Fahndungsplakate suchen Justiz-Bemaler in GI

die drei kreuzchen 09.09.2006 15:15 Themen: Repression
Am 4. September 2006 fand der erste Verhandlungstag im "Bunte Justiz"-Prozess gegen einen Projektwerkstättler statt. Gegenstand des Verfahrens sind justizkritische Attacken, bei denen im Dezember 2003 das Amtsgericht und die Staatsanwaltschaft Gießen mit roter Farbe und politischen Parolen gegen Strafe und Repression überzogen wurden (Hintergründe:  http://www.de.indymedia.org/2006/09/156534.shtml). Die unbekannten AktivistInnen zerstörten zudem Schlösser mit Nägeln und Klebstoff. In Folge des ersten Prozesstages ( http://www.de.indymedia.org/2006/09/156534.shtml) kam es offenbar zu mehreren Kommunikationsguerilla-Aktionen, die bezug auf die laufende Hauptverhandlung nehmen - bekannt wurde die Verbreitung offensichtlich gefälschter Fahndungsplakate und einer Einladung von Richterin Barbera Salesch.
Nach dem ersten Verhandlungstag dürfte die Staatsanwaltschaft Gießen und ihr bekannter Vertreteter Martin Vaupel nicht gerade zufrieden mit dem Verlauf des Verfahrens sein: Mehrere Polizei-Zeugen hatten sich nicht vorbereitet und waren kaum in der Lage, sich noch genau zu erinnern. Der Antrag auf Beweisverwertungsverbot der Videoaufnahme, welche das zentralen Beweismittel darstell(t)en, machte selbst Vaupel im ersten Moment ratlos. Und der Auftritt der Gutachterin Kreutz, die auf schwammigsten Videoaufnahmen trotzdem den erkennt, den sie erkennen sollte, hat sich und ihre "wissenschaftlichen" Untersuchungen wenig überzeugend rüber gebracht.


Falsche Fahndungsplakate

Als wäre das nicht schon genug, tauchten am in Gießen nach dem ersten Verhandlungstag - auf den ersten Blick relativ authentisch wirkende - Fahndungsplakate auf, welche Hinweise zu den TäterInnen der justizkritischen Anschläge vom 3. Dezember 2005 erbitten und auf die Adresse der Staatsanwaltschaft verweisen. Auf dem Plakat ist das Logo von "Pro Polizei Rödgen" (scheint es gar nicht zu geben bzw. dürfte frisch gegründet sein ...) und der Warnhinweis "Terroristen" zu finden, der etwas überzogen anmutet. Die Fahndungsbilder entsprechen dem "Pixelbrei", der von Gutachterin "Freue mich auf weitere gute Zusammenarbeit mit der Polizei" Kreutz für eine zweifelsfreie Identifikation heran gezogen wurde.
Ein paar auffällige Verdrehungen im Text des Plakates weisen darauf hin, dass hier FälscherInnen am Werk waren: So werden die betroffenen Gebäude von Amtsgericht und Staatsanwaltschaft beschrieben als "Gegenstände, die zur öffentlichen Verurteilung dienen". Dieser Satz ist möglicherweise eine Anspielung auf die Anklageschrift, in der es - wie unverschämt - heißt, der Angeklagte habe Gebäude angegriffen, die dem "öffentlichen Nutzen" dienen - diese Passage sorgte bereits im Verhandlungssaal für Streit, da sehr unterschiedliche Auffassungen dazu aufeinander prallten. Zudem ist auf dem Plakat zu lesen, dass die Personen "unschuldig" abgebildet seien. Die Plakate wurden in Gießen an Bushaltestellen, Briefkästen und Telefonzellen gesichtet.


Einladung von Barbara Salesch im Umlauf

Außerdem kursiert inzwischen eine Einladung zu einer Aufzeichnung zweier Folgen von Richterin Barbera Salesch im Amtsgericht Gießen - die angegebenen Termine stimmen "zufällig" mit den nächsten Terminen des "Bunte Gerichte"-Verfahrens überein. Und auch die Beschreibungen der verhandelten Strafsachen wirken doch sehr ähnlich. Allerdings heißt es in dem Schreiben, welches offenbar per Postwurfsendung verteilt wurde, dass Angeklagte, Richter und Staatsanwalt von SchauspielerInnen gespielt würden - den Eindruck mag manche BeobachterIn angesichts der seltsamen Gerichts-Lithurgie manchmal haben, aber ansonsten wirkt das Geschehen leider erschreckend real inklusiver möglicher Folgen nach einer Verurteilung, die zwar unwahrscheinlicher, aber nicht unmöglich geworden ist. Auch in diesem Schreiben findet sich ein lustig-verdrehter Satz: "Seit Oktober 1999 verhandelt Richterin Barbara Salesch Strafrecht-Delikte, so wie sie sich jeden Tag in deutschen Gerichtssälen tatsächlich abspielen: Diebstahl, kriminelle Vereinigungen, Sachbeschädigung - Alltagsfälle." Wobei er gar nicht so falsch ist ...


Weitere Termine

- Sonntag, 10. September 2006 in der Projektwerkstatt: Ab 18 Uhr offenes Treffen für alle, die den nächsten Prozesstag kreativ begleiten wollen
- Nächster Prozess-Termin: Mo, 11. September, 8.30 Uhr Amtsgericht Gießen, Raum 100 A


Links

Indymedia-Bericht zum 1. Prozesstag:
 http://www.de.indymedia.org/2006/09/156534.shtml

Hintergrund-Artikel zum Verfahren:  http://www.de.indymedia.org/2006/09/156534.shtml

Fälle politischer Justiz in Gießen:
 http://www.justiz-giessen.de.vu
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Ergänzungen

Kommunikationsguerrilla

Linker 09.09.2006 - 22:51
Funktioniert dieses Konzept wirklich ?
Ich fühl mich davon eher veräppelt, und denk mir
"so ein scheiss" weil ich das Gefühl hab daß hier
nur Mist verzapft wird und ich nicht weiß was
man in euren Kreisen überhaupt ernstnehmen kann.
Eine ähnliche Reaktion wie wenn ich BILD-Schlagzeilen
lese. Man hat einfach nicht das Gefühl daß man es
mit einem seriösen Bericht zu tun hat.
Das verleitet mich immer zu Gedanken wie:
"ach, schon wieder linksradikales Kauderwelsch.
Da hab ich echt was besseres zu tun als mir diesen
Mist durchzulesen."

frage zu kommunikationsguerilla

tom 10.09.2006 - 10:40
@linker: ich glaube schon, dass das konzept funktioniert, zumindestens dann, wenn kommunikationsguerilla nicht für sich allein steht, sondern mit offenen aktionsformen (demos, strassentheater usw.) verbunden wird ... bei einer viezahl solcher unterschiedlicher aktionen ist es m.E. eher möglich, einen aufmerksamkeitskorridor für ein bestimmtes anliegen zu schaffen.

im konkreten fall kann ich aber das gefühl des veräppeltseins gut verstehen: meiner meinung nach ist zum beispiel das plakat gar keine subversive aktionsform, weil es nur wenige elemente enthält, den inhalt der gegenseite zu verdrehen. es geht bei diesem ding wohl eher darum, die staatsanwaltschaft und polizei zu verarschen, die ja im prozess wirklich solches "beweismaterial" präsentiert haben. wobei, jetz wieder als größerer rahmen gedacht, es ja möglich wäre, diese aktion mit anderen zu verbinden (z.B. verstecktes theater an den betroffenen bushaltestellen, um mit leuten ins gespräch zu kommen und inhaltlich zu vermitteln)

und diese salesch-geschichte ist vor allem ein lustiges lockmittel, damit unbedarfte zum prozess kommen.

Duden

griechisch-Expert 12.09.2006 - 00:40
"Lithurgie"? Liturgie kommt vom grch. "liturgein" und hat was mit leiten zu tun, nicht jedoch von "lithos", = Stein.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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klase — nö

toll — Bergmann

Good action! — soli

Fotos — blind?