Protest gegen Wohnungsverkauf in Freiburg

squat the world 05.06.2006 05:35 Themen: Soziale Kämpfe
In Freiburg-Weingarten wurden hunderte Mobilisierungsflyer verteilt, um auf eine Protestaktion am Pfingstsonntag, den 4. Juni, hinzuweisen. Eine linke Initiative hatte zur Solidarisierung mit den vom drohenden Verkauf der städtischen Wohnungen betroffenen Menschen aufgerufen.
Etwa 60 Interessierte fanden sich auf einem großen Platz vor dem zentral gelegenen Einkaufszentrum mitten in einer Hochhaussiedlung im Freiburger Stadtteil Weingarten ein, um sich mit den AnwohnerInnen zu solidarisieren. Die Stadt Freiburg beabsichtigt, die stadteigenen Wohnungen en bloc zu verkaufen, um den Stadthaushalt mit einem "Befreiungsschlag" zu sanieren. Die Betroffenen fürchten, dass neue EigentümerInnen die Mieten erhöhen - in Weingarten sind davon viele Sozialbauwohnungen betroffen.

Es gab Musik und VoKü mit Salat, Salat, Salat, etwas mexikanischem Eintopf und danach leckeren Nachtisch. Getränke wurden wie das Essen gegen Spende angeboten. Erst wurde Charly Chaplins "Modern Times" und anschließend ein Kurzfilm zu Besetzungen in Barcelona gezeigt. Einige Jugendliche tranken auf unser aller Wohl und interessierte AnwohnerInnen kamen aus ihren Wohnungen. In den Gesprächen mit den zuerst skeptischen Leuten erfuhren wir von der Angst und dem Zorn der Menschen. Sie erzählten uns von ihren Befürchtungen, sie könnten sich nach einer Mieterhöhung "selbst hier in Weingarten" keine Wohnung mehr leisten. Schon jetzt hätten viele der BewohnerInnen Probleme, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verdienen. Sie äußerten ihre Sorgen wegen der immer geringeren Sozialleistungen und der bevorstehenden Mehrwertsteuererhöhung. Allerdings meinten einige der meist jungen Leute, dass sie eigentlich ganz zufrieden wären mit ihrer Lebensumgebung. Doch dunkler Teint und "Weingarten" als Wohnort im Personalausweis sei oft ein Grund für Diskriminierung. Als Beispiele nannten sie Sozialamts- und Discobesuche.

Dann kamen zwei Bullen - wegen Lärmbelästigung bei einem Stummfilm. Sie begannen wie immer mit Smalltalk und fragten mal so in die Runde, wer denn hier eigentlich verantwortlich sei. Wie immer war natürlich niemand verantwortlich. Das freute die beiden Uniformierten, meinten sie doch, sich dann die Anlage unter den Nagel reißen zu können - schließlich gehöre sie ja niemandem. Wir konnten ihnen aber relativ schnell und eindeutig klar machen, dass das eine dumme Idee sei - schließlich wollten wir ja gerade den Film sehen. Also trollten sie sich, grummelten was von "wir kommen wieder" und ließen es bleiben. Die Anwohner vor Ort waren sehr erstaunt, dass uns die Staatsmacht einfach so gewähren ließ. Warum wir ausgerechnet Weingarten ausgesucht hätten, war oft die Frage. Hier würden die Bullen doch immer nur alle stressen und willkürlich schikanieren. Wir erzählten ihnen von der Demo 1. Juli, mit der gegen die Verkaufspläne protestiert werden soll. Wir sehen uns auf der Straße...


Verteilte Flugblätter:

D.I.Y. -  http://diy.atspace.org/

Besetzt Zeitung -  http://de.indymedia.org/2006/05/148399.shtml

La Banda Vaga -  http://labandavaga.antifa.net/article.php3?id_article=83
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Ergänzungen

Alter Modern Times

squat the world 05.06.2006 - 05:59
Vom 26.-30. Juli 2006 ist in Freiburg Do it yourself - Anarchist convention. Kommt zahlreich!

Freiburger Indy-Berichte sammelt die Antifa:
 http://www.antifa-freiburg.de/spip/antifa.php3?id_article=459&design=3

Hier noch der Flyer von La Banda Vaga:
 http://labandavaga.antifa.net/article.php3?id_article=83

Die Häuser denen, die sie brauchen!

Diese Parole der HausbesetzerInnenbewegung der 80er Jahre könnte auch in Freiburg wieder in Mode kommen, denn Oberbürgermeister Dieter Salomon plant aufgrund der finanziellen Situation der Stadt den Verkauf der städtischen Wohnungen an private InvestorInnen. Nun befürchten die MieterInnen dieser Wohnungen sowie die Angestellten der Stadtbau, dass neue private InvestorInnen die Mieten erhöhen, MitarbeiterInnen entlassen und Mitbestimmungsrechte abbauen könnten. Erfahrungen mit Privatisierungsprojekten in anderen Städten bestätigen diese Befürchtungen.

Verschiedene politische und soziale Organisationen wenden sich gegen den Verkauf, eine Bürgerinitiative hat sich gegründet und ein Bürgerentscheid soll eingeleitet werden. Teilweise entstehen in den Nachbarschaften basisdemokratische Prozesse, und die Menschen fangen an, sich gemeinsam mit ihren NachbarInnen gegen die unsoziale Politik zu wehren. Dieser Widerstand ist richtig und notwendig - auch und gerade in Anbetracht der Tatsache, dass es hier um den Wohnraum tausender Menschen geht.

Zum Symbol dieses Widerstands wurde eine durchgestrichene Heuschrecke gewählt. Damit wird auf eine Rede des damaligen SPD-Generalsekretärs und jetzigen Bundesarbeitsministers Franz Müntefering angespielt, die dieser am 22. November 2004 hielt. In dieser von den Medien als "Kapitalismuskritik" bezeichneten Rede warnte Müntefering, der noch kurze Zeit vorher mit den Hartz-Reformen das größte Massenverarmungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik mit durchgesetzt hatte, vor so genannten "Private Equity Unternehmen". Diese Investmentfirmen, die mit dem Geld ihrer AnlegerInnen andere Unternehmen aufkaufen und sie dann so schnell wie möglich wieder gewinnbringend verkaufen, wurden von Müntefering mit Heuschrecken verglichen. In einem Interview mit der "Bild am Sonntag" führte er im April 2005 noch einmal aus, wie er sich die kapitalistische Vergesellschaftung vorstellt: "Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten, sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir."

Dieser Diskurs wurde von der IG-Metall aufgegriffen, die im Mai 2005 einen Artikel mit dem Titel "US-Firmen in Deutschland - Die Aussauger" in ihrer Mitgliederzeitung "metall" veröffentlichte. Als Illustration wählte die Gewerkschaft Moskitos mit Stars-and-Stripes-Zylindern, die deutsche Fabriken aussaugen und mit prall gefüllten Geldkoffern wieder nach Amerika verschwinden - ganz so, als kämen die guten KapitalistInnen alle aus Deutschland, die bösen alle aus dem Ausland. Diese Art von "Kritik" unterscheidet also zwischen einer vermeintlich "sozialen Marktwirtschaft" in der Bundesrepublik und einem "skrupellosen Raubtierkapitalismus" in den USA. Im globalen Konkurrenzkampf dient sie dazu, die von Deutschland dominierte EU als angeblich soziale Alternative zu den USA darzustellen.

Aber wo ist der qualitative Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen Billiglohnjobs, zwischen amerikanischer Privatisierung und deutscher Privatisierung, deutscher Demütigung von Arbeitslosen und amerikanischer? Es gibt keinen grundlegenden Unterschied zwischen der kapitalistischen Gesellschaft in den USA und der kapitalistischen Gesellschaft der Bundesrepublik. Es bestehen zwischen ihnen höchstens quantitative Unterschiede, keine Wesensunterschiede. In beiden Modellen von Kapitalismus zählt gleichermaßen der Profit, in beiden geht es gleichermaßen um Kaufen und Verkaufen, nichts anderes.

Doch nicht nur deshalb ist das Feindbild der Heuschrecken ein falsches Signal. Münterfering greift mit diesem Bild nämlich, ob bewusst oder unbewusst, eine Form von Kapitalismuskritik auf, die es bereits einmal gab. Es war der Chefideologe der NSDAP, Alfred Rosenberg, der 1922 von den Juden schrieb als "Heuschreckenschwarm, der seit Jahrhunderten am Marke Europas frisst." Dass Müntefering und Rosenberg hier dasselbe Bild verwenden, ist kein Zufall. Denn wer wie Müntefering das Gesamtsystem Kapitalismus aufteilt in einen anonymen, menschenverachtenden und nur auf Profit orientierten Kapitalismus einerseits, und in einen sozial verantwortlichen Kapitalismus andererseits, der verwendet genau dieselbe Logik wie einst die NationalsozialistInnen, als sie zwischen unproduktivem "jüdischem" Finanzkapital einerseits, produktivem deutschem Kapital andererseits unterschieden. Zum Kapitalismus gehört aber immer beides, und für die Menschen, die vom Kapital ausgebeutet werden, macht es keinen Unterschied, ob sie von Deutschen, Amerikanern, Juden, Christen oder Brillenträgern ausgebeutet werden.

Das Problem ist der Kapitalismus, nicht der Charakter einzelner KapitalistInnen. Der geplante Häuserverkauf in Freiburg ist nur zu verstehen als Teil der weltweiten Durchkapitalisierung aller Lebensverhältnisse - er ist kein isoliertes Phänomen und lässt sich deshalb auch nur als Teil dieses Gesamtprozesses kritisieren.

Dass überhaupt privatisiert werden "muss", ohne dass die Menschen, die hier einfach so mitverkauft werden, nach ihrer Meinung gefragt werden, ist schon Skandal genug. Schuld an diesem Skandal sind aber keine bösen Heuschrecken, sondern ein System, in dem es sich überhaupt _lohnt_ und in dem es überhaupt _erlaubt_ ist, Wohnungen einfach so zu verkaufen - obwohl Menschen darin wohnen, die diese Wohnungen brauchen.

Noch ist über den Verkauf der Wohnungen nicht entschieden. Wir solidarisieren uns mit dem Kampf der Protestierenden und begrüßen den Versuch, selbst über ihre eigenen Lebensverhältnisse zu bestimmen.


Für die generalisierte Selbstverwaltung!

Für den Kommunismus!

Für die Anarchie!


La Banda Vaga, Juni 2006



Es geht immer weiter...

Autonom@ntifA 07.06.2006 - 19:35

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englische untertitel — wurscht (vegan)