"Tag der Heimat" in Münster

Bündnis gegen Geschichtsrevisionismus 17.09.2006 21:52 Themen: Antifa
Die Gedenkfeierlichkeiten des BdV zum Tag der Heimat wurden in Münster von einer Gegenkundgebung und einer Störungsaktion im Festsaal begleitet, um den revisionistischen Charakter dieser Organisation und die in der deutschen Öffentlichkeit verbreiteten deutschen Opfermythen zu thematisieren.
Münster: Am Sonntag, den 17. September, fanden am frühen Vormittag die Gedenkfeierlichkeiten zum „Tag der Heimat“ wie zuvor bereits in zahlreichen anderen deutschen Städten statt; organisiert werden sie vom Bund der Vertriebenen, um an die Vertreibungen der Deutschen aus „Ostdeutschland“ (BdV) zu erinnern. Begleitet wurde die Veranstaltung im Rathaussaal von einer Gegenkundgebung in der Fußgängerzone und einer Störungsaktion während des Festaktes, um die revisionistische Grundtendenz sowohl des Bundes im Allgemeinen, als auch des „Tags der Heimat“ im Speziellen zu kritisieren.

Die ersten Begrüßungssätze von Roswitha Möller wurden von einer anderen Rede, vorgetragen von GegendemonstrantInnen, unterbrochen. Unter dem Motto „Deutsche Täter sind keine Opfer“ machten sie darauf aufmerksam, dass die Vertreibung der Deutschen historisch nur zu verstehen ist im Kontext des von NS-Deutschland gegen seine europäischen Nachbarstaaten geführten Krieges. Diese Aggression war geleitet, so wollten sie deutlich machen, von einem Rassismus gegenüber den „slawischen Untermenschen“ und von dem Bestreben, Juden und Jüdinnen vorerst in ganz Europa, perspektivisch auf der ganzen Welt aufzuspüren und zu vernichten. Letztlich führte dies in eine singuläre Katastrophe, die Shoa. Aus dieser Ideologie leitete die Mehrheit der Deutschen ihr Handeln ab, indem sie das politische Programm auf unterschiedlichen Ebenen - durch Wehrmachtszugehörigkeit, Arbeit in Rüstungsbetrieben, Denunziationen, in der Verwaltung – aktiv unterstützten. Gerade die heute als Vertriebene bezeichneten Personengruppen spielten durch ihre separatistischen Bestrebungen im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs eine besondere Rolle in dessen Vorbereitung.

Bis zum Ende konnten die RednerInnen jedoch nicht sprechen, da sie rüde und unter Einsatz körperlicher Gewalt unterbrochen und des Saals verwiesen wurden. Die GegendemonstrantInnen auf der Gegenkundgebung, die an PassantInnen Flugblätter verteilten, um ihre Kritik an der Veranstaltung deutlich zu machen, erhielten, neben zustimmenden und aufgeschlossenen Reaktionen, „Nachhilfe“ in Sachen deutscher Geschichte: Polen habe den Krieg mit dem Angriff auf den Radiosender in Gleiwitz begonnen, erklärte ein Passant im besten Nazi-Jargon den DemonstrantInnen.

„Dass wir diejenigen, die sich in den einzelnen Landsmannschaften organisieren, mit unserer Kritik nicht erreichen, ist keine große Überraschung. Eindeutig antisemitische und NS-verherrlichende Positionen sind dort keine Seltenheit“ erklärte eine Sprecherin des Münsteraner Bündnisses gegen Geschichtsrevisionismus. „Diese Personen sind jedoch als schwarze Schafe zu bezeichnen, da sie in der Öffentlichkeit aus politisch-strategischen Überlegungen heraus derartige Positionen nicht vertreten.“ Ein Gegendemonstrant ergänzt: „Als besorgniserregender betrachten wir die Anschlussmöglichkeiten zwischen scheinbar moderaten Positionen innerhalb des BdVs und der gesellschaftlichen Mitte, die sich als „geläutert“ geriert. Das gesellschaftliche Klima ist ein solches, in dem öffentlich und ungeniert das Leiden der Deutschen betrauert wird. Dass dabei die Vertreibungen und Bombardements notgedrungen entkontextualisiert werden, bedeutet eine Relativierung des deutschen Vernichtungsdrangs und historische Unwissenheit, mit weitrechenden politischen Konsequenzen.“





Nachfolgend das verteilte Flugblatt:

60 Jahre Geschichtsrevisionismus

„Heimat im Osten“: Topographie deutscher Geschichtsrelativierung

Heute gedenken wie an zahlreichen anderen Orten in Deutschland die sogenannten „deutschen Heimatvertriebenen“ den Vertreibungen, die sie nach Abschluss des Potsdamer Abkommens erfahren haben. Am „Tag der Heimat“, der heute in Münster gefeiert wird, erinnern sie, so Erika Steinbach, Vorsitzende des Bunds der Vertriebenen, an „jenes kostbare Grundrecht, im Land seiner Kindheit leben zu dürfen, an den Gräbern der Vorfahren sich des familiären Erbes vergewissern zu können und aus der landsmannschaftlichen Verwurzelung Lebensfreude und Selbstbewusstsein zu schöpfen.“ In ihrer diesjährigen Ansprache zum „Tag der Heimat“ nahm sie wiederholt auf die „versöhnliche Charta“ der Heimatvertriebenen Bezug, die in ihrer Originalfassung von 1950 die deutschen Vertriebenen als die „vom Zweiten Weltkrieg am schwersten betroffene Bevölkerungsgruppe“ benennt. Von dieser eindeutig revisionistischen Grundtendenz, in der sowohl die Shoa als auch der deutsche Vernichtungskriegs in Osteuropa gänzlich unerwähnt bleibt, ist der BdV in Teilen abgerückt und hat, um auch für die gesamtdeutsche Öffentlichkeit, die „aus der Vergangenheit gelernt zu haben“ vorgibt, anschlussfähig zu bleiben, jenen Teil der Charta nicht mehr auf die Internetseite übernommen, kommentarlos und ohne Distanzierung. Jedoch – betrachtet man sowohl die Konzeption des geplanten Zentrums gegen Vertreibungen als auch die bereits vorliegende Ausstellung „Erzwungene Wege“ genauer – bleibt ein revisionistischer Grundgedanke erhalten, der sowohl Ursache und Wirkung des Zweiten Weltkriegs unthematisiert lässt als auch die Spezifik der deutschen Verbrechen sich weigert zu erkennen: Deutsche Vertriebene wollen nämlich Opfer wie alle anderen auch sein.

Erzwungene Wege

Für die „deutschen Heimatvertriebenen“ sind alle Vertreibungen in gleicher Weise zu ächten. In der eben angesprochenen Ausstellung steht die „Vertreibung der deutschen Juden“, die de facto die systematische Entrechtung und Ermordung während massenhafter Erschießungen und in den Gaskammern von Belzec, Majdanek, Treblinka, Sobibor und Auschwitz einleitete, unkommentiert neben den Schaukästen, die das Schicksal deutscher Heimatvertriebenen thematisieren. Mit der Tatsache, dass einige Heimatvertriebene nach der Umsiedlung in ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslagern untergebracht wurden, wird zu suggerieren versucht, dass ihr Leiden mit dem von während des NS dort Inhaftierten und – sofern sie nach den Nürnberger Rassegesetzen als „Jude“ oder „Jüdin“ klassifiziert wurden – weiter in die östlichen Vernichtungslager Deportierten vergleichbar wäre. Verschwiegen wird dabei, dass die Vertriebenen zu keinem Zeitpunkt in diesen Lagern mit Stacheldraht und kontrolliert durch SS-Personal festgehalten wurden; sondern dass bereits Konrad Adenauer es zum politischen Programm seiner Regierung machte, die „deutschen Opfer, also die Kriegswitwen, die Vertriebenen und die Bombenopfer“ in finanzieller Hinsicht zu entschädigen und ihre Integration voranzutreiben – ein Vorhaben, dass mit dem „Ministerium für die Angelegenheiten der Vertriebenen“ institutionalisiert wurde. Durch den ebenfalls parallelisierten Hinweis auf die Umsiedlungen von polnischen Staatsbürgern ins Generalgouvernement, die nach dem Angriff Deutschlands auf Polen und der Eingliederung eines Drittel des ehemals polnischen Gebietes ins Deutsche Reich stattfanden, wird der Zweite Weltkrieg, der nur einen Aggressor kannte, europäisiert und die Erfahrungen vermeintlicher „deutscher Opfer“ in eine Reihe mit dem anderer „Volksgruppen“ gestellt. In ihrem Bemühen also, den Vertreibungen eine europäische und menschenrechtliche Perspektive zu geben, weichen die Vertrieben nicht nur von der öffentlichen Thematisierung individuellen Leids ab, sondern betreiben Geschichtsrelativierung, innerhalb derer „ein jedes Volk“ ein wenig Täter und ein wenig Opfer gewesen sei.

Vertreibung der Deutschen: Historische Notwendigkeit

Die Umsiedlungen, die heute zentraler Punkt der von uns kritisierten Gedenkfeierlichkeiten darstellen, waren ebenso wie die Beschränkung des deutschen Gebiets bis zur Oder-Neiße-Grenze im Osten ein Baustein der antifaschistisch motivierten Neuordnung Europas nach dem Sieg über den deutschen Faschismus. Die Umsiedlung der Sudetendeutschen beispielsweise wurde als notwendig angesehen, da 1938 nach der Besetzung der im Münchner Abkommen festgelegten tschechischen Gebiete 98.8 % der Sudetendeutschen in noch freien Wahlen der NSDAP ihre Stimme gaben, nachdem schon vorher die von Berlin gelenkte „Sudetendeutsche Partei“ (SdP) dort mit 95% gewählt wurde. Weite Teile dieser WählerInnenschaft unterstützten die Nazis aktiv bei der Vertreibung oder Ermordung von etwa 150.000 aktiv oppositionellen TschechInnen sowie der Vernichtung der 13.000 Juden und Jüdinnen tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft. Somit waren die vom BdV und ihren Landsmannschaften als „vertrieben“ Titulierten nicht Opfer, sondern fast ausschließlich UnterstützerInnen der nationalsozialistischen Blut- und Bodenideologie, des darin verflochtenen Rassegedankens und Antisemitismus und leiteten daraus ihr Handeln ab. Ein Zusammenleben zwischen der tschechischen Bevölkerung und jenen „Vertriebenen“, bis zum Übereifer angefüllt mit nationalsozialistischer Ideologie, im Land „ihrer Kindheit“ (E.Steinbach) wäre nicht denkbar gewesen. Von den viel beschworenen stattgefundenen „ethnischen Säuberungen“ kann angesichts der Tatsache, dass ein jede Person, welche ihr antifaschistisches Engagement nachweisen konnte, im Land hat bleiben können, nicht die Rede sein – politisches Handeln und nicht ethnische Zugehörigkeit waren im Fall der Sudentendeutschen das Ausweisungskriterium. Ebenso war zu keinem Zeitpunkt, während keiner stattgefunden Vertreibung, die Ermordung der Deutschen das politische Anliegen, sondern ihre Ausweisung aus nicht mehr deutschen Staatsgebieten.


Münsteraner Absurditäten

Alljährlich am „Volkstrauertag“ zelebrieren in schamloser Manier der BdV gemeinsam mit Burschenschaften, Soldatenvereinigungen und dem Oberbürgermeister in aller Öffentlichkeit das vermeintliche deutsche Leiden. Vorgeblich wird „allen Opfern der beiden Weltkriege“ gedacht, was angesichts der Tatsache, dass deutsche Wehrmachtssoldaten sich am Vernichtungskrieg beteiligten sowie ein großer Teil der deutschen Bevölkerung sich durch ideologische und tatkräftige Unterstützung der Militärmaschinerie in Rüstungsbetrieben und der Aufrechterhaltung des Enthusiasmus an der Heimatfront auszeichnete bereits ein Hohn ist. Bei den Feierlichkeiten akzentuiert wird jedoch der deutsche Heldentod, was nicht zuletzt durch das vorgetragene Lied „Ich hatte einen Kameraden“ zum Ausdruck kommt: Täter werden zu Opfern; als ob nicht vielmehr den alliierten Armeen zu danken wäre, den deutschen Vernichtungsdrang Einhalt geboten zu haben. Regelmäßig wird am Servatiiplatz, wo sich das „Vertriebenen-Mahnmal“ befindet, den „Flüchtlingen und Heimatvertriebenen in Münster seit 1945“ gedacht. Neben der hier vorfindbaren Zementierung des deutschen Geschichtsrevisionismus wird nun auch heute im Rathaussaal den „Opfern“ ihrer eigenen Politik und Ideologie gedacht. Wer Sturm säht, erntet entsprechend.

Roswitha Möller, stellvertretende Landesvorsitzende des BdV NRW und Kreisvorsitzende von Münster, weiss folgendes zu berichten: „Wenn Hitler 1939 sagte, ab 5.45 wird zurückgeschossen, warum? Weil die Polen im Widerspruch zum Versailler Vertrag mehr du mehr das Korridorgebiet annektierten und die Deutschen vertrieben!“ Die rigorose deutsche Besatzung in den polnischen Gebieten, die basierend auf antislawischen Ressentiments sämtliche Polen zu Heloten, willigen Sklaven der arischen Herrenmenschen, zu degradieren beabsichtigte, sowie der Antisemitismus, der nur durch (schrittweise) Aggressionen gegenüber den umliegenden Nationalstaaten bis zu seinem Endpunkt durchzuführen war, werden verniedlicht zu einer Frage von geopolitischen Absichten, einem Krieg um Territorium. Möller selbst fällt immer wieder durch revanchistische Aktivitäten auf: So hatte sie in einer Anzeige in der BdV-Zeitung „Deutsche Umschau“ 1998 unter dem Motto „Machen gerade wir Frauen deutlich, dass unsere Männer, Väter und Großväter keine Verbrecher waren“ gegen die damals in Münster gastierende Wehrmachtsausstellung zum Widerstand aufgerufen. In diesem Zusammenhang, einer Demonstration gegen jene Ausstellung, stand sie mit der NPD und der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ unter ein und demselben Aufruf. Wie namenhafte münsteraner Politiker eine Zusammenarbeit mit dieser Organisation rechtfertigen, obwohl sie an anderer Stelle „ihre Stadt“ gegen Neonaziaufmärsche abschirmen wollen, lässt sich weniger mit einer stringenten politischen Meinung als vielmehr mit der Sorge um das Image ihrer Stadt erklären.

Deutsche Opfermythen

Dass individuelle Leid negieren, kann niemand aus historisch wissenschaftlicher Perspektive: Auch unter den Vertriebenen gab es Kinder, die tatsächlich unschuldig gelitten haben.
Aus erinnerungspolitischer Perspektive ist aber das Bestreben des Bundes abzulehnen: Eine erschütternde Mehrheit der Deutschen hat sich während des NS für Verbrechen ungreifbaren Ausmaßes, allem voran der Shoa, schuldig gemacht. Getragen wurde das gesamte Regime von zahllosen Helfers-Helfers, auch unter den Vertriebenen. Daher ist es geschichtsrelativierend, in öffentlichen Zeremonien das Leiden der „Deutschen“ unter Ausschluss dessen Ursachen zu thematisieren. Kontextualisiert wird aber öffentliche Trauer um „die Vertriebenen“ nicht möglich: Eine historisch korrekte Konfrontation mit den Ursachen der Vertreibungen der Deutschen müsste ein jeder Person vor Augen führen, wessen Leiden und wessen Schicksale tatsächlich erschütternd sind. Das all jener, die ihr Leben oder ihre Familie in den Gaskammern, in deutschen Gefängnissen und bei Kämpfen mit der Wehrmacht und SS verloren haben.

Werden jedoch Bücher wie „Gegen das Vergessen: Vertreibung der Deutschen“ oder „Der Brand“ veröffentlicht und zu Bestsellern, Trauerveranstaltungen mit einer ähnlichen Stoßrichtung abgehalten oder entkontextualisierte Museumsausstellungen konzipiert, stärkt das ein Klima, demnach der Zweite Weltkrieg für alle eine gleichermaßen „schreckliche Zeit“ war. Deutsche Aggressionen werden immer schwammiger, das Niederschlagen des NS-Regimes mit seinen Millionen von AnhängerInnen Teil einer vermeintlichen Gewaltspirale, die scheinbar keinen eindeutigen Anfang kennt. Wie es in diesem Klima, das Rassismus und Antisemitismus als ideologisches Amalgam zur politischer Praxis nicht mehr benennt, möglich sein soll, „aus der Vergangenheit zu lernen“, bleibt eine Frage ohne zufriedenstellende Antwort. Gelernt haben viele Deutsche allein, dass außenpolitische Machtambitionen sich wirkungsvoller unter einer vermeintlichen „moralischen Überlegenheit und Verantwortung gerade wegen Auschwitz“ tarnen lassen, wie im Falle des Krieges gegen Serbien geschehen.

Die zunehmende öffentliche Aggressivität der stattfindenden Trauerzeremonien um vermeintliche deutsche Opfer, beispielsweise der Bombenopfer von Dresden, bemüht sich nicht um eine fundierte historische Analyse, sondern aber eine Anthropologisierung des Leids - nur der individuelle Schmerz und nicht der historische Kontext zählen - , die notgedrungen die Frage aufwirft, ob es den hier im Rathaussaal Versammelten mit ihrem Schwadronieren von deutschen Schicksalen denn tatsächlich lieber gewesen wäre, hätten die Alliierten nicht unter Einsatz der notwendigen Mittel Nazi-Deutschland in die Knie gezwungen und den Deutschen eine parlamentarische Demokratie aufoktroyiert.
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Ergänzungen

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super flugblatt! — andi

inhaltlich deluxe, aber.... — gelerntistgelernt

Rache oder Versöhnung — Dein Name

Versöhnung ja aber — Gegendemonstrant@dein Name

interessant aber ..... — Bart Simpson