Auswertung zum Feldbefreiungsversuch in GI

AG "Prozente auf Gentechnik" 07.06.2006 19:17 Themen: Globalisierung Repression Ökologie
Für Pfingsten 2006 hatten unterschiedliche Einzelpersonen und Gruppen Proteste gegen den von der Uni Gießen durchgeführten Freilandversuch mit transgener Gerste angekündigt. Neben von einer angemeldeten Mahnwache hatten einzelne Personen angekündigt, den Versuch vorzeitig beenden zu wollen. Nicht nur zur Überraschung der sich noch organisierenden Polizei wurde der Versuch schon am Freitag "angegriffen" - unter Augen der Sicherheitsbehörden und MedienvertreterInnen. Es folgten Festnahmen von sechs Personen, Einschüchterungsversuche, Dauerplatzverweise, das Verbot der Mahnwache, Unterbindungsgewahrsam für zwei der "üblichen Verdächtigen" über Pfingsten, verschiedene kleine Aktionen und eine facettenreiche Medienresonanz, die inzwischen skurrilen Bahnen folgt. Der Versuch eines Rückblicks ...
Die Mahnwache

Ab 12 Uhr bauten AktivistInnen an der Kreuzung Rathenaustr./Alter Steinbacher Weg Pavillons, Büchertische, Ausstellungen, eine Leseecke mit kleiner Bibliothek, Gratisessen und manches mehr auf. Transparente entlang der Straße machten auf das Geschehen aufmerksam. Einige SpaziergängerInnen und AnwohnerInnen sahen sich in der entstehenden Mahnwache ebenso um wie ein zunächst recht mackerig auftretender Mitarbeiter des Instituts, das den Genversuch durchführt.



Überraschender Attacke auf das Feld

Nachdem ein gentechnikkritisches Transparent an einem Laternenmast aufgehängt wurde, durchschnitten AktivistInnen gegen 15 Uhr die Umzäunung des Geländes an mehreren Stellen und betraten das Gelände. In gemächlichem Schritt nahmen direkten Kurs auf das eigentliche innere Feld mit transgener (im Zentrum) und nicht gentechnisch veränderter Gerste (außen herum). Dessen Holzzaun und das Vogelnetz wurden teilweise geöffnet. Beim Einsteigen in den Bereich unter dem Vogelnetz spurteten bereits drei Polizisten - Herr Gans, Herr Koch und ein sportlicher Zivi - auf die FeldbefreierInnen zu und folgten ihnen unter das Vogelnetz. Trotz etwas unbeholfener Versuche, die GentechnikkritikerInnen durch Schubsen zu stoppen, war die Aktion schon nach kurzer Zeit beendet. Das war allerdings genug Zeit, um die Entschlossenheit auszudrücken, den Versuch tatsächlich beenden zu wollen - zumal die herumtrampelnden Polizisten selbst ihren Anteil zur Zerstörung eingebracht haben. Schätzungen zum angerichteten Schaden verändern sich - wahrscheinlich auch mit politischem Kalkül - fast täglich: Von wenigen Pflanzen bis hin zu 20% der Versuchsfläche und Schadenssummen zwischen 350.000 und 500.000 € ist alles zu haben. Erst mit einiger Verzögerung trafen von allen Seiten, z.T. mit Blaulicht, weitere Einsatzfahrzeuge ein, vor allem die (wie sich später herausstellte) noch in der Vorbereitungsphase befindliche Genfeld-Sicherungs-Sondereinheit aus dem direkt nebenan gelegenen Polizeipräsidium.

Neben den vier FeldbefreierInnen wurden zwei Personen, die erst nach Ende der Aktion die erste Umzäunung hinter sich gelassen hatten vorläufig festgenommen, ein Journalist wurde umfangreich des Platzes verwiesen. Die Festgenommenen landeten im Gewahrsamstrakt der Polizei. Die zwei nachträglich über das Feld schlendernden Personen wurden in den Morgenstunden des Folgetages entlassen, nachdem Einschüchterungsversuche nicht zu Aussagen oder kooperativem Handeln geführt hatten (O-Ton des Staatsschützer Broers: "Wenn sie keine Aussagen machen müssen wir nach Aktenlage entscheiden. Dann kann es sein dass wir Sie über Pfingsten hier behalten."). Die FeldbefreierInnen erwartete ein längeres Procedere: der übliche Klamotten-Raub, Vernehmung, erkennungsdienstliche Behandlung und Abschneiden der Fingernägel (auf Anordnung der Staatsanwaltschaft). Ziel war nach Angaben der Polizei, dort nach Erde und Spuren der Genpflanzen zu suchen.

- Bericht zum Freitag:  http://www.de.indymedia.org/2006/06/148862.shtml
- Video-Beitrag des HR:  http://www.hr-online.de/website/fernsehen/sendungen/index.jsp?rubrik=3058&key=standard_document_22842042


Fingernägel-Jagd mit "einfacher Gewalt"

An der Fingernagel-Aktion beteiligt war der Arzt Dr. Oehmke (junior - sein Vater arbeitet auch als Arzt für die Polizei und tauchte schon mal im Prozess gegen Projektwerkstättler auf), der "nur" seine Anordnungen befolge und eigentlich schon was Besseres vorhabe. In einem Gespräch mit einer Person, die sich der Maßnahme verweigerte, weil sie bei der den Sinn nicht einsah, sich die Fingernägel abschneiden zu lassen, obwohl sie bei der Aktion für alle Polizeibeamten sichtbar Handschuhe getragen hatte, zeigte sich Oehmke als wenig intelligenter Adjutant polizeilicher Vorgaben und widersprach mit seinen Aussagen deutlich dem hippokratischen Eid. Als Beispiel für die Kritik am bedingungslosen Befolgen von Anordnungen wurde ihm vorgehalten, dass in Bremen Ärzte über die Brechmittel-Praxis bereits tödliche Folgen für einen vermeintlichen oder tatsächlichen Drogen-Dealer erzeugt hatten. Das fand er richtig: "Verluste gibt es immer." Außerdem sei das Verkaufen illegaler Drogen nicht richtig. In der gleichen Situation fragte er rhetorisch, was denn sei, wenn einem Dealer ein Drogenbeutel im Magen aufplatzen würde. "Dann soll ich den operieren?" Auf das "Ja, das ist ihre Aufgabe" seines Gegenübers antworte Oehmke lax: "Vor so was reiße ich mir nicht den Arsch auf." Zwischen solchen Äußerungen versuchte er ständig, die Person unter Druck zu setzen, um sich "freiwillig" zu fügen: Es ginge alles auch einfacher, durch ihn werde alles verzögert. Als das nicht zum Erfolg führte, wurde die Maßnahme erst einmal abgebrochen.

Etwa eine halbe Stunde später wurde der Betreffende erneut aus der Zelle geholt, inzwischen war "Verstärkung" eingetrudelt. Insgesamt befanden sich in dem Raum, wo die Person hingebracht wurde, vier Sicherheitskräfte plus Arzt, darunter u.a. der Staatsschützer Broers. Nach weiterem Druck und Salen unter Druck setzender und verlogenen Aussagen ("Wir sind bisher immer gut klar gekommen", "Wir wollen ja keine Gewalt anwenden", "Wir sind doch alles erwachsene Leute" - na klar, Widerstand ist kindisch ...) bestand der Betroffene darauf, dass das Zwangssystem sich offen zeigt und nicht in nette Worte kleidet. Broers nahm ihn hinterrücks in einen Würggriff und drückte ihm das Knie in den Rücken ("Und wenn ich Sie so lange würgen muss, bis Ihnen die Luft ausgeht."). Nach maximal zwei Minuten war die angegriffene Person nur noch ein Bündel aus Schmerz und dem subjektiven Gefühl, gleich zu ersticken - faktisch wurde der Wille gebrochen und rückt diese "einfache Gewalt", Normalität im Polizeialltag, in Nähe zu Handlungen, die ansonsten als Folter bezeichnet werden. Und so konnte Oehmke seine Umschläge mit Fingernägeln füllen. Klar ist, dass Broers weder mit Verletzungsabsicht oder Aggression gegen die Person gehandelt hat; es war einfach "nur" die passende Maßnahme, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Solche Rationalisierungen mildern aber nicht die reale Erfahrung von Gewalt, das Gefühl, menschlich gebrochen zu werden - auch wenn das für die handelnden Sicherheitskräfte alltägliche Diensthandlungen darstellen dürfte.


Samstag: Unterbindungsgewahrsam für zwei Projektwerkstättler

Samstag wurden die vier FeldbefreierInnen nach und nach dem Haftrichter Hendricks am Amtsgericht vorgeführt. Dort erwartete eine Trommelgruppe mit Flugblättern die Vorzuführenden, zusammen mit einem opulenten Polizeiaufgebot, welches nach und nach reduziert wurde. Nach einer erfolgreichen Anwendung kurze Zeit zuvor ( http://www.de.indymedia.org/2006/05/146808.shtml) lautete der Antrag der Polizei an den Amtsrichter wieder: Unterbindungsgewahrsam zur Verhinderung weiterer Straftaten bis Dienstag nach Pfingsten. Bei zwei Personen wurde der Antrag zurück gewiesen, weil diese schon Fahrkarten zur Rück- bzw. Weiterreise vorweisen konnten (so die offizielle Begründung). Bei zwei Personen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt endete die Vorführung - nicht überraschend - mit Unterbindungsgewahrsam bis Dienstag morgen. Dafür wurden beide am frühen Abend des Samstags noch nach Frankfurt in die Gefangensammelstelle der Polizei gebracht.


Seltsame Telefonate

Ein bemerkenswertes Detail der ersten von vier Anhörungen zeigt die Spezialität der Gießener Justiz ( http://www.justiz-giessen.de.vu). Richter Hendricks versuchte zunächst, möglichst korrekt alle Seiten anzuhören (immerhin - das macht kaum einE Gießener RichterIn!). Das aber schuf ein Problem: Die Gießener Polizei konnte keine brauchbaren Gründe vorbringen, warum ein Platzverein/Aufenthaltsverbot zur Sicherung des Genfeldes nicht ausreichen sollte. Dem Gestammel, der einzusperrende Projektwerkstättler hätte sich schon oft an solche nicht gehalten, folgte dann auf die Nachfrage, ob dafür bitte Belege benannt werden könnten, kein einziger. Den doofen Staatschützis fiel schlicht kein einziger Fall ein! So unterbrach Richter Hendricks, schickte alle nach draußen und kündigte an, Telefonate u.a. mit der Führung der Gießener Polizei zu machen. Etwas später rief er alle wieder rein. Die Anhörung wurde nicht fortgesetzt, sondern Richter Hendricks hatte den Beschluss zum mehrtätigen Unterbindungsgewahrsam schon ausgedruckt und verkündete "Ich muss leider folgenden Beschluss verkünden ...". Unabhängige Justiz - Pustekuchen!

- Bericht zum Samstag:  http://www.de.indymedia.org/2006/06/148941.shtml


Sonntag

Am Sonntag wurden in Nähe des Versuchsfeldes auf Spazierwegen Bio-Lebensmittel an FußgängerInnen verteilt, zusammen mit kritischen Informationen zu Gentechnik. Im Frankfurter Polizeigewahrsam lagen derweil die Flugblätter der "FeldbefreierInnen" auf dem Tresen am Gewahrsamseingang und eine Beamtin "besuchte" die beiden Gefangenen zu einer längeren Diskussion über Gentechnik.


Medien

Innerbürgerliche Disziplinierung: HR im Visier

Angestoßen durch Redakteure der Gießener Allgemeinen, schlägt die insgesamt relativ starke Medienresonanz lokal äußerst schräge Bahnen ein: Aufgrund der reißerischern, offenbar schon Mittwoch vor Pfingsten erfolgten Ankündigung des HR, über "Feldzerstörungen" zu berichten, wird nun der Verdacht gestreut, der HR habe Absprachen mit "militanten GentechnikgegnerInnen" unternommen. Inzwischen werden sogar Recherchen über mögliche Verwandschaftsbeziehungen zwischen Mitarbeitern der Hessenschau und Gentechnik-GegnerInnen angestellt. Darüber könnte mensch einfach nur lachen, ginge es nicht um ein ernstes Anliegen: Das Ganze trägt Züge eine innermedialen Disziplinierung, weil ein Medium aus dem informellen Konsens ausschert, ProjektwerkstättlerInnen nicht nur als Objekt der Hetzte zu benutzen und ansonsten alles totzuschweigen, was nicht passt. Inzwischen hat sich der linke SPD-Landtagsabgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel eingeschaltet, der die eher CDU-nahe Allgemeine und ihren Scharmacher Guido Tamme locker überbietet und einfordert, dass unerwünschte Positionen gar keinen Raum erhalten oder ansatzweise abgebildet werden: "Die Frage stelle sich, »wer wen zu welchem Zeitpunkt informiert hat. Wenn die Aktion bekannt war, hätte sie verhindert werden müssen.« Ärgerlich sei zudem, »dass sich ausgerechnet ein Herr Bergstedt im HR als Repräsentant der Gentechnik-Kritiker verbreiten konnte. Entweder wusste der HR nicht, mit wem er es zu tun hat, dann ist das peinlich. Oder er hat es gewusst, dann haben wir ein ernsthaftes Problem.« Obwohl Jörg Bergstedt jenseits jeder ernst zu nehmenden Positionierung stehe, werde ihm auch noch eine Bühne für seine Polit-Spektakel gegeben." (Gießener Allgemeine, 07.06.06) Schäfer-Gümbel mit seinem Plädoyer für totale Zensur hat damit wahrlich den Vogel abgeschossen.

- Zeitungsausschnitte zur Debatte:  http://www.projektwerkstatt.de/gen/pfingsten06.html


Initiative "Gendreck-weg" zu den Aktionen

Pressemitteilung 6.6.2006

* Widerstand gegen Agro-Gentechnik in Baden-Württemberg und Hessen
* Aktionen gegen Genmais und -gerste über Pfingsten

Die Initative Gendreck-weg begrüßt, dass über Pfingsten sowohl in Gießen als auch in Oberboihingen bei Stuttgart eigenständige Aktionen gegen Agro-Gentechnik stattgefunden haben. Anja Becker von Gendreck-weg kommentierte: "Der Widerstand nimmt zu. Die Agrarindustrie wird keinen Erfolg haben mit ihrer Strategie, einfach gefährliche Tatsachen zu schaffen."

Oberboihingen
Wie zuvor öffentlich angekündigt, machte sich der Bioimker Achim Schultheiß am Pfingstmontag zur Feldbegehung in Oberboihingen bei Stuttgart auf. Dort wächst seit rund vier Wochen gentechnisch manipulierter Mais der Firma Monsanto. Der Imker und Gentechnikgegner entfernte drei Genmaispflanzen, um sie sachgerecht zu entsorgen. Spontan hatten sich rund 30 Personen der Widerstandsaktion angeschlossen. Als die Polizei schließlich erschien und die Personalien der Anwesenden aufnahm, fehlten Hunderte von Genmaispflanzen. Zudem war an Stelle der gentechnisch veränderten Pflanzen Mais aus biologischer Produktion eingesät worden.

Gießen
Auf einer Fläche der Uni Gießen befindet sich der erste Freilandversuch mit gentechnisch veränderter Gerste in der Bundesrepublik. GentechnikgegnerInnen hatten am Rande des Feldes eine Mahnwache über Pfingsten angemeldet. Am Freitag, dem 2. Juni unternahm eine kleine Gruppe junger Menschen eine Feldbefreiungsaktion auf dem Gerstenfeld. Obwohl die Polizei schnell eingriff, wurde ein Teil der Gerstenpflanzen zerstört. Zunächst wurden 6 Gentechnikgegner festgehalten. Die Universität kündigte hohe Schadensersatzforderungen an. Die GentechnikgegnerInnen setzten ihre Mahnwache und symbolische Spaziergänge zum Versuchsfeld fort.

Für das Wochenende vom 28.-30. Juli 2006 kündigt die Initiative Gendreck-weg - Freiwillige Feldbefreiung eigene Aktivitäten an: Sie will ein gentechnikfreies Wochenende mit anschließender Aktion auf einem Genmaisfeld in Brandenburg durchführen. Weitere Informationen:  http://www.gendreck-weg.de
Kontakt Oberboihingen: Achim Schultheiß 0171 / 190 25 42
Kontakt Mahnwache Gießen: 0162/3068922

Initiative "Gendreck-weg - Freiwillige Feldbefreiung": Anja Becker 0176-52232580,  presse@gendreck-weg.de



Mehr Informationen

Die Internetseite  http://www.gendreck-giessen.de.vu enthält unter anderem:
- Den Aufruf der "FeldbefreierInnen"
- Genaue Angaben zum Genversuchsfeld, Lageplan usw. sowie Argumente gegen den Genversuch
- Ausstellungen zum Download mit Kritik am Genversuch
- Dokumentation der Aktivitäten vor und während Pfingsten
- Ausstellung mit Dokumentation der Feldbefreiung (zum Download und Aufhängen)
- Fotos, Texte, eine Übersicht der Presseveröffentlichungen usw.

Und nicht vergessen ... Gießen war nur ein Anfang!

Mehr u.a. auf  http://www.gendreck-weg.de.
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Ergänzungen

re gießener anzeiger

tagmata 07.06.2006 - 21:31
gerste ein selbstbestäuber? soll wohl eher selbstbefruchter heißen, und das bedeutet auch nicht mehr, als daß der pollen selbstkompatibel ist. eine verpflichtung, keine 30 km weit zu fliegen und sich auf den blüten anderer gerste niederzulassen hat er davon immer noch nicht.

Video

Guten Morgen! 08.06.2006 - 11:04

Video-link

--- 08.06.2006 - 15:18
Hier der direkte link zum Video.
Liegt allerdings nur in proprietären Formaten vor.

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gute aktion — brava