Berlin: Kodierte PolizeizeugInnen vor Gericht

Zuschauerin 26.10.2006 01:00 Themen: Repression
Das Verwaltungsgericht Berlin verhandelte die Anonymisierung von PolizeizeugInnen vor Gericht und stellte allerhand Rechtsbrüche in der Praxis des Innensenats und der Polizei fest. Die Entscheidung folgt erst innerhalb der nächsten zwei Wochen.
Heute, 25.10.2006, fand im Verwaltungsgericht Berlin ein Verfahren statt, indem geklärt werden sollte, ob die Identitätsverschleierung von PolizistInnen in Strafverfahren zulässig ist. Geklagt hatte Christian S., der aufgrund von Aussagen dreier unbekannt gebliebener LKA-Beamter, im Januar 2006 zu einem Jahr ohne Bewährung wegen Landfriedensbruch, verurteilt wurde.
Christian war am 13. Februar 2005 bei Gegenprotesten zu einem Naziaufmarsch in Dresden festgenommen worden und blieb bis zu seiner Verurteilung Anfang 2006 in Untersuchungshaft. Seit dem muss er sich dreimal die Woche bei der Polizei melden.

Der Strafprozess gegen ihn und die weitere Angeklagte Leila, hatte aufgrund der Zeugen, die z.T. verkleidet und nur als Nummer statt mit Namen im Gericht auftauchten, für viel Aufmerksamkeit gesorgt ( http://freechristian.gulli.to). Der Innensenat Berlins hatte per Sperrerklärung ( http://www36.websamba.com/Soligruppe/data/verwaltungsgericht_sperrerklaerung.htm) die Anonymisierung der LKA-Beamten vor Gericht angeordnet, da Gefahr für deren Arbeit und Gesundheit bestünden, würden ihre Namen bekannt werden. Weiterhin wurde auch die Aussagegenehmigung so stark eingeschränkt, dass die Zeugen fast ausschließlich ihre bereits vorliegenden zeugenschaftlichen Äußerungen wiederholten.
Das Geheimhaltungsinteresse wurde über das Recht des Angeklagten, die Glaubwürdigkeit der Zeugen überprüfen zu können, gestellt. Da dies nach der Strafprozessordnung unzulässig ist bzw. die Kriterien für diese Anonymisierung im jeweiligen Einzelfall nicht vorlagen, klagte Christan noch während des Prozesses auf die Preisgabe der Zeugen, was zunächst vom Verwaltungsgericht (Ende November 2005) und später dann auch vom Oberverwaltungsgericht (Ende Dezember 2005) abgelehnt wurde. Das heutige Verfahren war die Verwaltungsgerichtliche-Berufung, die daher angestrengt wurde. Erstmalig mit Befragung des Klagestellers und der Beklagten Behörde.

Im Verwaltungsgericht eingefunden hatten sich fünf Richter (Vorsitz Dr. Rueß); Julia Beckel (Oberregierungsrätin) und Herr Kalus (AG Rechtsaufsicht) auf der Seite des beklagten Innensenats; Christian und seine Anwältin Studzinsky als Kläger. Etwa zehn Personen saßen in den Zuschauerrängen: Pressevertreter, LKA-Beamte, Abgeordnete und Schaulustige.

Beckel erklärte als Vertreterin des Innensenats, dass sie den Auftrag hätten das „Wohl des Landes Berlins“ zu wahren. Gegenüber den Bediensteten besteht als oberste Verwaltungsbehörde eine Fürsorgepflicht. Dazu gehört auch, dass die tätigen Polizeibeamten ungestört ihrer Arbeit nachgehen können und ihren Einsatzwert nicht verlieren, nur weil sie mal vor Gericht erscheinen müssen.

Angeregt durch die Pressemeldungen im Vorfeld, war für das Gericht zunächst strittig, was überhaupt verhandelt werden sollte, schließlich umfasste die Sperrerklärung des Innensenats nicht nur das Verschweigen der Namen, sondern auch Hinweise zur Aussagegenehmigung (gesetzlich vorgeschriebene Aussageverweigerung für Geheimnisträger) und zur Identitätsverschleierung mit Hilfsmitteln.
Nach Meinung des Gerichts hatte der Innensenat damit seine Kompetenzen überschritten. Die Fürsorgepflicht für die Polizeibeamten obliegt nämlich dem Polizeipräsidenten. Die Innenbehörde kann nicht einfach über den Kopf des obersten Dienstherren der Zeugen (Polizeipräsident Glietsch) hinweg irgendwelche Anordnungen zu Aussagegenehmigungen und Maskierung geben. Und das auch noch ungefragt, schließlich wollte das Strafgericht im Verfahren gegen Christian nur die Namen der Zeugen haben und nicht gleich einen Katalog was die Beamten vor Gericht alles dürfen und was nicht. Beckel als quasi Verfasserin der Sperrerklärung fand das „unschädlich“ und führte ihre allgemeine Fürsorgepflicht an. Außerdem sei das nicht Gegenstand des Verfahrens. Womit sie zunächst recht hat.
Da sich die Klage Christians nur auf die Nicht-Nennung der Namen bezog, riet das Gericht dazu die Klage dementsprechend zu erweitern und auch die eingeschränkte Aussagegenehmigung und die Maskierung zu hinterfragen. Dieser neue Teil der Klage wird jetzt an die zuständige Dienstrechtskammer weitergeleitet.

Nachdem geklärt war, wer für was zuständig ist, konnte Christians Anwältin den Fall vortragen und die vorangegangenen Verwaltungsgerichtsentscheidungen in der Sache mündlich anfechten. Zunächst wurden die rechtlichen Kriterien für eine Sperrerklärung benannt und die offensichtlich fehlgeleitete Rechtsgüterabwägung des Innensenats kritisiert.

Eine Anonymisierung von Zeugen ist nur zulässig wenn eine konkrete und vor allem erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Zeugen besteht. Wie vorsichtig diese Regelung angewandt wird, berichtete die Anwältin. Sie vertritt zur Zeit eine Mandantin die fünf Monate in Beugehaft genommen wurde, weil sie als Zeugin ihren Namen nicht innerhalb eines Verfahrens wegen Menschenhandels preisgeben wollte. Bei ihr gab es trotz offensichtlicher Gefährdung eben keine Anonymität, während das für Polizeibeamte sehr offen gehandhabt wird.
Für Polizisten gelten noch andere Regelungen. Danach können sog. verdeckte Ermittler anonymisiert in Verfahren auftreten, insofern es sich um erhebliche Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität handelt. Damit soll ihre verdeckte Tätigkeit in dem Milieu nicht zu gefährdet werden. Beide rechtliche Regellungen greifen im vorliegenden Fall nicht.
Hinzu kommt, dass die anonymen Polizeizeugen vor Gericht angaben sich in keinsterweise bedroht zu fühlen. Die Bedrohungssituation stützt sich laut Sperrerklärung auf ein Zitat von Indymedia, das zusammen mit den Bildern mehrere Beamter vor dem 1. Mai 2005 veröffentlicht wurde: „(...) wenigstens einigen von den Zivibullen schweißtreibende Momente zu verpassen.“. Tatsächlich bleibt es in der Linken meist bei dieser Art von Verbalradikalismus und es lässt sich keine allgemeine Gefährlichkeit der Linken herbei projizieren, so wie es der Innensenat mit der Sperrerklärung versucht.

Nun zur vermeintlichen Schwere der Straftat. Die Innenbehörde gibt selber in der Sperrerklärung zu, dass es sich im vorliegenden Fall um „keine erhebliche Straftat“ handelt und schlussfolgert daraus, dass die Verteidigung ruhig eingeschränkt werden könne. Das Strafgericht fand den Landfriedensbruch allerdings nicht unerheblich und verurteilte Christian und Leila zu Haftstrafen. Statt die Rechte des Angeklagten gegen den Geheimhaltungsanspruch der Behörde abzuwägen, wurden die Bedürfnisse des Innensenats (Wohl des Landes Berlins) mit dem staatlichen Aufklärungs- und Strafverfolgungsinteresse abgewogen. Die Rechte der Angeklagten, Zeugen überprüfen zu können (z.B. Registerauszug und Disziplinarverfahren der Beamten zu erfragen) und uneingeschränkt Auskunft zu erhalten, interessierten die Verfasser der Sperrerklärung im geringsten, obwohl klar war, dass es keine anderen Beweise für den Landfriedensbruch außer den Zeugenaussagen gab. Studzinsky kritisierte diese Missachtung der Rechtsgüter von Angeklagten und die Behinderung jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten. Sie verwies auf Polizeitaktiken die dem gleichen Verfolgungs- und Verurteilungswillen entsprechen (z.B. Straftaten zu provozieren). Das hat beeindruckt.

Nun zur vermeintlich individuellen Prüfung. Die Strafprozessordnung verlangt eine individuelle Prüfung durch die zuständige Verwaltungsbehörde, falls Zeugen anonymisiert werden müssen. Auch Innensenator Körting gibt in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage an, dass die Einzelfälle ordentlich geprüft werden und dann eine Sperrerklärung erteilt wird ( http://www36.websamba.com/Soligruppe/data/stuff/ka15-12975.pdf). Aufgrund der mangelnden Begründung in der Sperrerklärung (Linke sind böse gefährlich und deshalb müssen LKA-Zeugen generell anonym sein) und der Aussage des LKA-Vorgesetzten Paulus während der Hauptverhandlung im Dezember 2005, dass alle seine Beamten anonymisiert seien, musste auch die willkürliche Vergabe von Kodiernummern thematisiert werden. Die Überprüfung muss nämlich doppelt erfolgen. Einmal für die Anonymisierung während der Ermittlungen und dann später für das Gerichtsverfahren. Wie es aussieht wird nicht einmal für das Gerichtsverfahren die Zulässigkeit vom Innensenat geprüft, sondern nur dann wenn sich im Verfahren ein Angeklagter beschwert.
Nun sah Julia Beckel vom Innensenat ihre Stunde gekommen. Sie berief sich auf die bereits vorhandenen Schriftstücke der verschiedenen Gerichte und ihre eigenen und kam zu dem Schluss, dass die Beamten für Befragungen doch - wenn auch eingeschränkt, zur Verfügung gestanden hätten. Die Unterstellung die obere Dienstbehörde würde nicht auf offene Verfahren oder Disziplinarmaßnahmen der anonymisierten Beamten, hinweisen, fand sie unverschämt. Die Verteidigung muss sich eben darauf verlassen korrekt Auskunft darüber zu erhalten. Überhaupt gibt es viel zuwenig Vertrauen in die Rechtschaffenheit von Polizei und Verwaltung. Wen wunderts.
Beckel war der Meinung, dass der Polizeipräsident schon von sich aus gegen Beamte ermittelt, die über die Stränge schlagen und dass Beamte, die Straftaten begangen hätten auch kein Dienstverhältnis ausüben würden. Da mussten denn selbst die Verwaltungsrichter widersprechen: Erst bei Vorstrafen mit über einem Jahr Haft, wird bei der Berliner Polizei entlassen.
Beckel durfte danach trotz Inkompetenz fortfahren. Sie erklärte, dass eine Gefährdung der Beamten in diesem Verfahren „abstrakt“ vorlag und deshalb die Sperrerklärung nötig war.
Die individuelle Prüfung der Anonymisierung von Zeugen, könne mensch schon an der individuell formulierten Sperrerklärung erkennen. Dass die Sperrerklärung aber nur deshalb nötig wurde, weil Christians Verteidigung die Namen der Zeugen verlangte, hat sie übersehen. Prinzipiell sieht die Praxis in Berlin so aus, dass LKA-Beamte generell anonym in Verfahren auftreten und erst wenn sich Angeklagte dagegen wehren, irgendeine Gefahr suggeriert wird und das rechtlich durch die Innenbehörde nachträglich per Sperrerklärung festgehalten wird. Vorher findet offensichtlich keine Abwägung statt und offensichtlich weiß nicht mal der Innensenat wie viele Beamte mit welchen Nummern anonym vor Gericht auftreten (Eine Liste mit bisher aufgetauchten Nummern befindet sich unter:  http://www36.websamba.com/Soligruppe/data/Codiernummernokt06.htm). Die AG Rechtsaufsicht unter Kalus und Beckel hat bisher so etwa zehn Sperrerklärungen bearbeitet, was wie gesagt nichts mit der tatsächlichen Häufigkeit von anonymen Polizeizeugen zu tun hat. Offensichtlich eine rechtliche Grauzone, von der zur Zeit das LKA etwas zu oft Gebrauch macht.

Die versammelte Richterriege machte einen etwas verpeilten Eindruck, was wahrscheinlich an der Strafmaterie lag. Der Vorsitzende fand den Artikel im Tagesspiegel vom Vortag „irritierend“ und das ganze Verfahren gegen Christian und die Zuständigkeiten des Innensenats „sehr ungewöhnlich“. Dass aufgrund der Einsparungen auch noch das Sitzungsprotokoll in ein Diktiergerät gesprochen werden musste, war dagegen eine leicht zu nehmende Hürde. Die Richter lassen sich jetzt noch zwei Wochen Zeit und geben dann ihre Entscheidung bekannt.
Entschieden wird ob die Sperrerklärung rechtswidrig war und inwieweit. Das könnte Auswirkungen auf die Berufungsverhandlung im 13.-Februar-2005-Prozess gegen Christian und Leila haben.
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Ergänzungen

Warum?

Wie? 27.10.2006 - 00:52
Abgesehen von den beschriebenen Ungereimtheiten könnte mal ein Insider ohne Polemik und kurz, ohne allzuviele Verweise auf Links darstellen, was der Hintergrund des Verfahrens ist? Was wird Christian konkret vorgeworfen? Sind die drei LKA´ler aller vom Berliner LKA? Wenn das so ist, wieso können gleich drei berliner als Zeugen zu einem verfahren auftreten, das eine Dresdner Demo betrifft?

ABGRÜNDE: Polizei, Justiz, Nazis etc

(muss ausgefüllt werden) 27.10.2006 - 06:00
Der langsame Arm des Gesetzes.
 http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/343689

Rechte stürmen Geburtstagsparty
Mehr als 30 vermummte Neonazis haben in Sachsen-Anhalt eine Geburtstagsfeier gestürmt.
 http://www.taz.de/pt/2006/10/26/a0066.1/text

(26.10.2006) Rechte Umtriebe im Dienst
Gericht bestätigte, dass Polizist nicht arbeiten darf
 http://www.tagesspiegel.de/berlin/archiv/26.10.2006/2858328.asp

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Streicheleinheiten für Nazis und Mordanklage (mitlerweile abgemildert) für Antifas !?
 http://soligruppe-potsdam.de/

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 http://www.cilip.de/

 http://www.grundrechtekomitee.de/

 http://www.humanistische-union.de/

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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interessant

anwalt 26.10.2006 - 10:26
danke für den guten artikel, sehr informativ und ausführlich.

Danke!

ja 26.10.2006 - 16:13
medienberichterstattung at it's best. danke für diesen informativen artikel!

Viel Kraft aus Freiburg!

;-) 27.10.2006 - 06:39
Keine inhaltliche Ergänzung