Verfahren gegen Überflüssige eingestellt

Sarah, Gaby, Phillip und Peter 12.07.2006 20:26 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Heute fand vor dem Amtsgericht Tiergarten ein Prozess gegen Überflüssige statt, die im Herbst 2004 die Berliner AWO-Zentrale besetzt hatten. Das Verfahren wurde auf Staatskosten eingestellt. Während dem Prozess wurde eine miese Machenschaft des LKA Berlins aufgedeckt. Es besteht der Anfangsverdacht, dass Mitarbeiter/innen des LKA Urkundenfälschung begangen haben, um die Anklage gegen die Überflüssigen zu ermöglichen.
Wie in bereits vorangegangenen Prozessen gegen AWO-Besetzer/innen kam es diesmal nicht zu einer Verurteilung der Überflüssigen. Diese skandalisierten mit ihrer heute angeklagten Aktion von 2004, dass die Berliner Arbeiterwohlfahrt (AWO) sich an der Umsetzung von Hartz IV beteiligt, indem sie 1-Euro-Jobber beschäftigt. Aufgrund dieser Tatsache kam die AWO und ihr Berliner Chef, Hans Nisble, während des Prozessverlaufs in die Kritik. Das Verfahren war bereits für Juni 2006 angesetzt, musste aber wegen einer angeblichen Krankheit Nisbles kurzfristig abgesagt werden.

Der Prozess begann in einem kleinen Raum, der nur 16 Sitzplätze hatte. Die Richterin war so zuvorkommend, trotzdem alle Interessierten in den Gerichtssaal zu lassen. So konnte die Öffentlichkeit den Prozess zumindest im Stehen bzw. auf dem Boden sitzend verfolgen. Zunächst erklärte der angeklagte Überflüssige, der sich einen roten Trainingsanzug angezogen und eine weiße Maske auf seinen Kopf gesetzt hatte, über die Überflüssigen auf. Ihre Aktionen hatten bei den meisten Anwesenden im Publikum so viel Sympathie, dass für sie klar wurde, dass die falschen angeklagt waren.

Wer sind die eigentlich Schuldigen?

Dann wurde von dem Überflüssigen sinngemäß ausgeführt, dass es in diesem Verfahren um ein Verbrechen geht, aber nicht um das des Hausfriedensbruch, wie der Staatsanwalt meinte, sondern - schlimmer - um Sozialfriedensbruch: Es geht um einen sozialen Krieg gegen Menschen ohne Erwerbseinkommen. Der soziale Frieden war federführend von der rot-grünen Koalition im Bund gebrochen worden. Sozusagen Sozialfriedensbruch auf höchstem Niveau. Heute werden mehr als sieben Millionen Menschen gequält, gedemütigt; man zerstört ihre Kreativität. Man räumt sie aus ihren Wohnungen. Manche sind so verzweifelt, dass sie sich selbst zerstören. In München tötete kürzlich eine Frau ihr vierjähriges Kind und dann sich selbst, bevor die Wohnung von Vollstreckern der Agenda 2010 zwangsgeräumt werden konnte. Das Publikum nickte während diesen Ausführungen zustimmend.

Dann ging es um den Vollstrecker der Hartz IV-Gesetze, Hans Nisble mit Accent aigu, seines Zeichens SPD-Mitglied. Nach einem Ausflug in die mörderische Geschichte der SPD Ende der 1920er Jahre, konzentrierten sich die Kritikpunkte an der heutigen Politik von beispielsweise Innensenator Körting und Peter Hartz (alle: SPD). Letzterer steht ja angeblich schon mit einem Bein im Gefängnis: Betrug, Veruntreuung und solche Dinge, die bei Menschen mit Millionärsgehältern angeblich nicht selten sind. Bei VW Millionen kassiert, den Erwerbslosen in Deutschland ein Armutsprogramm aufgelegt, und dann von den Spesen in Brasilien das Puff-Wesen gefördert. Dafür steht Peter Hartz.

Aber zurück zu Hans Nisble bzw. der AWO. Nisble, so führte der Angeklagte weiter aus, befürwortet die Umsetzung der Agenda 2010. Er sagt "ja" zu 1-Euro-Jobs. Auch die Arbeiterwohlfahrt lässt also hochqualifizierte Menschen sinnlose Tätigkeiten durchführen, wie z.B. das Basteln von Styropormäusen, die mit Sonnenblumenkernen beklebt werden - für den Wohltätigkeitsbasar. Und noch schlimmer: Sie zwingt in Pflegeheimen nicht qualifizierte 1-Euro-Jobber zu pflegerischen und sozialen Tätigkeiten. Nicht nur, dass dadurch in diesen Berufen ausgebildete Menschen aus gesicherten Arbeitsverhältnissen verdrängt werden; es ist auch eine Zumutung für Menschen, die auf kompetente Hilfe angewiesen sind, die der Arbeiterwohlfahrt praktisch hilflos ausgeliefert sind. Menschen in Altenheimen müssen hinnehmen, dass sie von nicht ausgebildeten 1-Euro-Jobbern versorgt werden. Sie müssen hinnehmen, dass ihnen Menschen professionell beistehen sollen, die zu dieser Arbeit gezwungen werden. Für jeden ausgebeuteten 1-Euro-Jobber erhält die AWO ca. 300 Euro. Die Umsetzung des Hartz IV-Programms ist das eigentliche Verbrechen, das auf die Anklagebank gehört. Verbrechen im Auftrag und bezahlt von der Regierung. Und gegen all dies protestierten einige Überflüssige an diesem lauen Herbsttag im Oktober 2004.

Zeugenvernehmung

Die Zeugenvernehmung ergab, dass die Überflüssigen - wie es ihre Art ist - plötzlich und unerwartet auftauchten und das gesamte Gebäude in Beschlag nahmen. Nisbles Personalchef sei angerufen worden und beide zusammen seien zur AWO gefahren. Im Betriebratsbüro, das beide ohne Erlaubnis des Betriebsrates betreten hatten, diskutierten sie mit den Überflüssigen. Letzte verlangten von Nisble, dass er eine vorbereitete Erklärung unterzeichnen sollte, die sich gegen 1-Euro-Jobs bei der AWO in Berlin und bundesweit aussprach. Verwaltungsangestellte konnten sich an keine Gesichter mehr erinnern, es seien ohnehin "maskierte Männer" gewesen. Nur der Personalchef, der heute stellvertretender AWO-Landesvorsitzender ist, und Nisble wollen den Angeklagten erkannt und mit ihm diskutiert haben. Hans Nisble hatte damals nicht lange nachgedacht, bereits auf dem Weg zur AWO hatte er die Polizei verständigt. Er hat die Überflüssigen aus dem Weg räumen lassen. Die Überflüssigen, so sagte er aus, seien ihm bekannt gewesen, denn sie "machen eine sorgfältige Öffentlichkeitsarbeit". Die abschließenden Fragen des Überflüssigen, ob es stimme, dass Nisble wegen seines Strafantrags gegen Überflüssige von Überflüssigen morgens geweckt wurde und zu welcher Uhrzeit; und die Frage, ob sich Herr Nisble für schuldig erkläre, 1-Euro-Jobs eingeführt zu haben und damit den Straftatbestand des Sozialfriedensbruchs begangen zu haben, ließ das Gericht nicht zu.

LKA fälschte Strafanzeigen

Ein Skandal kam ans Tageslicht bei der Prüfung der Strafanträge, die in der Regel vom Hausherrn gestellt werden müssen und die schließlich zur Anklage geführt haben. Der AWO-Personalchef sagte eindeutig aus, dass er nur einen Strafantrag auf einem DIN A4-Papier unterschrieben habe. Aus einem anderen Gerichtsverfahren ist jedoch ein weiterer von ihm unterzeichneter Strafantrag bekannt. Eine genaue Prüfung ergab, dass das LKA die Verfahrensnummer des einen Strafantrags abgedeckt und fotokopiert hatte. So war der zweite, gefälschte entstanden, der zu der Anklage des aktuellen Verfahrens geführt hatte. Das LKA hat also offenbar dafür gesorgt, dass die Überflüssigen mit mehreren Gerichtsverfahren überhäuft werden konnten. Deswegen wurde noch während des Verfahrens Strafanzeige gegen das LKA Berlin wegen Urkundenfälschung gestellt. Das Ganze erhält weitere Brisanz, weil - wie kürzlich bekannt wurde - auch das BKA gegen die Überflüssigen ermittelt.

Freispruch zweiter Klasse für Überflüssige, Nisble wegen Sozialfriedensbruch verurteilt

Weil kein ordnungsgemäßer Strafantrag vorlag, konnte auch nicht verurteilt werden. Das Verfahren wurde auf Kosten der Landeskasse eingestellt. Das war ein Freispruch zweiter Klasse. Der berühmt-berüchtigte Staatsanwalt der politischen Abteilung Raupach hätte gerne eine Verurteilung gesehen. Aber seinem Plädoyer schloss sich die Richterin in ihrem Urteil nicht an.

Bevor die Richterin selbst dieses Urteil sprechen konnte, wurde ein Urteil gegen die AWO verkündet. Etwas überrascht nahm sie diese letzten Worte des Überflüssigen zur Kenntnis. Dieser forderte das Publikum auf, sich zu erheben. Nachdem die Öffentlichkeit dieser Bitte nachgekommen war und die Richterin dies kommentarlos duldete, wurde im Namen der Überflüssigen Herr Hans Nisble für schuldig befunden: "Er hat sich mit der Einführung von 1-Euro-Job wider besseres Wissen an einem kriminellen Programm beteiligt. Sein Unternehmen hat sich auf diese Weise unsittlich bereichert. Dies erfüllt den Straftatbestand des Sozialfriedensbruchs." Zum Strafmaß wurde ergänzend ausgeführt: "Die Überflüssigen glauben an die Veränderbarkeit. Sowohl die Verhältnisse als auch Menschen sind veränderbar. Deshalb richtet sich die Strafe nach den Maßstäben der Resozialisierung: Herr Nisble muss zwei Wochen lang täglich acht Stunden bei einem Jobcenter seiner Wahl anstehen. Im kommenden Herbst muss er zwei Tage lang jeweils acht Stunden Laubsammeln mit Peter Hartz - vorausgesetzt Peter Hartz ist auf Bewährung draussen."

Die teils weit angereiste Öffentlichkeit kam auf ihre Kosten. Der Prozess wurde inhaltlich interessant und unterhaltsam geführt. Die gute und richtige Motivation der Überflüssigen zur Besetzung der AWO kam erneut auf den Tisch. Kritik an der AWO ist heute genauso berechtigt wie im Oktober 2004. Nur über einen kleinen Dämpfer gilt es noch zu berichten. Die Richterin hat verhindert, dass ein weiteres Bonbon in das Verfahren eingeführt wurde. Der Beweisantrag des Rechtsanwaltes, einen 5-minütigen Film über die Aktion zu betrachten, wurde von ihr bedauerlicherweise nicht angenommen. Vermutlich war es ihr an diesem heißen Sommertag im Gerichtssaal zu stickig und sie wollte ins Freibad. Als Mensch mit einem Arbeitsplatz kann sie sich die teuren Schwimmbadgebühren noch leisten.

Kapitalismus ist überflüssig. Alles für alle.

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Ergänzungen

Aktenmanipulation

war dabei 12.07.2006 - 22:18
Der Rechtsanwalt Wöki hatte wohl die Akten sehr genau gelesen. Denn eine Urkundenfälschung des LKA aufzudecken ist bestimmt nicht möglich, wenn die Akten nur flüchtig gelesen werden, wie es ja leider bei linken Anwälten oft der Fall ist. Dass der Prozess alleine deswegen eingestellt wurde ist fast schade. Schließlich hatte der Betriebsrat, in dessen Räumen die Überflüssigen waren, gar nicht Anzeige wegen Hausfriedensbruch gemacht. Also auch ohne LKA-Mogelei wohl ein glatter Freispruch. Der Oberstaatsanwalt von der politischen Abteilung war auch richtig sauer, dass seine Anklage an die Wand fuhr!
Weiter so! Überflüssige never goes alone! Let´s rock it!

Genau so

überflüssig 12.07.2006 - 23:23
muss es weitergehen! Spitzenaktion! Spitzenreaktion!
Gibt es davon mehr in Berlin? Ich glaube ich verlasse mein flaches Land und komme in den Schoss der Überflüssigen nach Berlin.

Glückwunsch und weiter so ...

AWO-Mitarbeiterin HH 12.07.2006 - 23:40
Ich verfolge Eure Aktionen insbesondere im Zusammenhang mit der AWO und 1 Euro-Jobs und gratuliere Euch zu diesem ersten Etappensieg.

Unser Betriebsrat hat übrigens über Eure Aktionen in seinen Veröffentlichungen immer informiert und so auch AWO-MitarbeiterInnen aufmerksam werden lassen, die sonst diese Informationen über herkömmliche Medien nicht bekommen würden.

Zu dem politischen Skandal um gefälschte Unterlagen, möchte ich Euch kurz an den sogenannten Hamburger Wattebäuschchenprozess erinnern: Eine Gruppe von Erzieherinnen hatte in der Hamburgischen Bürgerschaft Wattebäuschchen und Wolkenförmige Flugis fallen lassen (CDU-Politik: Schnee von gestern). Die Erzieherinnen haben dafür eine Geldstrafe auf Bewährung bekommen (nach dem Strafgesetzbuch - Störung von Verfassungsorganen oder so).

Ein erster Freispruch ist jetzt gerade vor zwei Wochen vom Hamburgischen Oberlandesgericht kassiert worden und zur Neuverhandlung an eine andere Kammer des Amtsgerichtes zurückverwiesen worden.

Hier wird auch sozialer Protest kriminalisiert - aber das Beschäftigtenbündnis der Hamburger Kitas wird weiter unbequem in Hamburg bleiben!

Presse

taz, jw, rbi 13.07.2006 - 10:30
taz Berlin lokal vom 13.7.2006

Besetzer straffrei
Der Prozess gegen einen Besetzer der Arbeiterwohlfahrt wurde eingestellt. Die Aktion richtete sich gegen Hartz IV

Der Prozess vor dem Moabiter Amtsgericht um die Besetzung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) durch "Die Überflüssigen" im Oktober 2004 endete gestern für einen der Angeklagten mit der Einstellung des Verfahrens. Dies lag vor allem an strafrechtlichen Fehlern durch die Kläger. Ein Verfahren wegen Hausfriedensbruch kann nur derjenige anstrengen, der das Hausrecht hat. Da sich der Beschuldigte Michael Kronawitter im Gebäude in den Räumen des Betriebsrates aufhielt, ist der Strafantrag des AWO-Landeschefs Hans Nisblé (SPD) unwirksam. Dort hat allein der Betriebsrat das Hausrecht. "Das ist ein deutlicher Erfolg für die Überflüssigen, obwohl wir eigentlich mit einem Freispruch gerechnet hatten", sagte Kronawitter.

Bei der Aktion vor knapp zwei Jahren hatten zeitweilig rund 60 Personen, mit roten Pullovern und weißen Masken bekleidet, die Räume der AWO in Kreuzberg besetzt, um gegen die Einführung der "1-Euro-Jobs" im Betrieb zu protestieren. Der Angeklagte forderte damals vom anwesenden Nisblé eine klare Distanzierung von "1-Euro-Jobs" in seinem Landesverband. Auf eine Diskussion ließ dieser sich jedoch nicht ein. Stattdessen rief er die Polizei, die die Besetzer räumte. Er sei zwar für konstruktive Gespräche offen, "aber nicht mit Berufsdemonstranten", so Nisblé. Gegen insgesamt 25 Personen wurde eine Anzeige gestellt.

Erst vor wenigen Wochen solidarisierte sich der Betriebsrat mit den ungebetenen Besuchern. Für ihren Teil des Hausrechts über die Betriebsratsräume wurde kein Strafantrag wegen Hausfriedensbruch gestellt. Seit der Berliner AWO-Besetzung gab es in ganz Deutschland immer wieder verschiedene Protestaktionen der "Überflüssigen" gegen die so genannte Agenda 2010, mit der die umstrittene Arbeitsmarktreform Hartz IV eingeführt wurde. JOHANNES RADKE
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junge Welt 13.07.2006

Rollentausch im Amtsgericht
Berliner AWO fand sich unerwartet auf der Anklagebank der »Überflüssigen« wieder

Der gestrige Mittwoch dürfte dem ehemaligen Chef der Berliner Arbeiterwohlfahrt (AWO) Hans Nisblé (SPD) noch lange in Erinnerung bleiben. Ursprünglich sollte er in einem Verfahren wegen Hausfriedensbruchs gegen den linken Aktivisten Michael Kronawitter vor dem Amtsgericht in Berlin-Moabit aussagen. Kronawitter, der auf Platz fünf der WASG-Landesliste zu den Berliner Abgeordnetenhauswahlen am 17. September kandidiert, wurde vorgeworfen, gemeinsam mit rund einem Dutzend »Überflüssiger«, am 11. Oktober 2004 die Berliner Zentrale der AWO besetzt zu haben.

Die »Überflüssigen«, die in mehreren Städten existieren und mit roten Kapuzenshirts und weißen Masken durch spektakuläre Aktionen auf soziale Ungerechtigkeiten aufmerksam machten, wollten die AWO durch die kurzzeitige Besetzung ihrer Räume dazu bewegen, öffentlich zu erklären, sogenannte Ein-Euro-Jobs für Erwerbslose abzulehnen. Nisblé, damals noch AWO-Landesvorsitzender, stellte anschließend Strafantrag gegen Kronawitter. Damit, daß er selbst vom Zeugen zum Angeklagten wird, dürfte er jedoch nicht gerechnet haben. Gleich zu Beginn der Verhandlung warf Kronawitter die Frage auf, ob nicht Nisblé ein Verbrecher sei. Schließlich befürworteten er und sein Verband den »kriminellen Plan Agenda 2010«. Das Basteln von Styropormäuschen, die mit Sonnenblumenkernen beklebt und auf Wohltätigkeitsbasaren verkauft werden sollen, sei nur eine der Aufgaben, die die AWO den am Existenzminimum lebenden Ein-Euro-Jobbern bisher gestellt habe. Andere Erwerbslose würden in AWO-Pflegeheimen beschäftigt und verdrängten so ausgebildete Pflegekräfte aus gesicherten Arbeitsverhältnissen. Für die AWO lohne sich das: Für jeden Ein-Euro-Jobber bekomme sie pro Monat 300 Euro extra.

Kronawitter hatte sein Recht auf eine Stellungnahme zu dem ihm vorgeworfenen Hausfriedensbruch bereits zu Beginn der Verhandlung genutzt, um eine Anklage gegen den Sozialfriedensbruch durch die Agenda 2010 und die AWO zu verlesen. In der Zeugenvernehmung durch die Richterin befragte er gar den einstigen AWO-Chef zu den ihm zur Last gelegten sozialen Grausamkeiten. »Ich komme zur Urteilsverkündung«, sagte er abschließend. »Bitte erheben Sie sich!« – und die über 50 Zuhörer standen artig auf. Zur Strafe, so Kronawitter weiter, muß Nisblé u. a. zwei Wochen lang täglich acht Stunden bei einem Jobcenter seiner Wahl anstehen. Das Verfahren wurde schließlich auf Kosten der Berliner Landeskasse eingestellt, Nisblés Strafantrag hatte nach Meinung des Gerichts die rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Außerdem habe sich Kronawitter bei der AWO-Besetzung im Büro des Betriebsrates aufgehalten – und der übe dort das Hausrecht aus, nicht Nisblé.

Kronawitters Anwalt stellte noch in der Verhandlung Strafantrag gegen Unbekannt, da Strafanträge gegen seinen Mandanten unter verschiedenen Vorgangsnummern im Umlauf gewesen seien. Explizit begrüßte Kronawitter daher zwei Beamte des Berliner Landes­kriminalamtes, deren Kollegen seiner Meinung nach bald wegen des Verdachtes der Urkundenfälschung vor Gericht stehen könnten. Markus Bernhardt
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Berliner Rundschau

Ein klassischer Reinfall
Verfahren gegen "Überflüssigen" Michael Kronawitter eingestellt

Für Hans Nisble, Sozialdemokrat und vor zwei Jahren noch Landesvorsitzender der "Arbeitwohlfahrt" war es wohl ein klassischer Reinfall. Juristisch ging sein Versuch, den Aktivisten der "Überflüssigen" und WASG-Kandidaten, Michael Kronawitter, zu kriminalisieren, nicht durch. Politisch wurde es eine Schlappe. Das Verfahren wurde wegen eines "Verfahrenshindernisses" eingestellt.

Politisch war allerdings auch das ganze Verfahren, obwohl der Verfolgungseifer der Richterin Koplin sowie des Staatsanwaltes Raupach nicht gerade überdurchschnittlich entwickelt war. Anlaß des Verfahrens war eine Aktion der sozialen Bewegung "Die Überflüssigen", die schon seit Jahren Aktionen insbesondere gegen alles, was mit der berüchtigten "Agenda 2010" zusammenhängt, durchführt. So auch im Oktober 2004, als eine größere Anzahl das damlige Gebäude der "Arbeiterwohlfahrt", eines sehr sozialdemokratisch orientierten Wohlfahrtsverbandes, zeitweilig besetzte, um von den politisch Verantwortlichen eine Disanzierung zu verlangen vom Kurs ihres Bundesvorstandes, der sich für Hartz IV ausgesprochen hatte und auch selbst Ein-Euro-Jobber beschäftigt.

Nisble, von sich angeblich "bedroht fühlenden" Mitarbeitern herbeigerufen, eskalierte die Situation sofort und verwies die Aktivisten des Hauses, verständigte auch gleich die Polizei, die später die Räumung durchführte. Zwar bot er den Protestlern an, mit einer Delegation ein Gespräch zu führen, aber erst, wenn die Besetzung beendet worden sei. Er verwies auch den später hinzugestoßene Angeklagten Kronawitter, den der Staatsanwalt als einen "Wortführer" bezeichnete, des Gebäudes, was dieser denn auch tat. Das Verfahren fand trotzdem statt, bis sich während der Veranstaltung herausstellte, daß eigentlich kein den Ansprüchen der Strafprozeßordnung genügender Strafantrag vorlag, da der vorliegende ohne Datum und genaue Bezeichnung der zu ahndenden Straftat ausgefüllt war. So wurde der Prozeß zur Farce und schließlich eingestellt. Die Kriminalisierung Kronawitters, der schon mehrfach auf die Anklagebank gezerrt worden war, fand also diesmal nicht statt. Michael Kronawitter selbst nannte das Urteil allerdings einen "Freispruch zweiter Klasse", weil es nicht zu einer Entscheidung in der Sache gekommen war. Besser als eine Verurteilung ist es aber allemal. Charly Kneffel
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Berliner Rundschau. Kommentar

Schuldig des "Sozialfriedensbruchs"
Michael Kronawitter hat einen politischen Sieg errungen

Hundertprozentig zufrieden sein kann Michael Kronawitter mit dem Urteil des Amtsgerichts Moabit nicht. Es wurde ein "Freispruch zweiter Klasse", doch abgesehen davon, daß dies besser war als das Risiko eines negativen Urteils, politisch war es ein Sieg. Eine Kriminalisierung wurde abgewendet, das Verhalten der Berliner Arbeiterwohlfahrt (AWO) wurde thematisiert und die Bewegung gegen Hartz IV war wieder aktiv. Mehr kann man derzeit nicht verlangen.
Was sich der rechte Sozialdemokrat Hans Nisble ("mit accent aigu" würde Kronawitter sagen) bei seiner Strafanzeige gedacht hat, wurde allerdings nicht klar. Die "Arbeiterwohlfahrt", ein aus der traditionellen Arbeiterbewegung kommender Sozialverband, der der SPD mehr als nahesteht, hat sich ohnehin schon weit von ihren - früheren - Ansprüchen entfernt. Weit davon entfernt, sich den Protesten gegen die rabiate Politik des Sozialkahlschlags anzuschließen, stützte sie die "Agenda 2010" und hängte sich dabei weit aus dem Fenster.

Zwei Gründe sind für dieses Verhalten sichtbar. Zum einen ist die AWO - nicht alle ihre Mitarbeiter, aber die Führungen - rechte Sozialdemokratie vom Feinsten, also voll auf Seiten der Clement, Hartz und Co., zum zweiten profitiert sie aber auch direkt von den mit Hartz IV verbundenen "Ein-Euro-Jobs", die demnächst leicht zu "Null-Euro-Jobs" mutieren können. Kurz gesagt: Arbeitslose sind billiger als Zivildienstleistende oder gar Vollzeitkräfte. So ist die AWO nicht die Lösung, sondern Bestandteil des Problems.

Nun sollte man meinen, Nisble und seine Freunde hätten Interesse daran, ihre Machenschaften wenigstens möglichst wenig an die Öffentlichkeit zu bringen, doch Dummheit und Stolz wachsen aus einem Holz. Nisble, der im Zeugenstand jedes Unrechtbewußtsein vermissen ließ, stellte in noch ungeklärter Kooperation mit dem Landeskriminalamt, das Leute wie Kronawitter ohnehin auf dem Kieker hat, Strafantrag. Allerdings mit einem bemerkenswerten Dilettantismus.

So konnte der Anti-Agenda Aktivist das Verfahren , das politischen Charakter hatte, zu einer Veranstaltung gegen Nisble und die AWO machen. Er erklärte Nisble zum "Verbrecher", schuldig des "Sozialfriedensbruchs" und verurteilte ihn dazu, morgens bei einer "Arbeitsagentur seiner Wahl" anzustehen und schließlich - zusammen mit Peter Hartz - 8 Stunde täglich "Laub zu sammeln". Eigentlich eine gute Idee - leider wird es nicht dazu kommen. Charly Kneffel

(mehr dazu auf  http://www.ueberfluessig.tk )

Video: Die Überflüssigen vor Gericht

freundeskreis v i d e o c l i p s 13.07.2006 - 14:06
+

Video-DVD der Aktion der Ueberfluessigen

freundeskreis v i d e o c l i p s 13.07.2006 - 16:45
gibts bei uns gegen spende.

inhalt:

Die Überflüssigen 1

(01) Berlin-Kreuzberg, 11.10.04 – Die Überflüssigen besetzten aus Protest gegen die Bereitstellung von 1-Euro-Jobs die Landeszentrale der Berliner Arbeiterwohlfahrt (AWO) (6:40)
(02) Berlin, 18.12.04 – Die Überflüssigen geben im Nobelrestaurant Borchard essen (8:20)
(03) ***, 12.01.05, 23 Uhr – *** - Beitrag ueber den Mundraub im Borchardt – (6:30)
(04) Berlin, 2003, Kurzfilm „Das Feinste vom Feinsten“ (produziert von WBKLinke) – (4:30)
(05) London, 16.10.04 - Interview mit sphinx zum indymedia-Konzept (7:00)
(06) London, 16.10.04 - Interview zur Beschlagnahme von indymedia-Servern durch das FBI (7:00)
(07) Berlin, 27.11.04 - Interview zum Projekt Independent Video Distribution Network (IVDN), Teil 1: Das Konzept (8:30)
(08) Berlin, 27.11.04 - Interview zum Projekt Independent Video Distribution Network (IVDN), Teil 2: Die Umsetzung (4:30)

@ Miesmacher: nur ein paar unbedeutende Facts

800mAh 19.07.2006 - 02:59
Der wichtigste Fakt: an und für sich dürfte es keine sogenannten "Arbeitsgelegenheiten (!) mit Mehraufwandsentschädigung" geben. Denn jede dieser "Ein-Euro-Jobs" ersetzt definitv einen sozialversicherungspflichtigen Voll- oder Teilzeit-Arbeitsplatz. Das gilt auch für die Person, die der Oma Geschichten vorlesen soll, selbst unter dem Deckmäntelchen einer "gemeinnützigen und zusätzlichen" Tätigkeit.

Bis vor kurzem konnten die Maßnahmenträger dieser EEJ mit MAE bis zu 500€ pro Person abgreifen, von denen der eigentliche Leistungserbringer, der zu dieser Tätigkeit per Eingliederungsvertrag genötigte Arbeitslose (vgl. Kontrahierungszwang), maximal 160€ erhält. Den "Rest" kann sich der Maßnahmenträger in die eigene Tasche stecken.
Auch wenn dieses "Handgeld" jetzt reduziert wird, bleibt unter dem Strich ein hübsches Sümmchen für den Maßnahmenträger übrig; muß er doch keine weiteren Kosten für den Einsatz eines EEJers aufwenden. Diese Kosten müssen auch Miesmacher weiterhin zahlen, nämlich über ihre Steuern.
Der Arbeitslose selbst muß von der MAE eine Vielzahl von Ausgaben selbst bestreiten, die die MAE nahezu egalisiert oder, wie bereits verschiedentlich berichtet wurde, durch den Regelsatz aufgestockt werden muß.

Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat sich die finanzielle Situation der ehemaligen Sozialhilfeempfänger eher verschlechtert denn verbessert. Denn mit der Einführung des ALG II müssen jetzt auch die ehemaligen SHE mit der Tatsache leben, daß der höhere Auszahlungsbetrag im Gegenzug eine Pauschalisierung der bislang separat erbrachten Leistungen beinhaltet. Die einzigen "Gewinner" (wobei dieser Term relativ zu betrachten ist; siehe Pauschalisierung) sind Alleinerziehende mit einem Kind - aber auch nur so lange, bis ein Fallmanager mit einem Eingliederungsvertrag winkt.

Der "Arbeitslose, der sich zuhause langweilt und lieber arbeiten möchte", ist mit einem Arbeitsplatz auf dem 1. Arbeitsmarkt sicherlich besser bedient als mit platten Phrasen, die den Sozialfriedensbruch unterstützen.

Zum Anwalt

Beobachterin 23.07.2006 - 22:05
Berechtigtes Lob am Anwalt wurde hier nun geäußert. Ich habe auch eine Kritik. Wölky wollte einen Punkt nicht mit der anwesenden Öffentlichkeit besprechen. Deswegen wurde die Öffentlichkeit kurzzeitig ausgeschlossen.

Das ist wirklich blöd. Was hat ein linker Anwalt mit Richterin und Staatsanwalt zu besprechen, den solidarischen Gästen aber zu verheimlichen? Warum muss er klüngeln? Das habe ich in einem politischen Verfahren noch nie erlebt. Öffentlichkeit ist doch gerade das beste Mittel.

Der Angeklagte war da besser, er hat für die Öffentlichkeit agiert. Diese war neben dem Angeklagten auch die einzig vernünftige Kraft im Raum

besserwisser hat was zu sagen

besserwisser 05.08.2006 - 01:52
das nennt sich aktentrennung ihr amateure. da ist die sache mit dem strafantrag zulässig!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! aber zieht euch ruhig daran hoch. das lka ist nicht perfekt,aber so dumm wie ihr die darstellt sind die nicht!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Verstecke die folgenden 9 Kommentare

Überflüssige kämpfen auch vor Gericht

Die Überflüssigen aus Bonn 12.07.2006 - 20:40
Ein schöner Bericht. Das klingt ja nach einem spannenden Prozessverlauf. Da wären wir gerne dabei gewesen. Schade, dass wir nicht in der Nähe wohnen, sonst wären wir auch vorbeigekommen. Falls es trotz der nun aufgedeckten LKA-Fälschungen noch weitere Prozesse geben sollte, drücken wir wieder solidarisch die Daumen. Weiter so!

... das lka wird auch immer gestzloser :-)

Claudia B. 13.07.2006 - 00:24
Ein etwas älterer Text zum Thema:

Politische Sondereinheiten bei der Polizei

(soligruppe christian s.:  soligruppe@no-log.org /
 http://www.freechristian.gulli.to/ )


Mehrere Gerichtsprozesse der letzten Zeit brachten zutage was politischen AktivistInnen schon ewig bekannt war: Das Berliner Landeskriminalamt beschäftigt Sondereinheiten, die sich ausschließlich auf politische Milieus konzentrieren, z.T. halblegal agieren und seit Jahren wenig erfolgreiche Strafverfahren abgeschlossen haben. Ihre Legitimität erhalten solche Einheiten nicht durch die strafprozessualen Erfolge, die sie vorweisen können, sondern durch die Möglichkeit gezielt politische AktivistInnen einzuschüchtern, die Linke zu durchleuchten und damit zu verunsichern und zu schwächen.

Der Auftrag dieser Sondereinheiten ist demnach politisch und wird auch durch den Innensenat dementsprechend gedeckt. Der polizeiliche Staatsschutz arbeitet nicht straftatenorientiert sondern straftätermilieuorientiert 1. Das bringt das Problem mit sich, dass erstmal was passieren muss, damit der Staatsschutz gegen Linke agieren kann - Dateien anlegen, Überwachen, Durchsuchen, Fotos durchgucken, Aktenvermerke anlegen etc. Straftaten gegen die öffentliche Ordnung müssen also meist erst konstruiert werden, um als Landeskriminalamt kriminologisch tätig werden zu können. Selbst die kleinsten Vergehen wie das Abreißen von NPD Plakaten, das Kleben von linken Aufklebern oder das Schreien von Parolen auf Demonstrationen reichen oftmals aus, um ein aufwendiges Staatsschutz-Verfahren loszutreten, Überwachungsmaßnahmen einzuleiten und den Aktenbestand des Berliner LKA zu erweitern. Mit den Straftaten an sich hat der Ermittlungsaufwand meist nichts zu tun, was auch die StaatsanwältInnen kritisieren, die den ganzen Aufwand irgendwann einem Gericht erklären müssen.


Mehr als gute Zusammen- arbeit unter Kollegen

Wer in Berlin an Demonstrationen teilnimmt, kann sich nicht nur sicher sein gefilmt zu werden, sondern läuft auch Gefahr, in der Datei „Straftäter-Links“ der Sondereinheit „Politisch Motivierte Straßengewalt (PMS)“ aufzutauchen. Diese Einheit wurde 1992 gegründet und umfasst zusammen etwa 60 Polizeibeamte zur Überwachung, Verfolgung und Einschüchterung politischer AktivistInnen.

Die Praxis hat gezeigt, dass die PMS zunehmend mit anderen Abteilungen des LKA zusammenarbeitet, und die BeamtInnen bei Beförderungen oder Versetzungen an befreundete Einheiten weitergereicht werden. Dadurch kommt es zu Machtkonzentrationen und verdeckten Hierarchien innerhalb des LKA, die einer Kontrolle durch den Innensenat entzogen sind. Die Grenzen zwischen den Zuständigkeiten der Einheiten überlappen sich und die ErmittlerInnen nutzen persönliche Kontakte, um unkompliziert, aber eben nicht rechtmäßig, an Daten heranzukommen.


Polizeiliche Praxis - Korruption, Verrat, Mobbing

Bei politischen Events wie dem 1. Mai sind dann BeamtInnen der PMS (LKA 5) zusammen mit der „Ermittlungsgruppe Hooligan“ (LKA 6), „Ermittlungsgruppe Graffiti in Berlin“ (LKA 4) und den Sondereinheiten der Polizeidienststellen „Fahndung Observation Aufklärung (FAO)“ sowie „Operative Gruppe Jugendgewalt (OGJ)“ unterwegs und die Justiz wundert sich später, woher die hervorragenden Erkenntnisse und szeneübergreifenden Einschätzungen stammen.

Eine unkontrollierbare Exekutive riecht nicht nur nach Vorteilsnahme und persönlichen Machtspielchen – es kommt auch manchmal an die Öffentlichkeit. Im August 2005 wurde eine Fußballfan-Party im Friedrichshainer Jeton vom Sondereinsatzkommando brutalstmöglich geräumt. Die Ermittlungsgruppe Hooligan (EGH) war von der Razzia vorher nicht informiert worden, weil es Erkenntnisse gab, dass die Einheit mit Vorliebe entscheidende polizeitaktische Informationen gegen Zuwendungen an die interessierte Klientel abgibt. Die EGH schob dem Bodybuilder Ober-Kommissar Mario E. alles in die Schuhe und die Presse hatte ihr Bauernopfer Ober-Kommissar Koks: „Es existiert ein Video, das ihn privat mit Fans des BFC Dynamo zeigt. Dabei zieht sich E. eindeutig weißes Pulver in die Nase“ 2.

Schon 2003, wurde die Neonazigruppe „Vandalen - Ariogermansiche Kampfgemeinschaft“ vor einer Razzia ihrer Geburtstagsparty in Köpenick vermutlich von PolizeibeamtInnen gewarnt. Damals verbuchte die PMS, die Entdeckung und Auflösung der Party als Riesenerfolg 3. Die Ermittlungen wegen Geheimnisverrat wurden eingestellt.

Im September 2005 standen drei Beamte um den Kriminaloberkommissar Husahm N. der Sondereinheit Fahndung Observation Aufklärung vor dem Berliner Landgericht unter Anklage, weil sie im Drogenmilieu Handel zuließen und davon profitierten. „Ihre Verteidiger sprechen von konstruierten Vorwürfen und vermuten, interne Querelen in der Polizeibehörde hätten zu der Anklage geführt.“ 4. Diese Vorfälle zeigen auf, dass zumindest bei einem Teil des Berliner LKAs Ansätze zu mafiösen Strukturen bestehen, die BeamtInnen es mit dem Gesetz nicht so ernst nehmen und zusammen dafür garantieren, dass permanente Rechtsbrüche im Polizeialltag von allen BeamtInnen gedeckt werden. Diese Verselbstständigungstendenzen lassen sich von dem politisch verantwortlichen Innensenat schwer aufbrechen. Hagelt es allerdings Dienstaufsichtsbeschwerden und werden Rechtsverstöße durch die LKA BeamtInnen immer mehr öffentlich gemacht, kann dies unangenehme Konsequenzen für die selbstverliebten KommissarInnen haben.


Fallbeispiel aus dem politischen Alltag – Christian S.

Ein Beispiel für die Arbeitsweise des Berliner LKA im politischen Milieu zeigt die Antwort auf eine Kleine Anfrage im sächsischen Landtag zu den Polizeieinsätzen während der Antifa-Aktivitäten gegen einen Neonaziaufmarsch am 13. Februar 2005 in Dresden. 36 Berliner LKA BeamtInnen waren „zur Unterstützung der einsatzführenden Polizeidirektion in den Einsatzabschnitten Aufklärung sowie Raumschutz/Zugriff eingesetzt“. Sie alle „trugen zivile Kleidung, so wie es bei Kriminalbeamten im operativen Einsatz grundsätzlich der Fall ist“. Zumindest „das Begehen von Straftaten ist ihnen nicht erlaubt“ 5.

LKA BeamtInnen verschiedener Abteilungen arbeiten also auch bundesweit intensiv zusammen und fahren dem von ihnen zu durchleuchtenden politischen Milieu auch in andere Bundesländer hinterher. So kam es dazu, dass zwei verdeckt ermittelnde BeamtInnen aus Berlin am Demonstrationsgeschehen in Dresden teilnahmen, Informationen sammelten und mindestens zwei Personen aus Berlin gezielt festnehmen ließen. Einer der Gefangenen war der Antifaschist Christian S., der sogleich wegen einem angeblich begangenen Landfriedensbruch, den die LKA AufklärerInnen gesehen haben wollen (andere Beweise gibt es nicht), in Untersuchungshaft kam. Der Staatsanwalt Fenner aus Berlin fand den Fall derartig interessant – es ging um einen Flaschenwurf, der niemanden getroffen hat – dass er das Verfahren an sich zog und ihn vor dem Landgericht Berlin 6 anklagte. Christian S. sitzt seit März 2005 in Berlin-Moabit in U-Haft und plagt sich mit einer Hepatitis C Erkrankung rum, die nicht richtig behandelt wird 7. Die U-Haft Frist von maximal sechs Monaten ist der Staatsanwaltschaft völlig egal und sie erneuert den Haftbefehl, bis irgendwann mal der Prozess stattfinden kann. Ermittlungstechnisch vom LKA für die Staatsanwaltschaft vorbereitet, rechtsstaatlich alles einwandfrei verpackt und irgendwann auch vom Gericht abgesegnet. So funktioniert die vom LKA gesteuerte Gewaltenteilung.

Der Festgenommene war dem Staatsanwalt und dem LKA nämlich nicht unbekannt. Ein Verfahren gegen ihn im Dezember 2004 wegen der verhinderten NPD-Demonstration am 1. Mai 2004 in Berlin Lichtenberg-Friedrichshain offenbarte, dass die verdeckt ermittelnden BeamtInnen Straftaten über längere Zeit gezielt zuließen, um das zu erwartende Strafmaß für die Person zu erhöhen. Ferner blieb offen, wie viele PolizeibeamtInnen in einer größeren Gruppe „Straftäter“ waren, die sich an den Ausschreitungen in Friedrichshain beteiligten. Nach Aussage des Hauptzeugens Siegert, der nach eigenen Angaben der Ermittlungsgruppe FAO – Fahndung, Aufklärung, Observation angehört und sich extra für den Prozess falsche Haare und Bart angelegt hatte, waren es aber „einige“, auch aus anderen Direktionen.


Verdeckte Aufklärer

Am 30. Oktober 2004 wurden bei einer antifaschistischen Demonstration gegen einen Neonaziaufmarsch in Potsdam wieder Berliner LKA BeamtInnen verdeckt eingesetzt. Dazu heißt es von der Einsatzleitung,dass es sich bei den BeamtInnen des LKA 562 um eine Variante des Verdeckten Aufklärers im politisch motivierten Umfeld handelt. Die BeamtInnen werden überwiegend zu Observationszwecken im Extremismusbereich eingesetzt. Aus diesem Grund können sie selber keine Festnahmen durchführen, stellen durch Observation und Meldung jedoch sicher, dass die Person abgesetzt durch uniformierte Kräfte festgenommen werden kann. Zeugenschaftliche Äußerungen werden jedoch geleistet.

Bei einer antimilitaristischen Demonstration im Oktober 2005 in Berlin waren wiederum polizeiliche AufklärerInnen verdeckt tätig. Doch diesmal nicht gerade unerkannt. Der Polizeioberkommissar Rouven K. vom Mobilen Einsatzkommando (MEK), war früher bei der PMS gegen „Straftäter links“ eingesetzt. Er fühlte sich von einem seiner „Klienten“ dermaßen provoziert, dass er seine Tarnung auffliegen ließ und wild mit dem Knüppel in die Menge schlug. Die Presse freute sich und stempelte ihn als durchgeknallten Workaholic ab, statt die Gründe für diese Gewaltorgie in der Struktur der Sondereinheiten zu suchen 8.


Fazit - Sich gemeinsam nichts gefallen lassen!

Wer in Berlin politisch aktiv ist, muss damit rechnen irgendwann mal Probleme mit den LKA-Sondereinheiten zu bekommen. Die einzige Möglichkeit, die mensch hat, um damit umzugehen ist juristisch und politisch gegen Rechtsverstöße auf verschiedenen Wegen vorzugehen und klarzumachen, dass die billigen Einschüchterungsversuche irgendwelcher braungebrannter BodybuilderInnen, die sich für Bulle, StaatsanwältIn und RichterIn in einer Person halten, nicht greift, weil eine starke linke Bewegung euch den Rücken stärkt.

Das Landeskriminalamt hat, seiner Aufgabe entsprechend, umfangreiche Zuständigkeiten und auch die notwendigen rechtlichen und logistischen Mittel, um euch ziemlich krass zu nerven. Aber auch diese Mittel sind endlich und Berlin spart auch beim LKA ordentlich. Mit zunehmender öffentlicher Kritik an den Sondereinheiten und derben Polizeiskandalen steigt auch das Bedürfnis diese wegzukürzen.

(1) Antifa Infoblatt Nr. 53/ 2001 „Polizeiruf 88 Null“
(2) 26.08.2005 BZ „Ober-Kommissar Koks“
(3) 24.09.2003 Berliner Zeitung „Rechte wussten offenbar von geplanter Razzia“
(4) 10.09.2005 Berliner Zeitung „Großgarnelen in geheimer Mission“
(5) KA Dresden 36-0141.50/1671
(6) Vor dem Landgericht wird nur angeklagt wenn klar ist, dass das zu erwartende Strafmaß über vier Jahren Haft liegen wird.
(7) Mehr zu Fall Christian S. unter www.freechristian.de.vu
(8) 29.10.2005 Tagesspiegel „Opfer klagen prügelnden Polizisten an“


URL:  http://www.nadir.org/nadir/archiv/Repression/berlin2005/07_polizei.html

.... gratuliere

fabian 13.07.2006 - 00:47
zu Euren einwandfreien Erfolg, dabei hat sich ja die Gegenseite mal wieder als CSI-Tempelhof versucht :-) - schön dass sie wieder ne Spur zu eifrig waren. Das ganze artet ja zu einer eigenen Wissenschaft aus:

 http://www.polizei-poeten.de/

 http://sondereinheit.fateback.com/

Schönen Abend

Auf die indymedia-Startseite?

Leser 13.07.2006 - 09:39
Warum ist die Mobilisierung zu diesem Prozess auf der rechten Seitenleiste der Startseite gewesen, dieser Bericht zum Prozessausgang allerdings nicht?

LKA, BKA, VS.. verrückte Psychopaten

Dein Name 15.07.2006 - 01:17
Nach der bundesweiten Mordserie an neun ausländischen Kleinunternehmern - darunter auch ein Opfer aus Hamburg - ist ein Beamter des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz ins Visier der Fahnder geraten.
 http://www.abendblatt.de/daten/2006/07/14/586448.html

Wunderschöner Beitrag

fk76 15.07.2006 - 12:07
Auch wenn ich den Satz mit der Richterin und den Schwimmbad lächerlich finde, möchte ich den Autoren ein dickes Lob für diesen wunderschönen Beitrag aussprechen. Sowas wünscht man sich öfter bei der Indymedia.

Falsches Ziel!

Miesmacher 17.07.2006 - 01:07
Ihr tut mir echt leid. Ihr habt überhaupt keinen Einblick in die wirklich Betroffenen von Harz 4. Ein Euro Jobs bei AWO sind nun wirklich eine der wenigen so sie wirklich so umgetzt wurden, wie sie gedacht waren. Nämlich anspruchsvolle und freiwillige Wiedereinführung in den Arbeitsmarkt ohne bestehende Jobs zu gefährden.

Es gibt so viele, hauptsächlich kommunale Unternehmen, wo das ganz anders aussiet. Diese müsste man angreifen. Insgesammt ist die Einfürung von 1 Euro Jobs gar nicht so problematisch, wenn es keine Jobs gefährden würde.

Die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeislosengeld ist auch richtig. Der Rand der Gesellschaft waren die Sozialhilfeempfänger, denen geht es jetzt zum Teil erheblich besser.

Streitet dafür das Harz 4 Empfänger ihre Altersvorsorge nicht aufgeben müssen, dass es einen Mindestlohn gibt, dass jeder Arbeitslose von seiner "Stütze" leben kann. Wenn diese Leute dann von der AWO für "Praktika" Ein Euro bekommen ist das zu begrüßen, nicht zu kritisieren. Wenn ihr Arbeitslos wärt würdet ihr euch über eine solche Perspektive freuen, es ist besser als nichts. Und das ist dass was passiert für die meisten Betroffenen, nichts. Das ist es was zu kritisieren ist.

Selbst wenn man Ein Euro Jobs ablehnt und ich kann verstehen, wenn man das tut, so bleibt es doch nur das kleinste Übel von allen und ihr verschenkt eure kreative Energie an der Stelle wo es den Betroffenen sogar eher schadet als nutzt. Das Resultat bei Erfolg wäre der Harz 4 Empfänger, der arbeiten möchte, langweilt sich Zuhause, während der Rest der kranken Reform bleibt. Herzlichen Glückwunsch!

Anwalt

Beobachter 17.07.2006 - 17:44
Der Anwalt hiess übrigens Wölky, nicht Wöki, und hat tatsächlich eine tolle Leistung abgeliefert. Schön, sowas zu sehen.

wenn es nicht um den...

egal 25.07.2006 - 21:25
selbstinszenierer kronawitter gegangen wäre, könnte man es als erfolg verbuchen.
so bleibt einmal mehr nur ein theaterstück eines recht dürftigen schauspielers, der sich inzwischen auch schon "parteilich" verkauft hat, pfui!