Diebstahl als Werbung gegen Hunger?

Ralf Streck 05.10.2006 10:05
Vier vermummte Gestalten schleichen durch die Gänge des spanischen Parlaments, rauben den Sessel von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero (ZP) und hinterlassen eine Nachricht. Als ein Video dazu im Blog "Levántate ZP" ( http://levantatezp.blogspot.com) von den "4 Gatos" (4 Katzen  http://www.blogger.com/profile/31683235) veröffentlicht wurde, überschlugen sich Kommentare im Internet. Das führte dazu, dass sich Zehntausende den Strip ansahen und in allen Medien über den "Raub" berichtet wurde. Ein Lehrstück gegen das nun die Justiz ermittelt.
"Wir schreiben aus unserem neuen Sessel, der sich wirklich abgefahren im Zimmer macht. Habt ihr das Video gesehen, wir haben den Sessel und flippen noch immer darüber aus. Aber wir sind weder Diebe, noch Fetischisten, noch haben wir Bock auf Popularität, egal was die Sicherheitstypen des Parlaments erzählen". So beginnt das Bekennerschreiben über den "Raub" von Zapateros Parlamentssessel. Das Video zeigt die Aktion, die Bilder sind echt, wenn vier vermummte Gestalten durch lange Parlamentsgänge schleichen. ( http://video.google.com/videoplay?docid=-5450382906775456386)

"Zapatero, am 16. Oktober gegen die Armut aufstehen", hinterlassen sie an einem Parlamentsplatz eine Nachricht, schnappen einen Sessel, der später aus einem Fenster nach draußen gereicht, in eine Auto verfrachtet und entführt wird. Im Bekennerblog heißt es erklärend: "Wir haben es gemacht, damit der Präsident des spanischen Staates gegen die Armut aufsteht und ihm die übrigen Politiker folgen".

Langsam fand, über die begeisterten Kommentare in beliebten Blogs wie Escolar.net ( http://www.escolar.net) Píxel y Díxel ( http://www.pixelydixel.com) die Nachricht den Weg in traditionelle Medien. Da die den Braten schluckten und groß über den "Raub" berichteten, sah sich das Parlament zur Reaktion gezwungen. In einer Erklärung heißt es, es handele sich um eine Fälschung, muss aber zugeben, dass einige Sequenzen tatsächlich im Parlament gedreht wurden. ( http://estaticos.elmundo.es/documentos/2006/10/02/comunicado_congreso.pdf).

Ein Angestellter hatte sich mit der Aktion solidarisiert, gedreht wurde vergangnen Donnerstag. Echte Bilder wurden geschickt mit falschen gemischt. Es handelte sich weder um den Sessel von Zapatero, noch stiegen die Katzen über ein Fenster ins Parlament ein oder schafften den Sessel nach draußen. Nach Sensation heischend prüften die Medien die Echtheit der Bilder nur dürftig, während in Blogs schnell berichtet wurden, dass das gezeigte Fenster ein anderes Gebäude ziert. ( http://www.radiocable.com)

Hinter der Aktion stand tatsächlich die Werbeagentur Tiempo BBDO ( http://www.tiempobbdo.com) welche sie im Rahmen einer Kampagne der UNO gegen den Hunger durchgeführt hat. "Es ist eine Werbung, die etwas an die Grenzen gezogen wurde, aber man musste etwas riskieren", begründete der Kreativdirektor Siscu Molina der Agentur in Barcelona den gelungenen Einsatz, um eine "große Zahl an Menschen zu erreichen". Es geht um Werbung für UN-Millenniumkampagne ( http://www.millenniumcampaign.de) und konkret um für eine Beteiligung an den Aktivitäten zum "Internationalen Tag der Armutsbekämpfung" um den 15. und 16. Oktober, wonach es "keine Ausreden mehr" gäbe, den Hunger von Millionen auf dieser Welt nicht zu bekämpfen. Die Regierungen von 189 Staaten hatten sich 2000 auf dem Millenniumgipfel der UNO darauf verpflichtet, bis 2015 die Armut entscheidend zu verringern. In der Praxis sieht sechs Jahre später dürftig aus. ( http://www.heise.de/tp/r4/html/result.xhtml?url=%2Ftp%2Fr4%2Fartikel%2F20%2F20929%2F1.html). Auch das Versprechen Zapateros die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, steht weiter aus. Ein Ziel, das von der UNO seit fast vier Jahrzehnten formuliert wird.

Traurig ist, dass über das Lehrstück zum Umgang von Medien mit Wahrheit, Fälschung und Sensationslust, nun die Generalstaatsanwaltschaft wegen strafbarer Handlungen ermittelt. Der Parlamentshelfer sieht sich für die Unterstützung eines ehrenvollen Anliegens disziplinarischen Sanktionen gegenüber. Die UNO hat sich mehr oder weniger von der Aktion distanziert, die ihrer Kampagne so viel Werbung verschafft hat, wie es kaum in anderer Form möglich gewesen wäre.

© Ralf Streck den 05.10.2006
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Ergänzungen

bild aus dem video

ueberfluessig 06.10.2006 - 09:05
für eine anmutung ein bild aus dem video

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Werbung, Werbung — Reklame

Copyright? Copyleft! — kritiker_in

Falsch — Ralf

doll — muchad

So ist das! — Ralf