Oaxaca: Ermordung eines Demonstranten

Direkte Solidaritaet mit Chiapas 13.08.2006 00:58 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Aufgrund der sich dramatisch zuspitzenden Ereignisse in Oaxaca weisen wir auf drei wichtige Texte auf www.chiapas.ch hin:

- Tickermeldungen zu den Ereignissen in Oaxaca: 11. August
- Augenzeugenbericht zu Ermordung des Demonstranten José Jiménez Colmenares
- Interview zum Volksaufstand in Chiapas mit kurzer Chronologie, das im Correos vom Juli erschien
Augenzeugenbericht: Ermordung eines Demonstranten
Direkte Solidaritaet mit Chiapas


VORBEMERKUNG

Ticker zum Volksaufstand in Oaxaca auf www.chiapas.ch

Im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca ist ein Volksaufstand in Gange, der sich in den letzten Wochen zu einer regelrechten Revolution ausgeweitet hat. Die Koalition der indigenen und anderer Volksorganisationen sowie die LehrerInnengewerkschaft haben die Hauptstadt in ihren Haenden. Sie gehen von der blossen Blockade der alten Regierung ueber zur Ausgestaltung einer neuen, volksnahen Regierungsform. Die alte Regierung des Gouverneurs Ulises Ruiz versucht, von provisorischen Bueros in Luxushotels aus, weiter funktionstuechtig zu bleiben, was ihr kaum gelingt. Sie hat deshalb auf paramilitaerische Aktionen aus dem Untergrund zurueckgegriffen und attackiert und ermordet AktivistInnen.

Wir berichten taeglich zu den Ereignissen in Oaxaca, mit Einschaetzungen von Personen vor Ort.

11. August:

- Seit letzter Nacht findet auf dem Zocalo in Oaxaca eine öffentliche
Totenwache für José Jiménez Colmenares, der gestern erschossen wurde, statt. Am Samstag wird das Begräbnis stattfinden. Mehrere tausend Personen gedenken mit einer neuen Demonstration dem gefallenen José Jiménez Colmenares.

- Enrique Rueda Pacheco, Sprecher der LehrerInnengewerkschaft, tauchte an dieser Demonstration erstmals seit drei Wochen wieder in der Oeffentlichkeit auf. Er war aufgrund massiver Morddrohungen und der Gefahr einer Verhaftung untergetaucht. In seiner Rede betonte er, dass sie nun keinen Schritt zurueck machen werden.

- neue Verhaftung: ein weiterer APPO-Aktivist wurde am Mittag auf offener Strasse von zivilen, vermeintlichen Polizeikraeften entfuehrt: Erangelio Mendoza Gonzalez, ehemaliger Anfuehrer der Lehrergewerkschaft. Obwohl die APPO sofort alle Ausfahrtstrassen blockierte und jedes Auto genau untersuchte, konnte der Entführte bisher nicht aufgespürt werden. Damit sind nun fuenf APPO-Aktivisten in Haft.

- Die drei gestern entführten Mitglieder der APPO, der Biologe Ramiro Aragón Pérez und die beiden Lehrer Elinoai Santiago Sánches und Juan Gabriel Ríos, wurden heute um 17:00 lokalisiert. Sie sind in Ejutla (Oaxaca) in Gefangenschaft der PGR (Procuraduría General de la Republica). Die Kommission für Menschenrechte (CDH) konnte die Gefangenen besuchen und hat bestätigt, dass diese gefoltert wurden. Die drei wurden von Mitgliedern der "Secretaria Para la Protección Ciudadana" in Oaxaca und vom AFI (Agencia Federal de Investigación", das ist das mexikanische FBI) entführt und in eine verdeckte Operationsbasis(das wird hier "Casa de seguridad" genannt) verschleppt und dann der PGR übergeben.

- Die APPO uebergibt Gefangene, die an der Schiesserei vom Vortag beteiligt waren, an Bundesjustizbehoerde (siehe unten).

- Die APPO hat am späten Nachmittag der Regierung Oaxacas ein Dialogangebot unterbreitet um eine Lösung des Konflikts zu diskutieren. Das bedeutet nichts anderes, als dass die APPO der Regierung vorschlägt, über die Absetzung von Ulises Ruiz Ortiz zu diskutieren.

- Rio Seco, Huamelula: Indigenas der Ethnie Chontal lassen nach ueber 24 Stunden Volksgewahrsam die 12 AFI-Agenten frei, welche am Mittwoch auf sie geschossen hatten.

- Das mexikanische Innenministerium will seine Vermittlungsaktivitaeten verstaerken.



Augenzeugenbericht: Ermordung eines Demonstranten (10.August)

Das, was die Leute hier in Mexiko „Guerra Sucia“ (Schmutziger Krieg) nennen, hat ein neues trauriges Kapitel erhalten: Gestern (11.August 2006 um ca. 19:00) wurde eine Massendemonstration des Volkes von Oaxaca von einer paramilitärischen Gruppe beschossen. Der 50 jährige José Jiménez Colmenares wurde tödlich getroffen und zwei weitere Manifestanten wurden verletzt und sind in Spitalpflege.

Der ermordete Mechaniker José Jiménez begleitete seine Ehefrau, welche Lehrerin ist und den Kampf zur Absetzung des korrupten Regierungschef Ulises Ruiz Ortiz, für die Demokratisierung Oaxacas, aktiv unterstützt und Aktivistin in der APPO (Asamblea Popular del Pueblo de OAxaca) ist.

Zu dieser Demonstration wurde kurzfristig aufgerufen, weil am Tag zuvor der APPO-Aktivist Germán Mendoza Nube auf offener Strasse aus seinem Rollstuhl gerissen und entführt wurde und bisher verschwunden ist. Seither wurden mindestens sieben weitere APPO-Leute entführt und sind verschwunden. Es ist damit zu rechnen, dass diese umgebracht wurden, was die Liste der politisch motivierten Morde unter Ulises auf 43 erhöhen würde.

Als Augenzeuge der gestrigen Geschehnisse möchte ich hier protokollieren was passiert ist. Ich will versuchen möglichst faktisch zu bleiben, obwohl mir der Schrecken nach wie vor in den Knochen steckt, da ich den Angriff aus kurzer Distanz miterlebt habe.

Die Demonstration umfasste ungefähr 20'000 Leute und verlief ohne Probleme in gewaltloser Manier. Ziel der 7 Kilometer langen Route war der von Frauen besetzte, ehemalige staatliche Fernsehsender (Kanal 9). Kurz davor wurde aus einer Wohnung im ersten Stock auf Leute im letzten Viertel der Demonstration geschossen und zwar wiederholte Male. In den ersten Sekunden brach eine große Panik aus, doch schon nach kurzer Zeit beruhigten sich die Leute und versuchten sich zu reorganisieren.

In den ersten Momenten der allgemeinen Panik war nicht überblickbar was genau geschehen war, doch schon sehr schnell wurde klar, dass es Verletzte gegeben hat. Eine Ambulanz wurde gerufen, und ein Mann, vermeintlich bewusstlos, wurde in eine kleine Klinik, die sich unmittelbar am Ort der Geschehnisse befindet, getragen. Da konnte aber nur noch der Tod des Mannes festgestellt werden. Er starb unmittelbar am Ort, nachdem ihn eine Kugel ins Herz getroffen hatte. Zwei weitere Verletzte wurden mit einer Ambulanz weggefahren.

Die Täter versuchten zu flüchten und wurden von einigen Lehrern verfolgt. Zuerst war nicht klar wie viele Heckenschützen beteiligt waren und wo sie sich befanden. Immer wieder sah man einzelne Männer auf den Dächern der umliegenden Häuser, insbesondere auf dem Dach der erwähnten Klinik. Immer wieder befürchteten wir, dass das Feuer wieder eröffnet werden könnte oder dass noch mehr Heckenschützen in der Umgebung auflauern. Etwa 100m vom Geschehen befindet sich eine Kirche wohin sich einige Frauen begaben und die Glocken läuteten, damit die Quartierbevölkerung gewarnt ist. Vier der Täter wurden schlussendlich von Lehrer verhaftet, zwei konnten aber flüchten.

Im Verlauf der Nacht wurde von der APPO bekannt gegeben, dass bei einem der Verhafteten eine Pistole mit leerem Magazin gefunden wurde. Es zeigte sich, dass die Heckenschützen aus einer "verdeckten" Wohnung aus operiert haben. Solche Wohnungen existieren im Moment viele. Einige sind bekannt und einige nicht, die Bevölkerung ist aufgerufen solche Operationsbasen bei der APPO zu denunzieren. Im Parkhaus dieses Hauses befanden sich auch einige Autos ohne Nummerschilder.

Die Verhafteten wurden der „Fiscalía Especializada en Delitos contra el Magisterio“ überstellt (einer speziell für den laufenden Konflikt eingesetzten Untersuchungsbehörde der Bundesregierung, die von der APPO akzeptiert wird). Die Chefin dieser Spezialbehörde gab bekannt, dass sie den Fall minutiös untersuchen und verfolgen werden, was alle mit gewissem Misstrauen aufgenommen haben.

Die APPO hat ihrerseits im „eigenen“ Fernsehkanal und Radio eine Verlautbarung verlesen, um die Geschehnisse als weiteren Fall der kriminellen Machenschaften der Regierung Ulises Ruiz Ortiz zu denunzieren und die Bevölkerung aufzufordern, sich durch den Terror nicht einschüchtern zu lassen, weil dies genau die Absicht der Regierung sei. Die ganze Stadt war die ganze Nacht durch in Alarmbereitschaft, es wurden unzählige Feuer auf den Strassen gemacht um zu verhindern, dass mögliche Angreifer in der Dunkelheit operieren können.


Kommentar zur Medienberichterstattung:

Was mich ein weiteres Mal beeindruckt ist, wie die offiziellen Medien über den Fall berichten. Ihre Berichte sind verdreht, gelogen oder im großem Maß desinformativ. Diese Berichte versuchen allesamt die Schuld den Lehrern zuzuschieben und diese Unterschwellig für die kritische Situation in Oaxaca verantwortlich zu machen.

Für alle hier beteiligten nimmt dies langsam absurde Formen an. Wird ein Lehrer erschossen, so beschuldigen die Medien unterschwellig die anderen Lehrer, diese Tat begangen zu haben. Nie wird hinterfragt dass eine funktionierende Regierung solche Verbrechen verhindern können müsste, dass eine Regierung die Polizei eigentlich kontrollieren müsste.

Hunderttausende Menschen hier in Oaxaca erleben zurzeit, wie Geschehnisse die sie selber miterlebt haben, später in den offiziellen Medien bis zur Unkenntlichkeit verdreht und manipuliert werden, die Menschen erleben wie sie im Fernsehen plötzlich als Verbrecher dargestellt werden. Für eine Großmutter die sich unter größten Anstrengungen an eine friedfertige Demonstration begibt und sich nachher als verantwortlich für einen Mord hingestellt sieht, ist das erschütternd wie lehrreich zugleich.

Genau darum genießt das besetzte Fernsehen der APPO und das „Radio Universität“ noch nie da gewesene Einschaltquoten. Die offiziellen Medien haben bei der Mehrheit der Leute jegliche Kreditwürdigkeit eingebüsst, was bei diesen aber nach wie vor zu keiner „neutraleren“ Berichterstattung geführt hat. Das kommt daher, dass Oaxaca im nationalen Maßstab für die aktuelle Politik Mexikos weniger als unwichtig ist. Wichtig für diese Medien ist, wie sie den Wahlbetrug der Präsidentschaftswahlen zurechtbiegen können und dem Kandidaten der politischen Rechten zu einem vermeintlich legalen Sieg verhelfen können.




Siehe auch die Pressemitteilung von OIDHO:
Die Regierung ermordet Demonstrant in Oaxaca Stadt

Und "Volksaufstand in Oaxaca" - Interview und kurze Chronologie
auf www.chiapas.ch
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