Chemnitz: "An Lächerlichkeit nicht zu unterbieten"

Gonzo 16.10.2006 01:36 Themen: Antifa
Bericht zur Antifademonstration der Kampagne „Schöner Leben Ohne Naziläden“ am 14.10.06 in Chemnitz
„Hallo Chemnitz, wir sind da, die autonome Antifa!“ hallte es gestern lautstark durch die herbstlich bunten Straßenschluchten von Chemnitz, vorbei an den Naziläden Backstreetnoise, PC-Records und dem innerstädtischen „Waffen Army Shoes“.
Unter dem Motto „Abriss Korrekt“ sammelten sich 1200 DemonstrantInnen um gegen Vertriebsstrukturen für Nazimusik und -lifestyleprodukte zu protestieren.
Entgegen dem leicht morbiden Alltag in Chemnitz dominierten an diesem Tag nicht „Thor Steinar“ tragende Nazis das Bild in der Innenstadt, sondern mehr oder weniger gut organisierte AntifaschistInnen. Chapeau!
Der Tag ging schon fein los, der Wetterbericht verhieß sonniges Wetter zum Demostart. Auch die überregionale Anreise von DemonstrantInnen verlief anfangs freundlich. Leichte Eintrübungen erst mit dem Auftauchen gereizter Bundespolizisten, die sich auf die Hatz nach dem vermeintlichen Leipziger Schwarzfahrerblock begeben wollten. Anfangs soll es Probleme beim Öffnen der Wagons gegeben haben. „Ich öffne wenn du zu hältst“, das stand ja früher immer in den muffigen Reichsbahnzügen.
Polizeiknüppel flogen kurz, es gab Platzverweise an DemonstrantInnen am Bahnhof, die den LeipzigerInnen zu Hilfe eilen wollten und am Ende kam die Staatsmacht bedauernswerterweise noch zu den persönlichen Daten der angereisten DemonstrantInnen. Sieben SchwarzfahrerInnen sollen der bescheidene Anlass dieses degoutanten Verhaltens gewesen sein.
Die Innenstadtkundgebung glänzte schon mit informativen Jingles und extrem hitlastiger Musik. Zwischenzeitlich versammelten sich dort etwa 500 Leute.
In neun Sonderbussen wurden die DemonstranInnen am Fuß der Erzgebirgsnordrandstufe entlang zur Demonstration an der Stollberger Straße geschuckelt. Für eine halbwegs erträgliche Fahrt hätten allerdings mindestens fünfzehn Busse eingesetzt werden müssen.

Am Startpunkt der Demonstration bot sich den Erstankommenden eine Lage gleich einem Schlachtengemälde Giovanni Fattoris dar. Polizeipräsident und Pferdefreund Reißman hat halt ein Händchen fürs Opulente. Von seiner Polente hatte er in die Brache hinein einen Ringwall aus sogenannten Sixpacks errichtet und ließ seine Reiterstaffel herumstehen.
Langsam kamen immer mehr DemonstranInnen herbei und die Band Pan Tau begann ihr speziell mit Antifahymne gedipptes Konzert. Freundliche OrdnerInnen nahmen die als kreuzgefährlich eingestuften Nietengürtel und – armbänder, die die Polizei den DemonstrantInnen abgenommen hatte, entgegen und verwahrten sie sicher. Der Start verzögerte sich, da immernoch DemonstranInnen am Hauptbahnhof festgehalten wurden.
Ein Empfang mit Kampagnentransparent wartete auf den letzten Bus, mit dem die LeipzigerInnen endlich zum Startpunkt kutschiert wurden und die Demonstration konnte unter beschwingten Klängen von John Frusciante beginnen, bald darauf gefolgt von „Beat It“, passend zum oftmals von Unverständigen missliebig beäugten Logo der Kampagne „Schöner leben ohne Naziläden“.
Nach circa 500 Metern der erste Aufreger: die Bebauungslücken des Plattenbauviertels werden zahlreicher, denn rund um die Naziläden rotiert die Abrissglocke. In den Lücken viele vereinzelte Grüppchen von Nazis. Desaströs aufgestellt. In der nah bei den Naziläden gelegenen Schänke „Braumeister“ wurden viele der Nazis von Polizei und Bierschwere festgehalten. Einige versuchten es nachträglich im Chemnitzer Internetforum „TDC“ zum „Familientreffen“ umzuwidmen, auch nicht anders als der sonstige Alktag also. Auch die schöne Überschrift dieses Textes ist einem Naziposting zur Demonstration im „TDC“ zu verdanken.
Bei der ersten Kundgebung in der Nähe der Naziläden waren Redebeiträge zu ebendiesen und zur rechten Fanszene des Chemnitzer Fußballclubs zu hören.
Kurz nachdem sich die Demonstration wieder in Bewegung gesetzt hatte, konnte dank Hinweis der absolut charmanten Moderation ein bekanntes Nazigesicht, das von Daniel Bethke, Ex-SSS, betrachtet werden. einige DemonstrantInnen hatten angegorenes Obst mitgebracht und warfen es um sich. Die Nazis machten seltsame Winkbewegungen oder zeigten ihre Tätowierungen her. „Na watt denn, na watt denn, na watt denn, watt denn, watt denn“ fragten die DemonstrantInnen neugierig. Die Begleitung von Nazis, insbesondere auch durch AntiantifafotografInnen hielt bis zum ehemaligen Asylbewerberheim Kappel an. Von Ferne war immer wieder zu sehen wie die Polizei die Nazis von der Demostrecke abhielt. Insgesamt schätzte die Polizei die Zahl der Nazis auf 200 bis 300, 44 wurden in Gewahrsam genommen.

Am ehemaligen Asylbewerberheim gab es einen Redebeitrag der Opferberatungsstelle AMAL. Die Demonstration lief weiter bis zum Goethering, unterhalb dessen eine Zwischenkundgebung zu Tee und Kaffee stattfand. Die Band Dunkirk spielte und ein Redebeitrag zum neurechten Chemnitzer Politologen Eckhardt Jesse wurde abgefahren. Der sehr entschlossene erste Block hielt die ganze Zeit das Kampagnenbanner hoch, was plötzlich seitens der hier etwas gereizt auftretenden Polizei als zu hoch eingestuft wurde. Ein Wortgefecht mit der Demonstrationsleitung und alles blieb beim bisherigen Höhenstand.
Auf dem Weg in die Innenstadt, die Zwickauer Straße entlang war ein ideologiekritischer Redebeitrag zu hören, der die Verflechtungen zwischen menschenverachtenden Ideologien der Nazis und der sogenannten gesellschaftlichen Mitte zu erhellen trachtete.
In Innenstadtnähe nahm die Demonstration nochmals Schwung auf, Slogans wie „Nie wieder Deutschland“ und „Backstreetnoise muß weg! Abriss korrekt!“ wurden gerufen. Gerührte Bürgerblicke fielen aus den Fenstern herab. Der Zug passierte den Treff, die „Konstante“, der „Pennalen Burschenschaft Theodor Körner“ und treffsicher wurde ein Redebeitrag zu deren völkisch nationalen Fechtversuchen plaziert.

Schon am Morgen war seitens der Nazis emsige Aktivität am Laden „Waffen Army Shoes“ zu beobachten. Der Besitzer fühlte sich bemüßigt, eine Schutzplane gegen ihm ja schon bekannten Farbbeutelwürfe aufzuziehen. Auf dem Dach war ein redundant mit „Security“-Pulli bekleideter Securitymann samt Kamera postiert. Ein Redebeitrag klärte darüber auf, dass der Inhaber auch in Freiberg ein „Waffen Army Shoes“ Geschäft betreibt, in dem ebenso wie in Chemnitz mit Nazikleidung und Aufnähern gehandelt wird.
Am Karl-Marx-Monument des sowjetischen Künstlers Lew Kerbel sollte die Demonstration enden. Auf der Freitreppe der Stadthalle hatten sich einige Nazis aufgestellt, einer warf einen Stein in die Demonstration, woraufhin eine Flasche ihr Ziel nur knapp verfehlte und statt dessen die Scherben einen Passanten trafen. Der Jurist Klaus Bartl warb für den Volksantrag zur Aufnahme einer antifaschistischen Klausel in die sächsische Verfassung und ein Redebeitrag Thüringer Antifas regte zu Antifaaktionen in der ostdeutschen Provinz an. Die Band Commander Control raatzte ihren verwirrend heißen Hardcorepunk vom Lautsprecherwagen herunter und hinterließ nicht nur bei den DemonstrantInnen Eindruck. Die Polizei wusste plötzlich auch nicht mehr. Der Zug setzte sich unter Musik und Böllern in Richtung Hauptbahnhof in Bewegung, wo die Antifademonstration mit einem Song der Band Blumfeld („Diktatur der Angepassten“ vom 2001 erschienenen Album „Testament der Angst“)im Sinne dieses Beitrags idealtypisch auslief. Für Chemnitz war das groß.

Berichte zur Demonstration lassen sich sicherlich bald auf der Website  http://www.stoppnazilaeden.de.vu finden.
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Ergänzungen

Bilder

anarchistDD 16.10.2006 - 18:44
Bilder von der Demo gibts auch bei mob-action unter
 http://bildarchiv.mob-action.de/categories.php?cat_id=174&sessionid=6d2b403c49579b08695a97440bcf51ff

,gelungene Demo , wär schön wenn so etwas auch in Dresden mal möglich wäre.

Nachtrag

DemonstrantIn 16.10.2006 - 19:49
Die Demo wurde auch einmal mit einer Leuchtrakete angegriffen und hielt zwei weitere Male wegen (angeblicher) Steinwürfe von Nazis. Alle Angriffe wirkten wie Verzweiflungstaten und hatten keinerlei Biss.
Die Demo (und die Tatsache, dass sie diesmal durchgesetzt werden konnte) waren nach meiner Meinung die beste Antifa - Aktion seit langem.

titel

name 17.10.2006 - 03:40
Eine kleine Ergänzung, vielmehr Berichtigung: Es handelte sich wohl eher nicht um Daniel Bethke sondern um Toni Beger? Geschuldet vermutlich der faszinierenden Musik und den lauten Sprechchöre der Demonstration.

video

kiejhrfe 17.10.2006 - 14:27

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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nur die burschen... — ernst august