new orleans - ein jahr danach

schwarze feder 17.08.2006 17:54 Themen: Antirassismus Soziale Kämpfe Weltweit
im juli 2006 besuchte ich die gruppe common grounds collective - eine von malik rahim (ex black panther) direkt nach der flut gegründete antirassistische graswurzelorganisation. sie setzen sich für die rückkehr der hunderttausende bewohnerInnen ein, deren stadtviertel, häuser, schulen noch immer völlig zerstört sind.
zunächst hatte ich die absicht, interviews mit den aktivistInnen zu führen, merkte aber schnell, dass das so nicht geht. auf meinen weg durch die - zehn monate nach dem dammbruch - noch immer völlig zerstörten stadtviertel beschloss ich, dort eine woche mitzuarbeiten.
ich erhielt zum einstieg ein manual, wie man häuser "guttet" (entrümpelung und das rausbrechen der innenverkleidung) und in einer gruppe einen einstiegsvortrag. hier erfuhr ich, dass die leute in der stadt, nachdem katrina über sie hinweggefegt ist, aus den häusern kamen und die geringen schäden beseitigen wollten und dass dann der damm brach und die katastrophe begann. auf meinem weg zu common ground in dem "lower 9th ward" konnte man sehen wie hoch das wasser stand, an verkehrsschildern und häuserwänden zeichnete eine dunkle linie den wasserstand. ich hörte die ganzen horrorgeschichten von der polizei, die schusswaffen einsetze, um die arme bevölkerung am verlassen der stadt zu hindern; von familien, die tagelang auf der brücke ausharren mussten; von dem krankenhaus, in dem die ärztInnen und pflegerInnen mit den patientInnen tagelang ohne strom bei brütender hitze ausharrten - gegen drei von ihnen war vor kurzem ein prozess weil sie einigen patientInnen aus verzweiflung einen "todescocktail" verabreichten; von der bevorzugten behandlung der reichen; dem rassistischen und klassistischen berichterstattungen; dem einmarsch der schwer bewaffneten armee...
in diesem klima organisierte eine kleine gruppe um malik rahim die versorgung mit lebensmitteln, decken, dem lebensnotwenigen dingen und sie bauten eine erste freie klinik auf, um die medizinische versorgung zu gewährleisten. die gruppe wuchs und wurde immer wieder von der polizei und der in gepanzerten jeeps patroullierenden nationalgarde in ihrer arbeit behindert. so wollte im februar 2006 die polizei (nopd) aktivistInnen von common ground verhaften, weil sie die im zerstörten stadtviertel lower 9th ward befindliche martin-luther-king-schule restaurieren wollten - nur dank der anwesenden medien konnten sie dann doch ihrer arbeit nachgehen. ein halbes jahr später war ich selber in der schule. die erste etage war überflutet, die klassenräume selber hingegen waren einwandfrei, zig neuwertige computer und das ganze unterrichtsmaterial stehen ungentutzt herum, während viele schulkinder seit einem jahr nicht zur schule gingen, andere in überüllten klassenräume in andere viertel müssen oder aber in texas oder anderen bundesstaaten auf die rückkehr warten.
common ground setzt sich aktiv für die rückkehr ein. nicht nur in dem sie vier freie kliniken unterhält, die ihre schul- und alternativmedizin völlig frei zur verügung stellen, oder durch das "gutting" der häuser (insgesamt gibt es zur zeit 26 common-ground-projekte in new orleans an denen bislang knapp 10.000 freiwillige mitgearbeitet haben), sondern auch durch politisches engagement. so fand während meiner anwesenheit eine demo für die rückgabe einer eingezäunte siedlung statt. die residents wollten zurück in ihre häuser, doch die regierung behauptet, die häuser seien durch das wasser zerstört und müssten abgerissen werden. sie wollen dort neue häuser bauen, die ein "gemischstes" wohnen ermögliche - gentrifizierung im großen stil.
die arbeit bei common-ground ist hart: um halb sechs wird man geweckt, um 6 uhr ist frühstück, um 7 uhr arbeitsbesprechung, dann geht man ins lager, sucht sich passende handschuhe, schutzbrille, gasmaske, einen einweg-plasitk-overall, gummistiefel und um 8 uhr gehts los mit den pickups in das viertel. mittags wird das essen vorbeigebracht - natürlich auch vegan. um vier fährt man zurück, wäscht und desinfiziert handschuhe, etc. nach dem essen ist plenum und um 20.00 uhr ist donnerstagsabends ein plenum zum thema rassismus, am freitag abend eines zum thema sexismus, mit den entsprechenden kleingruppen je nach zugehörigkeit.
inzwischen ist die seuchengefahr weitgehend gebannt, dennoch wird das wasser extra gefiltert, die teller werden nach gebrauch in vier gängen gewaschen und desinfiziert...
common ground arbeitet nicht nur in der stadt sondern auch in den wetlands nahe der küste und versucht dort eine ökologische wiederaufforstung der lange vor katrina ausgebeuteten region und unterhält dort ein jugendzentrum.
von der regierung hat die arme bevölkerung nichts zu erwarten. die ansässigen konzerne hingegen bekamen prompt eine steuerbefreiung, obwohl sie nicht betroffen waren. in der von einer sehr rassistischen geschichte geprägten stadt ist die klassenzugehörigkeit direkt an der höhe der wohnorte abzulesen. dennoch ist der großteil der bevölkerung sauer - in den läden im tourismusviertel "french quarter" kann man t-shirts erstehen mit der aufschrift: "another f... - word with four letters: fema" (fema ist die katastrophenschutzorgansiation, die seit dem 11.9. der homelandsecurity unterstellt wurde) auf der rückreise erzählte mir ein taxifahrer, dass die grundstückepreise der reichen sich seit katrina vervierfacht hätten, die der armen hingegen auf die hälfte gesunken sei...
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Ergänzungen

ergänzung

schwarze feder 17.08.2006 - 18:24
der artikel gibt weniger wieder als ich ausdrücken wollte... und ist an zwei stellen mißversätndlich: die schule war überflutet, ist es nun aber nicht mehr - new orleans ist trocken, aber die die chemikalien der industrie und bakterien die die häuser umspült haben sind ein problem. und die zweite mißverständliche stelle: natürlich wollen nicht die bewohner der siedlung neue häuser bauen, sondern die eigentümer. das sogeannte "bulldozing" ist ein großes problem... lest die sehr informative (leider englischsprachige) homepage. dort gibt es auch einige gute videos und viele fotos.

kontaktadresse für freiwillige helferInnen

schwarze feder 17.08.2006 - 18:32
hier noch eine liste für freiwillige unterstützerInnen, die alleine im sehr betroffenen stadtviertel lower 9th ward gesucht werden:

 http://www.bluehouseproject.org/temporaryhousing.html

Kontakt zum Autor

Peter 17.08.2006 - 18:45
Hallo,wir hätten sehr gern Kontakt zum Autor dieses Berichtes.
Wir würden gerne eine Veranstaltung zu diesem Thema machen.
email: zuip66@yahoo.de

thumbs up!

tagmata 17.08.2006 - 20:43
vielen vielen dank für den bericht!

ich kann nur als ferndiagnose ergänzen: schaut mal auf google earth, wie es im osten von nola so aussieht, die pix sind zwar was älter, aber immerhin aus diesem jahr. in chalmette (iirc) nördlich des mississippi könnt ihr ja maö autos zählen, die man da so sieht (auf den straßen, vor den häusern) und das mit den reicheren vierteln um die innenstadt vergleichen. und am südufer achtet auf die blauen flecken: tarps, also diese großen plastikplanen, die die nationalgarde verteilte, um das obdachlosigkeitsproblem zu lindern (weil zu wenig geld für wohntrailer da war): kaputt sind die häuser zwar immer noch, und kaum bewohnbar, und voll schimmel etc, aber wo die blauen planen auf dem dach liegen, kommt immerhin kein wasser mehr durch...

Sung a Lot of Songs

gegen alle faschismus ,imperialismus ,.. 18.08.2006 - 00:43
Bild , Members of the Survivor Village tent city outside the St. Bernard public housing complex took their struggle to the affluent Garden District, marching down St. Charles Avenue to the exclusive Audubon Place neighborhood.

 http://neworleans.indymedia.org/news/2006/06/7855.php


Before the Rockefeller Foundation, Greater New Orleans Foundation, and the Mayor of New Orleans decided to privatize the planning process for the city of New Orleans the City Council had hired a planning firm to draft blueprints for the 49 hardest hit neighborhoods in the city.

 http://darwinbondgraham.blogspot.com/

Iberville Residents and Activists Wary of Redevelopment Plans

On Thursday August 3, 2006 the United Front for Affordable Housing plans to address concerns raised at tonight’s meeting and to defend public housing across the city by hosting a potluck and discussion at the St. Jude Community Center (400 N. Rampart Street) at 7:00. Marty Rowland, one of the organizers says that Mayor Nagin and the City Council have been invited to attend. Anyone else in New Orleans who cares about housing rights is urged to come.

 http://neworleans.indymedia.org/news/2006/07/8251.php

As New Orleans rebuilds, many people are trying to resolve the city's history of crime and violence. Louis Harding was working on this problem long before the levees broke. Louis spent years trying to open a community center, The Marcus Garvey Resource Center. In 2005, he was finally able to offer his first summer program, then Hurricane Katrina struck and the center was destroyed. Despite the setback, 72-year-old Harding refuses to give up on his mission to combat poverty in New Orleans. While sorting through the debris of his life, Louis discusses the importance of history, heroes, and self-esteem in the black community. He explains how life for African-Americans in New Orleans has changed in the last 50 years and why bringing his dream to life is more important than ever before.

 http://www.aloudcolor.com/

VIDEO ~ 4 Directions ~ Indigenous Hurricane Relief

The Four Directions Relief Project was started in early October in recognition that the Native American communities of storm ravaged southern Louisiana remained under-served and in urgent need of relief efforts. Despite the immense pride and independence of these communities, Katrina and Rita created an intense burden on the people, and storm assistance was requested.

Four Directions was organized to help gain both short and long term storm relief, working in solidarity and respect for the pride of local communities, and the preservation of their cultures. Working in solidarity with tribal leaders, Four Directions was formed by community organizer/spiritual activist Naomi Archer and medic Dave Pike who had been working on the ground in southern Louisiana building the innovative mutual-aid relief work of Common Ground in Algiers.

Between October 2005 and January 2006, Four Directions, in collaboration with our tribal partners, NGO partners, and a very limited number of volunteers facilitated: * 27 tons of food and material aid collected and distributed * 1600+ volunteer hours in the community * 8 home repair projects including 2 emergency housing projects for homeless families * 30 classroom teaching kits to the most damaged elementary schools * 26 large and small appliances bought and distributed * 2 tons + of trash collected * 1200+ holiday meals distributed * Stories, interviews or links in 20+ native, commercial, and independent media outlets ...............

 http://neworleans.indymedia.org/news/2006/05/7666.php

video ;  http://fluxview.com/v/Hurricane_Katrina_Relief/4Directions.rm

LOUISIANA’S COASTAL TRIBES APPEAL FOR HELP

Four of Louisiana’s coastal Native American tribes issued an urgent appeal for support in the aftermath of Hurricane’s Katrina and Rita. Despite the buzz of recovery activity in New Orleans and on other parts of the Gulf coast, tribal leaders say they have been forgotten and their people continue to suffer:

Biloxi-Chitimacha Confederation of Muskogees (BCCM), Pointe-au-Chien Indian Tribe (PACIT) supported by Four Directions Relief Project

 http://neworleans.indymedia.org/news/2006/01/6867.php


NOLA

kat 81 18.08.2006 - 01:49
Ich war im April fuer etwa 2 Wochen im upper 9th ward und habe bei Common Ground (CGC) gearbeitet, und auch Kontakt mit Counter Current Relief, eine Organizion aus dem SPAZ Umfeld (www.spaz.org), die eine Kueche im lower 9th ward in der naehe des Blue House von Common Ground betreibt.
Die Situation in New Orleans (aka NOLA) ist sehr kompliziert und man sollte laengere Zeit dort leben um sie zu verstehen. NOLA hatte einen besonderen Status durch seine vorwiegend african american Einwohner, seine einzigartige Kultur, die sich durch die Katarina Diaspora dabei ist aufzuloesen.

zu Common Ground...
Common Ground leistet bewundernswerte Arbeit, aber hat auch viele Probleme.
St.Mary's ist oft zu ueberfuellt, was die Gefahr von Epedemien traegt (Husten und Auschlaege sind nach einiger Zeit garantiert). Dazu kommen Sicherheitsprobleme, z.B. kam es zu Vergewaltigungen und sexuellen Uebergriffen beim letzten Spring Break (vorwiegend in Tent City, ein umzaeumter Platz vor St.Mary's).
Viele der Freiwilligen wissen nicht wohin sie gehen. Es gibt keine Vorbereitung, wie es bei Solidaritaetsarbeit in Chiapas notwendig ist. Viele von ihnen sind College Studenten (bei meinem Aufenthalt auch eine Gruppe Navy Kadeten) die fuer 1-2 Wochen ihre gute Tat verrichten, aber nicht unbedingt das Umfeld in das sie sich begeben verstehen, und eventuell auch nicht unbedingt das Interesse haben.
Ein Freundin von mir, die in NOLA geboren und aufgewachsen ist, beklagte regelmaessig entnervt die Ignoranz und die Navitaet von CGC Freiwilligen, denen sie ueber den Weg gelaufen ist.

Gentrifizierung...
Viele der Schaeden an den noch exestierenden Hauesern ist vorwiegend durch die Blockade der Regierung entsanden, die die Einwohner monatelang daran hinderte zurueck zu ihren Haeusern zu gehen. Eins der groessten Probleme ist schwarzer Schimmel, der die Haueser und die uebrig gebliebenen Habseligkeiten kontaminiert hat.
Viele Ex-Einwohner haben nicht unbedingt die finanziellen Mittel nach NOLA zurueck zu kehren um ihre Haeuser zu reparieren, und FEMA stellt auch nicht diese Mittel bereit (Spruch von einem Aufkleber, den ich vor kurzen ueber den weg gelaufen bin: "FEMA-bringing back the "disaster" into disaster managment")

links zu

Four Directions- native american Organisation die Aufbauhilfe an der Kueste leistet.

 http://www.eswn.org/

Counter Current Relief

 http://www.c3relief.org/


an den autor:
Ich hab interesse mehr von deinen erfahrungen zu erfahren.
schreib an meine email adresse:  kat81@riseup.net



hallo kat

schwarze feder 18.08.2006 - 17:01
danke für deine ergänzungen. mag sein, dass ich es ein wenig zu idealistisch gemalt habe mit meiner intention leute zu bewegen, dort ebenfalls als "volunteers" zu arbeiten.
vielleicht habe ich ende juli / anfang august einfach eine bessere zeit erwischt bei common ground. es gab eine zweistündige allgemeine einführung (unter anderem auch ausführlich zum thema sexismus: welches verhalten ist übergriffig?) und noch mal speziell eine zum hausgutting.
hygienisch hat sich wahrscheinlich auch einiges verbessert: das normale wasser konnte inzwischen zum zähneputzen benutzt werden.
und zu den leuten: als ich da war, waren es eher so leute, die man auf noborder-camps trifft... ich habe aber gehört, dass auch ganze college-klassen anreisen. dann sieht es wahrscheinlich anders aus...
hier noch ein link für leute, die überlegen, dort hin zu reisen als volunteers:  http://www.commongroundrelief.org/node/144

übrigens findet in new orleans im frühjahr eine große konferenz zu "race, class und gender" statt - organisiert vom herausgeber der gleichnamigen zeitschrift, die ebenfalls in new orleans rausgegeben wird. diese info mag eine wenig off-topic sein, aber vielleicht überlegt ja der/die einE oder andere, praktische mit theoretische arbeit zu verbinden...

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