Telesur als linkes CNN für Lateinamerika

Malte Olschewski 24.06.2006 15:51 Themen: Medien Soziale Kämpfe Weltweit
Telesur feiert in Kürze sein einjähriges Bestehen. Der Sender ist vom Präsidenten Venezuelas, Hugo Chavez, als Antwort auf CNN und andere US-Kanäle gegründet worden. Telesur macht nun Schule. Auch in Brasilien, Afrika und Rußland wird an ähnlichen Projekten gearbeitet. Die Vorherrschaft der USA über die TV-Weltnachrichten geht zu Ende.
Malte Olschewski:

Telesur als linkes CNN für Lateinamerika
Venezuelas TV-Programm hat sich gegen die USA behauptet


Peru hat den USA eine Truppenstationierung in der Region von Lambayeque erlaubt... Ein führender Exilkubaner hat amerikanische Pläne zur Ermordung Castros bei einem iboamerikanischen Gipfel auf der Insel Margarita zugegeben... Die kolumbianische Guerilla FARC schlägt Verhandlungen mit der Regierung vor... Panama verläßt das US-Einflußgebiet, da es von Venezuela verbilligtes Erdöl bekommt. Außerdem will Venezuela eine Pipeline nach Panama bauen... Bolivien dementiert: Man habe für den Wahlkampf keine Gelder aus Caracas erhalten. Auch seien keine venezolanischen Soldaten im Land stationiert. Gleichzeitig werden in La Paz Filme einer Überwachungskamera freigegeben, die zwei Minister der früheren Regierung Lozada beim Abtransport von großen Geldmengen aus der Nationalbank zeigen...... Dies alles sind Nachrichten, die an einem einzigen Tag, den 23.6.2006, vom Sender =Telesur= gebracht worden sind. All diese, nicht unwesentlichen Ereignisse sind in nordamerikanischen und europäischen Medien nicht berichtet worden. Allein dieser eine Tag beweist die Notwendigkeit eines multinationalen Nachrichtenkanals für Lateinamerika. =Telesur= wird trotz Drohungen der USA am 24.7.2006 ein Jahr Sendezeit feiern.

=Televisora de Sur= ist als Kreation des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez die Antwort auf die übermächtigen US-Sender CNN, Fox und Univision, die auf Spanisch in den Subkontinent ausstrahlen. =Telsur= hat Schule gemacht. In Rußland, Kenya und Brasilien werden derzeit ebenfalls überregionale Sender eingerichtet, während der aus Katar arbeitende kanal =Al Jazeera= schon seit Jahren erfolgreich ist. Die Vorherrschaft der USA und Europas auf dem Markt der Fernsehnachrichten beginnt zu zerfallen. Es ist Tatsache, daß die USA zusammen mit den Staaten der EU 80 bis 90 Prozent der weltweiten TV-Nachrichten kontrollieren. Ebenso ist es Tatsache, daß die großen Kanäle auf die Probleme und Anliegen der Dritten Welt kaum eingehen. In Kofliktfällen wird, wenn auch mit großer Rafinesse, Partei genommen. Es werden auch Bilder und Nachrichten gefälscht. Die Welt, wie sie ist, wird als einzig mögliche Ordnung proklamiert. Zur Herrschaft der USA und zum Kapitalismus soll es keine Alternative geben. Jeder sei zum Kampf gegen den Terror, wie ihn Washington definiert, verpflichtet.

Gegen diese Weltsicht ist im Vorjahr =Telsur= gegründet worden. Venezuela besitzt 51 Prozent der Anteile an diesem Sender. Auf Argentinien entfallen 20, auf Kuba 19 Prozent der Anteile. Uruguay hält zehn Prozent. Nun ist auch Bolivien dem Projekt beigetreten. Sendebeginn war der 24.7.2005, der 222. Geburtstag des Befreiungshelden Simon Bolivar. Chavez spricht von einer =Zweiten Bolivarischen Revolution=, in der sich die Staaten Lateinamerikas gegen die USA zusammenschließen sollen. Simon Bolivar (1783-1830) hatte in Feldzügen gegen die Spanier versucht, ihr zerfallendes Kolonialreich zu einem großen lateinameri-kanischen Staat zu vereinigen. Es hatten sich die spanischen Vizekönig-reiche und Audiencias bereits unterschiedlich entwickelt, sodaß Bolivar mit seinem Staat =Großkolumbien= gescheitert ist. Chavez tritt nun bewußt in die Fußstapfen des im heutigen Venezuela geborenen Helden. Venezuela wurde schon 1999 zu einer =Bolivarianischen Republik (Republica Bolivariana)= umbenannt. Die Flagge erhielt einen zusätzlichen Stern zugeteilt, der für den Freiheitshelden steht. Die Währung des Landes ist seit jeher der =Bolivar=. Nun hat Chavez auch eine =Bolivianische Alternative für Amerika= (Alternativa Bolivariana para la America oder ALBA) lanciert, die vorerst aus verbilligten Öllieferungen Venezuelas besteht, aber in einer antiamerikanisch konzipierten Freihandelszone und möglicherweise in einem Staatenbund münden soll. Die durch den Ölpreis steigenden Staatseinnahmen ermöglichen es Chavez, überall in Lateinamerika mitzureden. Seine Gegner sprechen von unerlaubter Einmischung. Seine Anhänger sehen humanitäre Hilfe für die verarmten Massen anderer Länder.

=Telesur= ist zum Sprachrohr von Chavez geworden, mit dem er Lateinamerika gewinnen will. Man spricht von einer =Hugovision= und einem =Alba-TV=. Unter dem früheren CNN-Jornalisten Andres Izarra als Generalintendant und dem Uruguayaner Aram Aharonian als Programm-chef wird gegen die jene Sender angetreten, die aus den USA nach Lateinamerika ausstrahlen. Über weite Strecken des rund um die Uhr gehenden Programms werden Nachrichten gebracht. Es gibt eine einstündige Sendereihe =America: Tierra Nuestra (Unsere Erde Amerika)=, ebenso wie eine =Mesa Redonda=, einen =Runden Tisch=. Unter dem Titel =Memoria del Fuego (Erinnerung des Feuers)= beschäftigt man sich mit den vielen, vergangenen Interventionen der USA in Südamerika. Es werden Spielfilme aus Lateinamerka gezeigt, die Europa und die USA nie erreicht haben. =Telesur= fördert und ermutigt auch das kommunale Fernsehen, in dem kleine Gemeinschaften und Organisationen Filme produzieren.

Um aber die Massen zu erreichen ist, das ganze Programm viel zu politisch und zu intellektuell. Daher soll und kann auch die Quote und die Zuschauerzahl in den verschiedenen Staaten nicht ermittelt werden. Es sind jedenfalls nicht so viele, wie es sein könnten. In Lateinamerika wachsen aus jeder Favela und aus jedem Slum ganze Wälder von Fernsehantennen, über die das süße Gift der Telenovelas und der Sozialmärchen eingeträufelt wird. Diese Formate aber werden in erster Linie von privaten TV-Stationen produziert. Fernsehen hat in den Slums die Funktion der Ablenkung vom Elend und Schrecken des Alltags. Daher sehen die Massen weder CNN, noch den Konkurrenten =Telesur=. Es bedürfte großer Kunstfertigkeit, die Massen mit Telenovelas bei der Stange zu halten und dazwischen Formate auszusäen, die das kritische Bewußtesein aufwecken und entwickeln.

Unterhaltung mit politischer Botschaft zu verbinden, das hat Kubas Staatschef Fidel Castro vorgemacht. Seine oft Stunden dauernden Reden sind seit fast fünfzig Jahren ein televisionärer Spektakel. Chavez scheint hier in die Lehre gegangen zu sein. Sonntag hat Hugo in =Hugovision= mit =Alo Presidente!= einen festen Termin. Er kann aber auch sonst unvermutet ist fast jeder Sendeleiste auftauchen. In Europa und in den USA wird die Allgegenwart des Präsidenten in =Telesur= kritisiert und lächerlich gemacht. Dabei vergißt man, welche Kämpfe auch in Deutschland und Österreich um wirksame Fernsehauftritte der Politiker toben. Im Prinzip will ein jeder Politiker, mehr noch, jeder Mensch im TV auftreten. Vergleicht man Dramaturgie und Inhalt der Auftritte von Politikern in den USA und in Europa mit =Hugovision=, so ist Chavez ein Wunder an Formulierungskunst, Gestik, Minenspiel und Bewegung. Er läßt keinen Anlaß aus, um das Erbe Bolivars zu beschwören und die USA zu attackieren. Am Jahrestag der historischen Schlacht von Carabobo kündigt er an, US-Botschafter William Brownfield des Landes zu verweisen. Er klagt die FIFA an, den =teuersten Sklavenhandel der Geschichte= zu betreiben. Er feiert aber unbekümmert das argentinische Fußball-Idol Maradona. Er nennt US-Präsident Bush einen =pendejo= (Idiot). Er kündigt an, bei einem US-Angriff alle Ölfelder zu sprengen. Er schreckt Washington durch ein mögliches Bündnis mit dem Iran. Er tut im Prinzip alles, was die USA reizen kann. Doch die USA beziehen zwanzig Prozent ihres Erdöls aus Venezuela. Mehrmals ist der Sturz von Chavez geplant worden und dann gescheitert.

=Telesur= kann über den Satelliten =NS 806= in ganz Lateinamerika, in der Karibik, in den USA, in Westeuropa und in Nordafrika empfangen werden. Im April 2006 hat =Telesur= eine Kooperationsabkommen mit dem arabischen Sender =Al Jazeera= in Katar geschlossen. Es sind nun auch portugiesische und englische Zusammenfassungen geplant. Chavez drängt Brasilien dazu, das TV-Projekt =Brasil Internacional= mit =Telesur= zu vereinigen. Da in Lateinamerika laufend Wahlen abgehalten werden, unterstützt =Telesur= immer jene Kandidaten, die sich Chavez anschließen könnten. In Bolivien ist das mit der Wahl von Evo Morales gelungen. Doch in Peru und in Kolumbien haben mit Alain Garcia und mit Alvaro Uribe jene Kandidaten gewonnen, die von =Telesur= und Cavez nicht unterstützt worden waren. Bei den bevor-stehenden Wahlen in Mexiko und Nikaragua setzen Chavez und =Telsur= auf die linksgerichteten Kandidaten A. M. Obrador und Daniel Ortega.

In den USA läuten seit Beginn von =Telesur= dauerhafte Alarmglocken. Der Kongreß gab sogar Gelder frei, um in der Art von =Radio Free Europa=, das Land über einen Sender =Free Venezuela= mit =objektiver Berichterstattung= zu versorgen. Der republikanische Abgeordnete aus Florida, Connie Mack, drohte mit Störsignalen in Richtung =Telesur=. Der religiöse Präsidentenberater Pat Robertson rief sogar zur Ermordung von Chavez auf. =Telesur= würde den Terror propagieren, hieß es. Die Beweise dafür waren dürftig. Einmal war in einem Vorspann für zwei Sekunden der kolumbianische Guerillaführer =Tirofija= Mirulanda zu sehen. Dann soll eine Frau in einer Duschkabine mit Gesang die baskische Terror-organisation ETA gefeiert haben. Bei genauerem Hinhören stellte sich heraus, daß sie lediglich ein Lied des brasilianischen Popstars Gaetano Veloso vor sich hin geträllert hatte.
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Ergänzungen

Korrekturen

eine die es weiß 26.06.2006 - 19:23
"Die Flagge erhielt einen zusätzlichen Stern zugeteilt, der für den Freiheitshelden steht."

Der achte Stern steht nicht für Simón Bolívar, sondern für die Unabhängigkeit des Bundesstaates Guayana. Das weiß selbst Wikipedia: "Sieben weiße fünfstrahlige Sterne im blauen Streifen stehen für die sieben Provinzen, die die Unabhängigkeit mit getragen haben. Der 2006 eingeführte achte Stern geht auf ein Dekret Simon Bolivars von 1817 zurück, als durch die Einführung des achten Sterns die Unabhängigkeit Guayanas gewürdigt werden sollte."  http://de.wikipedia.org/wiki/Flagge_Venezuelas

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"Am Jahrestag der historischen Schlacht von Carabobo kündigt er an, US-Botschafter William Brownfield des Landes zu verweisen."

Deinen Artikel hast du am 24.06.2006 um 14:51 veröffentlicht. Da war es in Venezuela gerade neun vor neun Uhr morgens, Jahrestag der historischen Schlacht von Carabobo. Mal davon abgesehen, dass es dazu keine Meldung gab, scheint es schon komisch, dass sich der gute Hugo so früh, Mitten in der Vorbereitung der zivil-militärischen Parade auf Brownfield bezieht. Was Chávez Anfang April gemacht hat ist, ihm zu drohen ihn rauszuwerfen, falls er nicht aufhört zu provozieren. Brownfield hatte davor - ohne die venezolanischen Sicherheitskräfte zu informieren - in einem Armenviertel Baseballausrüstung an einen Verein verschenkt, um sich als Wohltäter zu inszenieren. Beim verlassen des Ortes wurde sein Auto dann mit Tomaten beworfen und von Motorradfahrern verfolgt.

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"Nun hat Chavez auch eine =Bolivianische Alternative für Amerika= (Alternativa Bolivariana para la America oder ALBA) lanciert, die vorerst aus verbilligten Öllieferungen Venezuelas besteht, aber in einer antiamerikanisch konzipierten Freihandelszone und möglicherweise in einem Staatenbund münden soll."

ALBA (natürlich die bolivari(ani)sche, nicht die bolivianische Alternative) ist nicht antiamerikanisch, sondern lateinamerikanisch. Sie ist zwar ein Instrument gegen die US-Dominanz auf dem Kontinent, aber nicht anti"amerikanisch". Amerika ist ein Kontinent.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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"Jungle world": "Telesur" — (muss ausgefüllt werden)

Kritik zu Telesur aus der Jungle world — (muss ausgefüllt werden)