Perspektive(n) eines Arbeitskampfes

Arbeiterin 14.10.2006 17:07 Themen: Soziale Kämpfe
Hier geht es um eine Fragestellung und Anskizzierung, ob und wie eine Solidarität der deutschen Linken mit Arbeiter/innenkämpfen - und dementsprechend ob "französische Verhältnisse" möglich ist/sind.
Trotzdem in der deutschen Linken immer wieder "französische Verhältnisse" herbeigesehnt werden, wird von den meisten von ihnen nichts unternommen, in dieser Richtung zu wirken. Es gäbe gerade jetzt nämlich die Möglichkeit des Zusammenkommens zwischen erwerbslosen Hartz IV-Empfänger/innen und kämpfenden Arbeiter/innen.
Wie im Beitrag der "commentrice" in "Berliner Siemensstreik - Eskalation!" ( http://de.indymedia.org/2006/10/159105.shtml) deutlich wird, scheint die deutsche Linke von dümmlicher Ignoranz geplagt zu sein, die ein Zusammenkommen der Kämpfe sabotiert.

Seit September befinden sich die Arbeiter/innen des Bosch-Siemens-Hausgerätewerkes in einem aktiven Streik. Vor dem Werkstor existiert ein Zelt mit einer Ausstellung des Arbeitskampfes des CNH-Werkes diesen Jahres und für jeden Besucher gibt es dort Kaffee oder Tee. Jeder kann dort Informationen bekommen und für sich und seine Nachbarn (zum Verteilen) Flugblätter für die direkte Kommunikation abholen.

Diese direkte Kommunikation halte ich für wichtiger als die abstrakte durch die Medien vermittelte. Darüber hinaus kann eine mediale Kampagne kein konkretes Engagement ersetzen oder es besteht die Gefahr, dass der Arbeitskampf zu einen Spielball medial-herrschender Politik wird. Dies insbesondere dann, wenn prominente Politiker durch die Medien in den Mittelpunkt der Berichterstattung gerückt werden. Direkte Kommunikation auf der Straße ist verbindlicher und dient dem Klassenkampf bzw. der Entstehung einer sozialen Bewegung weitaus mehr als mediales Spektakel. Gewiss ist Information über "unsere Medien" auch wichtig (sonst würde ich nicht gerade am PC sitzen und diesen Beitrag schreiben), aber die direkte/konkrete Kontaktaufnahme ist wesentlich wichtiger. Dabei bilden sich nämlich Vertrauen und Freundschaften.

Leider ließ sich am BSH-Werk kaum jemand von der Anti-Hartz-Kampagne bzw. dem Berliner Anti-Hartz-Bündnis dort blicken.

Dabei steht diese Republik und die bürgerliche Gesellschaft vor weiteren Massenentlassungen, bei denen auch der Weltkonzern Siemens seine Finger im Spiel hat (wie bei dem Handy-Hersteller BenQ) oder man denke auch an den europäischen Rüstungskonzern EADS! Was wir als Menschen brauchen, sind natürlich gute Haus(halts)geräte statt Rüstung. Insofern dürfte die Unterstützung des Streikes zum Erhalt BSH-Werkes uns weniger Bauchschmerzen bereiten als z.B. ein Kampf für EADS.

Hier ein paar Vorstellungen von praktischen Schritten zur Solidaritätsarbeit, an der sich jede/r mit etwas Zeit beteiligen kann:
Flugblätter vor den JobCentern, auf den Wochenmärkten verteilen und Plakatieren gehen

Flugblätter kann mensch natürlich auch in den U-Bahnen bzw. öffentlichen Verkehrsmitteln verteilen und immer wieder mit den Menschen debattieren und sie dazu ermutigen, die Verhältnisse nicht mehr einfach hinzunehmen, sondern sich solidarisch zu verhalten.

Student/innen und engagierte Profs sollten nach Möglichkeit vor dem BSH-Werk (entweder bei schlechtem Wetter im Streikzelt oder draußen vor dem Fabrikgebäude ) ihre Seminare abhalten.
Gut wäre es, wenn sie ihre Vorlesungen als „Nachtschicht“ des nächtens zur Unterstützung der Nachtwache vor dem Fabriktor abhalten würden. Ich weiss, daß während des Uni-Streikes Student/innen mit ihren Profs immer wieder öffentliche Seminare abgehalten haben und dies könnte auch jetzt stattfinden.

Auch die Schüler/innen, die den Schulstreik organisiert haben, können sich gern mit einbringen. Dies allein schon deshalb, weil auch die streikenden Arbeiter/innen des BSH-Werkes schulpflichtige Kinder haben. Es wäre also toll, wenn es am 19. Oktober einen Solidariätsstreik von Schüler/innen geben würde. Dies ist der Tag, an dem möglichst viele in München vor der Siemens-Zentrale in München demonstrieren wollen und sollen.

Kürzlich diskutierten die Streikenden über Streikbrecher. Es war auch ein Kollege von CNH vor Ort, der über ihren Arbeitskampf zum Erhalt des Werkes berichtete. Es gibt immer auch Kolleg/innen, die nicht in der Gewerkschaft sind und die deshalb während eines Arbeitskampfes auch kein Streikgeld bekommen. Damit sie nicht zu Streikbrechern werden, müssen sie mit aus einem Solidaritätstopf finanziert werden. Dieser muß dringendst aufgebaut werden. Insofern wäre es gut, wenn engagierte Musikgruppen Solidaritätskonzerte geben und Spenden für diesen Topf dabei sammeln.
Konzerte vor dem Fabriktor für die Streikenden wären natürlich auch sehr gut.

All dies muß natürlich im Einklang mit der Streikleitung stehen und organisiert werden. Aber ich setzte auch immer mit auf Eigeninitiative. Denn niemand, der den Streik unterstützen möchte, braucht sich dabei vorher von der Streikleitung die Erlaubnis zu holen.... und in diesem Selbstverständnis handele ich auch. Klar ist es, dass wir eine Koordination brauchen, die wir aber auch Mittags im Streikzelt miteinander besprechen können.

Besucht einfach mal die Streikenden in der Gartenfelder Str. 2-34 und redet direkt mit ihnen. Und die, die gern das Wort "Zivilgesellschaft" im Munde führen: Sie kämpfen nicht nur für den Erhalt des Werkes und ihre Arbeitsplätze, sondern auch für ihre Menschenwürde und die Zukunft ihrer/unserer Kinder. Damit stehen sie als international zusammengesetzte Arbeiter/innenklasse sogar im Kampf für eine demokratische Zivilgesellschaft und mehr für das Grundgesetz als die Politiker, die von ihnen „Integration“ fordern.

Aber es gilt auch zu bedenken, dass die Grundlage der sogenannten Integration und "Zivilgesellschaft": die (Lohn-)Arbeit immer mehr wegbröckelt. Es ist nicht nur so, dass Arbeit in Billiglohnländer ausgelagert wird, sondern innerhalb dieser Epoche, die durch die microelektronische Revolution und Vollautomation geprägt ist, wird die Lohnarbeit (der Faktor V des Kapitals) immer überflüssiger.
Wir brauchen deshalb eine soziale Bewegung, die mehr aus dem Sozialen denn aus der Lohnarbeit ihre Identität schöpft und die heutige wissenschaftlich-technische sowie mediale Revolution sozialrevolutionär transformiert. Mit anderen Worten: wenn schon die Produktivkräfte revolutionär sind, müssen auch wir als gesellschaftliche Basis sozialrevolutionär werden. Das Leben darf nicht mehr von der Lohnarbeit abhängig sein und sie muss emanzipatorisch aufgehoben werden.

Es muss aufhören, dass wir bis zur Erschöpfung malochen müssen. Die Vollautomation zeigt bereits auf, dass die kapitalistisch organisierte Arbeit an sein Ende gelangt ist. Die schöpferische Tätigkeit (und nicht mehr die erschöpfende Arbeit) sollte dem Leben dienen und nicht mehr das Leben der Arbeit.

Dies stellt alle engagierten Nichtkapitalist/innen in und ausserhalb der Gewerkschaften, also uns, vor die Aufgabe, zu bestimmen, welche Produkte und Dienstleistungen wir für unser menschliches Wohlbefinden brauchen. Wir brauchen keine Meinungsforschungsinstitute für Ideologie, sondern für unser materielles Leben. Der gegenwärtige Kapitalismus negiert nicht nur unsere Grundbedürfnisse, sondern bedroht mit seinen Destruktionskapazitäten (Massenvernichtungswaffen) die gesamte Menschheit. Damit sind wir dazu aufgefordert, ihn schleunigst zu überwinden.

Stärken wir also den Klassenkampf (auch wenn er vorerst noch ein Abwehrkampf gegen Verschlechterungen ist) und unterstützen wir die streikenden und kämpfenden Arbeiter/innen!
Dies ist besonders am Montag, den 16.10.2006, ab dem frühen morgen notwendig; denn siehe:
 http://de.indymedia.org/2006/10/159105.shtml

Gerade jetzt, wo die internationale Solidarität beginnt (gestern waren engagierte und kämpferische Kolleg/innen aus Polen, Spanien und der Türkei auf der Arbeiter/innenversammlung), die Belegschaften der AEG Nürnberg und insbesondere BenQ (nähe Duisburg) den BSHler eine Welle der Sympathie und kämpferischen Solidarität entgegenbrachten, scheint der Klassenfeind eskalieren und zermürben zu wollen. Damit soll wahrscheinlich auch erreicht werden, dass möglichst viele in Berlin bleiben statt am 19.10. nach München zu fahren.

Auf diese Provokation sollten wir mit Mitteln des zivilen Ungehorsams und der Strategie der Ausweitung des Streikes sowie Verbreiterung und Intensivierung der Solidarität reagieren.

Also: Kommt zum Fabriktor ! Fahrt am 19. Oktober mit nach München und/oder unterstützt die Nachtwachen der nächsten Woche(n) und beherzigt die weiter oben angedachten nächsten Schritte einer Solidarisierung von unten mit einer transnationalen Arbeiter/innenschaft! Nur so kann eine emanzipatorische, soziale Bewegung entstehen!

Am Dienstag, den 17. Oktober soll übrigens gegen 19.30 bzw. 20 Uhr übrigens der Film „The Take“ im Streikzelt gezeigt werden!.

Hier noch einmal die Adresse:
Gartenfelder Str. 2-34, Linie U 7 bis Paulsternstraße und dann ca. 8 Min. Fußweg bis zum Werk die Gartenfelder Str. hoch..
Zentrale Streikhompage:  http://www.bsh-streik.de/
auf Indymedia wurde über den "Marsch der Solidarität" berichtet:
 http://de.indymedia.org//2006/10/158427.shtml
In der JW:
 http://www.jungewelt.de/2006/10-12/052.php
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Danke

ist ein 15.10.2006 - 02:49
Super Artikel! Möchte voll und ganz beipflichten und den Artikel noch um eine Anregung erweitern: Wer aus zeitlichen, finanziellen oder anderen Gründen nicht nach Berlin oder München fahren kann (wie zum Beispiel ich), der sollte versuchen im jeweiligen "Heimatort" Solidarität zu zeigen. Spontandemonstrationen durch die Innenstadt, vor Siemenswerken oder zum Beispiel dem Arbeitsamt sind da gute Möglichkeiten. Plakatieren, Flyer verteilen und diskutieren geht eigentlich auch überall!

Kapitalismus abschaffen!

Solidarität nur für Ent-Rüstung als Streikzie

individualsyndikalistIN, das 15.10.2006 - 14:47
Das mit Rüstungsfirmen ist nicht so einfach. Wenn die Bahngewerkschaft Streik androht, falls die Forderung _der_Konzernspitze_ nach Erhalt des Status quo nicht erfüllt wird (Schienen-Netz soll bei der Börsenbahn bleiben statt vom Bund im Sinne aller Wettbewerber verwaltet zu werden) - dann mag das manchen am Arsch vorbeigehen.
Wenn Leute aber für die Aufrechterhaltung einer Rüstungsproduktion streiken, dann sieht das in der Tat anders aus! Sie könnten ja auch für Konversion und Überführung der Produktion in eine nur zivil nutzbare Produktpalette kämpfen, also durchaus für ihre Arbeitsplätze. Das kann ihnen auch rechtzeitig als Denkanstoß übermittelt werden, am besten durch meineN entrüsteteN Vor-KommentatorIN!
Sich in die Produktionspolitik einmischen hieße das zwar. Aber wer das unrealistisch findet, sollte auch keine Streiks zum Erhalt von Produktionsstandorten unterstützen denn sie tun genau das!
Ziel eines solchen Streiks läge zwischen den Extremen:
1) möglichst hohe Abfindung mit Auffanggesellschaft, Umschulung etc aber eben Standort-Schließung
...und...
2) Übernahme des Betriebes in Eigenverwaltung durch die Belegschaft, was bei einem Rüstungsbetrieb tatsächlich die Verfriedlichung ermöglichen würde - fänd ich aber nur unterstützenswert, wenn letztere schon vor dem Streik ein erklärtes Ziel so gut wie aller Streikwilligen wäre, also ein offen verkündetes Streikziel.
Für (1) reicht ein Blockadestreik, während für (2) wohl eine Betriebsbesetzung die letzte Konsequenz wäre, weil ja die Eigentümer die Waffenfabrik nach China demontieren würden...

Rüstungsbetriebe

Arbeiterin 15.10.2006 - 18:50
Danke für die Kritik und Ergänzungen!

Es stimmt, dass auch bei EADS Familien betroffen sind. Ausserdem ist es so, dass nur durch Kämpfe auch Veränderungen in der Produktion möglich sind, wie z.B. durch Konversionen. Und in letzer Instanz werden natürlich noch alle Produkte auf entfremdete Art hergestellt. Viele zivilen Waren sind Abfallprodukte der Rüstungswirtschaft und niemand von uns weiß, ob nicht in BSH-Waschmaschinen die Uniformen deutscher Soldaten gewaschen werden, wo sich der Kreis der Destruktivkräfte (Arbeit für den Tod) wieder schließt.

Wir können diesen Kreislauf nur durchbrechen, wenn wir tatsächlich aus den Kämpfen und Streiks niemanden ausschließen, aber trotzdem immer nach Sinn und Inhalt der Arbeit und den Arbeitsprodukten fragen bzw. diese kritisch reflektieren.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

Was soll das?!? — egal

Weitere Anregungen — Ann Reger