peinlich, wenn die PP mit derlei Lügen und Manipulationen nicht Erfolg hätte. Man darf gespannt sein, wie die Demo ihrer Frontorganisation "Vereinigung der Terrorismusopfer" gegen den Friedensprozess und gegen die sozialistische Regierung am Sa. ausfallen wird.

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