Kurioseste Vorgänge bei Wahlen in Mexiko

Ralf Streck 07.07.2006 08:52 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Bei den Wahlen in Mexiko mehren sich die Hinweise auf einen Wahlbetrug. Die Nationale Wahlkommission (IFE) musste derweil 2,5 Millionen "verschwundener Stimmen" einbeziehen. Der geringe Vorsprung des Konservativen Felipe Calderón vor dem Linken Andrés Manuel López Obrador war dann nur noch minimal, gab auch Calderóns "Partei der Nationalen Aktion" (PAN) zu.

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Update: Weitere Beweise für Wahlbetrug aufgetaucht: video proof of fraud (BBC)
Während überall von Manipulationen berichtet wird, fordert Andrés Manuel López Obrador die Überprüfung aller Stimmen und beginnt seine Anhänger zu mobilisieren. Doch überprüft wurden nur die Stimmen in 300 Bezirken, was dazu führte, dass Obrador bei der Auszählung von 95 % einen Prozentpunkt vorne lag, doch dann drehte sich das Blatt merkwürdigerweise wieder um und Calderon soll mit 0,5 % Vorsprung gewonnen haben.

Die tatsächliche Auszählung der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen in Mexiko kann sich noch bis in September ziehen, wenn der Fall juristisch aufgearbeitet wird, wie die Linkskoalition droht. Der Kandidat der Linkskoalition "Por el Bien de Todos" (Für das Wohl aller), die von "Partei der Demokratischen Revolution" (PRD) geführt wird, forderte eine Neuauszählung aller Stimmen. Der Wahlrat erklärt dagegen weiter, die Zählung in den 300 Distrikträten am Mittwoch werde eine definitive Festlegung des Siegers ermöglichen.

Tatsächlich lag die Linke lange Zeit vorne. Nach der Auszählung von 95 % der Stimmen in den 300 Distrikten lag der Linkskandidat Obrador knapp 1 % vor dem konservativen Calderón. Immer wieder waren Stimmen der PRD gefunden worden, die in den Wahlakten nicht aufgeführt wurden. Doch dann wendete sich das Bild plötzlich, was rechnerisch eine reife Leistung ist, denn in den übrigen Lokalen müssten demnach enorm viele Menschen Calderón gewählt haben, um das Ergebnis wieder zu kippen. Jetzt soll Calderón wieder vor Obrador liegen.

Doch schon ein simples Rechenspiel machte deutlich, dass an der eigentlichen Auszählung der Stimmen am Sonntag einiges faul war. Da die Wahlbeteiligung offiziell mit 58,90 % angegeben wurde, haben von den 71 Millionen Wahlberechtigten mindestens 42 Millionen abgestimmt. Doch der Wahlrat hatte nur 38,5 Millionen abgegebene Stimmen angegeben. Zog man die ab, die noch nicht ausgezählt waren, fehlten also fast drei Millionen Stimmen. Erst am Dienstag gab die Kommission plötzlich bekannt, die Stimmen seien in einem bisher unbekannten "Untersystem" für "inkonsistente Akten" gelandet. 2,5 Millionen seien nun einbezogen worden. Damit ist der ohnehin geringe Vorsprung durch Calderón nach der Schnellauswertung auf 0,6 % geschrumpft. Jetzt sei aber Schluss, sagte René Miranda, Generalkoordinator vom "Programa de Resultados Electorales Preliminares (PREP)". Doch genau der war dafür verantwortlich, dass zuvor nie von den fehlenden Stimmen gesprochen wurde. Stattdessen gab die PREP Zahlen heraus, die den Eindruck erweckten, Calderón habe gesiegt und im Laufe der Auszählung seinen Vorsprung ausgebaut. Muss nun Schluss sein, damit dessen Vorsprung von 250.000 Stimmen bei den noch auszuzählenden Stimmen faktisch nicht mehr eingeholt werden kann?

Allerorten wird aber auch von vielen weitern Anomalien berichtet. So fiel der PRD auf, dass die Daten im Wahlcomputer von denen abwichen, welche ihre Beisitzer nach der Auszählung gemeldet hatten. Mal seien deren Stimmen einem abgeschlagenen Kandidaten zugeschrieben worden, mal seien einfach Hunderterstellen weggefallen. Bei der Linkskoalition traut man dem Wahlrat nach dem Millionenverlust von Stimmen dem Wahlrat nun noch weniger. Der ist ohnehin weitgehend von Anhängern der regierenden PAN besetzt ist, dessen Kandidaten Calderón inoffiziell der Sieg zugeschrieben wird.

Auch das feministische Netzwerk und viele andere Gruppen sprechen von einem klaren Wahlbetrug. Auf ihren Webseiten dokumentiert es etliche Fehler oder Betrügereien. Eine Kopie der Wahlakte wird jeweils per Screenshot dem Ergebnis entgegen gestellt, wie es der Wahlcomputer ausweist. So können etliche Abweichungen aufgezeigt werden.

Letztlich kann nur eine Neuauszählung darüber zeigen, in welchem Umfang geschoben wurde. Obrador hat seine Anhänger aufgefordert, sich heute zu den 300 Distrikträten zu begeben, um die dortigen Auszählungen zu überwachen, die 15 Uhr (Ortszeit 8 Uhr) begonnen haben. Es kommt nun auch zu ersten Demonstrationen, allerdings ruft die Linkskoalition ihre Anhänger weiter zur Ruhe auf.

© Ralf Streck den 06.07.2007
Eine neue Einschätzung der weiteren Entwicklungen und des Ergebnisses heute zunächst auf Telepolis

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Ergänzungen

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der nestscheisser 07.07.2006 - 13:47

O-Töne

Ralf 07.07.2006 - 15:01
Ich habe in den Telepolis Text auch O-Töne eingebaut, für die Radioleute unter euch.
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23054/1.html

Radio O-Töne

Ralf 07.07.2006 - 17:49
Oton

Weiß ja nicht

Ralf 07.07.2006 - 21:21
was mit dem O-Ton Calderon passiert ist, war eh komisch das Verhalten vom Server

Neugierde erweckend: Kuriositätenkabinett

Kurioseste Vorgänge bei Wahlen in Mexiko 08.07.2006 - 12:07
Die Vorgänge bei der, von der Nationale Wahlkommission (IFE) organisierten Veranstaltung, erwecken Neugierde.
ungefragte Einschätzung: das System ist robust gegenüber dieser Neugierde.

Bester Titel:
Der Tabasco-Effekt bei den Wahlen in Mexiko
Ralf Streck 07.07.2006:
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