Der Fall Pretzien

jemand 05.07.2006 11:22 Themen: Antifa
Im Schatten der medialen Aufmerksamkeit für die WM ereignete sich in Pretzien (Sachsen-Anhalt) eine von Neonazis inszenierte Bücherverbrennung. Ein Fallbericht
Es ist keine vier Wochen her, da dass Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt einen massiven Anstieg rechtsextremer und fremdenfeindlicher Straftaten für das Jahr 2005 zu verzeichnen hatte. Auch in 2006 bleibt das ostdeutsche Bundesland ein Schwerpunkt rechtsextremer Aktivitäten. Nachdem ein Überfall auf einen dunkelhäutigen Jugendlichen in Pömmelte zu Beginn des Jahres für mediale Schockwellen sorgte, hat es die Verbrennung der Tagebücher von Anne Frank durch Neonazis in Pretzien (Landkreis Schönebeck, unweit von Pömmelte) nur vereinzelt in die überregionalen Medien geschafft.


Was ist passiert?

Am 24. Juni veranstaltete der neonazistisch beeinflusste Verein "Heimatbund Ostelbien" Pretzien eine Sonnenwendfeier auf dem Gelände des Dorfgemeinschaftshauses "Krug". Auf dem Höhepunkt des Festes hätten, so berichten Augenzeugen, ca. 6 Jugendliche mit Fackeln die Szenerie betreten und eine Rede über "germanisches Brauchtum" vorgetragen. Hernach sei es zum Verbrennen einer Fahne der USA und des Buches "Tagebuch der Anne Frank" gekommen. Dieses Buch wurde mit den Worten: "Ich übergebe dem Feuer die Schriften der Anne Frank" verbrannt. Dies stellt eine wörtliche Bezugnahme auf die Ansprache Joseph Goebbels aus Anlass der NS- Bücherverbrennung am 30. Mai 1933 dar. Keiner der rund neunzig anwesenden Besucher des Dorffestes sei eingeschritten. Einige Teilnehmer gaben an, von dem Vorgang nichts mitbekommen zu haben.

Wer waren die Akteure?

Bei den Akteuren des Abends handelt es sich zumeist um junge Erwachsene aus der rechten Szene des Ortes und der Region. Ein Teil von Ihnen war in dem unterdessen aufgelösten Verein "Heimatbund Ostelbien Prtezien" organisiert. Dieser Verein hatte sich zum Ziel gesetzt, rechte Jugendliche zu integrieren, nachdem Pretzien in den Jahren 1998 bis 2000 bereits schon einmal ein Schwerpunkt rechtsextremer Aktivitäten war. Wie dem Verfassungsschutzbericht des Landes und der Zeitschrift "Antifaschistisches Infoblatt" zu entnehmen ist, fanden in Pretzien in den Jahren zuvor mehrfach neonazistische Sonnenwendfeiern, Kranzniederlegungen zum sogenannten "Heldengedenken" und andere rechtsextreme Ereignisse statt. Diese gingen in ihrer Mehrzahl offenbar von der Kameradschaft "Ostelbien Pretzien" aus, die bis 2001 existiert haben soll.

Regionaler Kontext

Die jetzige Ereignisslage ist nur im Kontext der Entwicklung der regionalen neonazistischen Szene zu verstehen. So bildet der Landkreis Schönebeck seit Ende der 1990er Jahre einen Schwerpunkt neonazistischer Aktivitäten. Besondere Beachtung verdient dabei die unter verschiedenen Namen in Erscheinung tretende Neonazikameradschaft Schönebeck. Zum gleichen Personenkreis gehört auch der "JN Stützpunkt" Schönebeck. Diese neonazistischen Gruppen fielen in der Vergangenheit dadurch auf, dass aus ihrem Umfeld teils schwere rechtsextrem und fremdenfeindlich motivierte Straftaten begangen wurden.

Folgen

Unterdessen hat sich die Anne Frank Stiftung Amsterdam-Berlin eingeschaltet. Eine Strafanzeige wurde gestellt. Zudem verlangt die Stiftung eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge. Man darf gespannt sein, wie die Gemeinde Pretzien und der Landkreis in dem Fall weiter agieren werden.
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Ergänzungen

Ergänzung

---- 05.07.2006 - 11:45
Mensch sollte dabei nicht vergessen, das der Bürgermeister (Mietglied der Linkspartei) auch im Heimatbund Ostelbien Prtezien organisiert ist.

weitere Ergänzung

Thilo 05.07.2006 - 13:20
Man sollte nicht auch nur erwähnen, dass Bürgermeister von Pretzien, Friedrich Harwig, Mitglied der Linkspartei und des Heimtabundes Ostelbien ist, sondern dass dieser werte Herr bei dieser Veranstaltung auch dabei war!

Die einzige Antwort, die er der Presse parat hatte, war, dass man sich nicht wundern müsse, wenn Jugendliche "so ausflippen, wenn sich die Minister in Berlin die Diäten erhöhen".

Ein wahrliches Anschauungsmaterial von rotbraunen Verstrickungen in der Linkspartei!

Auflösung

Hans 05.07.2006 - 14:28
Am 1.7. hat sich der Heimat Bund "Ostelbien" aufgelöst. Warum auch immmer...

So jedenfalls die pretzische Homepage:
 http://www.pretzien.de/index.htm?/gemeinde/gemeindebuero.htm
"Heimat Bund "Ostelbien" e.V.
In der Mitgliederversammlung vom 01.07.2006 wurde beschlossen, den Verein aufzulösen."

Auch eine Ergänzung

xyz 05.07.2006 - 14:42
Das Handel des Bürgermeisters wurde von der Linkspartei nicht nur kritisiert, er wurde auch zum Rücktritt und Rückgabe des Parteibuches aufgefordert. Jetzt ist er nicht mehr Mitglied der Linkspartei!
Nicht zu Vergessen, es hätte auch ein CDU, SPD, FDP oder ... Bürgermeister sein können, ich möchte nicht wissen, wie diese Parteien damit umgegangen wären.

Hier noch der Link zur Pressemitteilung der Linkspartei:
 http://www.linkspartei-pdslsa-lt.de/archiv/0606ppretzin_01.html

was sagt die presse dazu...

(muss ausgefüllt werden) 05.07.2006 - 16:15
hier noch eine kleine Sammlung von Presseartikeln zu diesem Fall und diversen anderen der Region...

Tagesschau, Tagesthemen, MDR

(muss ausgefüllt werden) 07.07.2006 - 03:54

Leider sind all die unten aufgeführten Beiträge nur unter dieser Adresse
 http://www.mdr.de/nachrichten/4
als pop ups zu finden, mit keiner eigenständigen Adresse,
so das es fraglich ist, wie lange diese Nachrichten online einzusehen sind

Freitag, 07. Juli 2006 ARD.de
 http://www.tagesschau.de/
Weitere Meldungen Inland

Pretzien
Pretziener stärken Bürgermeister den Rücken
 http://www.mdr.de/nachrichten/4/3134978.html

Die Verbrennung eines Anne-Frank-Tagebuches auf einem Dorffest verurteilen die Pretziener. Ihren Bürgermeister, der mit rechten Jugendlichen arbeitet, wollen sie behalten. mehr
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Landesregierung will Zeichen setzen
Die Landespolitik ist angesichts der Bücherverbrennung in Pretzien geschockt. Ministerpräsident Böhmer will mit den Einwohnern sprechen und ein wirksames Zeichen setzen. mehr
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Stuttgart
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Das Landgericht Stuttgart hat einen jungen Neonazi wegen ausländerfeindlich motivierter Brandanschläge zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Der 17-Jährige hatte zugegeben, im vergangenen Herbst einen Molotow-Cocktail gegen zwei Gebäude geschleudert zu haben.
 http://www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/nid=1622/did=1382632/swsgcb/index.html

"Pretzien: Ein Dorf als Opfer ?"

Verlinker 07.07.2006 - 04:07

Fragwürdiger Umgang der Medien mit dem Thema

DrKNickel 09.07.2006 - 15:07
Einen kritischen Beitrag zum Umgang mit dem Thema habe ich hier gefunden:

Journalistisch ist der Umgang der Mitteldeutschen Zeitung mit dem Thema fragwürdig. Zwar stellt der Inhalt des Informationskastens "Volksverhetzung" klar, dass sich dieser nicht auf den ehemaligen Minister bezieht, sondern auf zwei Mitglieder des Vereins. Doch betrachtet man erst einmal die Überschriften ("Ex-Innenminister mit Rechten auf Foto, Kritik an Jeziorsky" und "Volksverhetzung, Haftstrafe möglich"), dann erhalten die Überschrift einen eigenen Aussagekern, der Jeziorsky völlig zu Unrecht in das schlechte Licht eines Volksverhetzers rückt. Das gleiche gilt auch für Bürgermeister Harwig.

Gesamter Text bei:  http://www.peter-kehl.de/modules.php?name=News&file=article&sid=197

E.ON Konzern/ Avacon - keine pers. Konsequenz

Beirat 11.09.2006 - 20:02
Man sollte auch erwähnen, dass der Bürgermeister im Beirat der E.ON Avacon AG, die dem E.ON Konzern angehört, sitzt. Der E.ON Konzern ist an der amerikanischen Börse NYSE gelistet. Neben der Verbrennung des Tagesbuchs von Anne Frank, was auf das Schärfste zu verurteilen ist und mit allen rechtstaatlichen Mitteln verfolgt werden muss, wurde auch das amerikanische Banner/Flagge verbrannt.

Personelle Konsequenzen hatte Herr Friedrich Harwig, Pretzien nicht zu befürchten. Offensichtlich steht der E.ON Konzern respektive die E.ON Avacon AG zu diesem Beiratsmitglied, das sich neben mangelnder Zivilcourage Auswüchse dieser Art aus seinem politischen Umfeld leisten kann. Dies ist falsch verstandene Toleranz. Von einem Global Player von dem Kaliber der E.ON AG kann man mehr erwarten. Oder ist der Vorfall der E.ON-Konzernzentrale nicht bekannt?

Offensichtlich ist dieser Vorgang bisher in den USA nicht bekannt. Weshalb toleriert der internationale Energieversorger E.ON AG ein Beiratsmitglied in seiner Unternehmensgruppe? Setzt man darauf, dass dies der Wirtschaft verborgen bleibt? Wie sieht es mit selbst auferlegten Regeln aus? Gibt es keine Moral und Anstand? Oder ist die E.ON Avacon AG auf diesen Personenschlag angewiesen? Die Angelegenheit scheint langsam zu versanden. Vielleicht hilft Publicity in den USA den Untersuchungsvorgang zu beschleunigen und ganz nebenbei die E.ON Avacon AG so zu handeln, wie man dies erwartet. Wo bleibt die Zivilcourage der Wirtschaft? Distanz bedeutet nicht Schweigen, sondern Aufklärung! Welche Beziehungen zwischen Kommunalen Einrichtungen und Ernergieversorger bestehen hier eigentlich?

Quelle: E.ON Avacon AG - Geschäftsbericht 2005, Seite 68

TV-Bericht über den Vorfall in Pretzien

a-tv 14.09.2006 - 17:22
Sonnenwendfeier in Pretzien:
Fakt auf ARD vom Montag 10.07.2006 21.45 Uhr
Format: wmv Länge: 06:53 min. Größe: 41,6 MB

 http://files.to/get/193984/46757/Fakt_vom_10.07.2006_-_Sonnenwendfeier_in_Pretzien.wmv

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