Wahlbetrug in Mexiko

Ralf Streck 05.07.2006 19:29 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Mexiko wird auf sich warten lassen. Die Nationale Wahlkommission (IFE) hat in der Nacht zum Montag (Ortszeit) mitgeteilt, frühestens heute Nacht werde ein definitives Ergebnis vorliegen. Derweil mehren sich die Hinweise auf einen klaren Wahlbetrug. 2,5 Millionen Stimmen waren verschwunden und mußten inzwischen einbezogen werden. Das hat inzwischen auch Subcomandante Marcos angeklagt. Klar ist, dass die "Partei der Institutionalisierten Revolution" (PRI), die 71 Jahre das Land brutal regierte, weitere Bastionen verloren hat. Haftbefehl wurde am Freitag gegen einen ihrer Ex-Präsidenten erlassen, der für das Massaker an Studenten 1968 verantwortlich sein soll.

Feature: Kurioseste Vorgänge bei Wahlen in Mexiko
Der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in Mexiko ist weiter offen. Der Präsident der Wahlkommission sah sich nach der Schnellauszählung von mehr als 95 % der Stimmen am Montag nicht in der Lage, einen klaren Sieger zu benennen. Die mögliche Fehlerquote lasse es nicht zu, "die Partei oder Koalition zu benennen, welche den höchsten Prozentsatz der abgegebenen Stimmen erreicht hat", erklärte Luis Carlos Ugalde. Die größten Fernsehsender verzichteten darauf, die Ergebnisse ihrer Umfragen zu veröffentlichen. Nach der Schnellauszählung läge Calderóns konservative "Partei der Nationalen Aktion" (PAN) mit 36,4 % leicht vor der Linkskoalition, die von "Partei der Demokratischen Revolution" (PRD) geführt wird. Auf den PRD-Politiker Obrador wären 35,4 % der Stimmen entfallen. Die PRI erhielt nur 21,5 %. Das ist hart für die ehemalige Staatspartei, die erst vor sechs Jahren, nach mehr als 70 Jahren Herrschaft, die Macht abgeben musste.

Bis zum Freitag, so schreibt es das Gesetz vor, muss das endgültige Ergebnis feststehen. Da bis dahin etwa 42 Millionen Stimmen kaum manuell gezählt werden können, sollen 300 Bezirke geprüft werden. Ugalde wies die Parteien auf die "enorme Verantwortung für die Nation" hin, die wegen der Verzögerung auf ihnen Laste. Von 71,3 Millionen Mexikanern, die zur Wahl aufgerufen waren, haben sich am Sonntag knapp 60 Prozent beteiligt. Erstmals durften auch Mexikaner teilnehmen, die im Ausland leben. Von den Millionen, die sich allein in den USA aufhalten, haben aber nur einige wenige gewählt.

Frühestens heute will die Wahlkommission nun ein definitives Ergebnis bekannt geben. Doch schon in der Wahlnacht reklamierten sowohl die PRD als auch die PAN den Sieg jeweils für sich. Zuerst verkündete der Linke Obrador zunächst vor der Presse, und kurz danach vor die vielen Anhänger, die sich zum Feiern auf dem zentralen Platz der Hauptstadt versammelt hatten, seinen Sieg. Angesichts der ihm vorliegenden Daten liege AMLO, wie Obrador in Mexiko genannt wird, mit 500.000 Stimmen vor Calderón. "Ich fordere, ich bitte die Wahlgremien darum, dieses Ergebnis anzuerkennen", das "irreversibel" sei. Er dankte den "einfachen und armen Leuten", welche vor allem die Bewegung getragen hätten, für den Einsatz. Der gemäßigte Linke, der eher einen Sozialismus nach Art der Chilenin Michelle Bachelet vertritt, als der Achse Kuba, Venezuela und Bolivien zu applaudieren, betonte aber, in der PRD seien alle sozialen Schichten vertreten.

Nach Obrador war dann Felipe Calderón von der PAN an der Reihe, sich zum Sieger zu erklären. Er will die Nachfolge für den scheidenden Präsidenten Vicente Fox antreten, der nicht erneut zur Wahl antreten durfte. "Wir haben die Präsidentschaftswahlen in einem heißen Kampf gewonnen", sagte Calderón. Durch den Verlauf der weiteren Auszählung fühlt er sich bestätigt, bot nun aber seinem Gegner an, eine gemeinsame Regierung der "nationalen Einheit" zu bilden. Entweder will er das Land nicht in zwei Pole spalten oder er ist sich seines Sieges doch nicht gewiss. Die nächsten Tage werden auch das zeigen.

Klar ist jedenfalls, dass die PRD in der Hauptstadt Mexiko DF klar gewonnen hat, die mit mehr als 20 Millionen Einwohnern die große Wählermasse stellt. Der PRD-Politiker Marcelo Ebrard wird neuer Bürgermeister der Hauptstadt. Er kandidierte dort für die Koalition "Für das Wohl aller" und deklassierte seine Gegner. Mit 47 % der Stimmen liegt er gleich 19 % vor dem Kandidaten der PAN. Schon deshalb verwundert, warum Obrador dem Konservativen unterlegen sein soll. Ebrard löst damit Obrador als Bürgermeister ab. Die Koalition aus PRD, Partei der Arbeiter (PT) und die Partei Konvergenz wird 13 der 16 Hauptstadtbezirke regieren, die PAN drei.

Klarer als bei der Wahl des Präsidenten scheinen die Ergebnisse der Parlamentswahl zu sein, die parallel stattfand. In beiden Kammern läge die PAN nach den vorläufigen Ergebnissen mit knapp 34 % vor der Linkskoalition, die hier jeweils gut 29 % kommen würde. Im Parlament hätte sich die PRI, im Vergleich zur Präsidentschaftswahl, mit gut 27 % etwas besser geschlagen. Allerdings mehren sich aus den Regionen, die bisher von der PRI regiert wurden, auch Klagen über Unregelmäßigkeiten. Hier sticht auch der südliche Bundesstaat Oaxaca hervor. Wähler seien behindert und Polizisten zur Fälschung von Wahlzetteln eingesetzt worden. In einigen Wahllokalen habe es an Wahlzetteln gemangelt und neun Wahllokale seien erst gar nicht geöffnet worden. Die Region ist seit einem Monat der Schauplatz eines Lehrerstreiks, den die PRI-Regionalregierung mit brutaler Gewalt nieder zu schlagen versuchte.

Erst am Freitag war ein Ex-Staatschef der PRI überraschend auf Anordnung des Richters José Angel Matta Oliva verhaftet worden. Die Sonderstaatsanwaltschaft für Soziale und Politische Bewegungen der Vergangenheit (FEMOSPP) wirft Luis Echeverría Alvarez Völkermord vor. Er soll als Innenminister die Hauptverantwortung für das Massaker von Tlatelolco am 2. Oktober 1968 in Mexiko DF tragen. Kurz vor der Olympiade, sollen dabei mehrere hundert protestierende Studenten ermordet worden sein. Genaue Zahlen gibt es bisher nicht.

Noch im letzten Jahr hatte eine Richterin einen Haftbefehl gegen Echeverría in einer anderen Sache abgelehnt. Dabei ging es um eine Aktion des "schmutzigen Kriegs" im Jahr 1971, als er schon Präsident war. Zwischen 15 und 50 Tote soll es gegeben haben, als Paramilitärs gegen demonstrierende Studenten vorgingen. Zwei Mal hatten Richter die Ermittlungen wegen Völkermordes in diesem Fall abgelehnt, weil sich der Angriff nicht "gegen eine nationale Gruppe" gerichtet habe. Ein Prozess oder eine Verurteilung wäre ein erster wirklicher Erfolg für den Sonderstaatsanwalt Ignacio Carillo Prieto. Nach seinem Wahlsieg hatte der noch amtierende Präsident Fox diese Sonderstaatsanwaltschaft gebildet, um die Verbrechen der PRI-Regierungen aufzuklären. Seit Freitag befindet sich 84jährige Echeverría nun im Hausarrest. Haft sieht das mexikanische Gesetze für Menschen nicht vor, die älter als 70 Jahre sind.

© Ralf Streck, den 05.07.2007

Update

06.07.2006: Bei der Kontrollauszählung hat sich das Bild der Wahlen nun umgedreht. Nach der Auszählung von 95 % der Stimmen in den 300 Distrikten lag der Linkskandidat Obrador knapp 1 % vor dem konservativen Calderón. Immer wieder waren Stimmen der PRD gefunden worden, die in den Wahlakten nicht aufgeführt wurden. Man darf gespannt sein, ob der Wahlrat auf Basis der Auszählung nun tatsächlich Obrador als Sieger bestimmen wird. Zuvor hatte der IFE angekündigt, mit der Kontrollzählung den Sieger bestimmen zu können. Nach Auszählung von 95.72 % der Stimmen hat sich der Abstand wieder verringert: Andrés Manuel López Obrador: 35.81 % und Felipe Calderón: 35.37 %
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Ergänzungen

Zahlreiche Ungereimtheiten aufgeflogen

Ralf 05.07.2006 - 19:43
Nach der Anerkennung von weiteren 2,5 Millionen Stimmen, ist der Abstand der Kontrahenten weiter geschrumpft. Es gibt zahlreiche Nachweise für Betrügereien und Ungereimtheiten. Ein aktueller Artikel hier:  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23036/1.html

prd

tagmata 05.07.2006 - 19:56
"Schon deshalb verwundert, warum Obrador dem Konservativen unterlegen sein soll."

vielleicht weil parteiloyalität in mexico immer ein bißchen traditionssache war, und die ziemlich junge prd deshalb in großstädten, mit höhere dichte an leuten die "politisch" wählen und nicht so, wie papa und opa es schon getan haben, bestimmt weitaus besser punkten konnte als in der provinz? das abschneiden der prd, wie auch das angesprochene phänomen, ist jedenfalls im rahmen des allmählichen niedergangs der pri zu sehen (wurde ja auch mal verdammte zeit... "institutionalisierte revolution" ist schon so'n name, bei dem es eigentlich jedem denkenden menschen den rücken runterlaufen müßte. das klingt genau nach so fiesen verkalkten betonbürokraten wie die priler sind...)

Obrador eher mit SPD zu vergleichen

Anm. 05.07.2006 - 19:57
Obrador dürfte eher mit SPD zu vergleichen ein, also mit einer Politik, die durchaus auch neoliberal ist. Das ist natürlich das kleinere Übel gegenüber den Rechten, die außerhalb des demokratischen Spektrums liegen (kann man die mit Uribe in Kolumbien vergleichen?). So hatte Calderón Fox für die Massaker der letzten Monate nicht nur gelobt, sondern gesagt, daß er noch härter gegen Streikende vorgegangen wäre und es auch tun wird.
 http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2071857,00.html

Interessant ist übrigens die Rolle, die das FBI beim Wahlbetrug gespielt hat:  http://www.gregpalast.com/stealing-it-in-front-of-your-eyes

Derweil siehts nach Neuauszählung au:
 http://www.nytimes.com/2006/07/05/world/americas/05mexico.html?ex=1152676800&en=ac07b3c1d1612048&ei=5065&partner=MYWAY

PRI

yo 05.07.2006 - 20:55
PRI
steht für
Partido Revolutionario Institutional
und das heißt übersetzt
Institutionalisierte Revolutinonäre Partei
und nicht Partei der institutionalisierten Revolution
man mag das für egal halten, nur kann man auch einen unterschied darin sehen, ob eine Partei eine "institutionalisierte Revolution" vertreten wollte oder sich revolutionär institutionalisieren wollte.
Das bezieht sich natürlich auf die Benennung (1946) und Vergangenheit der Partei - heute ist da vom revolutionären nix mehr übrig - dennoch sollte man sich hüten, das mit dem falschen und billigen Hinweis auf die angebliche "institutionalisierte Revolution" als unaufgelösten Widerspruch abzutun - die waren durchaus mal revolutionär.

rede von edgar sanchez von der

der nestscheisser 06.07.2006 - 10:22
gestrigen demo (en castellano) in der hauptstadt. edgar sanchez ist sprecher der prt (partido revolucionario de los trabajadores)


Transcripción del discurso que pronunció Edgard Sánchez hoy 5 de julio en el mitin celebrado en el Zócalo de la Ciudad de México contra el fraude en las elecciones presidenciales. El mitin fue convocado por las organizaciones del Diálogo Nacional, la CNTE (Coordinadora Nacional de Trabajadores de la Educación), la Promotora Nacional contra el Neoliberalismo y el Frente Socialista, del cual forma parte el PRT.

Compañeros y compañeras.
Estamos viviendo horas que pueden ser decisivas en el intento de la derecha de imponer un fraude en las elecciones presidenciales del pasado 2 de julio. Tratan de imponer un fraude electoral como lo hicieron en 1988.
La estructura electoral del PRD deberá actuar en estas horas en que se instalan los 300 comités distritales en todo el país para revisar las actas de las casillas electorales. Pero lo que está en juego va más allá de los intereses inmediatos y electorales del PRD. Es un intento de la derecha de imponer también en el terreno electoral la línea de represión e intolerancia que ha desarrollado el gobierno de Fox criminalizando los movimientos sociales, pero confirmando lo que será su línea de lograr mantenerse en el gobierno.
Para frenar esta nueva ofensiva de la derecha no basta con la pelea que en el terreno legal y en el cómputo de casillas tiene que hacer la estructura electoral del PRD. Se requiere también la movilización, en la acción y en la calle, del conjunto del movimiento democrático y social, más allá del PRD. Por eso es que desde el PRT y el Frente Socialista hemos apoyuado la convocatoria a esta concentración en el zócalo. No es posible quedarse esperando pasivamente o confiados a la pelea en los organismos electorales para saber sis e impone o no el fraude. Necesitábamos salir a pelear en la calle movilizándonos antes que sea demasiado tarde.
Como muchos de ustedes saben el Partido Revolucionario de los Trabajadores (PRT) no participó en esta ocasión en el proceso electoral, ni apoyamos la campaña electoral de Andrés Manuel López Obrador y del PRD. Estamos, como saben, en la otra campaña junto con muchas otras organizaciones de la izquierda anticapitalista que hemos apoyado esta iniciativa del EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional). Sin embargo, estamos convencidos que hay que hacer unidad en la acción con todos aquellos dispuestos a pelear contra el fraude electoral. No es un apoyo político al PRD o a López Obrador y su programa; no estamos en una nueva campaña electoral o de proselitismo electoral. Lo que defendemos ahora, entre todos, es el respeto a la voluntad popular, al derecho al voto del pueblo mexicano, un derecho por el que hemos peleado desde la izquierda desde antes que naciera el PRD y que recurrentemente es puesto en duda por la derecha. Es un derecho democrático de todos y que debe ser respetado por el gobierno. Pero además hay que luchar contra este fraude electoral porque es un intento de la derecha de continuar en el gobierno por medios ilegítimos, ilegales y antidemocráticos; por medio de la imposición y la trampa. Y la continuación del gobierno de la derecha significa la continuación de la política represiva y antipopular del gobierno de Fox: reformas estructurales, represión a SICARTSA, Atenco, maestros de Oaxaca, etc. Permitir ahora el fraude electoral facilitará la continuación de esas políticas impuestas ilegalmente.
Por eso es que se requiere un amplio movimiento popular haciendo unidad en la acción contra el fraude electoral. De todas las corrientes políticas del movimiento social, del movimiento democrático y de toda la izquierda, tanto la institucionalizada como la anticapitalista. No implica avalar las posiciones de unos u otros, sino de luchar unidos contra el fraude.
Ellos han hecho un gran frente de todas las expresiones de la derecha: el PAN, el PRI, Elba Esther Gordillo, el Yunque, las autoridades del IFE, el duopolio televisivo Televisa-TV Azteca.
Nosotros también debemos hacer un gran frente contra el fraude. Pensamos que el conjunto de la izquierda anticapitalista también puede y debe tener un lugar en un amplio frente unido contra el fraude junto a las otras expresiones del movimiento social, sindical, del movimiento democrático y de la izquierda institucional, especialmente el PRD.
Si logramos construir este gran frente en la práctica, incorporando a la movilización también al PRD y a la izquierda anticapitalista toda, estamos seguros que la historia no se repetirá. No habrá otro 88.
Gracias, compañeros y compañeras.

¡El pueblo unido, jamás será vencido!


quelle: CI-prensa-l mailing list


weitere aktuelle artikel

der nestscheisser 06.07.2006 - 10:24
zur lage in mexico hier:  http://www.espacioalternativo.org/taxonomy/term/24 (en castellano)

Obrador liegt inzwischen vorne

Paul 06.07.2006 - 10:47
Telepolis hat einen Update gemacht, weil Obrador nach der Kontrollauszählung nun knapp 1 % vorne liegt.

 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23036/1.html

Und der Sieger ist ....

frosch 06.07.2006 - 11:07

Neuer Text zu den weiteren Entwicklungen

Ralf 07.07.2006 - 09:24

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