Niemand hat die Absicht, ein Ausreisezentrum

freya fluten 06.10.2006 11:39 Themen: Antirassismus
Niemand hat die Absicht, ein Ausreisezentrum zu errichten...

So verkündete es der Rot-Rote Senat noch in der Koalitionsvereinbarung. Faktisch jedoch wird still und heimlich die Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Berlin in der Motardstr. 101a durch ein Ausreisezentrum ergänzt. Dahin werden Menschen wegen § 1a Asylbewerberleistungsgesetz eingewiesen.
Niemand hat die Absicht, ein Ausreisezentrum zu errichten...

So verkündete es der Rot-Rote Senat noch in der Koalitionsvereinbarung. Faktisch jedoch wird still und heimlich die Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Berlin in der Motardstr. 101a durch ein Ausreisezentrum ergänzt. Dahin werden Menschen wegen § 1a Asylbewerberleistungsgesetz eingewiesen.

Eigentlich fungiert das Flüchtlingslager in der Motardstraße als Erstaufnahmeeinrichtung, versteckt in einem Industriegebiet des Berliner Außenbezirkes Spandau. Mit fast 750 Plätzen ist dieses Lager eines der größten in Berlin. Zurzeit sind dort 424 Menschen untergebracht, 246 Asylsuchenden, 178 Menschen mit Duldung, davon insgesamt 86 Kinder und Jugendliche (Stand: Juni 2006).

Ziel von Ausreisezentren ist es, Druck auf diejenigen MigrantInnen mit Duldung auszuüben, die hier nicht gewollt sind. Durch die massive Verschlechterung der Lebensbedingungen von Menschen, die teilweise schon über 10 Jahre in Berlin leben, sollen diese genötigt werden, "freiwillig" auszureisen und so der Ausländerbehörde und der Polizei die schmutzige Arbeit der Abschiebungen abzunehmen.

So stellt das Land Berlin, im Zuständigkeitsbereich der PDS-Sozialsenatorin Knake-Werner, es den Bezirken frei, Menschen mit Duldung in der Motardstraße unterzubringen. Für die Betroffenen bedeutet das faktisch einen offenen Vollzug von Abschiebehaft. Statt finanzieller Bezüge gibt es einen Schlafplatz im Lager und täglich abzuholende Essenspakete. Aufgrund des Arbeitsverbotes ohne Möglichkeiten, selbst für den Lebensunterhalt zu sorgen, müssen die Betroffenen weitgehend entrechtet unter den Bedingungen des Ausreisezentrums leben.

Verwaltet wird das Lager von der AWO Mitte, für die Essensversorgung ist die Firma Dussmann zuständig. Während diese in ihrem "Kulturkaufhaus" in der Friedrichstrasse aufwendig gestaltete Kochbücher zur Zubereitung kulinarischer Köstlichkeiten anpreist, setzt sie den Menschen in der Motardstraße etwas vor, für das "Fraß" noch eine positive Umschreibung ist. Statt kostengünstiger den Betroffenen das Geld direkt zu geben, um selbstbestimmt entscheiden zu können, welches Essen sie zu sich nehmen wollen, wird ihnen ein teureres Essen vorgesetzt, welches nicht nur eintönig sondern auch zu wenig und von miserabler Qualität ist.

Zusammen mit der perspektivlosen Dauersituation des unsicheren Aufenthaltes, drohender Abschiebung und dem mit der Lagerunterbringung verbundenen gesellschaftlichem Ausschluss werden Menschen, die als Asylsuchende meist bereits einen traumatischen Fluchthintergrund haben, mit voller Absicht auf eine extreme Belastungsprobe gestellt, die bis zum psychischen Zusammenbruch, dem sogenannten Lagerkoller führen kann.

Diese staatlich verordnete Diskriminierung, Entwürdigung und Entrechtung von MigrantInnen wird bereits von verschiedenen Berliner Bezirken praktiziert und macht das Flüchtlingslager in der Motardstraße damit faktisch zu einem Ausreisezentrum. Vorne mit dabei sind die ProfiteurInnen, die als HandlangerInnen die rassisistische Politik umsetzen und das Geld, was bisher die Flüchtlinge erhielten, einstreichen: Die AWO Mitte als Betreiberin der Einrichtung und die Firma Dussmann als Lieferantin des "Essens".

Im Rahmen des Transnationalen Migrations-Aktionstags, an dem in ganz Europa und darüber hinaus Menschen gegen rassistische Politik und für die Rechte von MigrantInnen auf die Straße gehen, mobilisieren wir zu Aktionen gegen diejenigen, die das Ausreisezentrum ermöglichen und für eine sofortige Schließung.

Weg mit dem rassistischen Lagersystem!
Stoppt ProfiteurInnen von staatlichem Rassismus wie Dussmann und AWO-Mitte!
Lager schließen - jetzt und überall!

Aktionstag gegen die Zwangsunterbringung im Lager MotardstraßeSamstag, 07.10.2006
*12.00h S/U Friedrichstr. 90 : Protestkundgebung vor Dussmann
*15.00h Protestfest vor der Motardstr. 101a (U7 Paulsternstr.)
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Ergänzungen

Presse und Zusatzinfos vorweg

antirassist 06.10.2006 - 12:15
5.10. Preisverleihung in Berliner Ausländerbehörde, Überflüssige in antirassistischer Aktion in der Ausländerbehörde Nöldnerplatz
 http://de.indymedia.org/2006/10/158415.shtml
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Junge Welt vom 5.10:

Wurst im Plastikbeutel
420 Flüchtlinge leben unter miserablen Bedingungen in Blechbaracken in Berlin-Spandau.
Aktionstag am Sonnabend

Motardstraße 101a heißt die erste Adresse für Flüchtlinge, die nach Berlin kommen. Die vielbefahrene Straße liegt mitten im Industriegebiet in Spandau. Hinter einem hohen Zaun mit Stacheldraht stehen fünf große Wohncontainer. Das ist die ZASt. Die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge, die von der Arbeiterwohlfahrt Mitte betrieben wird. Es ist kein schöner Ort zum Ankommen.

Derzeitig wohnen etwa 420 Menschen in der Motardstraße. Platz ist theoretisch für 750. Doch nicht alle sind gerade erst nach Berlin eingereist. Einige der Flüchtlinge wohnen schon seit Jahren in Berlin, sind im Besitz einer Duldung und wurden angewiesen, in das Wohnheim zu ziehen.

Wie aus einer kleinen Anfrage von Bündnis90/Die Grünen hervorgeht, bringt der Senat in der Motardstraße auch Flüchtlinge unter, bei denen »die Voraussetzungen des Paragraphen 1a des Asylbewerberleistungsgesetzes« erfüllt sind. Das sind Flüchtlinge, denen man vorwirft, lediglich nach Deutschland eingereist zu sein, um finanzielle Leistungen zu erhalten. Obwohl in der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS von 2002 festgehalten sei, daß es in Berlin keine Ausreisezentren geben solle, habe Berlin klammheimlich faktisch in Spandau ein solches Zentrum errichtet, kritisiert die Initiative gegen das Chipkartensystem.

Katastrophale Zustände »Die Zustände hier sind schlimmer als im Abschiebegefängnis in Köpenick«, berichtet Frank Iwapelu, 38. Er weiß wovon er spricht, denn er saß neun Monate im Knast. »Dort gab es wenigstens Telefon, Ärzte und einen Fernseher«, so Iwapelu. Seit zwei Monaten muß er in der Motardstraße wohnen. Hier teilt er sich ein 17 Quadratmeter großes Zimmer mit einem
anderen Mann. Eigentlich sollten in diesem Zimmer drei Personen unterkommen. Doch da der dritte Bewohner bei einem Freund in der Stadt wohnt, haben die beiden jungen Männer kurzerhand das dritte Bett abgebaut, damit sie etwas mehr Platz haben. »Wenn du hier nie gewohnt hast, kannst du dir nicht vorstellen, was es bedeutet, hier zu sein«, so Iwapelu. Die Zimmer sind karg eingerichtet, teilweise löst sich die Verkleidung an den Decken. Metallbetten und alte Spinde ohne Schloß. Iwapelu erzählt von Kakerlaken in den Küchen und in ihrem Zimmer. Die Toiletten und Duschen des Wohnheims sind nicht abschließbar.

Dussmann gut im Geschäft
Verpflegt werden die Flüchtlinge von der Cateringfirma Dussmann. Frühstück und Abendessen erhalten die Bewohner in durchsichtigen Plastikbeuteln, die jeweils zwei Stück Margarine, eine Scheibe Wurst und Käse, etwas Marmelade und ein Döschen Kondensmilch enthalten. Jeden zweiten Tag ein Stück Obst, außerdem pro Tag einen Liter H-Milch und eine Tüte Orangensaft. Mittags gibt es eine Portion Fertigessen aus der Alu-Assiette. »Das Essen ist wirklich furchtbar. Es ist jeden Tag dasselbe und außerdem viel zu wenig«, so Iwapelu. Ein Freund hat ihm Geld gegeben, davon hat er sich Lebensmittel gekauft. Das einzige was er im Moment vom Amt erhält, sind die Essenspakete und ein Kostenübernahmeschein für Kosmetikartikel und Putzmittel. Kein Fahrschein, keine Telefonkarte, kein Geld für Kleidung.

Von den Essenspaketen ernährt sich im Wohnheim fast niemand. »Von dem Essen wird man krank«, sagt ein Flüchtling aus Pakistan. Und krank sein bedeutet in der Motardstraße ohne Fahrschein zum Sozialamt zu fahren, um sich einen Krankenschein abzuholen und dann den Arzt aufsuchen zu können.

»Hier muß sich irgendwas verändern«, sagt Iwapelu. Er wirkt deprimiert von den Zuständen in der Motardstraße. Er hat sich gefreut, als vor wenigen Wochen ein paar Leute von antirassistischen Gruppen aus Berlin vorbeigekommen sind. Gäste, die auf die unzumutbaren Lebensbedingungen in der Motardstraße aufmerksam machen wollen. Durch die massive Verschlechterung der ebensbedingungen von Menschen, die teilweise schon über zehn Jahre in Berlin wohnen, sollen diese offenbar dazu gebracht werden, Berlin »freiwillig« zu verlassen.
 http://www.jungewelt.de/2006/10-05/001.php
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taz vom 6.10. mit (Nicht-)Stellungnahme Sozialsenatsverwaltung und Dussmann:
 http://www.taz.de/pt/2006/10/06/a0229.1/text
 http://www.taz.de/pt/2006/10/06/a0229.1/textdruck
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Neues Deutschland vom 6.10.: Proteste gegen die Festung Europa - Aktionstag in 50 Städten
 http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=98158&IDC=43

das essen

freya fluten 06.10.2006 - 14:08
ist alt und schlecht, siehe foto.

Das Hauptproblem und der zentrale Unterschied zur Jugendherberge liegt in der Freiwilligkeit der Jugendlichen (meistens) und der zwangsweisen Unterbringung und dauerhaften, als teilweise jahrelange Verpflegung mit dem immer gleichen Essen. Die Kritik geht auch vor allem in Richtung Monotonie und Beschränkung der eigenen Autonomie. Stell dir mal vor, 5 Jahre kein Bargeld und nur dieses Essen, jeden Tag. Und 'zuhause' Folter und Armut. Das macht die Motardstr zu einer Ausreiseeinrichtung, die weitere Herabsetzung der Lebensbedingungen soll den Leuten die eigene Perspektivlosigkeit vor Augen führen und sie zur dann 'freiwilligen' Ausreise drängen.

Gibt es ....

Horst 06.10.2006 - 15:26
Gibt es irgendwo Informationen dazu, wie viel Geld Dussmann pro Person und Tag für die Verpflegung bekommt???

Wäre mal interessant zu wissen!

Danke für die Ergänzung!

teures essen?

freya fluten 06.10.2006 - 17:07
Der Senat zahlt der AWO Mitte für die Vollverpflegung 6,27 Euros pro Tag und Person, siehe  http://www.chipkartenini.squat.net/Archiv/aktionen/berichte/aktionstag_7_10_06/ka15_13603.pdf, wie viel Dussmann davon bekommt, ist unklar.

an hans

baname 07.10.2006 - 13:43
Ich weiß nicht, wie das Essen im Adlon schmeckt. Ich weiß nur, dass diese Zwangsverpflegung als Ausrede benutzt wird, Flüchtlingen die Sozialhilfe, die ihnen eigentlich zusteht, vorzuenthalten. Hast du den Artikel richtig gelesen? Die kriegen NICHTS außer diesem vergammelten Fraß. Es ist erklärtes Ziel der aktuellen Politik (auch des Landes Berlin), Flüchtlinge durch unzumutbare Lebensbedingungen abzuschrecken oder zur "freiwilligen" Ausreise zu bringen. Darum geht es, nicht um leere Kassen. Ich bin sicher, dass sie sich auch noch von diesen 6,27 Euro selber besser ernähren könnten, wenn man sie ließe.

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Nachfrage — Hans

Dussmann — Pilz