Tumulte um Senatssitzung in Bielefeld

wirzahlennix 13.07.2006 04:40 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
An der Universität Bielefeld sind heute nun auch allgemeine Studiengebühren eingeführt worden. Der aktive Protest mehrerer hundert Studierender blieb letztlich erfolglos, allerdings ist die Senatssitzung anfechtbar, da Öffentlichkeit und einzelne SenatorInnen ausgesperrt waren. Die ProfessorInnen im Senat mussten die Uni auf Schleichwegen verlassen, kurzzeitig war das Rektorat durch Studierende besetzt, und ein enormer Sachschaden dürfte die Freude der Hochschulverwaltung über die nun zu kassierenden Gelder durchaus trüben.
Sitzungssaal hermetisch abgeriegelt, SenatorInnen ausgesperrt

Bereits Stunden vor Beginn der Senatssitzung hatten mehr als hundert Mitarbeiter der Schergenfirma PRODIAC einen gesamten Flügel der Uni abgesperrt, Türen waren verkettet und Brandschutzwände geschlossen. Desweiteren war mindestens ein halbes Dutzend ZivilpolizistInnen im Gebäude. In Folge dieser hermetischen Abschottung fand die Sitzung nicht nur nahezu ohne Öffentlichkeit statt, es war auch zwei studentischen SenatorInnen unmöglich, an der Sitzung teilzunehmen, da ihnen von PRODIAC-MitarbeiterInnen kein Einlaß gewährt wurde. Zeitweilig gelang es Studierenden, auch anderen Senatsmitgliedern den Zutritt zu blockieren.

Feuer, Flamme, Farbbeutel

Für ziemliches Durcheinander bei den Sicherheitskräften sorgten mehrere kleine Brände auf Toiletten im Unigebäude, der einsetzende Feueralarm mitsamt größerer Feuerwehreinsätze, sowie eine erfreuliche Entschlossenheit fast aller Studierendengruppen, die durchs Gebäude zogen. Während der "Diskussion" über die Studiengebühren konnten 50 Studierende auf ein Flachdach unterhalb des Senatssaales vordringen und die Sitzung mit ohrenbetäubendem Lärm beschallen. Als im weiteren Verlauf zig Farbbeutel, Eier, Steinchen und Wasserbomben auf die Fenster und Rolläden des Saales prasselten, konnten zeitgleich 20 Studierende in den Rektoratsflur durchbrechen.

Sitzung fast gesprengt

Zu diesem Zeitpunkt war die "Diskussion" zum Tagesordnungspunkt Studiengebühren am Ende angelangt. Just in dem Moment, als die ProfessorInnen eine geheime Abstimmung beantragen wollten, erhielten sie Meldung, dass eine Gruppe Studierender nicht länger aufgehalten werden könne. Völlig überstürzt fand nun die Abstimmung statt, deren genaues Ergebnis in den Tumulten beinahe unterging. Angeblich hat aber eine Mehrheit für die Gebühren gestimmt. Die Studierenden, denen der Durchbruch gelungen war, besetzten daraufhin kurzzeitig Teile des Rektorats und veranlassten die ProfessorInnen zur vorläufigen Flucht aus den Räumlichkeiten.

Der Kampf geht weiter

Aufgrund der Umstände der Senatsentscheidung wird die Studierendenschaft das Ergebnis juristisch anfechten. Erfolgversprechender noch erscheint da ein Ansatz, den andere Studierende für sich gewählt haben. Auf Flugblättern (gesamter Text siehe unter Ergänzungen) weisen sie darauf hin, dass es schließlich jederzeit möglich ist, eine solche Entscheidung rückgängig zu machen. Ihr Credo: "Jedes Gebührensemester eine Million Sach(zwang)schaden!" - Gerüchten zufolge soll es bereits zu Farb-"Anschlägen" auf Wohnhäuser von Senatsmitgliedern gekommen sein.

Fazit

Es ist heute hunderten Studierenden gelungen, einen gemeinsamen Rahmen für lauten, bunten und vielfältigen Widerstand zu schaffen. Besonders erfreulich war dabei die wechselseitige Akzeptanz der verschiedenen Aktionsformen. Sollte es gelingen, diese Stimmung weiter zu tragen, wird die Universität Bielefeld nicht viel Freude an ihren Studiengebühren haben.
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Ergänzungen

Text des genannten Flugblatts

wirzahlennix 13.07.2006 - 04:57
Sie machen ernst. Am Mittwoch, 12.7.2006, will die professorale Mehrheit im Senat der Uni Bielefeld STUDIENGEBÜHREN einführen. Ein Dutzend ProfessorInnen um Rektor Timmermann setzt sich damit in arroganter, autoritärer, ANTIDEMOKRATISCHer Manier über den mehrheitlichen Willen der Hochschulangehörigen hinweg, um eine zutiefst ausgrenzende, stromlinienförmig der Wirtschaft und dem neoliberalen gesellschaftlichen RECHTSRUCK angepasste Umwälzung der Universitätslandschaft durchzusetzen. Viele von uns werden ihr Studium abbrechen müssen, sehen ihre Lebensentwürfe zerstört - besonders betroffen sind KommilitonInnen mit Migrationshintergrund und aus ArbeiterInnenfamilien, Frauen und chronisch Kranke oder Behinderte.

Wir werden bis zur letzten Sekunde dagegen kämpfen! Die vergangenen Auseinandersetzungen haben gezeigt, dass mit den Machthabenden an dieser Universität nicht zu reden ist. Nur die konsequente Verhinderung der Senatssitzung am 12.7. und aller folgenden Senatssitzungen kann noch die Einführung der Studiengebühren verhindern. In Anbetracht der Brisanz und der Folgen eines solchen Beschlusses ist dazu jedes erdenkliche Mittel legitim.

Und auch darüber hinaus...! Selbst wenn es den Machthabenden gelingt, unter Einsatz ihrer autoritären Mittel wie Aussperrung oder Polizeigewalt Studiengebühren zu beschließen, ist unser Kampf nicht am Ende. Ein solcher Beschluß kann jederzeit wieder rückgängig gemacht werden, und dazu müssen wir die Verantwortlichen notfalls zwingen. Die Sprache, die sie verstehen, ist die Sprache des Kapitals. In dieser Hinsicht ist die Universität Bielefeld an allen Ecken und Enden angreifbar. Sie dürfen an den Gebühren keinen Cent verdienen. Wenn wir nicht studieren dürfen, verliert die Uni ihre Existenzberechtigung.

Täter haben Namen und Adressen! Die Machthabenden wollen massiv in unser Leben eingreifen. Wenn sie sehen, wie das ist, werden sie verstehen und möglicherweise für zukünftige Beschlüsse lernen. Unsere Sachzwänge können wir hier am besten ausleben... Die Liste wird durch uns je nach Abstimmungsverhalten laufend ergänzt und veröffentlicht.

Dieter Timmermann, Spandauer Allee 13, 33619 Bielefeld-Lohmannshof, 0521 105957
Hans-Jürgen Simm, Siegfriedstraße 65, 33615 Bielefeld-West, 0521 179131
Ellen Thormann, Viktoriastraße 10, 33602 Bielefeld-Mitte, 0521 8950842
Klaus Treumann, Am Hang 3, 33790 Halle, 05201 5875
Neithard Bulst, Trakehnerweg 8, 33619 Bielefeld-Niederdornberg, 0521 103168

Jetzt geht’s los... Die entscheidende Senatssitzung soll am 12.7. um 9 Uhr im Rektoratsflur A3 beginnen. Es gibt viele Wege und Mittel... Während der Sitzung und danach stehen uns Räume, Equipment, Vorrichtungen und Einrichtungen der Universität rund um die Uhr zur sachgerechten Verfügung.

SENATSSITZUNG VERHINDERN!
REKTORAT ABSETZEN!
STUDIENGEBÜHREN STOPPEN!
JEDES GEBÜHRENSEMESTER EINE MILLION SACH(ZWANG)SCHADEN!
KAMPF UMS GANZE!
WIR ZAHLEN NIX!

Widersa

(Noch?)Studi 13.07.2006 - 13:18
Eine Gruppe von Studierenden traf sich nach den gestrigen Erignissen um gemeinsam über die Geschehnisse zu reflektieren. Zwei Studierende aus anderen NRW Städten berichteten dabei von ihren Erfahrungen/Reaktionen und Ergebnissen des Widerstands bei sich. Auch von dem letzten Bundesweiten Vernetzungstreffen in Bochum wurde berichtet. Das nächste BWVernetz.Treffen findet am 29.7. abermals in Bochum statt.

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Es wurde vereinbart sich am kommenden Mittwoch (den 19.07) um 18 Uhr im SOZ-Cafe auf L3 in der Uni BI zu treffen um das weitere Vorgehen zu planen
Kommt zahlreich!

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DIE ENTSCHEIDUNG des Senats wird von einem Anwalt angefochten, der vom Asta beauftragt wurde, da die Senatssitzung nich ordnungsgemäß verlief.
(Neben den zwei nichtanwesenden studentischen Seanatsmitgliedern hat Mindestens ein Senatsmitglied aus Protest dagegen während der Sitzung auch den Saal verlassen) Es wird wohl eine Verhandlung im Verwaltungsgericht in Minden hinauslaufen. Das bedeutet, dass die Senatoren vermutlich ein paar Monate um die Gültigkeit ihres Beschlusses bangen müssen. Die Verplanung des geldes in den Haushalt wird dadurch unmöglich gemacht! Das ist durchaus ein wahrzunehmender Erfolg der Widerstandshandlungen.

Der Lärm von den Studierenden auf dem Dach im zweiten Stock hat auch dazu geführt, dass einige Senatsmitglieder nicht ohne technische Tonverstärkung ausgekommen sind.

Aus dem 3. Stock haben bei der Lärmaktion auf dem Dach Prodiacs (maniacs?) Fotos geschossen. Sie wurden danach selber mit Kamera verfolgt und abfotografiert!

Weis jemand evtl. etwas mehr über die Farbattacken auf die Behausungen der Senats Mitglieder?


MIT STUDIENGEBÜHREN IST NICHT ZU SPAßEN,
WER ANTI-SOZIALE POLITIK VERTITT KANN ALSO AUCH NICHT MIT SPAß RECHNEN!

DAS ZIEL DER GEBÜHREN IST MEHR GELD (für was auch immer) ZEIGEN WIR DAS DER SENAT MIT DIESER ENTSCHEIDUNG EBEN NICHT MEHR GELD BRINGT, sondern SACHSCHADEN

GEGEN die Ausgrenzungspolitik, die sich durch die gesamte Reformpolitik unserer Geselschaft zieht!

Nachfrage

Medium 13.07.2006 - 14:10
Ich erinnere mich noch genau, als eure Rektoratsbesetzung aktuell und groß in den Medien war, hat euer famoser Rektor doch immer beteuert, er wolle mit euch ja unbedingt über Studiengebühren reden. Dann hat er auch dieses Diskussionsforum aufgemacht, in dem ihm dann der Wind und die besseren Argumente entgegenwehten, und dann war die Besetzung vorbei, und dann hörte man irgendwie nichts mehr von "Miteinander Reden". Hat er denn noch mit euch geredet, gab es eine Diskussion? Mit welchem Ergebnis?

Beschwerde bei Munoz!

educationisnotaneconomicgood 13.07.2006 - 15:01
Man sollte sich doch auch noch mal (als fzs, vereinigte Asten, ...?) an den Bildungsbeauftragten Vernor Munoz von der UN wenden und ihm die derzeitige Kontroverse in D. zur Stellungnahme vorlegen. Es geht hier um Menschenrechte, das wird so leicht übersehen. Munoz ist grundsätzlich gegen Studiengebühren und gegen Bildung als Ware.

 http://de.wikipedia.org/wiki/Vernor_Munoz

Scheinbar braucht es hier Vernunft und Rat von aussen. So wie beim Brechmitteleinsatz - der war auch solange "rechtmässig" in Obrigkeits-Deutschland, bis der europäische Gerichtshof ihn als Folter bezeichnete und Deutschland als Folterland dastand.




Aussperrung?

notastudent 15.07.2006 - 18:12
Es waren 20 Studierende in der Sitzung anwesend, ebensoviele wie Senatsmitglieder. Die Sitzung wurde in die Unihalle uebertragen und auf Grossleinwaenden angezeigt. Das ist natuerlich was Anderes als eine gemeinsame, vollstaendig offene Versammlung im AudiMax. Man muss sich aber nur mal den Artikel durchlesen, um auch als Aussenstehender beurteilen zu koennen, ob im AudiMax irgendwas Konstruktives haette ablaufen koennen.

Die ganze Aufregung ist auf beiden Seiten ein bisschen von Heuchelei gekennzeichnet. Wenn die eine Seite (Rektorat) Studiengebuehren will und Mitwirkung nur bei der Ausgestaltung zulaesst, und die andere Seite Studiengebuehren kategorisch ablehnt, dann wirds schwierig.

Das Ganze ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Das der Senat sich auf die Innensicht der Uni beschraenkt wundert mich nicht. Das die Protestler es auch tun, das war ein Fehler und der raecht sich jetzt, da kann auch noch so viel Jubel ueber die Aktion in der Uni nix dran aendern.

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guuuuuuuuuuuuut — antifa

@schädiger — E.G.A.L.