Ex-Bertelsmann wird Uni-Kanzler in Lüneburg

Wiebke Priehn 14.06.2006 01:20 Themen: Bildung Globalisierung
Holm Keller, neuer Vizepräsident der Uni-Lüneburg, ist seit 2002 für die Bertelsmann DirectGroup in London und New York tätig gewesen, zuletzt arbeitete er für das Unternehmen als "President Corporate Development Asia" in Shanghai. Mit diesem Amt will er seinen Freund, den neuen Präsidenten der Uni Lüneburg, Sascha Spoun, unterstützen.
Gerade aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit bei Bertelsmann verfüge Keller über "internationales Format", um in der neuen sechsköpfigen Unileitung eine "zentrale Rolle" zu besetzen, findet die lüneburger "Landeszeitung" in einem Artikel vom 1. Juni 2006 ("Uni soll in Europa-Liga spielen").

Kellers Ziele werden in dem Artikel folgendermaßen beschrieben: Er will Lüneburg in den nächsten sechs Jahren zum Standort einer der führenden Hochschulen Europas machen, den neuen Bachelor-Abschluss als Qualitätsmarke etablieren und mit der Uni Geld verdienen, etwa auf dem Markt für interdisziplinäre Qualifikationen.

Das alles aus selbstlosem Gutmenschentum: "Geld habe ich genug verdient, jetzt möchte ich etwas zurückgeben." gab er gegenüber der "Landeszeitung" bekannt. Und auch aus Freundschaft: "Ich bin hier, weil ich meinem Freund Sascha versprochen habe, ihm zu helfen." Sein Freund Dr. Sascha Spoun ist seit einem Monat neuer Präsident der Stiftungs-Universität Lüneburg und jüngster Uni-Präsi in der Bundesrepublik.

Die beiden kennen sich seit ihrer Zeit als Stipendiaten der deutschen Studienstiftung und freundeten sich an der Elite-Uni in St. Gallen an, wo beide Lehraufträge haben. "Vetternwirtschaft war nicht im Spiel," behauptet die "Landeszeitung" und begründet dies damit, das Keller das ordnungsgemäße Auswahl- und Ernennungsverfahren durchlaufen habe.

Ende Mai wurde Holm Keller vom Vorsitzenden des Stiftungsrates der Uni Lüneburg, Jens Petersen, als Beamter auf Zeit (für sechs Jahre) vereidigt. Der Dipl.-Volkswirt Jens Petersen ist übrigens gleichzeitig Hauptgeschäftsführer der IHK Lüneburg-Wolfsburg.

Den Stiftungsvorsitz teilt er sich mit Norbert Bensel:  http://de.wikipedia.org/wiki/Norbert_Bensel.

Eine Liste der Mitglieder des Stiftungsrats findet sich hier:  http://www.uni-lueneburg.de/verwalt/stiftung/default.php

Von 1996 bis 2002 war Holm Keller bei McKinsey als Spezialist für Theater und Unternehmensführung tätig ( http://www.karlsruhe2010.de/ka2010/main5c87.html?anfrage=intendant,  http://www.startwoche.unisg.ch/org/lehre/sw.nsf/wwwPubInhalteGer/Holm+Keller?opendocument).

Werner Rügemer zur Rolle von McKinsey bei Privatisierungen, Stellenabbau und beim Enron-Skandal:  http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m7704.pdf

Ein Erfahrungsbericht über einen McKinsey-Bewerbungsmarathon und das Selbstverständnis von McKinsey:  http://www.zeit.de/2006/21/McKinsey_21

McKinsey versucht mit kostenlosen Beratungen von Universitäten und Projekten an Schulen (Ralf Wurzbacher: McKinsey kommt, Tageszeitung junge welt vom 12.11.2005) Einfluss auf das Bildungssystem und die anstehenden Reformen zu nehmen. Hierbei gibt es auch Kooperationen mit dem Centrum für Hochschulentwickung (CHE) der Bertelsmann Stiftung. Die sog. Dohnanyi-Kommission zur Strukturentwicklung der Hamburger Hochschulen wurde vom CHE unterstützt. Den Abschlussbericht schrieb McKinsey. McKinsey beriet außerdem die Humboldt-Uni Berlin und die Uni Frankfurt a.M. (Peer Pasternack: "Hochschulen zwischen Überrumpelung und Coaching" in Werner Rügemer (Hrsg.): "Die Berater", Bielefeld 2004).

McKinseys Erfolgsrezept sind Seilschaften. Wie das funktionert, beschreibt der Politikwissenschaftler und Journalist Thomas Leif in dem Buch "Beraten und verkauft": McKinsey-MitarbeiterInnen wechseln in führende Positionen in andere Unternehmen, wo sie als Alumni Aufträge an den ehemaligen Arbeitgeber vergeben. Außerdem sollen sie dort die Werte McKinseys verbreiten:

"Wenn Mitarbeiter uns verlassen, tragen sie ihr Verständnis unserer Werte weiter an ihre neue Arbeitsplätze und bleiben uns so als Multiplikatoren und Träger der gleichen "professional guidelines", als Alumni, verbunden."
 http://www.mckinsey.de/profil/people/gemeinsamewerte.htm

Zu diesen Prinzipien gehört die "Verpflichtung zur Meritokratie", die Verdienstherrschaft. Der Begriff wurde erstmals von dem britischen Soziologen Michael Young verwendet. In seiner untopischen Satire "Rise of the Meritocracy" (deutscher Titel: "Es lebe die Ungleichheit: Auf dem Wege zur Meritokratie", 1961) beschäftigt Young sich mit der Frage der Realisierbarkeit einer modernen Leistungsgesellschaft. Rückblickend aus dem Jahre 2034 beschreibt er, wie umfassende Bildungs- und Gesellschaftsreformen durchgeführt wurden, um im globalen Leistung- und Standortwettbewerb zu bestehen. - und zwar mithilfe der Labour-Partei! Das Zauberwort hieß „Chancengleichheit“. Jeder sollte gemäß seinen Begabungen und unabhängig von der sozialen Herkunft die gleichen beruflichen Chancen erhalten.

Humankapital ist in der meritokratischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zur wichtigsten Ressource für die wirtschaftliche Produktivität und die gesellschaftliche Statuszuweisung geworden. "Verdienst" bemisst sich dabei nach dem "Wert" den ein Mensch als Ressource im „internationalen Konkurrenzkampf“ hat. Bedroht durch Niederlagen „im Krieg wie im Handel“ wird die britische Gesellschaft gezwungen, sich grundlegend nach den durch den kapitalistischen Wettbewerb vorgegebenen Leistungskriterien umzustrukturieren.

Das hat tiefgreifende Konsequenzen: Schließlich ist die Demokratie ersetzt durch eine Regierung der Intelligentesten, „eine echte Meritokratie des Talents, mit anderen Worten: der verstandesmäßig Begabten.“

Soviel zu den Werten McKinseys.

Einiges spricht übrigens dafür, dass Bertelsmann sich in das McKinsey-Netzwerk eingeklinkt hat.

Die Kinder der Eigentümerfamilie Mohn, Brigitte ( http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-0A000F0A-E6892534/bst/hs.xsl/9913_10144.htm) und Christoph ( http://www.competence-site.de/cc/experten.nsf/experte/M564) waren beide bei McKinsey und die Geschäftsführung der Bertelsmann Stiftung wurde dessen Vorstandsmitglied und McKinsey-Alumni Dr. Johannes Meier übertragen ( http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/SID-0A000F0A-E6892534/bst/hs.xsl/9913_10142.htm).

Und bei verschiedenen Projekten treten McKinsey und Bertelsmann im Doppelpack auf (siehe oben; für weitere Projekte: auf der Website der Bertelsmann Stiftung nach „McKinsey“ suchen).

Holm Kellers Karriere – McCloy-Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes, McKinsey, Bertelsmann scheint übrigens nicht ungewöhnlich zu sein. Über die McCloy-Stipendiaten schreibt die Süddetsche Zeitung: „Das Ehemaligenverzeichnis weist zwar höchst eindrucksvolle Karrieren auf, doch viel häufiger als in Ministerien oder internationale Organisationen führten die zu McKinsey, Bertelsmann oder in Großkanzleien.“ (Führungsreserve auf Abwegen? Gregor Schmitz, 24.06.2003 ,  http://www.ksg.harvard.edu/mccloy/Presse/sz_2003.htm). Bei der Mitarbeiterrekrutierung von McKinsey und Bertelsmann scheint es also gewisse elitistische Übereinstimmungen zu geben.
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Ergänzungen

Meritokratie weltweit

Bertelsmann - Clubmitgliederservice 14.06.2006 - 07:15
European Way of Life

 http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56396?PHPSESSID=9r8ah3kc9i2ruet5ar603860m4

Kopf in Gesäß von Bertelsmann: neudeutsch thinktank

noch eine Seite

Tatjana 14.06.2006 - 23:34
Noch eine Seite gegen Bertelsmann:

 http://www.anti-bertelsmann.de