Calderón wie erwartet Präsident in Mexiko

Ralf Streck 06.09.2006 08:36 Themen: Weltweit
Wie erwartet hat das Wahlgericht in Mexiko den konservativen Felipe Calderón zum Präsidenten gekürt. Eine Vorentscheidung war schon letzte Woche gefallen, obwohl die Richter bei der Nachzählung von 9 % der Wahlurnen fast 240.000 Stimmen annullierten, sahen sie keine "substanzielle Beeinflussung des Resultat". Der bisherige sehr knappe Vorsprung von 244.000 Stimmen (0,58 %) für Calderón war dabei erneut um mehr als 4000 Stimmen zu Gunsten des Linkskandidaten Andrés Manuel López Obrador (AMLO/ http://www.amlo.org.mx) zusammen geschmolzen. Die Opposition fordert weiter die komplette Neuauszählung der Wahl, vermied aber bisher die Konfrontation und sagte letzte Woche einen Marsch zum Parlament ab. Drinnen vereitelte sie es, dass der Noch-Präsident Vicente Fox seinen jährlichen Rechenschaftsbericht vortragen konnte. In Zweifel steht auch, ob der Parteifreund von Calderón jemals Präsident Mexikos werden durfte. Nun darf eine Eskalation in Oaxaca erwartet werden.  http://de.indymedia.org/2006/08/155838.shtml
Es war eine der vielen Meldungen in der letzten Zeit, die auf Sonderbarkeiten im politischen System von Mexiko hinwiesen. Doch hatte die nichts mit dem Ringen um den Wahlausgang zu tun ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23104/1.html). Vielmehr wird geprüft, ob Vicente Fox der Sohn von Ausländern ist und somit, nach Artikel 82 der Verfassung, nie hätte Präsident werden dürfen. Nach vorliegenden Dokumenten soll der Vater von Fox einst vor den mexikanischen Behörden angegeben haben, er sei Staatsbürger der USA. Da die Mutter des Präsidenten Spanierin war, hätte er die Kriterien nicht erfüllt. Präsident dürfen in Mexiko nur die werden, "die Kinder eines mexikanischen Vaters oder mexikanischer Mutter sind". Vor einer Verfassungsänderung mussten sogar noch beide Eltern Mexikaner sein ( http://www.elpais.es/articulo/internacional/Denuncian/Fox/violo/requisito/nacionalidad/ser/presidente/Mexico/elpporint/20060831elpepuint_2/Tes)

Doch deshalb hatten mehr als 100 Anhänger der Linkskoalition "Für das Wohl aller" den Präsidenten im Kongress nicht daran gehindert, seinen jährlichen Rechenschaftsbericht vorzutragen. Abgeordnete und Senatoren der Linkskoalition, hinter der federführend die "Partei der Demokratischen Revolution" (PRD/ http://www.prd.org.mx ) steht, hatten letzte Woche das Podium besetzt, weil sie Fox vorwerfen, an einem Wahlbetrug zu Gunsten seines Parteifreunds Calderón mitgewirkt zu haben ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23336/1.html). Zuletzt hatte sich Fox über die Richter des Wahlgerichts und die Wahlkommission hinweggesetzt und den Kandidaten seiner "Partei der Nationalen Aktion" (PAN/ http://www.pan.org.mx) zum Wahlsieger erklärt (). Ein offizielles Ergebnis der Wahlen gibt es auch genau zwei Monate danach noch nicht.

"Angesichts der Haltung einiger Abgeordneter verabschiede ich mich aus der Kammer", erklärte Fox, verließ das Gebäude sofort wieder und verlas sein Rede per Fernsehen. Zuvor hatte seine Regierung angekündigt, er werde in jedem Fall seine Rede halten. Was gleichzeitig eine Art Verabschiedung von Fox werden sollte, fiel ins Wasser. Erstmals wurde der Bbericht eines Präsidenten nicht mündlich vorgetragen, sondern schriftlich dem Parlament übergeben.

Die Abgeordneten protestierten auch gegen die Anwesenheit von Polizei und Militär, die das Parlament abgeriegelt hatten. Der Senator Carlos Navarrete erklärte, die Anwesenheit des Militärs bedeute, dass die verfassungsmäßigen Rechte außer Kraft gesetzt worden sein: "Ich und meine Kollegen, werden dieses Podium so lange nicht verlassen, bis die Bedingungen zum Funktionieren des Kongresses wieder hergestellt sind", sagte Navarrete. Die Sicherheitskräfte hatten zuvor versucht, den Mitgliedern der Linkskoalition den Zugang zum Parlament zu verwehren. Dabei kam es sogar zu Rangeleien ( http://www.jornada.unam.mx:8080/entre-forcejeos-con-militares-legisladores-perredistas-logran-llegar-a-pie-a-san-lazaro). Das Kongress-Gebäude war von mehr als 6000 Polizisten und Soldaten abgeriegelt worden, Strassen und U-Bahn-Höfe waren gesperrt und Wasserwerfer waren in Stellung gegangen.

Die Linkskoalition hatte geplant, von ihrem Besetzercamp ( http://www.heise.de//tp/r4/artikel/23/23244/1.html) auf dem Zócalo, dem zentralen Platz im Herzen der Hauptstadt, mit zehntausenden Menschen zum Parlament zu ziehen. Angesichts der Tatsache, dass noch einmal etwa 8000 Soldaten und Polizisten auf der Marschroute stationiert worden waren, warnte Obrador aber davor, in die "Falle der Provokation“ zu tappen. Die Menge entschied sich daher mit einer großen Mehrheit bei einer Abstimmung dafür, den geplanten Marsch abzusagen. Stattdessen wurde auf dem Zócalo gefeiert, dass Fox im Parlament nicht zu Wort kam.

Dass Calderón zum Sieger erklärt wird, hatte sich schon letzte Woche klar abgezeichnet, trotz der vielen Anomalien im Wahlprozess ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23336/1.html). Die sieben Richter hatten insgesamt 237.736 Stimmen für ungültig erklärt, die sie bei der Kontrollzählung von 9 % der Wahlurnen ermittelt hatten. 81.080 faule Stimmen entfielen auf Calderón, 76.897 auf López Obrador, der Rest verteilte sich auf die übrigen Kandidaten. Obwohl damit der ohnehin sehr dünne Vorsprung Calderóns von 244.000 Stimmen nun erneut um mehr als 4000 Stimmen schrumpfe, sahen die Richter keinen Grund zur Besorgnis. "Nach den von uns als notwendig erachteten Annullierungen haben alle Parteien eine beträchtliche Anzahl von Stimmen verloren, aber das hat das Resultat nicht beeinflusst", sagte der Wahlrichter José Alejandro Luna Ramos.

Rechnet man die Prüfung aber auf alle Wahlurnen hoch, bliebe für Calderón nur noch ein hauchdünner Vorsprung vor Obrador übrig. Jedenfalls ist auch nach dem Richterspruch der Abstand auf auf 0,58% geschmolzen. Calderón hätte damit 35.71 % der Stimmen erhalten und Obrador 35.15. Tatsächlich könnte aber nur die komplette Neuauszählung aller Stimmen Aufschluss über den wirklichen Wahlausgang angesichts des knappen Resultats geben.

Doch nach der Begründung der Richter in der letzten Woche war eigentlich klar, dass sie die Wahl nicht annullieren werde. Sie mussten zum Beispiel auch prüfen, ob sich Präsident Fox sich im Wahlkampf unrechtmäßig für Calderón engagiert hat und die von dessen PAN kontrollierte Nationale Wahlkommission (IFE/ http://www.ife.org.mx) einseitig gegen die Linkskoalition agierte ( http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23054/1.html). Daran besteht eigentlich kein Zweifel, wenn die Kommission zwei Millionen Stimmen verschwinden lässt und deren Präsident Calderón schon zum Sieger erklärt, bevor alle Stimmen ausgezählt sind.

Nun wird es auch in der Hauptstadt brenzlig. Es ist unwahrscheinlich, dass Millionen Mexikaner, die sich um den Sieg ihres Kandidaten betrogen fühlen, dieses Ergebnis nach den vielen Anomalien  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23036/1.html und dem knappen Ausgang hinnehmen werden. Die Linkskoalition mobilisiert schon zu Demonstrationenen für heute. Zur Machtprobe könnte es dann am 16. September kommen.

Denn Obrador hat ankündigt, den "Kampf um die mexikanische Demokratie" weiterführen zu wollen. Am 16. September findet als Abschluss der Unabhängigkeitsfeiern traditionell eine große Militärparade auf dem Zócalo statt. Behält die Linke ihr Widerstandscamp bis dahin aufrecht, könnte es hier zum offenen Schlagabtausch kommen. Analysten bezeichnen den Tag deshalb als "Punkt ohne Umkehr". Statt der Militärparade plant die Linke auf dem Zócalo am 16. eine "Nationale Konvention" abzuhalten. Mehr als eine Million Menschen sollen dafür erneut zusammen strömen. Obrador verlas vor seinen Anhängern inzwischen auf dem besetzten Zócalo schon seinen Resolutionsentwurf für die Konvention. Demnach sollen die Teilnehmer zunächst das Wahlergebnis ablehnen. Danach sollen sie darüber entscheiden, ob sie ihrerseits eine Parallelregierung mit Obrador als Präsident ausrufen oder einen Koordinationsrat, mit Obrador als Chef, einsetzen. Der Rat würde die weiteren Proteste und den zivilen Ungehorsam gegen den "Usurpator" und "Marionette der Mächtigen", wie Calderón betitelt wird, koordinieren. Obrador neigt nun dazu, eine "legitime" Gegenregierung auszurufen.

© Ralf Streck, den 06.09.2006
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Ergänzungen

Kannst lesen

Paul 07.09.2006 - 18:37
Da steht nichts von 9 % ausgezählter Stimmen, sondern 9 % ausgezählter Urnen, worin die Anzahl der Stimmen varieren Dein Zahlengespiele macht deshalb keinen Sinn und ohnehin, kann, das steht da ja auch, nur die wirkliche Nachzählung eine Prüfung bringen. Da die 4000 Stimmen das Ergebnis um 0,02 % verändert haben, ist also viel mehr Raum als von dir errechnet, wenigstens 0,22, dann hätte Calderon nur noch 0,34 Vorsprung. Angesichts dessen kann nur eine totale Neuzählung ein vernünftiges Ergebnis bringen. Das ist doch klar, dass das alles hingefriemelt wurde, stinkt doch seit der Wahl.

aber

May 24.09.2006 - 22:30
Aber die Informationen über 9 % der Urnen müssen nicht stimmen, der Hauptgrund der ja aufgeführt wurde ist, dass wenn die Gewinner keine nochmalige genaue Auszählung wollen, etwas nicht stimmen muss.

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