Studiengebühren in Bochum beschlossen

fubstudent 19.09.2006 20:08 Themen: Bildung
Trotz massiver Proteste wurde am Montag auf einer außerordentlichen Senatssitzung der Ruhr-Uni Bochum eine Gebührensatzung verabschiedet. Diese tritt ab Sommersemester 2007 in Kraft und fordert von allen Studierenden den Höchstbetrag von 500 Euro pro Semester.
Aufgrund der zu erwartenden Proteste von studentischer Basis und sozialen Bewegungen hatte Rektor Gerhard Wagner bei der Polizei ein Großaufgebot zur Abriegelung des gesamten Gebäudetrakts der Universitätsverwaltung angefordert. Bunter und entschlossener Widerstand versetzte die Uni in den Ausnahmezustand. Doch die uneinsichtigen Senatsmitglieder versteckten sich hinter Hundertschaften und vermeintlichen Sachzwängen um die Forderungen des 'Innovationsministeriums' durchzudrücken.

Schon seit Mitte der letzten Woche wurde die UV (das Gebäude der Universitätsverwaltung) rund um die Uhr von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht. Hinzu kamen immer häufiger Polizisten - mal in zivil, mal in voller Tracht - die das Campusgelände durchstreiften. Doch die Herren (ja es waren nur Männer) hatten sich ihren Job sicherlich leichter vorgestellt: ständige Überwachung und Schikanen der Hochschulleitung wurden mit kreativen Aktionen und Sticheleinen beantwortet. Häufige, ausgedehnte Nachtspaziergänge, Verstecken- und Anschleichspiele rund um die UV und schließlich einige Wasserbombenattacken waren in den letzten Nächten gang und gebe.

Der offizielle Protestteil wurde in der FUB ( http://www.freie-uni-bochum.de) vorbereitet. Hier trafen schon in den Vortagen solidarische Gebührengegener aus der ganzen Republik ein. Der Austausch von Erfahrungen und Ideen gab allen viel Mut und Kraft. Noch einmal ein großes Dank nach Bielefeld, Bonn, Darmstadt, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Frankfurt, Giessen, Hamburg, Köln, Münster, Paderborn, Siegen und alle anderen! Ihr seid spitze!

Der Tag X begann in aller Frühe mit dem Eintreffen der Einsatzhundertschaft gegen 5:00 Uhr. AktivistInnen versperrten die Zufahrt zur UV im Parkdeck mit umgeworfenen Müllcontainern, die zu Trommeln umfunktioniert wurden, sowie mit und Transparenten ('Wir hören nicht mit der Scheiße auf, bis die Scheiße aufhört!') und Menschenketten. Längst war bekannt geworden, daß die Senatsmitglieder schon eineinhalb Stunden vor Sitzungsbeginn eintreffen würden um Protesten aus dem weg zu gehen. Die SenatorInnen wurden mit Pfeifkonzerten empfangen und konnten sich nur mit Hilfe schubsender Polizeieskorten einen Weg durch die aufgebrachte Menge, der mittlerweile etwa hundert Gebührengegner, bahnen.

Lärmpegel und Anspannung nahmen zu. Durch das grobe Vorgehen der Polizei kam es immer öfters zu Rangelein. Wütend darüber, dass sich der Rektor die Öffentlichkeit mit blanker Polizeigewalt vom Hals zu halten versuchte, kam es zu mehreren Durchbruchversuchen vom Parkdeck aus in die Univerwaltung, die brutal zurückgedrängt wurden. Ein sichtlich überforderter, aggresiver Polizist griff dabei eine am Rande stehende, unbeteiligte Studentin an und schleuderte sie mit dem Kopf auf den Boden.

Es wurde ein Krankenwagen gerufen und Verdacht auf eine Gehrinerschütterung festgestellt. Während die Studentin hilflos auf dem Boden lag zog ihr eine Beamtin den Personalausweis aus der Tasche ohne auf eine Einwilligung zu warten. Wegen der Dreistigkeit der Studentin einfach herumzustehen, erstattete die Polizei umgehend Anzeige gegen sie. Da der Übergriff unter den Augen vieler Zeugen geschah - darunter auch jenen der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen und Nele Hirsch - haben rechtliche Schritte wegen Körperverletzung eine hohe Chance auf Erfolg. Dem verantworlichen Polizisten selbst wurde vor Ort der Schlagstock von Kollegen abgenommen, welche beruhigend auf ihn einredeten. Allein das Einleiten einer Dienstaufsichtsbeschwerde bedeutet das ein Beamter vorerst für jede Beförderung gesperrt ist. Es gab noch weitere kleinere Übergriffe seitens der Polizei - darunter ein tätlicher Angriff auf die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (siehe  http://www.jungewelt.de/2006/09-19/005.php).

Nach dem offiziellen Begin der Senatssitzung ab 9:00 Uhr drang plötzlich dichter Rauch aus dem Gebäude der Univerwaltung. Mit dem Eintreffen des Löschzuges der Feuerwehr wurde die UV evakuiert. Alle Senatsmitglieder waren gezwungen das Gebäude zu verlassen. Der eine oder andere - so munkelt man - soll dabei mit faulen Eiern und Knallkörpern attackiert worden sein. Die Ursachen für die Rauchentwicklung ist bisher unbekannt, aber nach etwa einer halben Stunde durften die Senatsmitglieder zurück ins Gebäude.

Parallel fand ab 8:00 Uhr eine offiziell angemeldete Kundgebung des AStA unter dem Motto 'MUT ZUM NEIN' auf der etwa hundert Meter entfernten Unibrücke statt. Trotz des starken Regens hatten sich hier mehrere hundert Demonstrierende versammelt. Auf der Brücke hat Rektor Wagner kein Hausrecht, wodurch seine repressiven Maßnahmen zur Unterdrückung der legitimen Studentenproteste ausgehebelt wurden. Durch diesen taktischen Schachzug wurde die nicht weit entfernte Sitzung mit Sprechchören, Lautsprecherdurchsagen, Trillerpfeifen und Trommeln gestört. Informationen aus dem Sitzungssaal zufolge war das Tagen unter diesen Bedingungen tatsächlich nur sehr schwer möglich.

Mehren Versuchen der Bereitschaftspolizei und der in zivil gekleideten Beamten des Staatsschutzes, Einzelpersonen aus der Versammlung herauszugreifen begegnete man mit Solidarität und Kettenbildung. Auch aus dem Vorhaben eines späteren Zugriffs von Team Green ('Wir holen ihn uns nachher') wurde nichts: geschlossen ging der Demoblock in Richtung Unicenter wo ein 'Fluchtwagen' für die Personen bereitstand.

Eine weitere der zahlreichen Schikanen war der Versuch die Personalien von drei Personen, die ein Bündel Heliumballons in den Himmel entlassen haben sollen, aufzunehmen. Sie hätten eine Anzeige wegen 'gefährlichen Eingriffes in den Luftverkehr' zu erwarten und man würde mit 'Flugblättern' nach ihnen fahnden. Doch auch daraus wurde nichts: die Demoteilnehmer bildeten Ketten und verschanzten sich im Studierendenhaus, welches daraufhin von der Polizei umstellt wurde. Leider scheint Team Green nichts von dem Hinterausgang gewußt zu haben :-)

Aufgrund der gut organisierten studentischen Proteste benötigte der Senat sehr viel Zeit für die Entscheidungsfindung auf der Sondersitzung, welche Studiengebühren als einzigen Tagesordnungspunkt hatte. Die Abstimmung über die Zukunft von 32.000 Studierenden fiel erst gegen 16:30 Uhr: mit 15 Ja-Stimmen, 9 Gegenstimmen und einer Enthaltung votiert der RUB-Senat für die rassistische und frauenfeindliche Gebührensatzung. Damit sollen die Studierenden ab dem Sommersemester 2007 zur Kasse gebeten werden um 500 Euro pro Semester zu bezahlen.

Obwohl Studiengebühren nun auch in Bochum beschlossene Sache zu sein scheinen, werden wir weiter kämpfen. Mit einer Beteiligung an der bundesweiten Gebührenboykottkampagne 2007 ( http://boykottwiki.de.vu) wird dafür gesorgt, dass Gebührenbescheide nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt wurden!


Damit endet der Protest gegen die Einführung von Studiengebühren...
...und es beginnt der Widerstand!


Groteske Randbemerkung: aufgrund angeblicher Morddrohungen soll der Staatsschutz dem noch amtierenden Rektor Gerhard Wagner empfohlen haben die Bäume in seinem Vorgarten zu fällen. Durch die bessere Einsicht seines Grundstückes, soll eine höhere Sicherheit gewärlesitet sein :-)


siehe auch:
* 'Komitee und ABS verurteilen Polizeigewalt / Boykott gegen Studiengebühren' ( http://abs-bund.de/presse/2141.html)
* 'Angriffe der Polizei gegen Studiengebührenprotest', PM von Nele Hirsch ( http://de.indymedia.org/2006/09/157401.shtml)
* 'Polizei griff Abgeordnete an - Brutaler Einsatz bei Protestaktion gegen Studiengebühren' ( http://www.jungewelt.de/2006/09-19/005.php)
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Westdeutsche Allgemeine Zeitung

waz 19.09.2006 - 22:43
WAZ-Artikel vom 19.09.06:


Der Würfel ist gefallen

Ruhr-Universität erhebt 500 Euro Studienbeiträge ab Sommersemester 2007. Der Senat verabschiedete die strittige Gebührensatzung gestern in einer Marathon-Sitzung. Lautstarker Protest und viel Polizei auf dem Campus.

Um 16.30 Uhr hieß es: Alea jacta est. In einer der längsten Sitzungen seiner Geschichte hat der Senat der Ruhr-Universität gestern die Einführung von allgemeinen Studiengebühren beschlossen. Ab Sommer 2007 werden vom Erstsemester an 500 Euro pro Halbjahr fällig. Die Sitzung in der RUB-Verwaltung wurde von einem starken Polzeiaufgebot und lautstarken Protesten demonstrierender Studierender begleitet.

Rektor Prof. Dr. Gerhard Wagner dankte am späten Nachmittag dem Senat für die "ernsthafte und konzentrierte Diskussion. Es war für uns alle eine sehr schwere Entscheidung", sagte Wagner nach der Abstimmung. Die Abgaben sollen dazu beitragen, die Studienbedingungen an der RUB zu verbessern. Die Satzung enthielte zahlreiche Ausnahmen, so dass voraussichtlich zehn Prozent der Studierenden ganz oder teilweise von den Beiträgen befreit würden.

Das war gestern ein langer Tag für alle Beteiligten. Vor 6 Uhr waren die ersten Beamten auf dem Campus eingetroffen. Die Professorengruppe des Senats, wurde kolportiert, hätte sich bereits ab 7.30 Uhr im Gebäude versammelt - lange vor dem offiziellen Beginn der Sitzung um 9 Uhr, und um Blockaden durch die Demonstranten zuvor zu kommen. Spätestens um 8 Uhr standen nach Asta-Angaben rund 200 Demonstranten draußen vor der Tür, um im strömenden Regen mit Trillerpfeifen und rhythmischem Schlagen auf leere Fässer ihrem Unmut Luft zu machen. Ins Gebäude hinein kam keiner, die Polizei hatte vom Rektor das Hausrecht übertragen bekommen und ließ niemanden passieren. Sogar zwei Bundestagsabgeordnete, Sevim Dagdelen und Nele Hirsch von der Linkspartei, wurden abgewiesen; Dagdelen beschwerte sich hinterher über das angeblich ruppige Vorgehen der Polizei, und will Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Beamten einreichen, der sie am Zugang zur Sitzung gehindert hatte. Polizeisprecherin Ingrid Laun-Keller hält das für überzogen: "Frau Dagdelen ist, wie alle anderen, die hinein wollten, durchaus bestimmt abgewiesen worden. Schließlich hatte die Polizei die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass niemand die Sitzung unterbricht."

Und doch gab es richtig Alarm, als gegen 9 Uhr die Feuerwehr anrückte. Rauch quoll aus einem der unterirdischen Versorgungskanäle, der Qualm zog auch ins Treppenhaus der Verwaltung, als die Wehr zum Löschen ansetzte. Nach Polizeiangaben rührte der Qualm von in den Gängen angehäuftem, nicht näher bestimmtem "Material", das in Brand gesetzt worden war. "Wir wissen noch nicht, wer das war, aber der Schwelbrand war sicher kein Zufall", so Laun-Keller. Die Ermittlungen dauern an. Zwischenzeitlich gab es Überlegungen, die Sitzung vom Campus ins Haus der Geschichte, Clemensstraße, zu verlegen. Doch dazu kam es dann doch nicht.

Während die 25 Senatoren bis in den späten Nachmittag hinein tagten, harrten die Demonstranten durchgefroren und durchnässt aus. Die schwarzen Luftballons, "Todesboten für ein freies Studium", die anfangs noch hoch über der Petschelt-Brücke schwebten, hatte der Starkregen längst zu Boden gedrückt. "Es hat schon mal mehr Spaß gemacht, zu demonstrieren", so ein pudelnasser Aktivist mit saurer Miene. Die Studis fühlten sich gestern nicht nur vom RUB-Senat, sondern auch von Petrus im Stich gelassen.

WAZ?

irritiert 20.09.2006 - 00:22
Also, vielleicht hat die ja mehrere Ausgaben für verschiedene Städte, aber die online-Version geht ein wenig anders. Hab das mal gecheckt, weil ich das mit den Ballons im letzten Absatz ein wenig selstsam fand. Im übrigen sehr geile Aktion.
 http://www.waz.de/waz/waz.onlinesuche.ergebnis.volltext.php?zulieferer=waz&redaktion=redaktion&dateiname=dateiname&kennung=on4wazLOKStaHattingen38977&catchline=catchline&kategorie=kategorie&rubrik=Stadt®ion=Hattingen&bildid=833389&searchstring=Uni+%26+Bochum&dbserver=1&dbosserver=1&other=

richtig

Bochumer WAZLESER 20.09.2006 - 01:50
Der hier eingefügte WAZ-Artikel war heute hier in der Zeitung. Wieso du einen völlig anderen Artikel aus der Hattinger Lokalausgabe verlinkst und dich wunderst, dass da was anderes steht, erschließt sich mir nicht.

Zu den Bochumer Protesten ist zu sagen, dass ich sie als sehr entschlossen und gut organisiert wahrgenommen habe. Zwar konnte der Gebühren-Beschluss nicht verhindert werden, aber ganz offensichtlich haben sich an der Bochumer Uni neue aktionsfähige Strukturen gebildet. Erfreulich ist die Ankündigung der Aktiven, dass es ihnen nicht nur um Studiengebühren, sondern um den Kampf gegen Sozial- und Bildungsabbau insgesamt geht. Bei diversen antifaschistischen Aktionen in Bochum sind die neuen Aktiven auch schon gesichtet worden - das macht Mut, dass der zivile Ungehorsam an der Uni weiter geht und sich auch weiterhin nicht auf reinen Anti-Gebühren-Protest beschränkt.

solidarität gegen studiengebühren!!

marburger 20.09.2006 - 03:25
Studiengebühren sind bundesweit abzulehnen!! Solidarität mit allen, die (ob bei regen oder bei sonne ;-) ) gegen studiengebühren kämpfen!!!

wir werden siegen!!!!

Titel

Name 20.09.2006 - 09:01
Heute 18Uhr Uni Würzburg Sanderring: Senatsbeschluß zum Thema Studiengebühren...

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 4 Kommentare an

Diss — Mr.Long

Soligrüße — Gegenwind