Justiz und Jörg auf Schmusekurs

Ulrich Brosa 10.09.2006 22:51
Im Prozess gegen Jörg Bergstedt wegen Beschädigung
des Amtsgerichts und der Staatsanwaltschaft Gießen ist
Strafrichter Wendel selbst dabei die Anklage zu zerschmettern.
Die junge Liebe wird erwidert. Jörgstedt beurteilt Wendel als
"gut und kritisch" und verdächtigt ihn der "Unbefangenheit".
In Bälde wird sich erweisen, wie gut sie doch ist,
unsere deutsche Rechtsstaatsjustiz!
Am 4.9.2006 begann am Amtsgericht Gießen ein Prozess
gegen Jörg Bergstedt wegen Sachbeschädigung
des Amtsgerichts und der Staatsanwaltschaft Gießen.
Am 3.12.2003 wurden Schlösser mit Nägeln und
Klebstoff demoliert, einige Schilder mit Farbe bekleckert
und ringsherum Krikelkrakel aufgemalt.
Az.5406 Ds - 501 Js 26964/03 StA Gießen
 http://www.projektwerkstatt.de/prozess/

Bergstedt gesteht die Randale nicht, aber ist stolz auf sie.
Seine Lieblingsgeschichte handelt von einem mokanten Flugblatt
"Lichterkette für den Rechtsstaat", mit dem er die Gießener aufforderte
aus Protest gegen die Sachbeschädigungen an den Justizgebäuden
eine Lichterkette zu formieren. Bergstedt erzählt,
er habe das Flugblatt auf dem Weihnachtsmarkt 2003 verteilen wollen,
sei aber von den dortigen Süffels beinahe verhauen worden,
da diese die Randale an den Justizgebäuden guthießen
und äußerten, endlich täte jemand was gegen die Justiz.

Eine Eigendarstellung des ersten Prozesstages liegt bereits vor.
Unter dem Motto
"Freut Euch, liebe LeserInnen, über neue Abenteuer von und mit Eurem Jörg!"
wird erzählt, wie J.B die Justiz mit bloßen Füßen niederringt.
 http://de.indymedia.org/2006/09/156534.shtml

Diese Eigendarstellung kann falsche Vorstellungen vom heldenhaft-
erfolgreichen Kampf gegen die deutsche Justiz hervorrufen.
In Wirklichkeit ist es Strafrichter Wendel selbst, der die Anklage
demontiert. Bergstedt macht dazu ein bisschen Theater.
Doch im Wesentlichen schaut er nur zu.

Ich sah mir die Vorstellung einer Anthropologin an,
die am Nachmittag des 4.9.2006 stattfand. Frau Dr.Kreutz 'analysierte'
gegen ein Honorar von 1500 Euro diejenigen Bildsequenzen, welche
Überwachungskameras von dem oder den Tätern aufgenommen hatten.
Auf den Bildern war nicht mehr zu sehen als zwei menschenähnliche Figürchen,
die in der Nähe eines überdachten Hauseingangs herumtorkelten.
Auf der Kleidung waren nur die gröbsten Falten zu sehen,
Farben und Muster aber nicht. In den Gesichtern waren nicht einmal
die Augen als dunkle Punkte erkennbar. Die Köpfe sahen aus wie weiße
Wolken oder Blumenkohl. Kreutz hatte in diese Wolken Striche gezogen
um diese Bilder mit besseren Aufnahmen von Bergstedt zu vergleichen,
die bei anderen Gelegenheiten gemacht worden waren.
Kreutz behauptete, beide Figürchen zeigten trotz unterschiedlicher
Kleidung Bergstedt. Kreutz gab die Größe des Täters mit 192 cm an,
also mit dem Maß, das für Bergstedt benötigt wird.
Kreutz versicherte (das ist für das Folgende von entscheidender Bedeutung )
der Täter habe Halbstiefel getragen, das heißt Schuhe, die die Knöchel bedecken.
Tatsächlich läuft Bergstedt oft mit Halbstiefeln herum.
Selbstverständlich waren die Bilder zu schlecht um Halbstiefel zu zeigen.
Kreutz behauptete aber, sie könne an den unteren,
aufgebauschten Enden der Hosenbeine ersehen,
dass Halbstiefel darunter gesteckt haben müssten.

Es war der gewandelte Wendel ganz allein,
der Frau Dr.Kreutz aufs Kreuz legte - im übertragenen Sinn.
Wendel hielt Dr.Kreutz die schlechte Qualität der Bilder vor. Er bezeichnete
die Berechnungen, die Dr.Kreutz angestellt hatte, als "Zahlenspielereien".
Wendel wies auf die Willkür der Vergleichslinien hin. Er verhöhnte
Kreutzens angeblich genaue Bestimmung der Körpergröße, indem er
sie mit einer vernichtenden Stellungnahme aus der Polizeischule verglich.
Kreutz stotterte schließlich nur noch.
Die Bombe aber ließ Wendel am Ende platzen.

Die Polizei behauptet nämlich, Bergstedt habe bei der Randale
eine Fußspur hinterlassen. Die Projektwerkstatt, Bergstedts Domizil,
sei durchsucht und der zur Spur passende Schuh sichergestellt worden.

Richter Wendel hielt Dr.Kreuz ein Foto dieses Schuhs vor,
und fragte, ob das der Halbstiefel sein könnte, den sie erkannt
haben wollte. Der sichergestellte Schuh ist ein Halbschuh,
der den Knöchel nicht bedeckt.

Es kommt oft vor, dass von Staatsanwälten vorgebrachte Beweise
unhaltbar sind. Den Anklagten nützt es im Regelfall nichts,
wenn sie darauf hinweisen. Die Richter hören unerwünschte
Hinweise einfach nicht. Im vorliegenden Fall aber hat der Richter
die Widersprüche im Beweismaterial selbst hervorgekehrt.
Bergstedt kann mit einem Freispruch oder einer Einstellung
auf Staatskosten rechnen.

Ich sehe jetzt schon die Schlagzeilen:
"Überkorrekte deutsche Justiz verschont Linksextremisten"
und
"Links-Terrorist profitiert von Rechts-Staatsjustiz"
Tausende werden den Quatsch glauben.

Die hessische Justiz braucht Image-Pflege um dutzende
Rechtsbeugungen zum Nutzen der Rechten zu kaschieren.
Bergstedt wird benutzt um öffentlich vorzuführen,
wie gut sie doch ist, unsere deutsche Rechtsstaatsjustiz.
Er ist dafür bestens geeignet. Denn einerseits wird ein
Freispruch genug Medienrummel provozieren. Anderseits
wird ein Erfolg Bergstedts die Linke insgesamt eher schwächen.
Die Prozedur ist nicht originell. Es gibt viele Beispiele,
auch aus der NS-Zeit, für derartige Manöver.

Bergstedt veranstaltet dazu ein bisschen Theaterdonner,
lässt sich aber ansonsten nicht lumpen. Beispielsweise hat er
einen "Befangenheitsantrag" gegen Wendel gestellt.
Doch am Ende des Antrags schreibt Bergstedt:
"Dass Richter Wendel im Vorfeld des Prozesses Klärungsprozesse
mit Belastungszeugen anstrebt, lässt den Verdacht der Unbefangenheit
aufkommen" (siehe angefügtes Bild).
Vom Angeklagten der Unbefangenheit verdächtigt zu werden,
was mehr kann sich ein Richter wünschen?

In der angeblich justizkritischen Darstellung
 http://de.indymedia.org/2006/09/156534.shtml
wird Wendel - welch ein Wandel zu früheren Zeiten -
als "gut und kritisch" gelobt.

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Was ist die nützliche Erkenntnis aus diesem Prozess?

Die Überwachungskameras wurden vom hessischen LKA angebracht.
Der Pfusch der Installation war von vornherein erkennbar.
Tatsächlich ist die hessische Polizei so heruntergekommen,
dass sie nicht einmal den eigenen Polizeiminister schützen kann,
staatliche Institutionen auch nicht und machtlose Leute
schon gar nicht.

Es ist möglich Überwachungsanlagen aufzubauen, die deutliche Bilder liefern.
Doch die zeigen zu oft Kriminelle von der rechten Kante.
 http://www.althand.de/kirchw.html
 http://www.althand.de/kwfh.html
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Ergänzungen