Kundgebungen zum 9. November in Bonn

Initiative 9. November 11.11.2006 00:14 Themen: Antifa
Zum 68. Jahrestag der Reichspogromnacht versammelten sich in Bonn zahlreiche Menschen um mit drei Kundgebungen, verbunden mit kleinen Agit-Prop Aktionen den Opfern zu Gedenken und die Täter zu benennen.
Am 9. November 1938 wurden, angeführt von SA-Trupps, nahezu sämtliche Synagogen n Brand gesteckt und mehr als 7.500 jüdische Geschäfte zerstört. Mit großer Unterstützung der deutschen Bevölkerung wurden im Verlauf der Nacht Jüdinnen und Juden durch die Straßen gejagt. Etwa 100 von ihnen sind ermordet, zugleich mehr als 30.000 verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt worden.
So auch in Bonn, wo alle fünf Synagogen (Alt-Bonn, Poppelsdorf, Beuel, Bad Godesberg und Mehlem) und der Betsaal der so genannten Ost-Juden in der Rheindorfer Straße zerstört wurden. Weiter sind auch zahlreiche Geschäfte verwüstet und JüdInnen bedroht und durch die Stadt gejagt worden.

Mit einer Kampagne „Gedenken verteidigen – 9. Nov. 1938 – 9. Nov. 2006“ erinnert nun ein Bündnis verschiedener linker Gruppen und Institutionen aus Bonn mit zahlreichen Veranstaltungen den damaligen Ereignissen.
Der 9. November gehört dem Gedenken an die Opfer der Shoa, dem Widerstand gegen Faschismus und Antisemitismus. Nur wenn Erinnerung wachgehalten, Opfern gedacht, TäterInnen benannt und der Widerstand gewürdigt wird, kann Antisemitismus heute wirkungsvoll entgegen getreten werden. Wir wehren uns gegen die Relativierung deutscher Verbrechen, die die Bombardierung Dresdens und deutsches „Vertriebenenleid“ in den Vordergrund deutscher Vergangenheitsbewältigung rückt. Noch 61 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager werden TäterInnen geehrt, Widerstandsgruppen diffamiert, Opfern ein angemessenes Gedenken verweigert und antifaschistischer Widerstand kriminalisiert.

Deshalb verteidigen wir das Gedenken und haben zu drei Innenstadtkundgebungen aufgerufen, die am Beethovenhaus in der Bonngasse ihren Anfang nahm und dem über 70 Personen folgten.
Dort würdigt der Verein des Beethovenhauses dem damaligen Vorstandsmitglied der Deutschen Bank im 3. Reich Hermann Josef Abs durch die Benennung eines Kammermusiksaales nach ihm. Abs genehmigte in seiner Funktion bei der Deutschen Bank die Kreditvergabe zur Finanzierung des Konzentrationslagers Auschwitz. Auch nach seiner Haft durch die Alliierten, die ihn als Kriegsverbrecher einstuften war er weiter im Bankengeschäft aktiv. Als Verhandlungsführer bei der Londoner Schuldenkonferenz 1952/53, auf der die Vorkriegsschulden Deutschlands und die Reparationszahlungen für den Zweiten Weltkrieg verhandelt wurden, gelang es ihm die Entscheidung über Reparationen hinauszuschieben. Die „Wiedergutmachung“ wurde schließlich in Form von Sachleistungen ausgehandelt, die zum konjunkturellen Motor für die westdeutsche Wirtschaft wurden. (Mehr Infos zu Abs unter : www.labournet.de/diskussion/rechten/allg/abs.html)
Durch seine menschenverachtenden Tätigkeiten, konnte er es sich finanziell Leisten dem Beethovenhaus im Rahmen seiner Stiftung Geld zukommen zu lassen. So dankte es ihm nun der Verein des Beethovenhauses 2001 in dem sie den Kammermusiksaal nach ihm benannten. Die Art und Weise allerdings, wie Abs sein Geld verdient hat scheint für die Verantwortlichen im Verein und der Stadt Bonn keine Rolle zu spielen.
Seit 2001 fordert nun schon die Antifa Bonn-Rhein/Sieg die Umbenennung des Saales, nach Karlrobert Kreiten. Kreiten war ein hochbegabter Pianist, der dem Nazi-Regime kritisch gegenüberstand. Als er 1943 in einem Gespräch äußerte, dass der Krieg praktisch verloren sei und es zum Untergang Deutschlands und seiner Kultur führen würde, wurde er denunziert. Daraufhin wurde er von den Nazis festgenommen und wegen „Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung“ vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. In der Nacht vom 7. auf den 8. September wurde er in Berlin-Plötzensee gehängt. (Weiter Infos zu Kreiten: www.labournet.de/diskussion/rechten/allg/kreiten.html) An solche Menschen und was ihnen widerfahren ist wollen wir erinnern. Außerdem passt der hochbegabte Pianist Kreiten wesentlich Besser zum musikalischen Anspruch des Hauses als ein Herr Abs der nur mit seinem Geld klimpern konnte. Bevor wir nun vergeblich darauf warten, dass der Verein des Beethovenhauses und die Stadt unserer Forderung nach Umbenennung nachkommt, haben wir nach einer Rede, die Umbenennung mit einem Schild selber durchgeführt.

Zweite Station unser Innenstadtkundgebung war die Rheinische Friedrich-Wilhelms Universität Bonn. Auch dort gab es Täter; Professoren und Studierende hissten Hakenkreuzfahnen und verbrannten auf dem Marktplatz Bücher von jüdischen und antifaschistischen AutorInnen. Zu den Opfern gehörten zahlreiche Menschen, die nicht ins nationalsozialistische Weltbild passten, wie z.B. der Mathematiker Felix Haussdorff oder der Zahnmediziner Wolfgang Kirchhoff. Allerdings gab es auch Widerstand im universitären Raum gegen das Nazi-Regime. Dazu gehörte die illegal arbeitende kommunistische Widerstandsgruppe um den Geschichtsstudenten Walter Markov. Ihnen gelang es eine Zeitung mit dem Titel „Sozialistische Republik“ zu erstellen und zu verteilen. Die Gruppe wurde 1935 verhaftet und Walter Markov wurde am 4. Mai 1936 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, die er bis zur Zerschlagung von Nazideutschland in Siegburg absaß. (Weiter Infos zu Markov:  http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Markov)
Um an die Verfolgten und Widerstand leistenden Menschen an der Uni Bonn zu erinnern, weihten wir an diesem Abend eine kleine Stele ein, auf der die Namen dieser Menschen stehen.

Letzte Station der Kundgebungsreihe war der Bonner Hauptbahnhof. Dort erinnerten wir mit einer Rede und Bildern an das Schicksal der über 11.000 Kindern, die unter Beteiligung der Deutschen Reichsbahn in die Konzentrationslager deportiert wurden. Die Konzernspitze des „Reichsbahn“-Nachfolgers, Deutsche Bahn AG, weigert sich schon lange mit fadenscheinigen Begründungen, Fotos und Dokumente über die Verschleppung der Kinder auf dem deutschen Schienennetz in den Bahnhöfen Auszustellen. Unter anderem seien die Ausstellungsforderungen der „Initiative 11.000 Kinder“ (Mehr Infos:  http://german-foreign-policy.com/de/extra/11000kinder/berichte.php) unternehmensschädlich, da sie Zusammenhänge zwischen der deutschen Reichsbahn und dem Nachfolgeunternehmen Deutsche Bahn AG herstellen würden. Allerdings sind diese Zusammenhänge unzweifelhaft bereits in den 60er Jahren von Gerichten und Historikern bestätigt worden, da kriminelle NS-Führungskader der Reichsbahn den Wiederaufbau des deutschen Bahnunternehmens bestimmt haben. Wenn der Bahnchef Mehdorn in Stellungnahmen verlautbaren lässt, dass die Darstellungen der Kinderschicksale auf deutschen Bahnhöfen zu unterbleiben haben, entgegnen wir ihm, dass wir den Opfer des Nationalsozialismus überall und angemessen Gedenken werden.

Die drei Innenstadtkundgebungen zum 9, November war bisher einer der erfolgreichen Höhenpunkte der Kampagne „Gedenken verteidigen – 9. Nov. 1938 – 9. Nov. 2006“, welche noch bis zum 14. November läuft. Mit zahlreichen gutbesuchten Vorträgen wie die Buchvorstellung von Julia Hildt „ZwangsarbeiterInnen in Bonn“, „Geschichte und Ursache des Antisemitismus“, „Ich musste nach Deutschland um zu überleben…“ vom ehemaligen Zwangsarbeiter bei der I.G.-Farben Berl Kostinski oder „ Lebensgeschichte einer Beuler Jüdin“ von Margot Barnard. Die Ausstellung „… von Anilin bis Zwangsarbeit“ I.G.-Farben – Der Weg eines Monopols durch die Geschichte“ zeigen wir noch bis zum 14. Nov. im Kult 41. Zwei weitere Veranstaltungen, ein Konzert mit Esther Bejarano & Coincidence am 12. Nov. und „Edelweiß – Mein Leben als Widerstandskämpferin“ von Getrud „Mucki“ Koch am 14. Nov. stehen noch aus.
Mehr Infos zu den Veranstaltungen und zur Kampagne findet ihr unter: www.gedenken-verteidigen.de.vu.

„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Kein Vergeben und kein Vergessen!
Gedenken verteidigen!


Eine Kampagne von:
Bonner Initiative 9. November
Antifa Bonn/Rhein-Sieg
Buchladen Le Sabot
Kultur- und Arbeitsgruppe Erinnern und Gedenken

Unterstützt durch:
DKP Bonn/Rhein-Sieg
Pahl-Rugensteinverlag
Antiquariat Walter Markov
Freidenker Bonn
FAU Bonn
Grüner Zweig
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Ergänzungen

Flugblatt zu Gedenkveranstaltungen in Bonn

antifa 11.11.2006 - 16:06
Ein Flugblatt der Bonner Antifa-Gruppe "Never Again!" zu den Bonner Gedenkveranstaltungen findet sich unter  http://neveragain.antifa.net