Pdm: Rechte Propagandaveranstaltung gestört

buendnis_madstop 16.08.2006 20:15 Themen: Antifa
Heute intervenierten AntifaschistInnen des „bündnis madstop“ gegen eine geschichtsrevisionistische Propagandaveranstaltung im Alten Rathaus. Die Veranstaltung unter dem seriös klingenden Titel „Zukunft braucht Erinnerung! System und Wirklichkeit der Speziallager in der SBZ/DDR 1945 – 1950“ ist Teil einer Kampagne, die mittels einer gleichsetzenden Bewertung von nationalsozialistischen Massenverbrechen und undemokratischen Methoden der sowjetischen Repressionsorgane auf die Relativierung und Verharmlosung des Nationalsozialismus hinarbeitet.
Potsdam, den 16. August 2006

Mit Flugblättern und Transparenten kritisierten die AntifaschistInnen dieses Ziel. Dabei geht es nicht darum jenen, die persönliches Leid erfahren abzusprechen, dieses zu gedenken. Eine Darstellung der Geschichte der Speziallager jedoch, die die historischen Kausalitäten verschweigt bzw. an den Rand drängt und keine kritische Reflektion auf das Wirken der in den Speziallagern Internierten im Dritten Reich und ihrer massenhaften Beteiligung an der Aufrechterhaltung des Regimes, an Vernichtungskrieg und Holocaust beinhaltet, trägt zu einem Klima bei, in dem „Heldenverehrungen“, wie sie das Land Brandenburg in Halbe erlebt, hervorragend gedeihen.

Die Referentenliste las sich wie ein who is who jener politischen Kreise, die durch akademische Titel und Posten in staatlichen Stiftungen gedeckt, an einer Relativierung deutscher Schuld und der Rehabilitierung der Täter der nationalsozialistischen Verbrechen arbeitet.

Dr. Klaus-Dieter Müller z.B. ist Mitarbeiter der Stiftung Sächsischer Gedenkstätten. Die Stiftung Sächsische Gedenkstätten gibt sich schon lange nicht mehr mit der Gleichsetzung von DDR und Nationalsozialismus ab. Längst werden von der Stiftung NS-Mörder geehrt, während Opfer des Nationalsozialismus, wie z.B die Wehrmachtsdeserteure permanent verhöhnt werden. Diese Politik hat dazu geführt, dass alle Organisationen der Opfer des Nationalsozialismus – auch jene die der DDR sehr kritisch bis ablehnend gegenüberstehen wie der Zentralrat der Juden und der Zentralrat der Sinti und Roma – ihre Mitarbeit in der Stiftung aufkündigten.

Nicht fehlen durfte der unter Geschichtswissenschaftler als Scharlatan geltende Hubertus Knabe, der sich unter anderem mit seiner Gleichsetzung von Stasi-Haftanstalten und nationalsozialistischen Konzentrationslagern einen Namen als Stichwortgeber der rechten Szene machte.

Jörg Schönbohm, der es sich nicht verkneifen konnte, im April 2006 die überlebenden Häftlinge des KZ Sachsenhausen zu beleidigen, in dem er sie in einem Atemzug mit ihren Peinigern, mit Denunzianten und Euthanasieärtzten nannte, die im sowjetischen Speziallager interniert waren, hielt die Abschlussrede „Gedenken als Aufgabe politischer Kultur“. Er der Ladendiebe, Schulschwänzer und Schwarzfahrer am liebsten hinter Gittern sehen möchte, hält die zeitweise Internierung der Täter des größten Menschheitsverbrechens der Geschichte für unzulässig. Das Gedenken, das Schönbohm hier einfordert gibt es längst. Im brandenburgischen Halbe manifestiert es sich jährlich in einem der wichtigsten Naziaufmärsche in der BRD. Angesichts dessen, dass er diese Kampagne der Verharmlosung und Relativierung mit vorantreibt, erscheint Schönbohms Versuch, autoritär und repressiv gegen die Naziaufmärsche in Halbe vorzugehen eher als Wegbeißen von Konkurrenz, denn als Versuch die Demokratie zu verteidigen.

Janine Berger vom „bündnis madstop“ kündigte an: „Das „bündnis madstop“ wird es auch in Zukunft nicht zulassen, dass rechte Geschichtsfälschung und Propaganda in Potsdam und Umgebung ungestört verbreitet werden kann.“

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Anhang: Das vom „bündnis madstop“ verbreitete Flugblatt.

Aus gegebenem Anlass
Gegen das Verwaschen und Verschwimmen von Täter- und Opferperspektive

In jeder Gesellschaft, so wird gesagt, gedenken die Menschen ihrer Toten, unabhängig davon, unter welchen Umständen diese ums Leben gekommen sind. Wenn wir hier Einwände erheben, dann nicht gegen das individuelle und stille Totengedenken. Auch befassen wir uns hier nicht mit theologischen Fragen von Schuld und Sühne, von Vergeltung oder Vergebung. Wir befassen uns mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Todesumständen massenhaft ermordeter Menschen "im Schatten des Krieges". Uns interessiert die gesellschaftliche Wertung der Toten, die uns im Nachhinein als ermordet unter dem Faschismus oder als ermordet unter dem Antifaschismus präsentiert werden.

Die Historiker sind sich weitgehend darin einig, dass die Verbrechen der Nazis einzigartig waren und mit herkömmlicher Kriegsführung kaum etwas zu tun hatten. Die Deutschen führten im Osten einen weltanschaulich motivierten Eroberungs- und Vernichtungskrieg, auch und vor allem gegen die Zivilbevölkerung. Mit diesem Vernichtungsprogramm, das sich schon beim Überfall auf Polen abzeichnete, begann Deutschland 1939 den Zweiten Weltkrieg. Die Historiker sind sich auch dahingehend einig, dass der Nazismus vorsätzlich, das heißt per Programm, alle bisherigen Regeln der Kriegsführung gebrochen und alle mörderischen Instinkte des Menschen aktiviert, gebündelt und für sein rassistisches Vernichtungsprogramm eingesetzt hat. Einmaligkeit und Ausmaß der Verbrechen, geplante und vorsätzliche Durchführung der Massenmorde und das massenhafte Erzeugen von Befehlsgehorsam und absolutem Pflichtgefühl (bei gleichzeitigem Fehlen von Unrechtsbewusstsein und Schuldeinsicht), dies sind die Kriterien, die die Naziverbrechen historisch einmalig machen. Deshalb also, weil der Nazismus dieses extremste Vernichtungspotenzial verkörpert, muss auch, das Gedenken an den Widerstand und an die Opfer des Nazismus außergewöhnlich sein. Eine "normale Gesellschaft" hätte also der Opfer des Naziterrors in besonderer Weise zu gedenken, sie hätte den Widerstand gegen den Nazi-Faschismus hervor zu heben als die einzig akzeptable "Pflichterfüllung" gegenüber dem eigenen menschlichen Gewissen.

Was aber tut unsere abnormale, anomische Gesellschaft? Sie hält - in gespielter Unschuld und mit scheinbarer Unparteilichkeit - das Hakenkreuz neben den Roten Stern und schickt sich an, "objektive" Vergleiche anzustellen. Das Hakenkreuz, unter dem Millionen Menschen in Europa versklavt und ermor- det wurden, soll mit dem "Roten Stern" kontrastiert werden, der für ebenso viele Menschen die Hoffnung auf Befreiung aus den Ghettos, Konzentrationslagern, "Arbeitserziehungslagern", Kriegsgefangenenlagern, Gestapo-Gefängnissen und Folterzellen verhieß. Das Kontrastmittel zum Hakenkreuz soll also "Roter Stern" heißen, und die Verbrechen, die unter dem Roten Stern begangen wurden, sollen spiegelbildlich zu denen betrachtet werden, die die Nazis begangen haben. Ziel ist eine Pattstellung bzw. ein Null-Summenspiel: Ich spiele mein totalitäres Regime aus, wenn du deines ausspielst. Zeige mir dein Massengrab und ich zeige dir meines.

Die Naziverbrechen werden parallel zu der Internierung von NS-Tätern durch die Sowjetunion gestellt. Ist das eine politische Strategie, unsere Wahrnehmung zu lenken und neu zu fokussieren, oder ist das eine historische Methode des Systemvergleichs? Worauf soll das hinauslaufen? Historische Aufklärung oder Verharmlosung des Holocaust? So eine Parallelführung eignet sich schon sehr gut als psychische Entlastungsaktion zugunsten der willigen Unterstützer und Vollstrecker des NS-Programms.

Entlastung und Entschuldung der Tätergesellschaft unter dem Deckmantel der historisch objektiven Geschichtsdarstellung? Vertreibung, Bombenkrieg, Verschleppungen, willkürliche Rachejustiz der Sieger, alles das schuf "natürlich" auch Opfer aufseiten der Tätergesellschaft. Und diese Opfer werden nun gegen- erinnert, ihr Leid wird dem der Holocaustopfer entgegen gehalten bzw. parallel dazu dargestellt.

Unter der Hand erscheint der Holocaust gar nicht mehr so "einmalig"; die Verbrechen der Nazis haben auf einmal ein Pendant; die Befreiung vom Nazismus erscheint nun doppelbödig, denn unterschwellig wird die Frage in den Raum gestellt: Hat der grausame Befreiungskampf in Osteuropa nicht ebenso viel Leid über die Menschheit gebracht, wie die deutsche Okkupation dieser Gebiete? Das Thema der heutigen Veranstaltung ist keine unpolitische Angelegenheit, die lediglich für kleine und harmlose Verunsicherungen im deutschen Geschichtsbild sorgt. Ihr Sinn ist ein anderer: Die Singularität des Holocaust soll untergraben werden, der Antifaschismus unter dem "Roten Stern" soll als linksfaschistisches Gewaltsystem denunziert werden, die Internierung von Teilnehmern am Vernichtungskrieg und Unterstützern des Nationalsozialismus soll in eine Linie mit den Verbrechen von SS und Wehrmacht gestellt werden. Zwar wird bei jeder Gelegenheit betont: Wir wollen keine "Aufrechnung" betreiben. Aber komischerweise sehen fast alle Deutschen in Veranstaltungen wie dieser ein Angebot zur Aufrechnung. Wenn jemand ständig betonen muss, "... wir wollen nicht aufrechnen", dann sind diese Beteuerungen an den Erkenntnissen der Psychoanalyse zu messen, die besagen: Das Unbewusste kennt keine Verneinung. Auf unseren Fall angewandt: Wer ständig betont, dass nicht aufgerechnet werden soll, dessen Unbewusstes sagt: Ich will, dass aufgerechnet wird! Keine Frage: Aus den Aussagen von Schönbohm, Knabe etc. spricht das deutsche kollektive Unbewusste zu uns. Es sagt uns: Über die Verbrechen des Nationalsozialismus darf nur geredet werden, wenn man gleichzeitig den Blick auf die "Verschleppungen" und die Gewaltexzesse der Befreier wirft. Eine eindeutige Unterscheidung von NS-Tätern und NS-Opfern ist gar nicht möglich. Eine Parteinahme für eine der beiden Gruppen erübrigt sich. - Kennen wir nicht diese Botschaft schon seit fünfzig Jahren?

bündnis madstop, im august 2006
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Ergänzungen

super aktion!

berlin 17.08.2006 - 14:58
war sogar in den regio-nachrichten auf rbb zu sehen - sehr schön, weiter so!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Hmm..

Abc 16.08.2006 - 22:27
Schöner und mal nicht so polemischer Flyertext