=Nur der Tod ist kein Verräter!=

Malte Olschewski 27.06.2006 19:00 Themen: Militarismus
Alle Umfragen sagen für die Präsidentschaftswahlen in Mexiko einen Sieg des linksgerichteten Kandidaten A.M. Obrador voraus. In Washington ist man besorgt,da mit Obrador der Vormarsch der Linken in Südamerika weitergehen könnte. Die dramatische Geschichte beider Staaten zeigt eine Kette von Einmischungen und Interventionen der USA in Mexiko. Noch vor 170 Jahren hatte ein Drittel der USA zu Mexiko gehört.

Malte Olschewski:

=Nur der Tod ist kein Verräter!=

Washington fürchtet Linksruck in Mexiko - Die dramatische Geschichte beider Staaten: Ein Drittel der USA war einmal mexikanisch

In Washington befürchtet man bei den Wahlen am 2.Juli einen Sieg des linksgerichteten Kandidaten Andres Manuel Lopez Obrador. Als Präsident könnte Obrador nun auch Mexiko in die immer länger werdende Reihe der links regierten Staaten Lateinamerikas einfügen. Nur mehr Paraguay, Ekuador und Kolumbien wie auch die Kleinstaaten Zentralamerikas sind in Händen der Konservativen. Der Staatschef Venezuelas, Hugo Chavez, gilt als Anführer dieser Linksfront. Er hat in Mexiko Obrador als Kandidaten der sozialistischen =Partei der Demokratischen Revolution (PDR)= unterstützt. Odrador hat im Wahlkampf Venezuela oder Kuba nie als Vorbild genannt, doch hat er den USA Vorwürfe gemacht. Er beruft sich in erster Linie auf den Nationalhelden Benito Juarez und auf das Erbe der mexikanischen Revolution. Bei einem Rückblick auf die Geschichte Mexikos und auf den langen Kampf gegen den nördlichen Nachbarn stellt sich heraus, daß vor 170 Jahren fast ein Drittel der USA zu Mexiko gehört hat.

Im mexikanischen Unabhängigkeitskrieg hatte sich Texas von Spanien losgesagt, um 1819 eine kurzlebige Republik zu bilden und dann ein Teil der =Vereinigten Staaten von Mexiko= zu werden. US-Präsident John Quincy Adams will ab 1826 den Mexikanern Texas abkaufen. Die USA bieten ein Trinkgeld von 500 000 Dollar. Mexiko zeigt sich beleidigt. 1821 hatte Mexikos Militärmachthaber Agustin de Iturbide in den zwei Jahren seiner Amtszeit Moses und Stephen Austin erlaubt, sich mit 300 Familien in Texas anzusiedeln. Austin entwickelte eine Industrie, die immer mehr Amerikaner und auch schwarze Sklaven ins Land brachte. 1835 zählte man in Texas rund 40 000 Amerikaner, großteils Protestanten. Unter ihnen waren viele Kriminelle, die sich dem Sheriff durch Flucht nach Texas entzogen haben. Mit Unbehagen sah die Regierung Mexikos, daß sich mit den Amerikanern die Sklaverei einschlich. 1830 wurden in Texas weitere Einwanderung und auch die Sklaverei verboten.

Ende 1835 beginnen texanische Amerikaner einen Aufstand gegen die mexikanische Staatsmacht,um am 2.3.1836 ihre Unabhängigkeit zu erklären. 200 Texaner verschanzen sich in der befestigten Missionsstation Alamo gegen eine sofort anrückende Übermacht unter Mexikos Diktator Antonio de Santa Ana (1797-1876/ Elfmal Präsident zwischen 1832-1855). Am 6.3.1836 wird Alamo gestürmt. Alle Verteidiger, darunter auch die legendären Waldläufer Jim Bowie und David Crockett, werden getötet. =The Alamo= wird später glorifiziert. In Wirklichkeit hatten sich dort meist Abenteurer, Revolverhelden und Profiteure zur Verteidigung der Sklaverei versammelt.

Nach Alamo hat General Sam Houston Freiwillige und reguläre Truppen an der texanischen Nordgrenze zusammengezogen. Ein erster Vorstoß unter James Fannin mit 400 Freiwilligen scheitert. Fannin ergibt sich bei Goliad, worauf Santa Ana 300 Mann exekutieren läßt. Santa Ana marschiert in Richtung New Orleans. Bei San Jacinto legt er eine Siesta ein. Er erfreut sich am 21.4.1836 in seinem Zelt mit einem Sklavenmädchen, als Houston überraschend angreift und die Mexikaner in alle Winde zerstreut. Santa Ana wird gefangen und zu einem Vertrag gezwungen, der den mexikanischen Abzug aus Texas und die Einsetzung einer Kommission vorsieht. Santa Ana wird freigelassen und erklärt sofort die Nichtigkeit des Vertrages. Durch die USA tosen die Sprechchöre: =Remember the Alamo!= Texas erklärt die Unabhängigkeit und will in die USA aufgenommen werden. Der Kongreß lehnt ab, da Texas ein Sklavenstaat ist. Texas bleibt der =Lone Star State=, d.h. der Staat des einsamen Sterns. US-General Edmund Gaines sichert die umstrittenen Gebiete. Er bricht mehrmals über die Grenzen und verhindert, daß sich die Indianer dieser Region Mexiko anschließen. Mexikanische Banden fallen 1842 raubend und plündernd in Texas ein. Die USA entsenden Kriegsschiffen vor die mexikanische Küste. Am 18.10.1842 stürmen Marinetruppen unter Captain Jones die Stadt Monterey.

US-Präsidentschaftskandidat James Polk verbindet im Wahlkampf Oregon mit Texas: Man würde Oregon als sklavenfreien Staat ebenso wie Texas als Sklavenstaat aufnehmen, womit das Gleichgewicht erhalten bliebe. Polk gewinnt mit dieser Formel die Wahlen von 1844. Kurz danach beschließt der Kongreß trotz mexikanischer Proteste die Annexion von Texas. Die Beziehungen beider Länder werden abgebrochen. Am 29.12.1845 wird Texas als 28. Bundesstaat und als 15. Sklavenhalterstaat in die USA aufgenommen. Mexikaner müssen aus Texas flüchten. Die Propaganda erfindet die Gleichung: Mexikaner sind Indianer und daher dem Tod geweiht. Washington sucht die texanische Südgrenze über den Nueces-Fluß bis an den Rio Grande und damit tief nach Mexiko vorzuschieben. Die Texaner sonnen sich im Mythos von Alamo und San Jacinto. Das US-Außenministerium erklärt: =Unser Schiskal ist es, Mexiko zu nehmen und zu zivilisieren!= .

Mexikos Position ist durch innere Unruhen und durch den erratischen Diktator Santa Ana geschwächt. Man will keinen Krieg. Die Föderalisten oder Liberalen haben in vielen Gebieten einen Aufstand gegen die herrschenden Zentralisten oder Konservativen begonnen. Die Föderalisten kommen an die Macht und setzten unter Interimspräsident Mariano Paredes die Verfassung von 1824 wieder ein. Die Krise mit den USA zwingt Paredes zur Flucht. Der Held des =Kuchenkrieges= von 1838 gegen Frankreich, Antonio de Santa Ana, kehrt am 16.8.1845 aus dem Exil zurück. 1838 hatte Frankreich die Forderungen eines Pariser Bäckers benutzt, um in Mexiko einzufallen. Santa Ana wird bewundert, da er seinem, von einer französischen Kanonenkugel abgetrennten Bein ein Staatsbegräbnis bereitet hat. Er wird schnell Oberbefehlshaber und Präsident.

Über die texanische Südgrenze ist ein heftiger Streit entbrannt. Präsident James Polk (1795-1849/Amtszeit: 1845-1849) entsendet John Slidell zu Verhandlungen nach Mexiko-Stadt. Slidell kann für die Grenze am Rio Grande samt Kalifornien 30 Millionen Dollar abbieten. Die Staatsführung Mexikos weigert sich, Slidell zu Gesprächen zu empfangen. Polk sieht darin eine Beleidigung. Er beauftragt General Zachary Taylor (1784-1850/ später US-Präsident mit Amtszeit 1849-50), die umstrittenen Gebiete mit Truppen zu besetzen. Die Mexikaner nehmen das nicht hin. Es kommt zu kleineren Gefechten. Taylor läßt Fort Texas befestigen. Am 7.5.1846 marschieren 4 000 Mann der mexikanischen Armee in Richtung dieses Forts und über die von den USA beanspruchte Grenze. Es kommt zur Schlacht von Palo Alto. Mexikos General Arista setzt seine überlegene Kavallerie ein, doch Taylor hat neue Kanonen mit schrecklicher Wirkung. Die Mexikaner ziehen sich zurück. Taylor erreicht die Mexikaner bei Resaca de la Palma. Die Mexikaner haben schwere Verluste und flüchten in Panik über den Rio Grande.

Polk hat nun den lang ersehnten Kriegsgrund. Da nur der Kongreß einen Krieg erklären kann, sendet er eine dramatische Botschaft an die Volksvertretung: =Mexiko hat unsere Territorien angegriffen und ameri-kanisches Blut auf amerikanischem Boden vergossen!= Der Kongreß beschließt am 13.5.1846 den Krieg. General Winfield Scott entwirft die Linien des Feldzuges: Taylors Armee marschiert von der Küste landeinwärts, um sich dort mit aus dem Norden kommenden Truppen zu vereinigen. Eine dritte Armee unter General Kearny geht aus Texas westwärts in Richtung Kalifornien. Dort wartet eine Überraschung: Kalifornien ist schon erobert! Oberst John Fremont hat mit einer Miliz im Juni 1846 das spanische Fort Somona gestürmt und eilends einen Privatstaat als =Bear Flag Republic= ausgerufen. Am 7.7.1846 wird die Republik der =Bärenflagge= den USA einverleibt.

7 000 Mexikaner blockieren in der befestigten Stadt Monterey weitere Vorstöße Taylors. Ein Angriff der Amerikaner wird am 21.9. zurück-geschlagen, wobei Taylor 400 Mann verliert. Taylor beschießt die Stadt drei Tage lang und läßt dann von allen Seiten Truppen einsickern. Die Mexikaner ziehen sich zum Hauptplatz zurück, den Taylor mit Mörserfeuer belegt. Am 24.9.46 erlaubt Taylor nach 800 Mann Verlusten den Mexikanern freien Abzug. Polk befiehlt die Verfolgung. Taylor geht nur langsam 90 Kilometer nach Saltillo vor. Dort bildet er mit Verstärkungen und Freiwilligen eine Streitmacht von rund 15 000 Soldaten. Polk hat es eilig. Er ist unzufrieden. Er hat mit einem Blitzkrieg gerechnet. Eine vierte Front ist die Folge: General Winfield Scott soll in Vera Cruz landen und von dort gegen die Hauptstadt vorrücken. Scott nimmt Taylor rund 8 000 Soldaten ab. Sie marschieren an die Küste nach Tampico, um dort auf die Transportschiffe für die Landung bei Santa Cruz zu warten. Taylor dringt mit den verbliebenen 7 000 Mann in Richtung Süden vor, wo Santa Ana rund 20 000 Mann versammelt hat. Santa Ana marschiert durch die Wüste auf ihn zu. Bei Buena Vista kommt es am 22.2. nach Ablehnung einer Übergabe durch Taylor zu einer Schlacht. Santa Ana läßt zuerst die Kanonen sprechen, dann suchen beide Seiten die besten Positionen. Die Amerikaner geraten an den Rand einer Niederlage, werden aber durch Verstärkungen gerettet. Santa Ana wirft seine Reserven in den Kampf. Eine in den Indianerkriegen eingeübte Reiterattacke bringt die Entscheidung. Die Mexikaner verlieren fast 2 000 Mann. Taylor zählt 260 Gefallene und 450 Verwundete. Santa Ana zieht sich in den Süden zurück. Taylor sieht jedoch die Gefahren und Verluste eines langen Marsches. Er geht strategisch richtig und nur langsam vor. General Scott beschießt und belagert Vera Cruz über zwei Wochen, bis die Hafenstadt am 27.3.1847 im unterstützenden Feuer der Kriegsschiffe gestürmt wird. Er landet in den folgenden Tagen 10 000 Mann und beginnt den Marsch auf die Hauptstadt.

Scott walzt alle Verteidigungspositionen nieder. Santa Ana will den Vormarsch so früh wie möglich aufhalten. Bei Cerro Gordo legt er sich in einem Paß auf die Lauer. Vorausgeschickte Scouts entdecken die feindlichen Truppen. Sie finden auch einen Eselspfad, den Santa Ana für unpassierbar gehalten hat. Scott gelingt der Übergang, worauf er die Mexikaner im Rücken angreifen und schlagen kann. Ungehindert marschieren seine Truppen über Jalapa und Puebla bis vor die Hauptstadt. Städte und Klöster werden in Schutt und Asche gelegt. Es kommt zu einer Wiederholung von Cerro Gordo. Santa Anna hat das Lavabett von Pedregal für unpassierbar gehalten. Wieder findet Scott einen Maultierpfad, über den er nach Pionierarbeiten sogar Artillerie an den Rand der Hauptstadt transportiert. Am 18. und 20.8.1847 kommt es vor ihren Toren zu den Schlachten von Contreras und Churubusco, in denen Santa Anna mit 5 000 Mann ein Drittel seiner Truppen verliert. Scott bricht durch und marschiert in die Hauptstadt. Als letzte Bastion halten Armeekadetten den Felsen und die Festung von Chapultepec. Als die US-Armee am 13.9.1847 zum Sturm ansetzt, wickeln sich mehrere Kadetten in die mexikanische Fahne. Sie stürzen sich in die Tiefe, um der Gefangenschaft zu entgehen. Santa Ana tritt als Präsident zurück und flüchtet am 16.9.1847 ins Ausland. Scott regiert zwei Monate als Militärgouverneur. Am 2.2.1848 werden im Siegfrieden von Guadaloupe Hidalgo dem Interimspräsidenten Pedro Anaya die Bedingungen diktiert. Mexiko muß den Rio Grande als Nordgrenze akzeptieren. Mexiko muß der Abtrennung von nahezu der Hälfte seines bisherigen Staatsgebietes zustimmen. Man zerkleinert den Zuwachs in die Staaten von Neu-Mexiko, Utah, Nevada, Arizona, Kalifornien und Colorado, die nach und nach den USA einverleibt werden. Mexiko erhält ein Trinkgeld von 15 Millionen Dollar, um alte Schulden zu zahlen. Nun brechen rund hunderttausend Siedler in das neue Land ein. Die bisher im Norden Mexikos überlebenden Indianerstämme gehen unter. Landräuber sprengen mit Dynamit die rätselhaften =Moulds=, deren Reste eine bis weit in den Norden reichende Hochkultur beweisen. Die USA fordern einen =Nachschlag=. Für den Bahnbau nach Kalifornien braucht man weiteres Land. Washington entsendet den Eisenbahnunternehmer James Gadsen als Botschafter. Diktator Santa Ana verkauft den USA am 30.12.1853 für zehn Millionen Dollar rund 35 000 Quadratkilometer, den heutigen Süden von Arizona und Neu Mexiko.

Die Vereinigten Staaten sind nach dem Sieg über Mexiko mit dem gewaltigen Landgewinn nicht zufrieden. Daher bleibt die Grenze nach Süden umstritten. Banditen beider Seiten, Revolutionäre, Viehdiebe und Abenteurer liefern sich einen permanenten Kleinkrieg. Mehrmals dringen US-Soldaten bei Verfolgung von Verdächtigen in Mexiko ein. 1858 bricht über liberale Reformen ein Bürgerkrieg aus. Im Kampf für und gegen die =Reforma= bilden sich zwei Regierungen. Die liberale Versammlung in Queretaro wird von Benito Juarez (Amtszeit: 1858-1872) angeführt und von den USA unterstützt. US-Präsident James Buchanan will für seine Hilfe die Landenge von Tehuantepec haben. Das war Kanalbauplan Nr. 1., dem der Kanalbauplan durch Nikaragua folgte, worauf Panama als schwächstes Glied den Sieg davontrug. Der konservative General Miramon zwingt die Liberalen zur Flucht. Die USA bringen Juarez von der Ostküste über Panama in die liberale Hochburg Veracruz. Mit ihrer Unterstützung gewinnen die Liberalen den Krieg. Benito Juarez zieht 1861 in Mexiko-Stadt ein. Doch schon ein Jahr später landen britische, spanische und französische Truppen in Vera Cruz, um Schulden einzutreiben. Briten und Spanier ziehen sich bald zurück. Die Franzosen marschieren in Richtung Hauptstadt. Sie werden am 5.5.1862 bei Puebla geschlagen. Sie warten auf Verstärkung und besetzen im Juni 1863 mit 30 000 Soldaten Mexiko-Stadt. Juarez flüchtet zur nördlichen Grenze. 1864 setzt Napoleon III. in einer seltenen Verblendung und mit Zustimmung der mexikanischen Oligarchie den Habsburger Maximilian als =Kaiser von Mexiko= ein. Nach Ende des Sezessionskrieges entsendet Washington sofort Truppen an die Grenze. Auf Druck aus Washington ziehen sich die Franzosen zurück und überlassen Maximilian seinem Schicksal. Über New Orleans gehen Waffentransporte und Freiwillige an die Truppen des Benito Juarez. Das entscheidet den Krieg. Maximilian lehnt eine Flucht ab. Er wird 1867 gefangen und in Queretaro hingerichtet.

Als Juarez 1871 neuerlich für die Präsidentschaft kandidiert, tritt sein bisheriger Vertrauter, General Porfirio Diaz, als Gegenkandidat an. Diaz verliert und beginnt Intrigen gegen Juarez, der 1872 stirbt. Die USA nutzen die Nachfolgekämpfe und dringen mehrmals auf mexikanisches Gebiet vor. Es kommt zu Gefechten bei Remolina im Mai 1873 und in Las Cuevas 1875. Am 18.5.1876 besetzen US-Marinetruppen die Stadt Matamoras. Porfirio Diaz (1830-1915/ Amtszeiten: 1876-80 und 1884-1911) erobert Ende 1876 die Macht. 1880 läßt er für vier Jahre einen seiner Generäle regieren. 1884 wiedergewählt, ändert er die Verfassung, so daß er sechsmal Staatschef werden kann. Mit dem raffinierten Kontroll- und Unterdrückungsapparat des =Diazpotismus= kann Diaz den Staat festigen und wirtschaftliche Fortschritte erreichen. Es ist unter Diaz auch ein Ausverkauf Mexikos an die USA in Gang gekommen. Als 1900 Öl gefunden wird, verkauft Diaz die meisten Förderungsrechte an US-Firmen. Als Porfirio 1910 mit 80 Jahren neuerlich kandidiert, tritt auch der Gutsbesitzer Francisco Madero an. Madero wird kurzfristig verhaftet und flüchtet nach seiner Entlassung in die USA. Dort veröffentlicht er ein Reformprogramm.

Im Norden und im Süden Mexikos brechen Unruhen aus. Es bildet sich die Bewegung der Maderisten. Der ehemalige Viehdieb und Bandit Francisco =Pancho= Villa (1879-1923) kauft in den USA Waffen und erobert den Teilstaat von Chihuahua. Im südlichen Morelos beginnt Emiliano Zapata (1879-1919) einen Bauernaufstand. Als auch in den Garnisonen der Hauptstadt Rebellionen ausbrechen, tritt Diaz am 25.5.1911 zurück und geht in das Pariser Exil. Madero kommt mit der Bahn in einem Triumphzug nach Mexiko-Stadt. Erstmals finden Wahlen ohne Manipulation statt. Es sind dies keine Wahlen im heutigen Sinn. Nur etwa zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung -Grundbesitzer, Intellektuelle und Soldaten- haben ein Recht zum Urnengang. Madero wird zum Präsidenten gewählt. Im neuen Kongreß hat er die Mehrheit. Er entläßt Anhänger des alten Regimes und setzt Fachleute ein.

Als Porfirios Neffe, General Felix Diaz, im Februar 1913 mit der Besatzung der Zitadelle einen Aufstand beginnt, entsendet Madero den bisher loyalen General Victoriano Huerta gegen die Rebellen. Nun schaltet sich der amerika-nische Botschafter Henry Lane Wilson ein. US-Präsident William Taft (1857-1930/ Amtszeit: 1909-13) und sein Außenminister Knox sind laut neuen Forschungsergebnissen (Friedrich Katz: =The Secret War in Mexico= Chicago, 1981, S.8ff.) über Details genau informiert gewesen. Wilson, Huerta und Diaz hecken einen teuflischen Plan aus. Huerta und Diaz sollen einander in der Hauptstadt Scheingefechte liefern. Im allgemeinen Chaos soll Madero gestürzt werden, worauf sich Huerta und Diaz an der Staatspitze ablösen wollen. In der =Decena tragica=, in den tragischen zehn Tagen von 9. bis 18.2., täuschen Diaz und Huerta gegenseitigen Beschuß vor, zielen aber daneben und treffen die Bevölkerung der Innenstadt. Am 18.2. läßt Huerta Präsident Madero im Nationalpalast verhaften und vier Tage später ermorden. Botschafter Wilson präsentiert in seiner Botschaft dem diplomatischen Korps Huerta als neuen Staatschef. Der Alkoholiker Huerta errichtet ein blutiges Regime. Er läßt rund hundert Kongreßabgeordnete verhaften, von denen mehrere ermordet werden. Er jagt seinen Verbündeten Felix Diaz ins Exil. Meist betrunken regiert Huerta nur die Hauptstadt, während Pancho Villa und Zapata ihre Herrschaftsgebiete im Norden und Süden erweitern. Der neue US-Präsident Woodrow Wilson (1856-1924/ Amtszeit: 1913-21) ist entsetzt, als er nähere Umstände erfährt. Der mit ihm nicht verwandte Botschafter Henry Wilson wird abberufen. Die USA verweigern dem Regime Huerta die Anerkennung. In das allgemeine Chaos tritt der Gouverneur von Coahuila, Venustiano Carranza (1859-1920/ Amtszeit: 1915-1920), mit einer Bewegung für Rückkehr der konstitutionellen Herrschaft. Er sichert sich die Unterstützung Francisco Villas.

Auch General Alvaro Obregon, der im Teilstaat Sonora eine schlag-kräftige Armee aufgestellt hat, erklärt sich für die Konstitutionalisten. Obregon (1880-1928/ Amtszeit: 1920-24) hat seinen Konkurrenten eines voraus: Er studiert die Meldungen aus dem in Europa tobenden Weltkrieg. Er richtet seine Strategie nach neuen Erkenntnissen aus. Der militärische Einsatz der Eisenbahnen ist die Folge. Züge mit Sombreroträgern und den Soldatenfrauen wie die berühmte Adelita werden zu einem Stereotyp der Revolution. Man raucht auch viel Marihuana und besingt seine Wirkung mit dem Lied =La Cucaracha=. Das führt zu selbstmörderischen Angriffen gegen den nicht eingerauchten Feind. In der Revolution entsteht unter anderem auch mit dem Falsett-Gesang der Mariachis eine typische Nationalkultur. =Nur der Tod ist kein Verräter. Sage mir, wie du stirbst und ich sage Dir, wer Du bist!= So geht ein altes Sprichwort der Mexikaner.

Neuerlich treten die USA in Erscheinung. Wilson ist entschlossen, Huerta zu stürzen. Als am 9.4.1914 in Tampico amerikanische Matrosen bei der Beladung eines Frachters für 90 Minuten festgehalten werden, fordert Admiral Mayo eine Entschuldigung durch 21 unbeantwortete Salutschüsse. Huerta muß diese Erniedrigung ablehnen. Die USA landen am 21.4.1914 mit tausend Mann in Vera Cruz. Bei dem Beschuß der Stadt werden rund 300 Zivilisten getötet. US-Truppen kontrollieren nun die Zolleinnahmen, wodurch Huerta große Einnahmen verliert. Die Amerikaner halten die Region um Vera Cruz sieben Monate besetzt. Erst nach Vermittlung Brasiliens, Argentiniens und Chiles in Niagara ziehen sie am 23.11.1914 wieder ab. Sie hinterlassen Waffen, die später den Konstitutionalisten übergeben werden.

Da sich die konstitutionellen Armeen der Hauptstadt nähern und am 23.6.1914 in der Schlacht von Zacatecas siegreich bleiben, flüchtet Huerta in die USA. Dort plant er die Rückkehr an die Macht. Er wird verhaftet und stirbt 1915 an Leberzirrhose. Nach der Flucht Huertas hat ein Wettlauf auf die Hauptstadt begonnen. Obregon trifft als erster ein. Es kommt zu Streitigkeiten, die man in der Versammlung von Aguascalientes beizulegen sucht. Villa und Zapata marschieren auf die Hauptstadt, aus der Obregon seine Truppen abgezogen hat. Carranza geht auf Distanz nach Puebla. Gegen Ende 1914 paradieren, feiern und plündern die Truppen Zapatas und Villas in der Hauptstadt. Im Jänner 1915 ist Obregon wieder da, worauf Villa und Zapata den Rückzug antreten. Obregon verfolgt Villa und schlägt ihn in mehreren blutigen Schlachten bei Celaya. Villa muß in sein Stammgebiet nach Chihuahua flüchten. Das sind nur die großen Linien, denn in jedem Dorf wird gekämpft, gesiegt und exekutiert.

Washington hatte bisher Villa unterstützt. Villa konnte sich mehrmals auf US-Territorium zurückziehen und dort seine Truppen mit neuen Waffen ausrüsten. Die USA wußten, daß Carranza als Nationalist ihr Feind war. Sie versuchten 1915 mehrmals, seine Machtergreifung zu verhindern. Da dies nicht gelang, begannen sie zögernd mit seiner Unterstützung. Washington will in Mexiko Ruhe und Ordnung, da in Europa der Weltkrieg ausgebrochen ist. Villa hat verloren, daher darf er auch nicht mehr US-Territorium nutzen. Am 1.11.1915 liefert Villa mit verbliebenen 8 000 Mann nahe der Grenzstadt Agua Prieta seine letzte Schlacht gegen Obregon. Nun darf Obregon amerikanischen Boden samt Bahnlinien nutzen, um Villa in den Rücken zu fallen. Beobachtende US-Truppen richten nachts ihre Scheinwerfer auf die Stellungen Villas, was die Kämpfe entschieden hat. Monate später läßt Villa in seinem Machtbereich bei Santa Isabel einen Zug anhalten, in dem 18 amerikanische Techniker zur Öffnung eines Bergwerkes unterwegs sind. Die Techniker werden am Bahndamm erschossen. Am 9.3.1916 bricht er mit seinen Reitern über die Grenze nach Norden. Die texanische Stadt Columbus wird durch die nächtliche Attacke überrascht, geplündert und niedergebrannt. Dann zieht sich Villa wieder zurück. Er wird er im ganzen Land als Held und Rächer gefeiert. Seine Truppe erhält neuen Zulauf. Präsident Wilson beauftragt General John Pershing mit einer Strafexpedition.

Am 16.5.1916 bricht Pershing mit 6 000 Mann in den Norden Mexikos ein. Er marschiert bis zu 500 Kilometer in Richtung der Hauptstadt. Pancho Villa ist nicht zu fassen, doch es wird für den Krieg in Europa geübt. Es kommt zur letzten Kavallerieattacke der US-Armee. Gleichzeitig werden gepanzerte Fahrzeuge und Flugzeuge eingesetzt. Pancho Villa aber ist immer woanders. Carranza protestiert gegen diese Verletzung der Souverä-nität. Am 21.6.1916 kommt es zwischen Pershing und den Mexikanern zum Gefecht von Carrizal. Nun droht ein Krieg zwischen beiden Staaten, da Pershing in Wut über die nicht zu fassende Beute auch gegen Bundestruppen und Zivilisten vorgeht. Der amerikanische Kriegseintritt in Europa erzwingt im Februar 1917 den Abzug Pershings. Trotz seines Mißerfolges in Mexiko wird er Kommandant der US-Truppen in Frankreich.

In Mexiko findet die Revolution mit Gegenrevolutionen, Revolten, Frontwechsel und Exekutionsserien ihre blutige Fortsetzung. US-Truppen dringen zwischen 1917 und 1927 zwanzig Mal in Mexiko ein, um =Banditen= zu verfolgen. Pancho Villa wird 1923 von einem Verwandten eines seiner Opfer ermordet. Dieweil hat sich Carranza als Staatschef mit seinem Programm auf politischer Ebene durchgesetzt. Er zieht im August 1915 mit Obregon als Kriegsminister wieder in der Hauptstadt ein. Er läßt 1917 in Queretaro eine konstituierende Versammlung zusammentreten und eine freiheitliche Verfassung mit sozialistischen und kirchenfeindlichen Tendenzen verabschieden. Zapata bleibt mit seinen Truppen südlich der Hauptstadt eine Bedrohung. Carranza täuscht Verhandlungsbereitschaft vor. Als sich Zapata am 10.4.1919 dem Treffpunkt nähert, wird er von versteckten Soldaten niedergemäht.

Die Verfassung verbietet für 1920 die Wiederwahl Carranzas, der eine Marionette einsetzen will. Obregon nimmt die Verfassung ernst und kündigt Carranza die Gefolgschaft auf. Kommandanten der Regierungsarmee wechseln die Seiten. Carranza gerät in Bedrängnis. Am 7.5.20 flüchtet er mit dem Staatschatz in einem Eisenbahnzug in Richtung Vera Cruz. Der Zug wird angehalten. Carranza sucht im Pferdesattel zu entkommen. Am 21.5. wird er in einer Hütte von früheren Anhängern ermordet. Obregon ist bereits zehn Tage vorher in die Hauptstadt eingezogen. Er wird im Herbst 1920 zum Präsidenten gewählt. Obregon setzt die Revolution fort, indem er in einer Agrarreform Land an Besitzlose verteilt. Die USA konfrontieren ihn mit einer Schuldforderungen von rund einer Milliarde Dollar. Obregon wird von Washington zu Konzessionen beim Öl gezwungen. Im August 1923 verspricht er, vor 1917 erworbenen US-Besitz nicht anzugreifen. Als Gegenleistung erlaubten ihm die USA, einen Aufstand im Norden unter Nutzung von Bahnlinien in Texas niederzuschlagen. Am 1.12.1924 tritt er verfassungsgemäß zurück.

Sein Vertrauter Plutarco Calles (1877-1945/ Amtszeit: 1924-1928) war zuvor zum neuen Präsidenten gewählt worden. Calles setzt die Landreform fort und richtet sich scharf gegen die katholische Kirche. Eine Reihe drakonischer Gesetzes erzwingt ein Ende jedes Kirchenlebens. Es bildet sich die katholische Widerstandsbewegung der =Christeros=. Katholische Kreise in den USA fordern vergeblich eine militärische Intervention. Die USA liefern Calles neue Waffen, mit denen er mehrere Aufstände nie-derschlagen kann. Reste der Aufständischen flüchten nach Arizona. Calles läßt gnadenlos hinrichten. Gefangene Christeros werden an Strommasten aufgehängt. Als sich auch andere Aufstände entwickeln, werden Anfang Oktober 1927 in vier Tagen 25 Generäle hingerichtet. Obregon kandidiert 1928 neuerlich und gewinnt. Am 17.7.1928 wird er bei einem Festbankett im Restaurant =Bombilla= von einem Katholiken erschossen. Calles steuert aus dem Hintergrund drei Interimspräsidenten und widmet sich dem Aufbau einer übermächtigen Staatspartei. Es war dies die =Partido Nacional Revolucionario=(PNR) mit Calles als Parteichef. Die PNR nominiert für die Wahlen von 1934 den flexiblen General Lazaro Cardenas (1895-1970/ Amtszeit:1934-40). Cardenas hatte zunächst für Zapata und Villa und dann auf Seiten Obregons gegen Zapata und Villa gekämpft. Cardenas gewinnt, läßt sich aber von Calles nicht steuern. Neuerlich tobt ein Machtkampf. Cardenas beruhigt die Kirche. Calles baut in Guernavaca eine Position auf. Mit Tricks gewinnt Cardenas den bisher auf Calles hörenden Kongreß. Calles wird entmachtet, unter Hausarrest gestellt und schließlich nach Los Angeles ausgeflogen.

In der längsten Revolution der Weltgeschichte sind die USA ständig wechselnd und oft gleichzeitig Etappe und Front. Sie nutzen diese Position aus. Mexiko dient ihnen als Truppenübungsplatz für kommende Kriege. Jede Veränderung in der mexikanischen Machtkonstellation wird von den USA mit Waffenlieferungen und Geld begleitet. Bisherige Verbündete werden fallengelassen, sobald sie auch nur die erste Niederlage erleiden. Mit der PRN (später PRI =Partido Revolucionario Institucional= oder =Partei der permanenten Revolution=), die mehr oder minder diktatorisch 66 Jahre regieren sollte, geht dieser lockere Frontwechsel nicht mehr. Die folgenden PRI-Präsidenten werden von den USA manchmal bekämpft, aber manchmal auch unterstützt. Die PRI erstarrt durch die lange Herrschaft. Links und rechts bilden sich alternative Parteien. Über =Coke= gelingt den USA einer neuer Einstieg. Im Jahr 2000 hat der ehemalige Cocacola-Manager Vincente Fox als Chef der konserativen PAN (Partido Accion Nacional) das PRI-Diktat beendet und mit US-Hilfe die Wahlen gewonnen. Die USA haben sechs Jahre verstärkten Einfluß ausgeübt, der nun beendet werden dürfte.
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Ergänzungen

zapatistische kampagne

solidaridad 27.06.2006 - 20:38
Moin. Hier eine solidarische Kritik an der Überbewertung des Wahlkampfes und der "nordamerikanischen Angst" vor dem "linken Kandidaten".
Mein Eindruck aus der bürgerlichen Medienlandschaft hierzulande ist, dass durch diesen Wahlkampf die Situation in Mexico fast zwangsläufig für einige Schlagzeilen ins Blickfeld der europäischen Öffentlichkeit gebracht wird. Dabei werden sich die "JournalistInnen" von Springer & Co. sicher streng davor hüten, ÜBER POLIZEIBRUTALITÄT IN ATENCO ODER OACACA zu berichten; oder sogar über eine sich im Land ausbreitende Kampagne zur Schaffung einer horizontalen und antikapitalistischen Verfassung, die auch in Chiapas (ezln...) stark mitgetragen wird. DIE SITUATION DER INDIGENAS und aller anderen armen Menschen ((die uns nur stark verfälscht nähergebracht werden soll)) wird sich (vgl. Brasilien...) durch einen noch sooo linken Präsidenten nicht ändern! Das wissen viele GenossInnen in Mexico, die sich ohne Illusionen direkt gegen den Staat wenden; also möchte ich mich davor hüten mein Blickfeld durch unsere Medienkonzerne beeinflussen zu lassen!

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Danke für den Artikel. — roter zapatista