Goldene Regeln für den Mobilfunk-Streit

clara clarblic 01.11.2006 18:45
Wie man mit Mobilfunkgegnern diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren. - Der Beitrag liefert in der Praxis erprobte Hinweise für die Auseinandersetzung mit irrationaler Agitation, am Beispiel des in deutschen Kommunen stattfindenden Streits um Mobilfunkstationen. - Ein Leitfaden für Betroffene.
In deutschen Gemeinden und kleineren Städten haben sich Verwaltungsvertreter in den vergangenen Jahren zunehmend den Kampagnen von Bürgerinitiativen gegenübersehen müssen, die eine extrem kritische Einstellung zur Mobilfunktechnik vertreten.

Bürgermeister, gewählte Stadt- und Gemeinderäte, Kirchen, zu Mobilfunkgegnern kritisch eingestellte Bürger sind dabei zur Zielscheibe öffentlicher Angriffe geworden. Die Auseinandersetzungen finden im lokalen Umfeld, in der lokalen Presse und bei Bürgerversammlungen statt, weniger jedoch in den überregionalen Medien und Qualitätszeitungen. Den Gemeinderepräsentanten wird in stereotyper Weise vorgeworfen, den Ausbau der für die Mobilfunkversorgung notwendigen Infrastruktur kritiklos hinzunehmen. Dadurch werde eine behauptete gesundheitliche Beeinträchtigung der Bevölkerung in Kauf genommen.

- Das Volk wird krank und kränker -

Mobilfunkkritische Bürgerinitiativen (BIs) sehen sich durch Mobilfunk-Sendestationen einer allgegenwärtigen "Zwangsbestrahlung" ausgesetzt. Sie wähnen sich als Versuchskaninchen in einem "Großversuch" und glauben daran, dass Alltags- und Zivilisationskrankheiten durch Mobilfunkstrahlung verursacht werden. Nach ihrer Meinung verheimlichen öffentliche Stellen die wahren Ursachen für Kopf-, Glieder- und Gelenkschmerzen, für Verhaltensprobleme, für psychische Leiden, für Nervenleiden und für Krebserkrankungen. Mobilfunkgegner glauben, daß sich Krankheiten allr Art und sogar Mortalitäten seit der Einführung der Mobilfunktechnik häufen. Sie verbreiten diese unbewiesenen Annahmen wie eine Tatsache.

Gemeindevertretern, die nicht im Sinne der Mobilfunkgegner spuren und etwa aufforderungsgemäß die Baugenehmigung für eine Sendestation verwehren, wird deswegen gemeinsame Sache mit den Mobilfunk-Betreiberfirmen vorgeworfen.

Die Vorwürfe kommen in moralischer Attitüde daher und dienen dem Zweck, ein allgemeines Klima der Lebensbedrohung in der Bevölkerung zu verbreiten. Mobilfunkantennenstationen sollen deswegen versetzt werden oder ganz verschwinden. Auffallend ist jedoch, dass es kaum Gemeinden gibt, in denen die Suche nach alternativen Standorten je zur Zufriedenheit der Mobilfunkgegner gelöst worden wäre. Die Kampagnen gehen oft auch dann weiter, wenn Teilerfolge im Sinn der BIs erzielt worden sind.

Es ist für städtische Vertreter sehr wichtig, von Anfang an passend und konsequent zu reagieren, wenn sie sich Anschuldigungen und Aktionen der genannten Art gegenübersehen. Im folgenden Beitrag werden Verhaltens- und Strategiehinweise darüber gegeben, wie sich Angegriffene gegenüber den verschwörungstheoretisch gefärbten und unsachlichen Anfeindungen der Mobilfunkgegnerschaft verhalten können. (Der Beitrag geht von der Annahme aus, daß es sich bei den Behauptungen über Gefahren der Mobilfunkstrahlung um Hirngespinste handelt, weil dafür keine schlüssigen Beweise vorliegen.)

- Den Anfängen wehren -

Da Mobilfunk-BIs die Informationen zum Themenkreis Mobilfunk und biologische Strahlenwirkung prinzipiell einseitig und tendenziös selektieren, um daraus ihr Bild von den angeblichen Gefahren des Mobilfunks zu destillieren, muss immer wieder daran erinnert sein, dass die Informationen die von Mobilfunk-BIs geliefert werden grundsätzlich kein objektives Bild zeichnen.

Mit besonderer Sensibilität, aber dabei offensiv und selbstbewusst nach dem Motto "Wehret den Anfängen!" sollten sich Betroffene intensiv mit der äußeren Form auseinandersetzen, in der Mobilfunkgegner ihr Ansinnen vortragen. Dies betrifft vor allem die häufig zu beobachtende fachliche Anmaßung, die zutage tritt, wenn wissenschaftliche Studien einseitig und in alarmistischer Weise von Laien "interpretiert" werden. Weiterhin ist ein aggressiver Moralismus zu beobachten, der in öffentlich vorgetragene Beleidigungen ausarten kann.

Sämtliche Aussagen, die einen fachlich anmaßenden Charakter haben, sollten unmissverständlich bezüglich der dahinterstehenden Legitimation hinterfragt werden. Es muss bei allen Behauptungen die Qualifikation des Aussagenden klargestellt werden. Kann der Aktivist die wissenschaftlichen Studien beurteilen, die er zum Beweis seiner Thesen ins Feld führt? Kann er nachweisen, über wirklich alle wissenschaftlichen Studien zur Sache informiert zu sein? Ist er in der Lage, diese nach wissenschaftlich stichhaltigen Kriterien einzuordnen? Man muss deutlich machen, daß man die Diskussion wissenschaftlicher Ergebnisse bei Fachleuten besser aufgehoben sieht als bei einseitig orientierten Mobilfunk-Aktivisten.

Weiter ist der zumeist moralische Impetus, unter dem die einschlägigen BIs antreten, bloßzustellen. Auch hierbei geht es noch nicht um den Inhalt der Vorwürfe, sondern zunächst um das Hinterfragen der moralischen und gesellschaftlichen Legitimation der mobilfunkkritischen Gruppe. Gerne werden Unterschriftenlisten vorgelegt der Art "500 Bürger wenden sich gegen neuen Funkmast". Die übrigen 5.000 oder 50.000 jedoch nicht. Dieses Missverhältnis muss deutlich gemacht werden.

Nicht geht es darum, den Mobilfunkgegnern gegenüber die "richtige" Moral durchzusetzen. Sondern man sollte begreiflich machen, daß sich sachliche Erörterung und erhobener Zeigefinger nicht miteinander vertragen. Die Anschuldigung an die Adresse eines Gemeindevertreters, er sei potentiell für die Erkrankung von Mitbürgern verantwortlich, bedeutet, daß der Anschuldigende sich auf ein moralisch erhöhtes Podest stellt, das ihm nicht zusteht. Bevor man sich also bereit erklärt, den Inhalt der Anschuldigungen anzuhören, sollte man den moralisierenden Hochmut des Gegenüber direkt thematisieren. "Sie deuten mit dem Finger auf mich, unter diesen Umständen ist ein Dialog mit Ihnen nicht möglich", so lautet die Maxime in dieser Phase des Gespräches.

Es ist für einen Sprecher der Verwaltung immens wichtig, sich konsequent jedweden Angriff auf die eigene Person wie auch auf irgendeine andere Person zu verbitten. Angriffe auf Personen, aus historischer Sicht das klassische Mittel des Rechtspopulismus und -extremismus, sind in Form von anonymen Briefen und verbalen Ausfälligkeiten vorgekommen. Persönliche Angriffe sind häufig Begleitmusik zu den mobilfunkkritischen Aktionen. Dieser Aspekt muss mit besonderer Akribie beobachtet werden. Beleidigende Leserbriefe sollten mit einer summarischen Gegenantwort bedacht werden, wodurch die Form der Beleidigung selbst kritisiert wird. Es sollte kategorisch und unmissverständlich erklärt werden, dass eine sachliche Auseinandersetzung mit Leuten, die persönlich beleidigen, herabsetzen oder unterstellen, von Anfang an nicht zugestanden wird.

Es muss bei den Mobilfunkkritikern der Teil ihrer Motivation, der irrationaler Natur ist, herausgearbeitet und bloßgestellt werden. Und der Beginn der Kommunikation ist oftmals die wichtigste Phase der Auseinandersetzung. Hier entscheidet sich die weitere Qualität der gesamten Begegnung.

Ein Senatsmitglied etwa, das schon von Beginn an im Dialog mit der BI deren schlechte Manieren einreißen lässt und unter moralischem Druck Zusagen macht, die nicht eingehalten werden können, wird sich bald im populistisch vergifteten lokal-medialen Sperrfeuer mobilfunkkritischer Eiferer wiederfinden. Diese haben nämlich sensible Antennen für Schwäche und nicht einhaltbare Zusagen (die sie als gebrochene Versprechen interpretieren). Sie reagieren darauf mit Respektlosigkeit und der öffentlichen Brandmarkung angeblicher Inkompetenz ihrer offiziellen Gesprächspartner.

Durch eine von Beginn an konsequente, gezielt formale Kritik an jedweder Tendenz zu Anmaßung und Unterstellung nimmt man jedoch den Eiferern unter den Kritikern mittelfristig den Wind aus den Segeln. Das kann bis hin zu der Mitteilung führen, dass man das Gespräch mit Personen, die verhaltensauffällig geworden sind, kategorisch zurückweist. Dadurch verschafft man sich Respekt.

Die Vernünftigen unter den BI-Mitgliedern werden sich nach einiger Zeit unwohl und deplaziert fühlen unter dem medialen Diktat von Wortführern, die immer wieder mit ihren schlechten Manieren auffallen, jedoch für die Initiative nichts voranbringen. In dieser frühen Phase Flagge zu zeigen bedeutet also auch, denjenigen Kräften innerhalb der Initiativen zu helfen, die lösungsorientiert denken und es mit Argumenten und Dialog versuchen, statt mit Schuldzuweisung und moralisierendem Druck.

- Die Kosten oder Das Prinzip Verantwortung -

Es ist ratsam, vom Anbeginn der Auseinandersetzungen an eine Buchführung zu pflegen, mit der die Kosten der Aktionen um den Mobilfunk akribisch festgehalten werden und präsentiert werden können.

Bürgerversammlungen, Treffen, Plakate, Einladungen an Experten, Mitteilungen im Gemeindeblatt, Gutachten, Recherchen, Einsätze städtischer Mitarbeiter, Meßkampagnen - alle diese Maßnahmen binden Verwaltungspersonal und kosten Geld. Ganz zu schweigen von den Veränderungen städtischer Bauplanungen, oder von Zuschüssen, die fällig werden könnten, wenn etwa ein Funkmast an einen anderen Platz versetzt werden soll.

Diese Kosten, die sich auch in einer kleineren Gemeinde schnell zu einem fünf- und sechsstelligen Betrag addieren können, verhindern Maßnahmen an anderer Stelle. Sie schmälern die Verfügungsmasse für den sozialen Bereich, für das neue Feuerwehrgebäude, das Jugendzentrum, den Kindergarten. Sie erhöhen in letzter Konsequenz den Schuldenstand der Kommune.

Mobilfunk-Bürgerinitiativen sollten über Kosten, die die von ihnen gewünschten oft nur marginalen Änderungen einiger Funkmast-Standorte mit sich bringen, stets öffentlich auf dem Laufenden gehalten werden.

- Unheimliche Begegnungen oder Auf Tuchfühlung mit dem mobilfunkkritischen Soziotop -

Bei öffentlichen Veranstaltungen zum Thema Mobilfunk sollte man darauf achten, dass diese ausgewogen besetzt sind. Mobilfunkaktivisten neigen dazu, für die von ihnen organisierten Symposien einseitig ihnen gewogene Podiumsteilnehmer zu laden und Sympathisanten zu mobilisieren, die den eigenen mobilfunkkritischen Ansichten zuneigen. Sympathisanten reisen auch von weit her an, majorisieren die lokale Bürgerversammlung und sorgen als erfahrene Streiter für "Stimmung", indem sie zum Beispiel als "Elektrosensible" nicht nachprüfbare Opfergeschichten zum Besten geben und die hiesigen Zustände mit anderen Gemeinden vergleichen, wo angeblich alles viel besser gelaufen sein soll.

Der Zweck dieser Bemühungen besteht darin, unter den ortsansässigen Bürgern ein Klima des Misstrauens, der Angst und der Unsicherheit zu erzeugen. Wo dies gelingt, gestalten sich Versammlungen bisweilen zu Tribunalen aus. Es drängen dann Bürger an die Mikrofone, die ihrem angestauten Frust über Politiker und überhaupt die Politik im Allgemeinen Luft verschaffen. Wo sich alle zwangsbestrahlt fühlen, entsteht ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das durch die gemeinsam gewähnte Bedrohung gespeist ist.

Es ist dann wichtig, den schädlichen Einfluss der Angsterzeugung deutlich zu benennen. In einem Klima der Angst nämlich ist sachliche Erörterung nicht mehr möglich, sondern es entsteht im Gegenteil der Raum für totalitäre Ansichten und entsprechend motivierte Einpeitscher.

Wer in einer solchermaßen aufgeheizten Stimmung den dann nur noch schmalen Freiraum für rationales Denken bewahren will, der sollte jede weitere Erörterung in der Sache verweigern und zunächst auf Rückkehr zu einem angstfreien Diskussionsklima bestehen, also wiederum konsequent den äußeren Zustand der Auseinandersetzung zum Gegenstand seiner Kritik und Beiträge machen. Ist jedoch erst die Atmosphäre entsprechend aufgeheizt, wird dies zum schwierigen Unterfangen. Die Versammlung hat sich nämlich für die entsprechend motivierten Teilnehmer in einen Ort kathartischer Entlastung von Frust und Ärger verwandelt.

Mit wohl keinem Argument der Welt wird der nachdenkliche Skeptiker dann noch durchkommen. Einen rechthaberischen Streit um die richtige Auslegung einer wissenschaftlichen Studie etwa sollte man dann gänzlich vermeiden. Er wäre nutzlos.

Aus der Kenntnis über die Mechanismen heraus, nach denen mobilfunkkritische Bürgerversammlungen bisweilen ablaufen, lässt man sich also nicht in Diskussionen hineinzwingen, in denen man einer Übermacht des gegnerischen und einseitig motivierten Lagers ausgesetzt ist.

Man zieht sich dennoch nicht heimlich und defensiv zurück, sondern man vertritt offensiv, warum man solchermaßen einseitig befeuerte Runden ablehnt und warum man auf Parität wert legt. Besser noch: Man weist die aktive Teilnahme an Veranstaltungen, die propagandistischen Charakter haben, grundsätzlich und von Beginn an zurück, räumt sich aber einen Beobachterstatus ein. Man stellt diese Haltung öffentlich klar und scheut sich wiederum nicht, im Nachhinein durchaus öffentlich sein eigenes Fazit zu ziehen.

Nach einer Veranstaltung sorgt man also stets für eine eigene informative Nachbereitung, etwa durch einen Artikel im städtischen Mitteilungsblatt, schon um das Feld nicht den einseitigen Stellungnahmen der Mobilfunkgegnergruppen zu überlassen. Und es ist darüber hinaus lohnend, stets das Gespräch mit örtlichen Chefredakteuren, Parteivertretern und erreichbaren Fachleuten zu pflegen und Kontakt zu halten. Politiker wissen ohnehin um den Wert der Kontaktpflege.

- Ängste ernst nehmen und Vertrauen gewinnen -

Schwierig, weil besondere Sensibilität erfordernd, gestaltet sich oftmals der Umgang mit Argumenten, die sich auf angebliche persönliche Betroffenheiten stützen. Dabei wird aus einer Opferrollen-Position heraus eine besondere "Elektrosensibilität" reklamiert und auf Krankheiten verwiesen, die angeblich durch den Funkmast in der Nachbarschaft verursacht worden sein sollen. Es gibt Bürger und Bürgerinnen, die angeblich nur noch im Keller schlafen können, weil im Erd- und Obergeschoss die Mobilfunkstrahlung zu hoch sein soll. "Elektrosensible" Personen, die endlich, nachdem sei auf ihrem Grundstück einen meterhohen, tausende Euro teuren Abschirmzaun aufgestellt haben, wieder ruhig schlafen können. Menschen, die von sonderbarem Verhalten ihrer Kinder berichten. Und so fort.

Mobilfunkgegner versuchen, solche Berichte als "Beweise" für ihre These von der gesundheitsgefährlichen Mobilfunktechnik darzustellen. "Auch in unserer Gemeinde also!"

Um der aberwitzigen These von einer allgemein durch Mobilfunk verursachten Volkserkrankung einen "wissenschaftlichen" Anstrich zu verschaffen, werden auf den Veranstaltungen der Mobilfunkgegner vorgebliche "Spezialisten" aufgeboten, deren Studien und Statistiken sich in der Regel jedoch als rundheraus anzweifelbar darstellen.

Das Schema ist stets das Gleiche: Alle möglichen Zivilisationskrankheiten, die jedermann kennt, werden zu einem "neuartigen Krankheitsbild" zusammengefasst, das durch Mobilfunk verursacht sein soll. Auf diese Weise verwandelt sich jeder Versammlungssaal automatisch in eine Gemeinschaft "Betroffener", und die Stimmung entwickelt sich entsprechend. Hinweise darauf, dass diese Krankheiten allesamt auch schon vor dem Auftreten der Mobilfunktechnik existent waren, werden mit wolkigen Hinweisen auf "Steigerungsraten" und "zunehmende Allergien" usw. gekontert.

Dabei wird geflissentlich außer acht gelassen, dass sich im Zuge der revolutionären medizinisch-diagnostischen Verbesserungen und der damit einhergehenden Früherkennung in allen Fortschrittsländern zwangsläufig "Steigerungsraten" einstellen mussten und müssen, die natürlich in früheren Perioden nicht messbar gewesen sind - mangels Daten, mangels Erkenntnis. Dass sich jedoch, parallel zu den "Steigerungsraten", gleichzeitig eine stetige Zunahme der Heilungschancen und der allgemeinen Lebenserwartung feststellen lässt, ist den Mobilfunkgegnern und ihren Spezialisten keine weitere Denkfalte wert.

Für die Situation vor Ort muss also beachtet werden, daß oftmals in der Tat Krankheiten feststellbar sind. Und demzufolge ist es schon alleine aus menschlichem Erwägen heraus notwendig, Menschen, die über ihre Krankheiten berichten, anzuhören und ernst zu nehmen.

Ein Stadtbediensteter sollte jedoch stets auf die seiner Funktion angemessenen Grenzen hinweisen. Er kann weder Therapeut noch Arzt noch Wissenschaftler sein. Deswegen sollten aus falscher Fürsorgepflicht heraus gegebene Versprechungen wie auch als anmaßend empfundene Mitteilungen mit Aufforderungscharakter ("Suchen Sie einen anderen Arzt auf!") unterbleiben. Man sollte sich vergegenwärtigen, daß die selbstgewähnten Opfer in der Tat leiden. Daß sie durchaus Angst verspüren und sich alleine gelassen fühlen. Die Ursachen für dieses Lebensgefühl mögen an ganz anderer Stelle liegen, aber die Überzeugung vom Mobilfunk als Ursache allen Übels mag in der augenblicklichen Lebensphase nun einmal so etwas wie ein seelischer Anker sein.

Diesen Menschen eine Gesprächsbrücke zu bauen, stellt wohl die eigentliche Herausforderung dar. Es könnte sich im Einzelgespräch als nützlich herausstellen, auf die zahlreichen theoretischen Bedrohungen hinzuweisen, denen sich der moderne Mensch tagtäglich gegenübersieht und die ihn im Schnitt dennoch weit über 70 Jahre alt werden lassen. Dies ganz im Gegensatz zu früher, als es weder Mobilfunk noch Mikrowellenherde noch Stromleitungen in den Wänden gegeben hat.

Man sollte gegenüber ängstlichen Menschen immer wieder erwähnen, daß es zwar theoretische und auch reale Risiken im modernen Leben gibt, daß es aber darüber hinaus leider auch Menschen gibt, die die statistisch immer und für jede Lebenslage ermittelbaren Risiken in bedrohlich klingende Angstszenarien zu verwandeln trachten und dann propagieren.

Es muss an das Selbstwertgefühl und an den Mut ängstlicher Menschen appelliert werden, sich nicht für die Angstkampagnen von Eiferern missbrauchen und sich von diesen benutzen zu lassen. Ängstliche Menschen sind dann in der Tat Opfer. Nämlich solcher Personen, die aus welchen Gründen auch immer die Ängste ihrer Mitbürger, ihrer Kollegen, bisweilen sogar ihrer Freunde schüren. Es ist in vielen Fällen die Angst selbst, die krank und dann abhängig vom Urteil anderer Menschen macht.

Ängstliche Menschen, denen man zeigt, daß man ihre Ängste ernst nimmt, bemerken diese ihnen ungewohnte Form der Zuwendung sehr wohl und fühlen sich dann beachtet. Das wiederum schwächt die Einflussmöglichkeiten irrational agitierender Eiferer. Es liegt hier wohl der Schlüssel für nachhaltig wirksames Vorgehen gegenüber Extremismus und Sektiererei überhaupt. Es geht um menschliche Zuwendung, um Ernstnehmen und Aufmerksamkeit, also um Respekt gegenüber der aus welchen Gründen auch immer verängstigten Person.

Vielleicht gehört diese Einsicht in das Stammbuch des Gemeindevertreters. Irrationale Ängste im Gefüge der örtlichen Bevölkerung wird es wohl immer geben. Ein Übermaß aber, das den sozialen Frieden schädigt, hat nur vordergründig die Mobilfunksender zur Ursache. Der wahre Grund dürfte in einer Beschädigung des Dialogs und in einem Gefühl erlebter Missachtung und Demütigung begründet liegen. Herauszufinden, was wirklich dahintersteckt, ist eine Aufgabe der Gemeindespitzen, der sozialen Institutionen, der Kirchenvertreter oder engagierter Bürger vor Ort.

Auch wenn also der Mobilfunk als Verursacher allen Leidens und Unfriedens entfällt (wofür die Ergebnisse des Löwenanteils aller wissenschaftlichen Studien nun einmal sprechen), so sind Gemeindevertreter, die ernstgenommen werden wollen, dennoch nicht entbunden von der Pflicht, den Ursachen des chronischen Unfriedens und Misstrauens auf den Grund zu gehen.

Die Gegenwart einer aggressiven Anti-Mobilfunk-BI kann ein Indiz für ein auch sonst existentes Misstrauen gegenüber der Stadt- oder Gemeindespitze sein. Oder anders rum: Ein in sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht intaktes Gemeinwesen ist normalerweise immunisiert gegen die Majorisierungsversuche irrationaler Eiferer.

Konzepte, die die langfristige Mitarbeit der Bürger vorsehen, haben deswegen den Charakter einer Prävention. Wo offene Auseinandersetzung von Beginn an möglich ist, haben das verschwörungsverhaftete Munkeln und Raunen, von dem letztlich nur Eiferer und Populisten profitieren, langfristig wenig Einfluss. Bürgerbeteiligende Einrichtungen wie Agenda 21, Bürgerforen, städtisches Marketing, wo die regelmäßige Einberufung von Bürgerräten und Versammlungen vorgesehen ist, sollen in diesem Zusammenhang erwähnt sein.

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Lesehinweis zum Vertiefen: Eine grundsätzliche Darstellung des Wirkens der Mobilfunkgegnerszene wird in dem Beitrag von Moribund Burgermeister "Das Erzeugen von Angst als Methode" geschildert, siehe:  http://de.indymedia.org/2006/09/156648.shtml
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Ergänzungen

Verschwörungsdeutsch

Ergänzer1 23.11.2006 - 19:44
Ein Wort zur in der Mobilfunkgegner-Szene üblichen Sprache:

Formelhafte Ausdrucksweisen wie "Interessierte Kreise" und "Lobby", "im Dienst der Lobby" usw. werden in der Mobilfunkgegnerszene gerne und ausgiebig gegenüber Andersdenkenden benutzt. Man begegnet diesen Stereotypen dort sehr oft.

Diese Formeln sind, was ihren ursprünglichen Einsatzzweck betrifft, antisemitische Stereotype.

Sie dienen der Herabsetzung und Denunziation. Sie sollen die Auseinandersetzung mit dem Argument, mit dem Wort, von vornherein ersticken.



Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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reines Kalkül

Eiferer 02.11.2006 - 20:48
Diese Anleitung zur Bekämpfung von Bürgerinitiativen könnte man sogar auf die Diskussion um Kernenergie umbauen...
Nur wozu sollte der Leser denn dieser Anleitung folgen? Um für die Mobilfunknetzbetreiber zu arbeiten, oder sollte man vielleicht etwas unvoreingenommener vorgehen lieber  klarblick@arcor.de ?

Kulturkritischer Beitrag

AlanWoern 02.11.2006 - 21:17
Kulturkritische Beiträge dieser Art tun Not.

Die Diskussionskultur in der Antimobilfunkszene ist von Ahnung und Verschwörerton geprägt. Es ist ein denkfaules, wissenschafts- und intellektuellenfeindliches kleinbürgerliches Bauchgrimmen, das sich da Luft verschafft.

Ich empfehle einen Besuch einer entsprechenden Gemeindeversammlung in der Provinz. Da erlebt man Deutschland privat.

Hier ein live-Einblick:  http://www.fuldaerzeitung.de/sixcms/detail.php?id=160846