LKA kann Straftaten vorhersehen

buffy und kollegen 25.09.2006 21:24 Themen: Repression
Am 25. Oktober 2006 wurde die Hauptverhandlung im "Bunte Gerichte"-Verfahren fortgesetzt. Der 3. Verhandlungstag endete schon kurz nach 10 Uhr, hatte es dennoch aber in sich...
Neben neuen Akten, "nachgeholten" Ermittlungen und einem seltsam aufgestocktem Polizeiaufgebot, dass zwei Personen noch Stunden nach dem Prozess im gesamten Stadtgebiet verfolgte, war der Höhepunkt des Tages der kurze Auftritt des LKA-Beamten Schweitzer, der in die Installation und Auswertung der Überwachungskameras eingebunden war. Seitens seiner Behörde war die Aussageerlaubnis zwar stark eingeschränkt, erlaubte ihm dennoch einige Korken: So gab er z.B. salopp zu, dass die Überwachung verdeckt erfolgt sei (also ohne Schilder - die aber jemand schon erfunden hatte ...) - und präsentierte eine neue Version, welche Rechtsgrundlage es dafür gegeben haben soll. Drei weitere Verhandlungstage wurden angesetzt, so dass ein schnelles Ende des Verfahrens, dass sich sichtbar zu einem Lehrstück für Verfahrensmanipulationen, Falschaussagen durch Polizei und Rechtsbeugung durch die Staatsanwaltschaft entwickelt, nicht absehbar ist.

Vor Beginn des dritten Prozesstages fiel auf, dass das Polizeiaufgebot im Vergleich zu den beiden ersten Prozesstag höher war ... ca. vier bis fünf Wannen mit Beamten von außerhalb sowie ein bis zwei Streifenwagen boten eine martialische Kulisse. Die uniformierten und zivilen Beamten schleppten erstaunlich viel Proviant in das Amtsgericht und hatten offenbar auch einen gesonderten Aufenthaltsraum, um ... ja, wofür ... das ist nicht ganz klar. Auf jeden Fall hatten sie sich auf einen langen Tag eingestellt.

Fortsetzung der Hauptverhandlung

Der LKA-Beamte Schweitzer, einziger geladener Zeuge des Tages, wurde sofort nach Wiederaufnahme der Verhandlung vernommen. Er gab an, dass das LKA Wiesbaden von der Polizei Gießen um Hilfe gebeten worden sei. "Die Gießener Behörden hatten erhebliche Probleme, gehäuft auftretende Sachbeschädigungen aufzuklären." Daher hätte das LKA prüfen sollen, ob es möglich sei, die Sachbeschädigungen wenigstens zu dokumentieren, wenn diese schon nicht zu verhindern seien. Er selbst sei dann an der Installation dreier Kameras auf dem Amtsgerichts-Komplex am 24. November 2003 beteiligt gewesen. Auf die Frage von Richter Wendel, wo diese aufgebaut wurden, antwortete Schweitzer, dass er nur eine eingeschränkte Aussageerlaubnis hätte und den Ort nicht sagen dürfe.
Aber immerhin - auf die Nachfrage von Wendel, ob die Überwachung offen oder verdeckt erfolgt sei, sagte er klipp und klar: "Verdeckt." Ihm wurden daraufhin von dem an dieser Stelle kritisch agierenden Richter die Bestimmungen des HSOG vorgehalten, die eine offene Überwachung vorsehen. Und jetzt wurde es ganz arg: Rechtsgrundlage für die Überwachung sei ja auch die Strafprozessordnung (StPO) gewesen. Schweitzer nannte den § 100c (damalige Fassung der stopp). Die Maßnahme habe Herr Puff vom ZK 10 (Staatsschutz Gießen) angeordnet. Und hier, damit alle lachen können, ein Auszug der benannten Passage aus der StPO:

StPO § 100c

(1) Ohne Wissen des Betroffenen
1. dürfen
a) Lichtbilder und Bildaufzeichnungen hergestellt werden,
b) sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters verwendet werden, wenn Gegenstand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist, und wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre,

(2) Maßnahmen nach Absatz 1 dürfen sich nur gegen den Beschuldigten richten. Gegen andere Personen sind Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre. Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe b, Nr. 2 dürfen gegen andere Personen nur angeordnet werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß sie mit dem Täter in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, daß die Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters führen wird und dies auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.


Schweitzer meinte dazu weiter: "Es ging nicht um das HSOG, es ging um sicher zu erwartende Straftaten durch Herrn B." Die Überwachung habe sich gegen B. gerichtet, dieser sei deswegen auch schon einschlägig bestraft. Daraufhin Wendel kritisch. "Ja ... aber nach meinem Verständnis geht es bei dem §100c um bereits begangene Straftaten, oder?" Der LKA-Beamte ergänzte dann, dass es auch darum gegangen sei, Hinweise zu sammeln, um frühere Straftaten aufzuklären. Es habe auch schon in der Vergangenheit erheblicher Sachbeschädigungen an Gießener Gerichtsgebäuden gegeben. Weiterhin führte Schweitzer aus, die Videobänder zusammen mit anderen in Augenschein genommen und dann Puff übergeben zu haben. Die dritte Kamera, gab er auf eine Frage an, sei an eine digitale Aufzeichnungseinheit angeschlossen gewesen; diese hätte keine "verfahrensrelevanten Darstellungen" aufgenommen und schlechte Qualität gehabt. Man habe schon etwas sehen können, also Bewegungen einer Person, aber es sei sehr dunkel und verschwommen gewesen. Diese Aussage stand in auffälligem Kontrast zu der vom Staatschützer Broers, der auf dem Film ein weißes Bild/eine weiße Fläche gesehen haben will und offenbar in einer anderen Welt lebt. Der anwesende Rechtsanwalt merkte diesen Widerspruch nach der Vernehmung an und formulierte, dass Broers offenbar die Unwahrheit gesagt habe - Wendel daraufhin trocken: "Oder er." (Schweitzer)
Schweitzer meinte auch, damals keine Bedenken gegen die Überwachung gehabt zu haben. Und wiederholte noch einmal, dass sich der §100c auf Straftaten bezogen habe, die noch begangen werden sollten. Ausdruck von prophetischen Kenntnissen? Oder lebt der LKA-Typ bereits in der düsteren Welt des Films Minority Report ( http://de.wikipedia.org/wiki/Minority_Report), in der Menschen verurteilt werden für Straftaten, die sich noch begehen werden? Der Angeklagte frage nach: "Und sie tun das ohne eine konkreten Tatverdacht?" - "Ja." Es habe die Vermutung gegeben, dass B. weitere Straftaten verüben würde, es hätte hinreichende Verurteilungen in der Vergangenheit gegeben. Und dass, obwohl es bisher keine einzige Verurteilung in puncto politische Farb- und Graffiti-Aktionen im Raum Gießen gibt und auch B. bis zu dem Zeitpunkt noch keinem entsprechenden Gerichtsverfahren ausgesetzt war - seltsam. Konkrete Verdachtsmomente konnte der LKA-Mann dann auch nicht nennen.
Schweitzer legte dann eine schriftliche Einsatzanforderung der Gießener Polizei vor, was er lieber nicht hätte tun sollen: Aus diesem Schrieb geht nur hervor, dass die Polizei anlässlich eines Verfahrens gegen B. Angst vor Aktionen hatte, die aber nicht näher beschrieben wurden. Es gibt keinen einzigen Hinweis in dem Paper, dass als Täter B. im Verdacht stand oder zielgerichtet überwacht werden sollte; das Blatt mit den Täterangaben ist leer. Und auch die angegebene Aufbau-Zeit der Kameraanlagen stimmt nicht mit der Aussage des LKA-Beamten überein: Dort steht "ca. 8. Dezember 2003", was den Rechtsanwalt zweifeln ließ, ob hier überhaupt der gleiche Vorgang behandelt wird.
Lustig noch die Frage des Angeklagten, ob der LKA-Mann es für normal hält, wegen einem einfachen Graffiti mit solch einem Spezialauftrag angefordert zu werden. Nach einigem Herumdrugsen sagte er, das käme schon mal vor. Nachfrage: "Nur an öffentlichen oder auch an privaten Gebäuden?" Antwort mit zweideutigem "Schmunzeln": "Dazu darf ich nichts sagen".

Nach Entlassung des Zeugen folgte zunächst eine Gegendarstellung ( http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/farbgericht/instanz1/videoantrag.html) des Angeklagten zum Kamera-Beschluss von Wendel. Der Rechtsanwalt fügte ergänzend hinzu, dass eine Aufklärung des Sachverhaltes notwendig sei, unter anderem wer auf welcher Grundlage die Überwachung veranlasst habe. Der Verdacht einer Verfahrensmanipulation stehe im Raum (siehe:  http://www.de.indymedia.org/2006/09/156534.shtml). In diesem Zusammenhang gab es kleinere Dispute zwischen Staatsanwalt und Angeklagten, denn Vaupel deutete klar an, gegen den falschaussagenden Justizbeamten nicht ermitteln zu wollen. Und musste sich vorwerfen lassen, seine Tätigkeit mit politischen Erwägungen zu leiten.
Der heute vergleichsweise engagierte Staatsanwalt Vaupel meinte zudem, dass es weitere Dokumente zum Vorgang (der Videoüberwachung) gäbe, diese seien allerdings bei der Behördenleitung und nicht so schnell verfügbar. Er bot an, sich darum zu kümmern, dass diese Unterlagen in die Hauptverhandlung eingeführt werden können.
Als Nächstes stellte der Angeklagte einen Antrag zu der wahrscheinlichen Verfahrensmanipulation aus Kreisen der Polizei, die unter anderem die Offenlegung der Identität von Mr. Smith (Bild unter  http://de.indymedia.org/2006/09/156951.shtml) einforderte. Vaupel dazu: "Dem würde er statt geben." Und nannte einen Namen: KHK Zacharias ... vormals Mr. Smith.
In der Folge brachte B. eine Gegenvorstellung ( http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/farbgericht/instanz1/befangenantrag.html) zur Ablehnung seines Befangenheitsantrages ein. Danach händigte Richter Wendel Kopien eines frischen Cofsky-Vermerks aus ... Staatsanwalt Vaupel hatte die Staatsschützerin letzte Woche mit "Nachermittlungen" beauftragt hinsichtlich Schadenshöhe und tatsächliche Schäden. Denn die Rechnungen zum Schaden, die auch erst am 3. Tag in das Verfahren gereicht wurden, waren recht mickrig: Gerade mal 1000 Euro lassen sich nachweisen als entstandene Kosten der Farbattacke - die Schlösser waren ja gar nicht kaputt (außerdem stehen 10 Schlösser auf der Rechnung, was ohnehin nicht passt). Überraschend wenig Widerstand wurde der Anregung des Angeklagten B. entgegen gebracht, Puff und Broers erneut zu laden, um sie auf Grundlage der neuen Sachlage mit unangenehmen Fragen zu bohren. Nur der Justizbeamte, der die Falschaussage bezüglich der Anbringung von Hinweisschildern gemacht hatte, den wollte Wendel (noch) nicht nachladen ... die schützende Hand auf die "eigenen" Leute? Am Ende dieser Phase wurde der Verteidigung eine bisher nicht heran gezogene Akte überreicht zur Einsichtnahme. Darin geht es um eine Person aus Magdeburg, bei der Handschuhe mit identischen Farbspuren zu denen auf dem Amtsgericht gefunden worden sein sollen. Und gegen die nie ermittelt wurde, wie die Akte zeigt, offenbar weil das vom gewünschten Tatverdächtigen abgelenkt hätte. Nicht die erste Merkwürdigkeit dieser Art ...

Nach einer kurzen Pause wurde über weitere Verhandlungstermine geredet und drei festgesetzt. Aufgrund anstehender Urlaubsausflüge von Staatsanwalt und Richter geht es erst im November "richtig" weiter, der nächste Termin ist nur dazu da, die Dreiwochenfrist einzuhalten.

Die nächsten Termine:

- Montag, 16. Oktober 2006 ab 9 Uhr im Saal 100 A (das ist der rein formal notwendige Termin, an dem wenig abgehen dürfte ... Vaupel ist nicht da, was allerdings nur geringen Unterschied machen dürfte; ZeugInnen werden auch nicht geladen)
- Donnerstag, 2. November 2006 ab 8.30 Uhr im Saal 100 A: Wahrscheinlich der Termin, wo die Staatsschützerriege mit Puff und Broers nochmal anmarschiert - sicherlich bis in den kleinen Zeh konzentriert, aber ob das reicht?
- Montag, 20. November 2006 ab 8.30 im Saal 100 A... immer im Amtsgericht Gießen


Nach dem dritten Verhandlungstag: Polizeiwahn reloaded

Das fette Polizeiaufgebot suchte und fand Beschäftigungen absurdester Art auch nach dem Prozess: Im Gegensatz zum letzten Verhandlungstermin ( http://de.indymedia.org/2006/09/156951.shtml) wurde ein Aktivist schon vor Vollendung des ersten Kreidespruches auf dem öffentlichen Gehweg vor der Bouffier’schen Kanzlei ( http://www.projektwerkstatt.der/bouffier) von zwei Zivis angegangen, personalienkontrolliert, der Kreide beraubt und des Platzes verwiesen. Der Spruch stimmte also: "Diese Kanzlei ist gleicher als andere." Denn ob zur Verhinderung kritischer Meinungsäußerung auf öffentlichen Wegen vor anderen privaten Institutionen so ein Aufwand betrieben würde darf bezweifelt werden.
Während des weiteren Vormittags wurde die kontrollierte Person und der woanders im Stadtgebiet herumradelnde Angeklagte jeweils von mindestens einer gefüllten Wanne, zum Teil aber auch von zwei Fahrzeugen gleichzeitig verfolgt, die sich bei der Verfolgung wenig für die Straßenverkehrsordnung interessierten. Zudem betraten Polizisten mehrfach das Gelände des Rechtsanwaltes, der B. verteidigt, und observierten dieses aus ihren Fahrzeugen, als sich die überwachten Personen dort aufhielten. Offenbar aus Frust oder um wenigstens irgend etwas gemacht zu haben, wurde gegen einer Person ein Anzeige wegen angeblicher Missachtung einer roten Ampel eingeleitet. Lustig war es schon ... und vor allem wunderten sich auch einige Passanten über die ständige Begleitung der Einzelpersonen, die immer wieder witzelnd darauf hinwiesen ("Die nehm’ ich gleich wieder mit").


Fazit

Es war kein guter Tag für Polizei und Staatsanwaltschaft, weil Zeuge Schweitzer wieder eine neue Story auftischte und nun völlig unklar ist, welcher Bulle eigentlich nicht gelogen hat. Es macht den Eindruck, dass Gericht und Staatsanwaltschaft klar ist, dass das Verfahren sehr peinlich verläuft. Sie hoffen offenbar darauf, es durch weitere Beweiserhebungen doch noch retten zu können - denn die Ergebnisse des sog. Ermittlungsverfahrens und die tollen Gutachten sind fast alle völlig bedeutungslos oder durch die Verteidigung zerlegt worden. Auf ein schnelles Durchziehen scheinen sie es vorerst nicht abgesehen zu haben.


Links:
- Eingangsseite zum gesamten Verfahren:  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/farbgericht/haupt.html
- Zum heutigen Prozesstag (Anträge & Co. dokumentiert):  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/farbgericht/instanz1/25_9_06tag3.html
- Rechtstipps für Angeklagte und sonstig Attackierte:  http://www.recht-extremismus.de.vu
- Aktionsmethoden gegen solchen Wahn:  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression
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Ergänzungen

Selbst im Gießener Anzeiger Lügen angedeutet

jb 26.09.2006 - 11:51
Gießener Anzeiger windet sich zwar etwas, aber wer genau hinguckt, erfährt dort auch schon, dass gelogen wurde:  http://www.giessener-anzeiger.de/sixcms/detail.php?id=2278914&template=d_artikel_import&_adtag=localnews&_zeitungstitel=1133842&_dpa=

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