Katalanisches Referendum mit Missachtung gestraft

Ralf Streck 20.06.2006 14:49 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Die Katalanen haben sich zwar am Sonntag für mehr Eigenständigkeit der Region von Spanien ausgesprochen, aber wegen der Kritik an dem Text das Referendum meist ignoriert. Nicht einmal die 50prozent Hürde wurde genommen. Nur 49,4 Prozent der mehr als 5 Millionen Wahlberechtigten nahm an der Abstimmung teil. Das waren fast 11 Prozent weniger als 1979, obwohl sie damals sogar an einem Wochentag durchgeführt wurde.
Auch die Befürwortung war wesentlich geringer als 1979. Nun waren es nur noch 74 Prozent der Wähler, die dieser Autonomie das Plazet gaben. Vor 27 Jahren, nach dem Tod des Diktators Franco, waren es noch knapp 88 Prozent. Damals stand das Referendum unter dauernden Putschdrohungen der Militärs, dass sie 1981 einlöste. Abgelehnt haben den Text mehr Personen als 1979. Statt 8 Prozent sagten zu dem neuen Statut fast 21 Prozent "Nein". Gut fünf Prozent wählten zudem ungültig.

Auch wenn die rechtsradikale spanische Volkspartei (PP) nun versucht aus dem Ergebnis Kapital zu schlagen, ist es doch ein Sieg derer, die sich für eine weitgehende Autonomie für Katalonien aussprechen. Gerade weil die PP sich gegen jede Veränderung stellt und nun den Gang vor das spanische Verfassungsgericht angekündigt hat, haben viele trotz massiver Kritik nicht mit ihr gegen den Text gestimmt.

Wie zu erwarten war, haben sich viele Anhänger der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) nicht an der Abstimmung beteiligt oder ungültig gewählt. Die Wähler der Partei, die der Motor für die Neugestaltung der Beziehungen zum spanischen Staat ist, fanden sich in einer Zwickmühle. Der ERC-Slogan: "Katalonien ist mehr wert", konnte nicht ziehen. Ein Nein hätte Wasser auf die Mühlen der PP gespült und Reformvorhaben wären für lange Zeit blockiert worden, weil sich die Erben Francos gegen jede Dezentralisierung wenden.

Die Katalanen nehmen lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach. Schließlich werden die Finanzierung der Region leicht verbessert und die Autonomierechte etwas ausgeweitet. Der Frust bleibt und wird sich bei den vorgezogenen Neuwahlen zeigen, denn über die Statutenfrage zerbrach die Dreierkoalition der Region. Nachdem die ERC ihren Stimmenanteil 2003 auf 13 Prozent fast verdoppelt hatte, war es erstmals nach der Diktatur möglich, mit einer Linkskoalition die konservativen Nationalisten (CiU) und die PP abzusägen.

Im Herbst dürften vor allem die Sozialisten (PSOE) und die CiU die Rechnung erhalten. Hinter dem Rücken der ERC hatten sie den Text abgespeckt und ein eigenes Steuersystem und die Nationenfrage beerdigt. Beides sah der Ursprungstext noch vor, der letztes Jahr mit 90 Prozent der Stimmen im Regionalparlament verabschiedet wurde.

Die ERC übt sich nun in "Selbstkritik" für ihr Nein. Ihr Chef Josep Lluís Carod Rovira erklärte: "Wir akzeptieren die Ergebnisse und kennen sie vollständig an". Das Nein habe klar verloren. Die geringe Beteiligung zeige, dass dieser Text "keinen Enthusiasmus" freisetze. Man werde deshalb "keinen Endpunkt" unter die nationalen Ansprüche setzen, fügte er an. Dabei handelt es sich mehr um eine Kritik an der Basis. Das Problem der ERC-Führung ist, die für "ungültige Wahl" eingetreten wollte, dass sie in wichtigen Fragen vom Votum lokaler Versammlungen abhängt. Die Basis hatte, nachdem der Ursprungstext auf dem Weg durch das Madrider Parlament "abgehobelt" wurde, die Führung zum Nein und zur Auflösung der Linkskoalition gezwungen.

Die Befürworter für die Eigenständigkeit, die Hunderttausende gegen den nun beschlossenen Text auf die Straßen Barcelonas mobilisierten, weisen diesem Statut nur eine geringe Legitimität zu. Die Tür für wirkliche Veränderungen sei weiter offen. In wenigen Jahren werde sich zeigen, dass die Probleme Kataloniens nicht gelöst wurden. Gezeigt habe sich in 30 Jahren auch, dass man Madrid nicht das letzte Wort haben dürfe, weil dort die Beschlüsse der Katalanen nicht respektiert würden, sagen Vertreter der Plattform "Pel dret a decidir" (Für das Recht zu entscheiden).

Raum hat der spanische sozialistische Ministerpräsident gewonnen. Das Referendum galt auch als Stimmungstest für die Politik von Jose Luis Rodriguez Zapatero. Der Sozialist hat das Thema nun vom Tisch und die große PP wurde über das Ergebnis weiter geschwächt. Er kann sich nun, bis zu den Parlamentswahlen im Frühjahr 2008, ganz dem drängenden baskischen Friedensprozess widmen, gegen den sich PP ebenfalls stemmt.

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastian den 20.06.2006
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Ergänzungen

Dummes Geschwätz von Propagandisten

Paul 21.06.2006 - 19:08
Schön wäre es, wenn Katalan Amtssprache wäre. Das sollte der Ursprungstext regeln. Tatsächlich sollen sogar nach dem neuen Statut die Leutchen nun beides sprechen. Bisher ist Katalan nur Spanisch gleich gestellt. Viele Richter und Beamte, die aus Madrid oder sonstwo geschickt werden, können oft kein Katalan und dann muss man eben Spanisch sprechen. Dass die Justiz auf Katalan funktionieren soll, wurde von PSOE und CIU auch gekippt.

kommunique von "revolta global"

der nestscheisser 26.06.2006 - 10:23
zum referendum:  http://www.espacioalternativo.org/node/1511 (en castellano)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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nationalismus — wird

Dummbohrer — Paul

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Wovon ich rede — Warhead