Rückblick Bremen: Abmarsch statt Aufmarsch!

http://bremen.antifa.net 16.11.2006 00:39 Themen: Antifa
Der 4. November 2006 in Bremen wird der norddeutschen Naziszene sicherlich noch lange in unschöner Erinnerung bleiben. Etwa 10.000 Menschen beteiligen sich den ganzen Tag über an verschiedensten Aktionen gegen den geplanten Naziaufmarsch in Bremen-Walle: Bereits am Morgen versammeln sich mehrere tausend Menschen am Depot in Gröpelingen um sich der antifaschistischen Gegendemonstration anzuschließen. Die durch das Oberverwaltungsgericht stark verkürzte Demoroute soll von dort aus auf der Gröpelinger Heerstraße in Richtung Stadtmitte bis kurz vor den Ohlenhof führen. Die Nazis wollen dagegen vom Waller Bahnhof aus marschieren, ebenfalls in Richtung Ohlenhof.
Das Polizeikonzept

Zwischen beiden geplanten Routen-Endpunkten hat die Polizei eine sog. "Pufferzone" von mehreren hundert Metern Länge abgesperrt die verhindern soll, dass Gegendemo und Nazi-Aufmarsch aufeinandertreffen.
An der antifaschistischen Seite dieser Zone steht eine dünne Polizeikette, die als "Lockmittel" für den "autonomen" Antifablock herhalten soll. Polizeiplänen zufolge sollte dieser Block nach einem militanten Durchbruch inklusive des Lautsprecherwagens vom Rest der Demo gespalten und eingekesselt werden.
Dieses Konzept geht jedoch nicht auf, da die Polizeikette letzendlich von einem geschlossenen Block verschiedenster Leute weggedrängt wird und die Demo damit nicht mehr in "Gut" und "Böse" spaltbar ist. Das geschlossene Auftreten des gesamten Bündnisses verhindert somit eine Spaltung der Demonstration.

Letzendlich gelangen mehrere tausend Menschen in die "Pufferzone" und besetzen auf diese Weise etwa 2/3 der Strecke des geplanten Nazi-Aufmarsches. Bremens Bürgermeister Böhrnsen und Abschiebe-Innensenator Röwekamp stoppen dagegen an der ehemaligen Absperrung, nachdem sie sich für ein paar Foto-Aufnahmen kurz öffentlichkeitswirksam an die Spitze eines SPD+CDU-Blockes gestellt hatten. Danach waren sie nicht mehr gesehen.


Antifaschistische Gegenaktionen

Währenddessen besetzen etwa 150 Antifas in Walle die Bahnschienen und legen dadurch jeglichen Bahnverkehr erst einmal lahm. Dadurch sitzen in Bremen-Burg mehrere dutzend Nazis fest, die von Bremen-Nord aus mit dem Zug zum Waller Bahnhof fahren wollen. Erst nach erheblicher Verzögerung geht das braune Pack schließlich auf Reisen.

Dem Demo-Motto und Konsens des breiten antifaschistischen Bündnisses "Keinen Meter!" wird damit bereits eine enorme Ernsthaftigkeit verliehen, als die Nazis selber noch nicht einmal vor Ort sind. Durch entschlossenes gemeinsames Vorgehen der verschiedenen Gruppen und Organisationen können die Nazis erst mit erheblicher Verspätung loslatschen und dann auch nur einen Bruchteil ihrer ursprünglich geplanten Route zurücklegen. Des weiteren sind sie zahlenmäßig dezimiert: einige Faschos werden von Antifas schon im Vorfeld unsanft wieder nach Hause geschickt, als sie versuchen zu Fuß zum Waller Bahnhof zu gelangen.

Auf der antifaschistischen Bündnisdemo kommt es unterdessen zu massiven gewalttätigen Übergriffen der Polizei, da tausende Menschen nach wie vor die Nazi-Route blockieren und auch nach wiederholten Aufforderungen und Drohungen nicht gewillt sind, diese zu räumen. Übergriffe der Polizei lassen die Situation dann zeitweise eskalieren: Vermummte Polizeikräfte prügeln sich durch die auf der Straße stehenden Menschen und zerstören die Lautsprecheranlage.

Auch an den Absperrungen kommt es zu Übergriffen, mehrmals sprüht die Polizei aus kürzester Entfernung massiv Pfefferspray auf die Köpfe von GegendemonstratInnen, wodurch etliche Menschen Augenverletzungen erleiden. Dazu gibt es Prellungen durch Schlagstöcke. Hunde einer Hundestaffel beißen sich (ohne Maulkorb) regelrecht von Hinten nach Vorne durch die Demo, es gibt mehrere tiefe Bisswunden. Unter den Verletzten befinden sich viele Bürger und jüngere Menschen, die zurecht entsetzt auf das reagieren, was Antifas in der Bundesrepublik an beinahe jedem Wochenende erleben dürfen.
Aufgrund von Geschlossenheit und entschiedener Gegenwehr gelingt es den Bullen jedoch nicht mal ansatzweise die Blockade aufzulösen und die Antifa-Demo zu vertreiben. Besonders hervorgehoben werden soll an dieser Stelle der gemeinsame entschlossene Widerstand verschiedenster Gruppierungen gegen die Polizeiprovokationen und -übergriffe, z.B. von IG Metall und ver.di, SchülerInnen oder autonomen Antifas. Auch etliche BürgerInnen und AnwohnerInnen beteiligen sich an den Ketten gegen die Polizei und tragen damit maßgeblich zum Erfolg bei.

Bereits im Vorfeld des 4.11. hatten sich mehrere Bündnisse zu Gegenaktivitäten gebildet, u.a. ein breites Bürgerbündnis und ein Jugendbündnis. Die ganze Stadt war voll von Mobilisierungsmaterial und viele Menschen investierten Unmengen an Zeit und Mühe um den 4.11. zu einem erfolgreichen antifaschistischem Tag werden zu lassen. An dieser Stelle nochmal ein dickes Danke an alle die sich in irgendeiner Form im Vorfeld oder am 4.11. selber an Gegenaktionen beteiligt haben. Rock on!
Positiv ist auch zu bemerken, dass es Polizei und Innensenator Röwekamp weder im Vorfeld noch auf der Demo selber gelungen ist, den Protest gegen den Nazi-Aufmarsch in "bürgerlich", "links-autonom", "gut", "böse" usw.usf. zu spalten. Bleibt zu hoffen, dass auch bei zukünfigen Aktionen viele Menschen gemeinsam gegen Nazis auf die Straße gehen.

Kuriosität am Rande: Sogar die Bremer Republikaner um Peter Pricelius wollten sich unter dem Motto "gegen linken und rechten Extremismus" an der Gegendemonstration beteiligen. Wirklich aufgetaucht sind sie letztlich schlauerweise nicht.


Die Nazis

Alles in Allem war es ein mehr als enttäuschender Auftritt für die Nazis, besonders für die Bremer NPD. Selbst nach monatelanger Vorlaufzeit und großmäuliger Ankündigung bekamen sie gerade mal 124 Kameraden auf die Straße.
Wenn Zivilbullen und "zufällige TeilnehmerInnen" abzogen werden, sind es noch weniger. Zusammengesetzt hat sich der Haufen aus den Bremer und Bremerhavener NPD- und JN-Mitgliedern und -Sympatisanten, einigen Glatzen aus der hiesigen Kameradschaftsszene (z.B. "Wesersturm") und dem Bremer Westen, darunter viele "Saufnazis". Von Außerhalb angereist waren an die 25 Nazis aus der Region Ostfriesland/Oldenburg, weitere Gruppen kamen aus dem Schaumburger/Mindener Land und aus dem Großraum Hamburg. Große Teile der Naziszene aus Bremen und dem Umland waren gar nicht vertreten, ebensowenig die üblichen Reiseschreihälse der niedersächischen und nordrhein-westfälischen NPD.
Redner auf dem Naziaufmarsch sind Horst "NPD-Horst" Görmann (Landesvorsitzender der Bremer NPD aus Bremerhaven), Hans-Gerd Wiechmann (Lüneburg), Alexander Hohensee und Christian Worch (Hamburg) und Adolf Dammann (Buxtehude).
Nach anfänglich langer Warterei steht sich das nationale Elend dann nach einigen hundert Metern die Beine in den Bauch, da tausende GegendemonstrantInnen sich nicht räumen lassen. Gegen 17 Uhr erlöst die Polizei die Nazis schließlich und schickt sie wieder nach Hause.


Braune Streitereien

Bereits im Vorfeld des Aufmarsches gibt es in Bremen interne Streitereien über Sinn und Unsinn des Aufmarsches. Freie Nationalisten, Hammerskins, Nazihools und einige Kameradschaften beteiligen sich gar nicht erst an der Mobilisierung und Vorbereitung.
Überregional eskalieren die Streitereien als bekannt wird, dass maßgebliche NPD/JN-Aktivisten mit "Ausländern unter einer Decke stecken" - konkret gemeint war wohl die führende Bremer JNlerin Louisa Yardim, ihrerseits Tochter eines nicht-deutschen Vaters und der NPD-Aktivistin Gabriela Yardim. Mehrere niedersächische Kameradschaften und NPD/JN-Verbände sagen ihre Unterstützung daraufhin ab und distanzieren sich von der Bremer NPD. Die Heisenhof-Bande aus Dörverden kündigt sogar ein zeitgleich stattfindendes "gesunde Ernährung"-Wochenende mit "Pooh dem Bären" alias Matthias Schulz (seinerseits Experte für eben dieses Themengebiet) auf dem Heisenhof an.
Auch im Internet schlägt die "Mischlings-Demo" hohe Wellen (und tut es immer noch). Das rechtsextreme Störtebeker-Netz kopiert gleich mal den bremen.antifa.net-Artikel über das Outing der bereits erwähnten Nazi-Frauen Gabriela und Louisa Yardim, inkl. Portraitfotos und Wohnadresse (  http://bremen.antifa.net/was_ging/index_2006.php#251006 )


Der Frust der Bremer Nazis über den Verlauf des Tages entlädt sich schließlich nicht nur am Abend des 4.11., wo sie abermals die Schaufensterscheibe des VVN-BdA-Büros in Bremen-Walle mit einem Gullydeckel einwerfen, sondern auch im Verlauf der folgenden Tage in diversen Internetforen. Stellvertretend an dieser Stelle nur ein Zitat: "es sollte nicht darum gehen zeit zu verlieren und den Idioten die Chance zu geben sich bei der Bevölkerung anzubiedern und Zahlenstatistiken wie 10000 gegen 100 zu schaffen. Ich bin echt stinksauer".

Überhaupt scheint die Bremer NPD/JN in der Naziszene als "Sauhaufen" zu gelten: Interne Streitereien, Bündnisse mit türkischen Faschisten der MHP, V-Mann-Vorwürfe gegen Führungskader. Dazu verschwinden hin und wieder nicht nur "treue" Kameraden in der Versenkung, sondern auch Parteigelder.
Dazu kommen dann peinliche öffentliche Auftritte wie der am 4.11.: Ein erbärmlicher Haufen von (teilweise betrunkenen) Dumpfbacken, die vor laufender Kamera Journalisten bedrohen und anpöbeln. Wer sich die Fotos führender regionaler NPDler an diesem Tag anguckt (  http://bremen.antifa.net/was_ging/bremen_041106_a.php ), weiß wie gefrustete Nazis aussehen.


Fazit

Der erfolgreiche Verlauf des Tages ist dennoch mit Vorsicht zu genießen. Bloß weil es nur für ein erbärmliches Zucken der braunen Scheiße gereicht hat, heißt das noch lange nicht, dass die regionale Naziszene weniger vernetzt oder weniger gefährlich wäre. Das Ziel für die Zukunft muss daher lauten, Nazis weiterhin und immer wieder entschlossen und offensiv entgegenzutreten und ihrer menschenverachtenden Ideologie keinen Raum zu lassen - keinen Meter!
Wir werden unseren Teil dazu beitragen.

bremen.antifa.net, November 2006.


Wichtig!

Aufgrund der zahlreichen Übergriffe und Festnahmen bittet der Bremer Ermittlungsauschuss (EA) um Informationen zu Polizeiaktionen, Übergriffen und Verhaftungen.
Wenn ihr Betroffene und/oder Festgenommene seid oder wenn ihr Polizeiübergriffe beobachtet habt, meldet euch bitte beim Bremer EA! (Kontaktdaten:  http://bremen.antifa.net/rechtshilfe/ea.php )
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Weiter so

zora 16.11.2006 - 13:27
Sehr schöner Artikel.
Sachlich, informativ und gut geschrieben.
So einen Demobericht wünsche ich mir öfters.
Er komplettiert den sehr guten Tag den wir Antifas in Bremen hatten.
Schaffen wir 2,3 viele Bremen ;-)


Es geht aufwärts und das rasant

Bilder von den Protesten

wer 16.11.2006 - 17:05
sind bei  http://www.adf-berlin.de zu finden

Ergänzung zum Streit in der rechten Szene

Tar Tufo 17.11.2006 - 11:29
Warum sich verschiedene NPD-Verbände und Kameradschaften nicht an der Bremen Demo ihrer Artgenossen erklärt sich zum überwiegenden Teil aus bekannt gewordenen Rundbriefen der FNV FreieNationaleVechta und dem Vorsitzenden der NPD Vechta, Christian Fischer. So schreibt Nazi Bratze Fischer in seiner Rundmail, dass die Bremen-Demo von ihrer Seite nicht unterstützt würde, Grund seien die ausländischen Funktionäre. Man sei über diese Nachricht bestürzt. „Es könne nicht sein, dass unsere Partei sich in seinen eigenen Ideologien verrate.“ Diese Entscheidung träfen mit ihnen auch noch „unzählige andere Kameradschaften, NPD- KV und die JN Niedersachsen“
Damit war der Eklat innerhalb der Partei und den Kameradschaften perfekt.
Diese mail hat in der Szene denn so einiges bewirkt, auf dem Naziforum Altermedia lässt man sich in über 150 Beiträgen über das Für und Wider vom Auftreten von Mutter und Tochter Yardim aus, Worch schwadroniert über den Vechtaer Rundbrief folgendermaßen „Wie man ein solches Verhalten in Kriegszeiten genannt hätte, brauche ich wohl nicht näher darzulegen“. Nach mehren Tagen wurde die Passagen wieder vom altermedia Portal genommen.
Fischer selbst hält sich seit dieser Zeit bedeckt. Seine Nähe zu den Pohl Brüdern aus dem Raum Osnabrück/Steinfurt mag ihn noch eine Weile am kacken halten, aber seine Tage scheinen dennoch gezählt und mit seiner angestrebten Karriere in der Landes-NPD wird es wohl so leicht nichts mehr werden, gilt er doch seit einiger Zeit als Plappermaul, das auch schon mal in der Kneipe interne Infos preisgibt.
Aber da wäre ja noch die Nähe zur extrem rechten „Heimattreuen deutschen Jugend“ HDJ, der die Nähe zur verbotenen Wiking-Jugend nachgesagt wird, bei der Christian Fischer aktiv ist und dort auf Zeltlagern, zuletzt Anfang August im Raum Detmold, Betreuungsdienste macht.
Ob die extrem abgeschottete HDJ jedoch weiterhin Interesse an Leuten wie Fischer hat, die durch ihr Verhalten eine zweite Front innerhalb der Szene aufbauen, sei dahingestellt.

x

Milla 17.11.2006 - 19:30
Waren aber nicht 10000, egal auf welcher Weise Mensch das zählen möchte. Fakt.
Außerdem lese ich teilweise davon, es wären niemals 100 Faschos gewesen, höchstens 75-80.
Woher stammen dann die 124 Photos? (Einzelbilder) :(... Naja, Zum Glück demobilisiert Quasseltasche Fischer ja fleißig und alle Nasen wurden auch gar nicht erst durchgelassen.
Mit schönem Gruß aus Delmenhorst

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

Erinnert irgenwie an Trotzki — Pic Knick Side Slide Defaout