PSOE will Batasuna-Inhaftierungen verhindern

Ralf Streck 01.06.2006 09:13 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Zwei Monate nach der Waffenruhe der baskischen Untergrundorganisation ETA will die spanische Regierung nun den Dialog auch mit Batasuna aufnehmen. Damit intervenieren die Sozialisten in die Vorladungen von Batasuna-Führern vor den Nationalen Gerichtshof gestern und heute, um deren erneute Inhaftierung zu vermeiden. Praktisch läuft das auf die Relegalisierung hinaus. Vorwand für die neue Vorladung war eine Pressekonferenz auf der die "illegale Aktivität" fortgesetzt worden sei. Am Wochenende hatte das Sondergericht die Vorwürfe auf "terroristische Drohungen" ausgeweitet, weil Batasuna festgestellt hat, der Friedensprozess stehe "am Rand des Kollaps".

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Zwei Monate nach der Waffenruhe der baskischen Untergrundorganisation ETA will die spanische Regierung nun den Dialog mit der gesamten linken Unabhängigkeitsbewegung, die Partei Batasuna (Einheit) eingeschlossen, aufnehmen. Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero hatte schon am Montag erklärt, er werde eine Sondersitzung des Parlaments einberufen, und er kündigte auch an, Verhandlungen mit der ETA aufzunehmen. So versuchte er das Thema aus der Generaldebatte herauszuhalten.

Am Dienstagnacht erklärte dann der baskische Sozialistenschef Patxi López im Interview, man werde nun auch offiziell mit der im März 2003 verbotenen Partei Batasuna (Einheit) reden. Die Partei, die zwischen 10 und 20 % der Basken vertritt, sei "ein nötiger Partner" für den Dialog. "Wir werden die Kontakte mit den baskischen Parteien intensivieren, denn es ist notwendig von den aktuellen Kontakten zu einer integrierenden Phase der Verhandlungen zu kommen". Am Mittwoch schob Zapatero bei der Generaldebatte dann im Parlament nach, für den Dialog sei kein "vollständiges Ende der Gewalt nötig". Es ist klar, dass er damit gewaltsamen Aktionen vorbeugen will, die von rechtsradikalen Gruppen durchgeführt und der ETA in die Schuhe geschoben werden, um die Konfliktlösung zu torpedieren, was nichts neues wäre. Aktionen der schmutzigen Kriegsführung konnten ja schon im Vorfeld beobachtet werden, als Gefangene unter merkwürdigen Umständen ums Leben kamen.

Die Sozialisten mussten jetzt handeln, damit der Prozess nicht ins Koma fällt, bevor er richtig begonnen hat. Zwei Monate ließ man ungenutzt verstreichen, was im Baskenland großen Unmut erzeugte, um zu "prüfen", ob die Waffenruhe "dauerhaft und vollständig" ist. Sogar die Regionalregierung warf der PSOE vor, nichts für die politische Normalisierung zu tun. Doch vor allem der repressive Druck auf die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung brachte ihn nun in Zugzwang.

Denn seit gestern müssen erneut acht Führungsmitglieder von Batasuna vor dem Nationalen Gerichtshof antanzen und es bestand die Gefahr, dass sie erneut inhaftiert werden. Da nun über die "Überwindung früherer Konflikte" geredet wird, steht die Legalisierung der Partei an. Dafür muss das Parteiengesetz gestrichen werden, das für deren Verbot extra geschaffen wurde. Nach dessen Verabschiedung war Batasuna von einer Sonderkammer am Obersten Gerichtshof im März 2003 definitiv verboten worden. Sie hatte Anschläge der ETA nicht ausdrücklich verurteilt, wie es dieses neue Gesetz fordert. Eine organische Verbindung zu ETA konnte nie festgestellt werden, auch wenn das gerne behauptet wird. Mit dem Gesetz wurde das demokratische Rechtssystem selbst in Mitleidenschaft gezogen, weil ein Gesetz rückwirkend auch auf HB und EH angewandt wird. Zudem wurde eine Partei verboten, weil sie etwas unterlässt und nicht weil sie etwas verbotenes tut.

Auf dessen Grundlage kann der Ermittlungsrichter Fernando Grande-Marlaska weiter kriminalisieren. Der steht der ultrarechten Volkspartei (PP) nahe, die gegen eine Friedenslösung ist und die Ankündigungen scharf verurteilt. Die PP mobilisiert auch die Anhänger gegen jede Änderung des Status Quo im spanischen Staat und stemmt sich auch gegen eine friedliche Beilegung des Konflikts. Da die PSOE das Parteiengesetz nicht annulliert, wie es nun wieder allseits gefordert wird, kann ihr die PP über ihre Stellung in der Justiz immer wieder die Parade fahren.

Batasuna soll die "illegale Aktivität" fortgesetzt haben, weil sie auf einer Pressekonferenz am 24 März die neue Führung vorgestellt hatte. Damit habe sie gegen das vorläufige Verbot verstoßen, dass Grande Marlaska über eine schon verbotene Partei kürzlich erneut ausgesprochen hatte.

Erneut zeigt sich, dass der Sonderrichter besonders den Parteichef Arnaldo Otegi einknasten will. Der wurde geladen, obwohl der Vermittler des Friedensprozess wegen Krankheit an der Vorstellung nicht teilnahm. Zweimal musste er ihn auf Kaution von 650.000 Euro wieder frei lassen. Im Knast ist der noch nicht, weil der Oberste Gerichthof ein Urteil kassierte, wonach Otegi angeblich den "Terrorismus verherrlicht" habe, als er an der Beerdigung einer ETA-Militanten teilgenommen hat. 15 Monate sollte er dafür in den Knast.

Er hatte keinen fairen Prozess, weshalb der wiederholt werden muss, entschied der Oberste Gerichtshof auf Widerspruch Otegis. Wenn das Urteil gestern bestätigt worden wäre, hätte Otegi in den Knast gemusst, weil die Strafe mit einem Urteil zusammengezogen worden wäre, das es schon gibt und damit zwei Jahre überschritten worden wären. Er hatte den König im Rahmen der Schließung der Tageszeitung Egunkaria als "Chef der Folterer" bezeichnet, als sogar die verhafteten Journalisten gefoltert wurden.

Da Grande Marlaska Otegi unbedingt einknasten will, weitete er am Wochenende die Vorwürfe noch einmal aus. Grande-Marlaska wirft den Batasuna nun auch "terroristische Drohungen" vor. Parteiführer hatten erklärt, der Friedensprozess stehe wegen der Verzögerung und der Repression "am Rand des Kollaps". Den Widerspruch, dass Zapatero mit der bewaffneten ETA verhandeln will, die Batasuna-Chefs, welche den Friedensprozess vor fast zwei Jahren angestoßen haben, (Teildoku des Vorschlags) aber wegen Teilnahme an Pressekonferenzen inhaftiert werden, lässt sich mit einem Friedensprozess nicht vereinen. Auch in Bezug auf Verhaftungen von Jugendlichen, Auslieferungen von mutmaßlichen ETA-Mitgliedern hatte Otegi erklärt, die Regierung habe die "Aufgabe und Verantwortung", dafür zu sorgen "dass derlei Sachen nicht passieren".

Inhaftiert der Richter nun die Batasuna-Führer, sieht seine Zukunft allerdings finster aus, denn an seinem Stuhl wird schon gesägt. Um der PP keine Munition zu bieten, wird Grande-Marlaska sanft beseitigt, denn er war nur als Vertreter von Baltasar Garzón nachgerückt. Der Richter, der für die Verbote von baskischen Organisationen, Parteien und Zeitungen unter der PP-Regierung steht, wird nun recycelt. Der hatte sich in die USA abgesetzt, weil sein Vorgehen nach dem Wahlsieg der Sozialisten (PSOE) nicht mehr gefragt war. Garzón, ehemaliger PSOE-Abgeordneter, ebnete der PP einst mit seinen Ermittlungen gegen die Genossen den Weg zum Wahlsieg 1996 und war zuvor aus der Fraktion ausgeschieden. Nun bereitet der Opportunist seine Rückkehr vor: "Ich bin überzeugt, die Justiz weiß die aktuelle Situation einzubeziehen".

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastián den 01.05.2006
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Ergänzungen

Update

Ralf 02.06.2006 - 10:48
Wie ich vorausgesagt hatte, traute sich der Richter nach der Intervention der PSOE nicht, die Batasuna-Führer einzuknasten. Der ganze Vorgang sagt sehr viel über das spanische Justizsystem aus. Nach der Ankündigung mit der ETA und Batasuna zu verhandeln sieht der Richter Grande-Marlaska keine illegale Tätigkeit mehr!. Sowas aber auch. Neu ist auch, dass der Staatsanwalt nachher vor die Presse tritt und quasi als Verteidiger von Batasuna auftritt. Dazu muss man wissen, dass das Ministerium für Staatsanwaltschaft (Teil der Regierung) zunächst die Ermittlungen eingeleitet hat, um vor der PP gut dazustehen. Der Staatsanwalt erklärte nun, nach der neuen politischen Vorgabe, mit ihrem Auftritten versuchte Batasuna den Friedensprozess voranzubringen.
Hätte der PP-Richter sich nun getraut die Batasuna-Führer zu inhaftieren, wäre seine Zukunft futsch gewesen. Die PP hat angekündigt alle Beziehungen zur PSOE abzubrechen, wenn die sich mit einer "illegalen Partei" mit dem Namen "ETA-Batasuna" trifft. Sie will die Sozialisten vor den Nationalen Gerichtshof stellen. Mal schauen, welcher Richter sich dafür hergibt. Grande-Marlaska wohl nicht. Die PP hat sich jetzt einer neuen Demonstration der völlig geschwächten "Vereinigung der Terrorismusopfer" angeschlossen. Aus der sind inzwischen etliche Lokalgliederungen ausgetreten, weil sie sich zu einer Vorfeldorganisation der PP verwandelt hat.