Berlin: Protest gegen Geschichtsrevisionismus

Peter Heide 10.08.2006 17:57
Heute Vormittag protestierten ca. 20 leute, bei der Pressekonferenz zur Eröffnung der Sonderausstellung „Flucht - Vertreibung - Integration“ im Berliner Kronprinzenpalais, gegen Geschichtsrevisionismus.
Mit Transparenten und Flugblättern wurde die durch die Pressekonferenz geschaffene Öffentlichkeit genutzt, um Stellung gegen deutsche Opfermythen zu beziehen. Die anwesenden Pressevertreter_innen reagierten sehr interessiert und die Organisator-innen waren sichtlich genervt. Bei der Eröffnung heute abend werden u.a. Erika Steinbach (Vorsitzende des revisionistischen Bundes der Vertriebenen) und Norbert Lammert vor Ort sein. Heute Vormittag wurde u.a. folgender Aufruf zu einer Protestkundgebung am Sonnabend verteilt:

"Deutsche Täter sind keine Opfer - keine Träne für GeschichtsrevisionistInnen!

Wer sich bis zum 13.08.06 in das Deutschen Historische Museum verirrt, kann dort die Sonderausstellung „Flucht - Vertreibung - Integration“ bewundern. Mensch könnte denken es ginge um die aktuelle Asylpolitik, irritierend ist nur das Wort Heimat, das ins Ausstellungslogo eingeflochten ist. Schon auf der ersten Schautafel wird das eigentliche Ziel deutlich: Geschichtsrevisionismus der Bundesregierung. Die Deutschen werden als die Opfergruppe des 2. Weltkrieges und des gesamten 20. Jahrhundert hochstilisiert, deren Leid nun endlich und ordentlich bedauert werden müsse. Während die Shoa und die Verfolgung, Folterung und Ermordung derer, die nicht ins faschistische Weltbild passten, lapidar auf schief gehängten Photos kurz abgehandelt werden und so die Millionen vergasten und getöteten Opfer des deutschen Faschismus entnannt werden, geht es im Wesentlichen auf zwei Etagen um das ‚Leid’ der nach 1945 aus Osteuropa umgesiedelten Deutschen.
Die Verbindung zwischen faschistischen Verbrechen und so genannter Vertreibung wird in einem einzigen Nebensatz angedeutet und verdreht, wer Opfer und wer TäterIn war. Wenn also nun anhand von Einzelschicksalen (individuelle Verluste, befürchtete Vergewaltigung, schlechte Reisewetter …) Mitgefühl für die sich vertrieben Fühlenden organisiert werden soll, dann ist das Ziel dabei, die Nazi-Verbrechen und die deutsche Schuld gefühlsmäßig aufzulösen. Ein derartiger Opfermythos hat dabei vor allem die Funktion, weg vom rechten Rand in der Mitte der Gesellschaft konsensfähig gemacht zu werden und eine Umdeutung der Geschichte möglich zu machen. Nicht die Zerschlagung des Faschismus am 8./9.Mai 1945 ist der Endpunkt deutscher Verbrechen, sondern das Leid derer, die den Faschismus mindestens nicht bekämpft, in der Regel aber begrüßt und aktiv profitiert haben. ‚Verlorene Ostgebiete’ statt Auschwitz bleibt als Schlusspunkt der Geschichte stehen. Während so aktive GeschichtsrevisionistInnen als harmlose LobbyistInnen dargestellt werden, organisieren diese ab dem 10. August eine eigene Ausstellung direkt gegenüber im Kronprinzenpalais, mit der sie ihre Forderungen nach Rückgabe von Land und Boden und einem Zentrum gegen Vertreibung mitten in Berlin untermauern wollen. Ihre „Erzwungenen Wege“ (so der Titel der Ausstellung), die der Verband schon gerne mal mit dem Holocaust gleichsetzt, sind nicht nur ein Versuch, die Geschichte umzudeuten, sondern sollen auch realpolitisch ausgeschlachtet werden.
Dabei scheuen sie keinen noch so kruden und die Opfer verhöhnenden Vergleich, wenn die Deutschen hier in einer langen Kette von ‚auch irgendwie Vertriebenen’ eingereiht werden, seien es nun die Opfer des Genozids in Armenien oder die jüdischen Menschen in Europa, die laut BdV ja auch alle erstmal vertrieben wurden, ohne das ein Verweis auf die darauf folgenden Gaskammern nötig erscheint. So können 6 Millionen ermordete Menschen schon mal auf den unteren Platz im Vertriebenenranking rutschen, während die Deutschen mit ihren 20 Millionen ‚Heimatlosen’ klar führen. Unser Widerstand ist beiden gewiss, unabhängig davon, ob in die deutsche Geschichtsschreibung mehr Opfermythos und weniger Schuld integriert oder „Blut und Boden“- Forderungen aufrechterhalten werden sollen.

Wir sagen klar: So was kommt von so was - Deutsche TäterInnen sind keine Opfer!
Kommt zahlreich und vertreibt deutsche Vertriebene und die, die ihnen ihren Boden bereiten!"
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Ergänzungen

Kundgebung am Sonnabend

antifa 10.08.2006 - 18:05
Kundgebung gegen deutsche Opfermythen: 12.08.2006
12 Uhr vor dem Kronprinzenpalais (Unter den Linden 2 - Berlin)
Gegen die Ausstellungen: "Flucht, Vertreibung, Integration": Deutsches Historisches Museum bis 13.08.2006 (Wanderausstellung der Bundesregierung)

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Presse zu den Protesten:

Eröffnung der Vertriebenen-Ausstellung von Protesten begleitet
Quelle: yahoonews 10.08.2006

Mit der Ausstellung «Erzwungene Wege» werben deutsche Heimatvertriebene seit Donnerstag für ein dauerhaftes Dokumentationszentrum gegen Vertreibungen in Berlin. Die Ausstellung solle dazu beitragen, die Vertreibungsopfer der Vergessenheit zu entreißen, erklärte die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach. Sie würde sich wünschen, dass die Ausstellung auch in anderen europäischen Städten wie Breslau oder Prag gezeigt würde. «Aus meiner Sicht wäre das eine gute Sache.»
Die Ausstellung im Berliner Kronprinzenpalais am Boulevard Unter den Linden wurde am Vormittag zunächst Journalisten präsentiert. Zu der Eröffnungszeremonie am Abend wurden Bundestagspräsident Norbert Lammert, der ungarische Schriftsteller György Konrad und der frühere Stasi-Akten-Beauftragte Joachim Gauck erwartet. Am Freitag wird die Ausstellung für Besucher geöffnet und ist dann bis zum 29. Oktober zu sehen.
Vor dem Kronprinzenpalais protestierten rund ein Dutzend Demonstranten gegen die Ausstellung. «Geschichtsrevisionismus angreifen statt ausstellen» war auf einem Plakat zu lesen. Einige Demonstranten aus dem Sudan wiesen auf das Schicksal der Vertriebenen in der Region Darfur hin.
Aus Polen hatte es bereits vor Eröffnung der Ausstellung Kritik gegeben. Die Gründe der Vertreibung würden nicht klar gezeigt, hatte der stellvertretende polnische Kulturminister Krzysztof Olendzki gesagt. «Die Ausstellung schiebt außerdem die Verantwortung für die vom deutschen Staat während des Zweiten Weltkrieges begangenen Verbrechen ab.»
Steinbach reagierte darauf mit Unverständnis. «Wir tun unser Bestes, fair und vernünftig umzugehen mit unseren Nachbarn», sagte sie. Das wünsche sie sich auch von der anderen Seite. Die Ausstellung sei «der einzige Ort, an dem Schulklassen sehen können, dass es polnische Vertriebene gegeben hat», sagte sie. Steinbach monierte, dass die Kritiker die Ausstellung noch gar nicht gesehen hätten.
Die Ausstellung widmet sich auf 600 Quadratmetern den Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts anhand zahlreicher Beispiele - von der Vertreibung der Armenier aus dem Osmanischen Reich 1915/16 bis zu den Vertreibungen in Bosnien-Herzegwowina in den 90er Jahren. Ein Kapitel ist der Vertreibung der Juden Europas als «Baustein des Holocaust» gewidmet. Die Ermordung von sechs Millionen Juden ist dagegen kein Thema. Dabei handele es sich um einen «singulären Vorgang», der nicht in eine solche Ausstellung gehöre, sagte Steinbach.

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(muss ausgefüllt werden) 11.08.2006 - 09:18
Bilder vom Protest bei der Ausstellungseröffnung und von der Ausstellung selbst gibts mal wieder hier:
 http://adf.gridzel.com/bild_db/categories.php?cat_id=58

(muss ausgefüllt werden)

(muss ausgefüllt werden) 11.08.2006 - 15:46

Dokumentation

Kuno 14.08.2006 - 14:24
Redebeitrages der Antifaschistischen Initiative Moabit auf der Kundgebung “Kein Vertreibenenzentrum, nirgends!” am 12.8.2006.

 http://www.classless.org/2006/08/14/vertriebene-fuhlen-sich-schlecht-behandelt/