Wir alle sind Feind!

Rote Hilfe e.V. 11.07.2006 20:33 Themen: Repression
Die Bundesregierung zieht im Schatten der Jubel-WM seit Jahrzehnten umstrittene Vorhaben durch. Jetzt steht die größte Befugnis- und Aufgabenerweitung der Geheimdienste seit ihrer Gründung an, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit. Dass dabei Datenschutz, Menschenrechte und das Grundgesetz auf der Strecke bleiben, ist eigentlich nichts Neues mehr.
Laut Referentenentwurf sollen künftig alle Geheimdienste Zugriff auf Fahrzeughalter- und Bankdaten erhalten, Auskünfte bei Fluggesellschaften sowie Post- und Telekommunikationsunternehmen einholen dürfen und sowohl den "internationalen Terrorismus" als auch "verfassungsfeindliche Bestrebungen im Inland" beobachten und bekämpfen. Entsprechendes gilt für die Verwendung des berüchtigten IMSI-Catchers. Die Nachrichtendienste dürfen zusätzlich die europaweite Ausschreibung von Personen über das Schengener Informationssystem (SIS) vornehmen. Außerdem sieht der Gesetzesentwurf eine Ausdehnung der Prüffrist, in der über die weitere Speicherung der Personendaten erneut entschieden wird, von bisher fünf auf nun zehn Jahre vor.

Aufhebung der Verfassungsgrenzen

Mit dem neuen Gesetzesentwurf wird die Beseitigung des von den westlichen Alliierten nach 1945 verfügten absoluten Verbotes, die deutschen Sicherheitsapparate zu zentralisieren, forciert. Die bisher bestehenden Beschränkungen der Zusammenarbeit zwischen den deutschen In- und Auslandsgeheimdiensten (Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst, Verfassungsschutz) sowie Polizei- und Strafverfolgungsbehörden werden ausgehebelt und ihre Überwachungs- und Kontrollbefugnisse erweitert.

Fehlt nur noch das Recht zu Foltern

Gleichzeitig fordert der Präsident des Bundesverfassungsschutzes (Heinz Fromm) die Nutzung von Informationen, die durch Folter erpresst wurden. Entsprechend forderte der Vorsitzende des Deutschen Richterbunds beim Fall Daschner die Einführung von Folter als Mittel der polizeilichen Aufklärung.

Geheimdienste sind demokratisch nicht kontrollierbar

Alleine die Spitze des Eisbergs der publik gewordenen Skandale um die bundesdeutschen Geheimdienste - die Traube-Affäre, das Celler Loch, die Entführung des koreanischen Komponist Isang Yun, der Mordfall Schmücker, der Plutoniumhandel usw. ? zeigt, wie unkontrollierbar diese Apparate funktionieren.

Konsequenzen für die Bespitzelten

Sind jemandem mit unbequemen Ansichten keine Straftaten nachzuweisen, strafen die Dienste außerhalb des Strafrechts. Am Beispiel des Heidelberger Lehrers Michael Csaszkóczy wird das deutlich: Obwohl ihm keine strafbaren Handlungen nachgesagt werden, darf er nicht unterrichten. Das Berufsverbot wird ausschließlich durch Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, die seine Meinungen und Ansichten bewerten, gerechtfertigt. Auch jene, die durch eine Willkürentscheidung der staatlichen Repressionsorgane in die ominösen schwarzen Listen politischer Oppositioneller - offiziell ?LIMO-Kartei? genannt ? geraten sind, bekommen die Ergebnisse immer wieder an der eigenen Haut zu spüren. An Grenz- oder Straßenverkehrskontrollen müssen sie meist eine Sonderbehandlung über sich ergehen lassen. Manche Grund- und Menschenrechte sind inzwischen teilbar geworden. Auch im Vorfeld vor Versammlungen bekommt man diesen Eintrag oft zu spüren: Gefährderansprachen und verbale Drohungen über Inhaftierung sollen von einer Teilnahme abhalten. Crowd Control und Aufstandsbekämpfung Bildungsministerin Annette Schavan haut in die gleiche Kerbe und übertrumpft sogar alle bisherigen Schreckensszenerien mit ihrer Vorstellung von Aufstandsbekämpfung ("Crowd Control") und der Verteidigung des westlichen Life-Style. In ihrer Eröffnungsrede vor der Konferenz für Verteidigungs- und Sicherheitsforschung ("Future Security") in Karlsruhe entlarvt Frau Schavan die typische Verzahnung ziviler und militärischer Forschungseinrichtungen ebenso wie die Vernetzung von Polizei, Militär, Geheimdiensten und privaten Unternehmen. Die in Millionenhöhe geförderte nationale Sicherheitsstrategie deckt sich mit der Absicht der Regierungsparteien, die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden weiter auszudehnen, und kommt den Wünschen der Rüstungsindustrie entgegen, den Wachstumsmarkt mit der Repression zu einem einträglichen deutschen Geschäft zu machen.

Mathias Krause, Sprecher des Bundesvorstands der Roten Hilfe e.V., erklärt: "Die größte Ausweitung der Geheimdienstbefugnisse und -Aufgaben seit ihrem Bestehen richtet sich eindeutig gegen politische Oppositionelle. Wie schon durch die anderen Anti-Terror-Maßnahmen wird hier der Ausbau des Feindrechtes zu einem ständigen Ausnahmezustand eskaliert. Prävention, Überwachung und Kontrolle ? der Staat schützt sich unter Missachtung der Grund- und Menschenrechte. Wir fordern die sofortige Auflösung aller Geheimdienste und die Löschung aller Listen politischer Oppositioneller.
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