Arbeit oder Grundeinkommen?

Torben Klimmek 01.11.2006 23:26 Themen: Soziale Kämpfe
Geht dem Kapitalismus tatsächlich die Arbeit aus? Dies wollen uns zumindest mehrere jüngst zu diesem Thema erschienene Bücher und Artikel weismachen. Im folgenden nun einige Gedanken zur Arbeit und zum Grundeinkommen.
Im Kampf gegen den neoliberalen Zeitgeist muss die Linke grundsätzlich eine Antwort auf die Frage nach der Zukunft der Arbeit finden. Diskutiert werden momentan zwei Lösungsvorschläge:

1.) Die aus dem Produktionsprozess Verdrängten sollen mittels einer staatlichen Grundsicherung alimentiert werden, da Vollbeschäftigung aufgrund der hohen Produktivitätsrate nicht mehr möglich ist bzw. nicht gewollt ist, um eine „industrielle Reservearmee“ zwecks Unterdrückung der Arbeitnehmer zu halten. 2.) Jedes Mitglied der Gesellschaft soll das Recht auf eine menschenwürdige Beschäftigung erhalten, denn Vollbeschäftigung ist durchaus möglich.

Ich hänge dem zweiten Lösungsvorschlag an. Dem Kapitalismus geht die Arbeit nicht aus, auch wenn dies mehrere jüngst erschienene Bestseller suggerieren mögen. Die deutsche Entwicklung mag dem auf den ersten Blick widersprechen. Doch weist beispielsweise Albrecht Müller darauf hin, dass die Entwicklung in anderen Ländern wie Schweden, Österreich, Niederlanden und auch schließlich den USA anders verlaufen ist. Es hängt letztlich von der jeweiligen Beschäftigungspolitik ab. So konnte beispielsweise unter Helmut Kohl die Arbeitslosigkeit zwischen 1988 und 1991 aufgrund des Wiedervereinigungsbooms von 6,2% auf 4,2% gesenkt werden. Dieser Boom wurde dann 1992 durch politische Maßnahmen wie der Erhöhung des Diskontsatzes von 2,9 auf 8,75% durch die Bundesbank abgewürgt.

Natürlich nimmt die Produktivkraftentwicklung weiterhin zu, wie auch der Trend Menschen durch Maschinen und Computer zu ersetzen. Doch betrifft dies in erster Linie die industrielle Produktion, während der Bedarf an Dienstleistungen steigt, nicht zuletzt im sozialen Bereich, wo die Opfer der Hochtechnologiegesellschaft verarztet werden. Laut Analysen von Arbeitsmarktforschern werden insbesondere im medizinischen Sektor durch entsprechenden Fortschritt und steigendes Alter der Menschen in den nächsten Jahren viele Arbeitsstellen entstehen. Des Weiteren kann man auf den Rückgang des Arbeitsvolumens statt mit Massenentlassungen auch mit der Verringerung der Arbeitszeit reagieren. Genau dies wollen aber die herrschenden Eliten nicht. Denn die „industrielle Reservearmee“ ist ein geeignetes Mittel, um die Beschäftigten klein zu halten.
Auch wenn im industriellen Sektor gänzlich alle Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, heißt das immer noch nicht, dass die so genannten Freigesetzten keine Arbeit mehr finden können. Sozialdarwinisten mögen hier einwenden, dass diese Menschen zu höher qualifizierten Tätigkeiten nicht taugten. Dem kann ich nur entgegenhalten, dass wir mit dem Ausleseprozess dann aber zunächst bei unseren „mangelhaften Eliten“ ansetzen sollten. Der Fisch stinkt ja bekanntlich vom Kopfe her.

Das dem Kapitalismus die Arbeit ausgeht, ist ein neoliberaler Mythos, auf den leider Gottes viele Linke hereingefallen sind, wie übrigens auch auf andere Mythen wie z.B. dem der Notwendigkeit von Privatisierungen (s. entsprechende Politik der Linkspartei.PDS in Berlin oder Dresden). In unserer Gesellschaft fällt genügend Arbeit an.

Ich wohne in Barmbek/Hamburg, einem traditionellen Arbeiterviertel, das durch die Massenarbeitslosigkeit und Verelendungsprogramme wie Hartz IV besonders betroffen ist. So kann man das Elend besonders eindrücklich in der Hauptgeschäftstraße, der so genannten „Fuhle“ beobachten: Die „Unnützen“ belagern von früh bis spät Parkbänke und „Billigbäcker“, wo sie von 4,42 Euro pro Tag (der vorgesehene tägliche Hartz IV - Satz für Nahrungsmittel einschließlich Getränken sowie Tabak) ihren Kaffee schlürfen oder ihr Aldi – Bier zischen. Alte vereinsamte Menschen schleichen durch die Supermärkte und überlegen sich, was für eine Dosensuppe sie sich heute von ihrer mickrigen Rente leisten wollen. Jugendliche ohne Lehrstelle, meistens mit Migrationshintergrund, sorgen mit ihren tönenden Handys und „Hey - Dicka - Sprüchen“ für den blechernen „Drei – Groschen – Opern – Sound“ im Hintergrund. Von den Durchgeknallten ganz zu schweigen.
Kulturelle und soziale Angebote sucht man in diesem Stadtviertel mittlerweile vergebens. Was könnten in diesem Bereich für Arbeitsplätze entstehen! Ich denke z.B. an sozialpädagogische, psychologische, kulturelle, ökologische u. a. Tätigkeiten, aber auch an bauliche Maßnahmen zur Instandhaltung und Verschönerung des Stadtviertels, das aufgrund der öffentlichen Sparmaßnahmen zunehmend verkommt. Eine nicht geringe Anzahl von Menschen mit unterschiedlichem Bildungshintergrund könnte somit, selbstredend zum üblichen Tariflohn, beschäftigt werden. Diese Tätigkeiten werden nach wie vor meist abwertend als staatlich geförderte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf dem so genannten zweiten Arbeitsmarkt bezeichnet. Die zunehmende Bedeutung dieser Arbeitsplätze wurde noch nicht hinreichend erkannt. Denn die langfristige Entwicklung weg vom industriellen Arbeitsplatz hin zur Dienstleistung ist vorgezeichnet, obwohl man auch darüber diskutieren kann, ob nicht auch weiterhin Arbeitsplätze im industriellen Sektor entstehen werden. Denn wie Albrecht Müller sagt, „produzieren sich Automaten, Roboter und Computer immer noch nicht selbst“. Des Weiteren weist er darauf hin, dass es „Strukturveränderungen und Rationalisierungen in Folge des hohen Produktivitätswachstums in der BRD schon immer gegeben hat… In der Landwirtschaft, im Bergbau, in der Stahl-, Textil- und Schuhindustrie wurde stark rationalisiert. Tausende Arbeitnehmer verloren ihre Stellen. Doch Landwirte, Bergleute und Textilarbeiterinnen kamen in der Automobilindustrie, im Maschinenbau, in der Chemieindustrie unter. Ihre Söhne und Töchter wurden Informatiker, Lehrer etc…“
Übrigens wurden die erwähnten staatlich geförderten Maßnahmen ja fast gänzlich abgeschafft. Sie sollen nun durch den eingeführten „Reichsarbeitsdienst“ der Ein – Euro – Jobber oder durch das so genannte „Ehrenamt“ des am Gemeinwohl orientierten Bürgers ersetzt werden. Nach Meinung der Neoliberalen sollen die „Unnützen“ nun endlich selbständig werden und selbst Hand anlegen, d.h. der Hartz – IV - Empfänger soll seine Bierdose jetzt eigenhändig zur Mülltonne tragen. Die viel beschworene „Zivilgesellschaft“, die die US - Imperialisten im Zuge ihrer „Spreading – Democracy- Doktrin“ übrigens auch den Ex - Jugoslawen, Afghanen, Irakern und demnächst wohl auch den Iranern angedeihen lassen wollen, fordert von jedem seiner Mitglieder Eigenständigkeit, Eigeninitiative, Kreativität. Da fühlen wir Linke uns natürlich wahnsinnig bestätigt, verfügen wir ja im Schnitt über das hierfür nötige kulturelle Kapital, während der „Hauptschulproll“ immer nur nach Vater Staat ruft. Da ist er eben selbst schuld.

Die Unternehmen werden von sich aus keine neuen Arbeitsplätze schaffen. Auch die ins Gespräch gebrachten Kombilöhne werden dies nicht bewirken, sie werden vielmehr zur Zerstörung der normalen Arbeitsverhältnisse und zum Lohndumping führen. Letzteres wird auch das neoliberale Modell des „bedingungslosen Grundeinkommens“ bewirken.


Nach wie vor besteht eine aktive Arbeitsmarktpolitik in erster Linie darin, die Kaufkraft zu erhöhen und damit die Binnennachfrage breiter Bevölkerungsschichten zu steigern. Dies setzt vermehrt staatliche Investitionen, eine entsprechende Zins- und Steuerpolitik und natürlich eine vernünftige Lohnentwicklung voraus. Ferner muss der Staat in größerem Umfang als Arbeitergeber auftreten. Wir benötigen öffentlich rechtlich organisierte und finanzierte Beschäftigungsgesellschaften. Die öffentlichen Aufgaben sollen übrigens nicht durch mehr Schulden, sondern durch ein gerechtes Steuersystem finanziert werden.
Das „Recht auf Faulheit“ wurde 1883 von Paul Lafargue, dem Schwiegersohn von Karl Marx, ins Spiel gebracht. Doch müssen hier die historischen Umstände beachtet werden. Dieser Spruch, der auch von den Grünen propagiert wird, richtete sich nämlich in erster Linie gegen die damals herrschende Klasse, die dieses Privileg für sich in Anspruch nahm. Es ist doch abzusehen, dass bei Einführung eines so genannten Bürgergeldes die neoliberalen Kräfte in Kooperation mit den medialen Multiplikatoren dafür sorgen werden, dass die „Faulen“ ins gesellschaftliche Abseits befördert werden. Übrigens sehe ich auch nicht ein, warum ein Teil der Gesellschaft auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung leben soll. Dies wäre unsolidarisch. Dies gilt natürlich auch für die Millionenerben und andere Vermögensschmarotzer, die sich zu Lasten der Volkswirtschaft an der unproduktiven Kapitalspekulation bereichern. Der Staat muss das Recht auf Arbeit garantieren. Es muss sich natürlich um eine menschenwürdige und nach Tarif bezahlte Arbeit handeln, die der Arbeitnehmer bereits ist anzunehmen. Bei gleichzeitiger allgemeiner Arbeitszeitverkürzung bleibt für jeden genug Freizeit, um sich im Nichtstun zu üben.
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Ergänzungen

Welche Würde

tierr@ 03.11.2006 - 09:04
Jedesmal frage ich mich auf´s Neue, weshalb die "menschliche Würde" fast ausschließlich im Rahmen von Prouktionstätigkeiten innerhalb des militärisch-zivilen Komplexes verortet wird.
Was soll an Beschäftigungen würdevoll sein, die nur Waffen, Müll und Sondermüll, Elektroschrott,versaute Nahrungsmittel und eine zerstörte Natur hervorbringen?!

Weshalb wird stur davon ausgegangen, daß Menschen in der Situation eines gesicherten Grundeinkommens nicht in der Lage sind, den so gewonnenen, eksistenziellen Spielraum zu nutzen, um andere, sinnvolle und soziale Strukturen zu schaffen, die dieser barbarischn Zerstörung der Welt, die da als Fortschitt und Zivilisation bezeichnet wird, vielleicht zur Abwechslung mal einen globalen und sozialen Überlebensaspekt einfügt, aus dem heraus dann doch noch die so oft genannte "Andere Welt" in realisierter Form entstehen kann.

Ich sehe in der Perspektive Grundeinkommen einen immensen Handlungs,-und zeitlichen Raum, der mich sofort aktiv werden ließe, so er denn gegeben wäre. Davon auszugehen, daß alle Menschen, ohne Produktionstätigkeit und Überschuß, um Müll anzuhäufen, der sowieso nur verseucht und überflüssig ist, ohnmächtige, einfallslose Idioten sind, denen keine eigene, autonome Selbstorganisation mit anderen Inhalten einfällt,ist eine Position, die sich intensiv selbst hinterfragen sollte...

Von was, von welchem Bild der Menschenwürde und von welcher Ohnmachtsunterstellung und intellektuellen und/oder individuellen Abhängigkeit wird hier ausgegangen?!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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oder aber... — assel

ich wäre für... — Libertär

Arbeit ist Scheiße! — Pippi Langstrumpf

im prinzip — tagmata

Arbeit gibt es genug! — David Freyheyt

xyz — Pippi Langstrumpf

warum eigentlich nicht? — neugieriger