BLN: Veranstaltung zu Kodierten Polizeizeugen

Zuhörerin 26.05.2006 01:32 Themen: Repression
Zwei kritische Juristen, ein Richter, ein Abgeordneter und eine Strafverteidigerin diskutierten am 23. Mai 2006 im KATO Berlin aus ihren unterschiedlichen Perspektiven, mit knapp 200 Leuten, die Rechtmäßigkeit und Legitimität der gängigen Praxis Berliner PolizeibeamtInnen in politischen Kontexten vor Gericht anonym zu erscheinen.
Das Spannungsfeld

Die Kritischen JuristInnen an der FU hatten sich entschieden diese Veranstaltung durchzuführen, um das Thema PolizeizeugInnen vor Gericht, aber auch generell die „Vergeheimdienstlichung“ von einfacher Polizeiarbeit weiterhin zu thematisieren und unter StrafverteidigerInnen populär zu machen. Nachdem es in Berlin einige Fälle von „Rechtsunsicherheit“ durch kodierte ZeugInnen (z.B. beim Verfahren gegen den Berliner Antifa Christian S. -  http://freechristian.gulli.to) gab und RichterInnen sowie StrafverteidigerInnen sich massiv in ihrer Arbeit behindert sahen, die Glaubwürdigkeit der anonymen PolizeizeugInnen zu prüfen, war es nötig einen öffentlichen Diskurs darüber zu führen bzw. erst einmal anzustoßen. Das haben sie geschafft.
In einem Punkt waren sich alle Podiumsteilnehmenden einig: Das außergewöhnliche Instrument der Innenverwaltung PolizeibeamtInnen in Gerichtsverfahren anonym auftreten zu lassen und sie von ihrer generellen Aussagepflicht zu befreien, wird zu oft und meist unhinterfragt angewandt. Dies verstößt gegen die postulierte Einzelfallprüfung der konkreten Gefahr die der BematIn tatsächlich droht, falls sie unter richtigem Namen vor Gericht erscheint. Obwohl Innensenator Körting in einer Kleinen Anfrage ( http://www36.websamba.com/Soligruppe/data/stuff/ka15-12975.pdf) behauptet das immer im Einzelfall geprüft werde ob eine Kodierung nötig sei, sagte ein LKA Einsatzleiter bei Gericht aus, dass seine BeamtInnen generell kodiert würden und anonym auftreten.

Was hat die Veranstaltung gebracht

Als konkretes Fazit ist nicht viel rausgekommen, aber gut das mal drüber geredet wurde. Volker Ratzmann möchte das Thema jedenfalls im Berliner Innenausschuss diskutieren und die Parlamentarische Kontrolle auf Polizeiarbeit erhöhen. Die StrafverteidigerInnen sollen sich bitte vernetzen und gemeinsam Fälle zusammentragen in denen Erfahrungen mit anonymen PolizeizeugInnen gemacht wurden und dann in ratzmann zukommen lassen. Nur so lässt sich mit dem Innensenat an konkreten Fakten diskutieren. Richter Faust fand das alles nicht großartig problematisch und verwies auf die Möglichkeit der RichterInnen bei schlechter Beweislage durch eingeschränkte Aussagegenehmigungen der ZeugInnen entsprechend auch nur eingeschränkt Urteile sprechen zu können, sprich Angeklagte freizusprechen sofern die Beweisaufnahme (dazu gehört auch die Glaubwürdigkeit der ZeugInnen überprüfen zu können) stark beeinträchtigt ist. Außerdem fand er ohnehin die Vorraussetzungen für Kodierungen in den seltensten Fällen gegeben und die Praxis „ein bisschen übertrieben“, da z.B. die Begründung, dass die spezielle Tätigkeit der LKA BeamtInnen nach ihrer Identifizierung nicht mehr ausgeübt werden kann, ansich nicht für eine Kodierung ausreicht.

Kurzer Ablauf und Knackpunkte

Die Veranstaltung begann mit erheblicher Verspätung weil Volker Ratzmann [Rechtspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus] wie so oft zu spät kam. Er hatte gehofft unerkannt an den beiden LKA Beamten vor dem KATO vorbeischlüpfen zu können, was ihm aber nicht gelang, da diese bis zum Ende ausharrten und fleißig mitnotierten wer alles die Veranstaltung besuchte. So weit wir das aus einem Gerichtsverfahren wissen, machen sie das aus rein persönlichem Interesse zum Gedächtnistraining ( http://de.indymedia.org/2005/12/134562.shtml). Na mal schauen in wie viel Jahren wir diese Notizen in den Akten wiederfinden..

Zunächst erläuterte die Strafverteidigerin Silke Studzinski die Umstände im Verfahren gegen Christian S. und Leila wegen Landfriedensbruch. Knackpunkt war hier der offensichtliche Auftrag zur Observation und Festnahme von Christian durch das Berliner LKA am 13. Februar in Dresden und die schon bei der Festnahme anonymisierten BeamtInnen. Die Anwältin beklagte sich über Einschränkungen der Verteidigungspflichten, Erkundigungen über die BeamtInnen zur Überprüfung ihrer Glaubwürdigkeit einholen zu können, welche durch die Sperrerklärung der Innenverwaltung (Anonymisierung der BeamtInnen und eingeschränktes Aussagegenehmigung) angeordnet wurde. Außerdem war auch bezeichnend, dass für die Sperrerklärung erst einmal eine konkrete Gefahr konstruiert werden musste, die sich dann in den Umständen des Verfahrens niederschlugen (Polizeischutz für die ZeugInnen, Sicherheitstrakt im Gericht), aber von den kodierten BeamtInnen im Verfahren selbst nicht wahrnehmbar war. Die Gleichsetzung der Gefährlichkeit des Jobs von „Verdeckten Ermittlern“ (mit Legende, falschen Papieren usw.) und einfachen LKA BeamtInnen mit Profilneurose hat nichts mit der Realität zu tun, sondern eher damit ganze politische Szenen per se als „gefährlich“ und die Arbeit gegen sie generell als „lebensbedrohlich“ zu deklarieren. Überhaupt sei „Gefahr“ ein „unbestimmter Rechtsbegriff“, der wie es beliebt eingesetzt würde. PolizeizeugInnen wird „am Amtsgericht Tiergarten ohnehin aus der Hand gefressen“ und von der Staatsanwaltschaft gedeckelt. Dadurch wird das Ungleichgewicht der Beweismittel durch die Praxis jetzt auch noch anonym vor Gericht zu erscheinen noch größer. Studzinski klagte erfolglos gegen die Sperrerklärung vor dem Verwaltungsgericht ( http://www36.websamba.com/Soligruppe/data/verwaltungsgericht_sperrerklaerung.htm).

Dr. Peter Faust [Vorsitzender des Deutschen Richterbundes in Berlin und Vorsitzender Richter am Landgericht] wolle nicht unfein sein und Kollegenschelte vermeiden, zumal mensch sich z. T. auf anderen „juristischen Kriegsschauplätzen“ tummle und er eher auf Hardcore-Kriminalität spezialisiert ist. Er hat zwar auch schon Landfriedensbrüche geahndet und findet es auch problematisch behelmte Polizeibeamte mit Steinen zu bewerfen, verweist aber dennoch auf die Verhältnismäßigkeit der Rechtssprechung. Überhaupt müssen sich die Maßnahmen wir Telekommunikationsüberwachung usw. an der zu verfolgenden Kategorie der Straftat orientieren. Dahingehend ist er mit den Gesetzen zufrieden, weil dort diese Abstufung vorgenommen wird (zumindest hatte er „immer das Gefühl, dass es funktioniert“). Er bat darum bei Problemen mit den Gesetzen sich bitte an Bundestagsabgeordnete zu wenden, da er nur Rechtsanwender ist. Gemeinhin ist es nämlich so, dass Maßnahmen möglicherweise rechtmäßig sind, aber noch lange nicht legitim – und das sei der Punkt wo eine kritische Masse ansetzen könnte.
Prinzipiell ist er gegen die Bevorzugung von PolizeizeugInnen, da diese wie andere auch Lügen bis sich die Balken biegen und hoffentlich bald ihre privilegierte Stellung durch eine Kennzeichnungspflicht verlieren. Sperrerklärungen sind Sache der Verwaltungsgerichte – Strafgerichte können die Vorraussetzungen (z.B. Gefahr für die ZeugInnen) nicht prüfen. Auch Verwaltungsgerichte sollten aber in der Lage sein, die Begründungspflicht für das Bedrohungsgefühl ganzer LKA Einheiten zu fordern. Sofern die Beweisaufnahme umfangreich und der Leumund der ZeugInnen (Vorstrafenregister) prinzipiell erfragbar ist, hat er kein Problem mit kodierten Zeugen mit eingeschränkter Aussagegenehmigung. Sobald sich allerdings ein Urteil allein auf die nicht überprüfbare Aussage von anonymen ZeugInnen richtet wird es problematisch und ein Urteil ist nicht zu sprechen. Obwohl er auch der Ansicht ist, dass „Freisprüche die falschesten Urteile sind“.
Den Großen Lauschangriff hält er für harmlos (zufällig saß er mal in einer Kommission zur Überprüfung dessen Wirksamkeit), da dieser weltweit zu genau einer Verurteilung geführt hat und eher Stoff für Überwachungsfetischisten und gute Kriminalromane ist. Andere Formen Polizeilicher Arbeit sind viel weniger rechtlich reglementiert und kontrollierbar – damit meint er die Telefonüberwachung bei der Deutschland weltweit an Nr. 1 steht. Faust gibt als einziger wenigstens ein paar brauchbare Tipps: „Wenn die Damen und Herren Kriminelle nicht so bescheuert wären und anfangen würden weniger zu telefonieren, wäre es um einiges schwieriger“.

Volker Ratzmann [Rechtspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus] fand das politische Signal der Innenverwaltung die linke oder rechte Szene prinzipiell als „gefährlich“ und daher die ZeugInnen gegen sie „gefährdet“ einzustufen ungerecht und antidemokratisch. Eben weil er an „rechtstaatlichen Verfahren interessiert“ ist und eine Stimmungsmache gegen politische Strömungen durch falsche Gefährdenprognosen dem nicht dient, sondern eher RichterInnen und Schöfen negativ beeinflusst. Diese „Gefährdungszuweisungen“ sind politischer Natur und werden zur Durchsetzung neuer geheimdienstlicher Praktiken der Polizei gegen diese Szenen gebraucht. Die Situation für das Abgeordnetenhaus stellt sich derzeit so dar, dass die neuen Methoden (Überwachung usw.) der Polizei unkontrollierbar sind und bisher nur an der Geldfrage scheitern. Die Polizei ist aber, ausschließlich durch die Öffentlichkeit kontrollierbar – dies ist aufgrund zunehmender „Vergeheimdienstlichung“ zur Zeit gefährdet. Die polizeiliche Amtsweitung für eine perfekte Kriminalitätsbekämpfungseffizienz blendet die realen Bedingungen und auch die Grundrechte der BürgerInnen völlig aus. Aber das sei alles nicht von Belang, da er als Oppositionspolitiker im Abgeordnetenhaus gegen Innensenator Körting wenig machen könne – die Linkspartei sollte mensch da „bisschen mehr treten“. Als die Forderung aus dem Publikum kam auch mal zu fordern die Sondereinheiten des LKA PMS (Politisch Motivierte Straßengewalt) und OGJ (Operative Gruppe Jugendgewalt) aufzulösen verwies er darauf zu wenig Material über die Rechtsbrüche der Einheiten zu haben, würde sich dem aber annehmen wenn ihm StrafverteidigerInnen zuarbeiten würden. Er plädiert für eine kritische links-liberale Öffentlichkeit, die sich dem Thema annimmt und so Veränderung aus einer anderen Ebene herausfordert.
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Ergänzungen

Ein anderer Aspekt ....

Grobi 26.05.2006 - 10:50
Ein ganz anderer und simpler Grund sich polizeilicherseits zu codieren ist natürlich die eigenen Gesetzesbrüche zu ermöglich und zu deckeln .... Also in etwa derselbe Grund, warum Menschen sich mitunter ja auch vermummen. Wer meint die Einschätzung sei überzogen, sollte mal die Skandälchen (die bekanntgewordenen) rund ums Berliner LKA revue passieren lassen bzw. sich noch mal den Artikel aus der schon etwas älteren Solibroschüe zu Gemüte führen:  http://www.nadir.org/nadir/archiv/Repression/berlin2005/07_polizei.html

Es grüsst Grobi

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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heiss heiss

Sanfti 26.05.2006 - 16:01
da scheint es ja heiss hergegangen zu sein, bei der Veranstaltung. Die gegensätzlichen Interessen sind aufeinandergeprallt, dass die Wände gewackelt haben.
Das war also die zweite Folge der Veranstaltungsreihe: der linke Staatsbürger macht sich Sorgen und diskutiert mit seiner Obrigkeit.

tach sanfti

softi 26.05.2006 - 18:27
Extra für dich noch mal zur Information: es wurde nicht mit der Obrigkeit diskutiert weil sich jemand Sorgen macht. Das Ziel war es dem "Rechtsstaat" dadurch Sand ins Getriebe zu streuen indem er sich an seinen inneren Widersprüchen abreibt. Gleichzeitig sollte die vollkrass autonome Szene, zu der du vermutlich gehörst, Rückenwind aus dem bürgerlichen Spektrum bekommen. Dein Vergleich mit der Glietsch Veranstaltung ist genauso lächerlich wie die KonspiKaputze mit der du immer zum Bäcker gehst.