Neuer Torpedo auf baskischen Friedensprozess

Ralf Streck 23.06.2006 08:39 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Die baskische Untergrundorganisation ETA hat in einem Schreiben an die spanische Bevölkerung gestern (heute) erklärt, die dauernde Repression sei mit einem Friedensprozess unvereinbar. Am Dienstag wurden im spanischen und französischen Baskenland erneut 12 Personen verhaftet. Die sollen einem Netzwerk der ETA angehören, über das die bewaffnete Organisation angeblich die "Revolutionssteuer" eintreibe. Das ganze beruht auf Ermittlungen, die auf 1998 zurückgehen. Dass jetzt zugeschlagen wurde, hängt mit der Ankündigung über Verhandlungen zusammen und sollen den Friedensprozess torpedieren.

Mehr: Übersicht Baskenlandartikel | PSOE will Batasuna-Inhaftierungen verhindern (01.06.) | Baskischer Friedensprozess spaltet Spanien (07.06.) | Zapatero kündigt Dialog mit der ETA an (30.06.) | Vorgehen gegen baskischen Zeitungsdirektor (13.07.)
Bei den 12 Verhafteten handelte es sich um Persönlichkeiten der baskischen Linken mit zumeist hohem Alter. "Die Staatsapparate dürfen weder die Entwicklung noch das Ergebnis des Prozesses beeinflussen", schreibt die ETA. Sie forderte die sozialistische Regierung auf, ihren Ankündigungen endlich Taten folgen zu lassen, sonst könnte die historische Chance zur friedlichen Beilegung des Konflikts, "die niemals so deutlich war", ungenutzt bleiben.

Doch auch die neuen Verhaftungen weisen in eine ganz andere Richtung. Genaues über die Hintergründe ist weiter unklar, da sich die Verhafteten noch in der totalen Kontaktsperre bei der spanischen und französischen Polizei befinden. Diverse Medien melden, wie die taz melden, es seien 700.000 Euro beschlagnahmt worden, die aus Zahlungen verschiedener Unternehmen stammen sollen. Das ist ohnehin falsch, es sind aber 50 Konten, zum Teil Firmenkonten der Betroffenen, gesperrt worden, auf denen sich diese Summe insgesamt befunden haben soll. Deren Herkunft dieses Geldes wird sich leicht nachweisen lassen. Der Hetzer Reiner Wandler übernimmt wieder einmal Vorwürfe und Anschuldigungen und tut so als handele es sich um bewiesene Fakten. Insgesamt müssen erneut Fragezeichen an die Aktion und der tatsächlichen Herkunft des Geldes gesetzt werden, denn der politische Hintergrund der Aktion ist mehr als deutlich.

Dazu gehörte der Zeitpunkt. Denn geplant war, dass der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero am Mittwoch definitiv den Dialog mit der ETA ankündigt. Das wurde mit der Aktion verhindert. Schon vor mehr als einem Jahr hatte er sich dafür die Erlaubnis vom Parlament geholt. Die permanente Waffenruhe, welche die ETA seit fast vier Monaten strikt einhält, war die Voraussetzung dafür.

Der Zeitpunkt zeigt vieles auf, denn die Ermittlungen gehen sage und schreib auf das Jahr 1998 zurück, als die regierende rechtsradikale Volkspartei (PP) mit der Schließung der Zeitung und des Radio Egin eine breit angelegte Repressionswelle gegen die baskische Linke begann. Warum also wurde erst jetzt verhaftet? Den Journalisten, die erneut Vorwürfe und Gerüchte aus "Ermittlerkreisen" als Fakten verkaufen, sollte zu denken geben, dass es auch acht Jahre nach dem Egin-Verbot, oder anderer Organisationen danach, noch immer kein Urteil gibt, dass deren Verbindung zur ETA bestätigt. Seit einem halben Jahr schleppt sich in Madrid ein Prozess gegen fast 60 Personen hin, der wegen vielen Anomalien immer wieder ausgesetzt werden muss. Hauptbelastungsakten tauchen oft gar nicht auf, werden sie doch gefunden, finden sich darin keine Hinweise auf Vergehen oder sogar Entlastungsmaterial. Mit Rechtstaatlichkeit hat es ohnehin wenig zu tun, wenn sogar in der EU Zeitungen jahrelang "vorläufig" geschossen und so ökonomisch liquidiert werden.

Doch das war üblich beim Vorgehen des Ermittlungsrichters Baltasar Garzón, auf den sich auch die Vorwürfe gegen die nun Verhafteten gründen. Er war es, der die Politik der PP einst juristisch bemäntelte und sich nach deren Wahlverlust mit dem Ex-PP Chef José María Aznar in die USA verdrückte. Der von der PP eingesetzte Nachfolger, Fernando Grande-Marlaska, hat in den letzten Monaten zur Genüge gezeigt, dass er im Sinne dieser Partei den Friedensprozess zu torpedieren sucht. Mehrfach inhaftierte er Parteiführer von Batasuna (Einheit), die den Prozess anführt, und ließ ihre Treffen verbieten.

Die Sozialisten wollen Grande-Marlaska absägen und dafür sogar Garzón reaktivieren. Mit der Rückkehr, so glaubte die PSOE, könnte man Grande-Marlaska vom Stuhl heben. Den ehemaligen Genossen hat man besser unter Kontrolle, die PSOE dürfte einige Leichen im Keller des Ermittlungsrichters aus dessen Zeit als PSOE-Abgeordneter kennen, womit man ihn ruhig halten kann. Vor seiner Rückkehr am 1. Juli hatte der Opportunist erklärt: "Ich bin überzeugt, die Justiz weiß die aktuelle Situation einzubeziehen". Doch die PSOE hat die Rechnung ohne die PP gemacht. Der von ihren Anhängern dominierte Generalrat für Justizgewalt hat für Grande-Marlaska extra eine Stelle im Sondergerichtshof geschaffen, von wo er weiter Torpedos abschießen kann. Die einzige Möglichkeit demokratisch mit der Frage umzugehen, ist die Schließung des Nationalen Gerichtshof, der keine demokratische Legitimation hat.

Die spanische Rechte stemmt sich mit allen Mitteln gegen Verhandlungen, weil Spanien für eine friedliche Lösung Zugeständnisse an die Basken machen muss. Madrid wird die natürlich so niedrig wie möglich halten wollen, wie schon das Statut in Katalonien gezeigt hat. So billig wie dort werden sich die Basken aber nicht abspeisen lassen.

Die große Oppositionspartei PP hatte kürzlich sogar offiziell die Kontakte zu den Sozialisten (PSOE) abgebrochen, als die ankündigten, sich nun auch offiziell mit Batasuna zu treffen, die im März 2003 unter Aznar mit der Hilfe der PSOE verboten wurde. Führer der großen Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) will sie wegen Unterstützung der ETA anklagen lassen, weil die sich am Mittwoch ebenfalls mit Vertretern von Batasuna getroffen haben.

Vieles spricht dafür, dass Grande-Marlaska mit den neuen Verhaftungen nur der Friedensprozess belastet werden soll. Dass die französische Richterin Le Vert bei der Aktion mitgespielt hat, dürfte mit dem Unmut zu tun haben, dass die ETA sich in der letzten Woche ausdrücklich mit einer Erklärung auch an die französische Bevölkerung gewendet hatte.

In Frankreich wurde die erste der sechs dort Verhafteten schon wieder frei gelassen ohne auch nur von einem Richter vernommen worden zu sein. Dort wurde auch der 73jährige Julen Madariaga eingeknastet wurde. Der hatte sich, wie einige andere Verhaftete, schon vor Jahren von der ETA distanziert, die er unter der Franco-Diktatur in den 50er Jahren mitbegründet hatte. Madariaga war sogar vor fünf Jahren aus Batasuna ausgetreten und hatte die Abspaltung "Aralar" mitbegründet, weil Batasuna nicht öffentlich von der ETA die Aufgabe des bewaffneten Kampfs forderte. Man darf gespannt auf die Beweise dafür sein, dass Leute wie Madariaga für die ETA die "Revolutionssteuer" eintreiben würden. Heute finden überall im Baskenland Demonstrationen statt und es kam auch zu diversen Sabotageaktionen.

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastián den 23.06.2006
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Ergänzungen

Topterroristen wieder frei

Mimi 23.06.2006 - 09:37
Unterdessen werden andere 13 "Topterroristen" nach Zahlung von 30.000 euro wieder frei gelassen. Sie wurden 2003 auf Anordnung des Superrichters Garzon wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet.

In Spanien kann die Zeit für Untersuchungshaft maximal vier Jahre betragen, dann muss es zum Prozess kommen. Meist findet aber nie ein Prozess statt, obwohl die Leute Jahre im Gefängniss saßen. Nicht einmal die Anwälte erfahren vier Jahre lang die genaue Anklage. Mit "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" und "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" kann man in Spanien jeden verhaften lassen, nach drei Jahren lässt man die Leute eben einfach wieder frei. Basta, so funktioniert Demokratie.

Update

Ralf 24.06.2006 - 21:59
Madariaga wurde mit Auflagen in Paris frei gelassen. Ramón Badiola ebenfalls, allerdings ohne jegliche Auflagen. In Madrid, wo man es mit Beweisen noch weniger genau nimmt, wurden alle inhaftiert. Zudem hat Marlaska nun zwei Unternehmer verhaftet, welche die Revolutionssteuer bezahlt haben sollen. Der hat auch Otegi verboten, an einer Veranstaltung in Barcelona auf dem Podium teilzunehmen, doch er kriegt ärger mit der Staatsanwaltschaft, weil er sich völlig über die hinwegsetzt und sie nicht einmal zu seinem Vorgehen anhört.
Die Franzosen haben heute die Grenze dicht gemacht, damit niemand aus dem spanischen Teil zur Demo in Baiona fahren kann. Dort gab es eine Demo für die Rechte der politischen Gefangenen. Etwa 1000 Menschen demonstrierten in der "Grenzstadt" Irun dagegen nicht in das französische Baskenland auf die Demo gehen zu können.

Kommunique´

tierr@ 12.07.2006 - 14:10
Die Übersetzung des genannten Kommunique´s
von ETA steht unter:
 http://de.indymedia.org/2006/07/151988.shtml

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