Studentenproteste von Uni und FH in Gießen
Ein kleiner Augenzeugenbericht über die tragischen Vorfälle bei der friedlichen Studentendemo
An der Fachhochschule Giessen war für heute, 13 Uhr, eine Kundgebung vor dem Hauptgebäude angesetzt, von dem aus sich ein mehr oder weniger spontaner - jedenfalls nicht angemeldeter - Zug aus etwa 400 Demonstranten mit Transparenten und Pfeifen auf dem 30 minütigen Weg ins Schiffenberger Tal machte, um sich dort mit den Leuten der Universität, die sich während ihrer Vollversammlung ebenfalls mobilisierten, auf der großen Kreuzung vor dem Burger King zusammen zu schließen. Die Polizei war durch die Ereignisse aus Marburg und Frankfurt, wo Autobahnen blockiert wurden, sensibilisiert und schaffte es, uns mit einer Straßensperre vor der Autobahnanschlussstelle zur A485, Giessen Schiffenberger Tal, zu stoppen.
Wir hatten Megaphone und Bongos, waren trotz der Regenschauer motiviert und laut. Ich war an vorderster Front und hab mit entschlossenem Auftreten in meinen Mitstreitern Mut und in meinen Gegenübern in grC;n Respekt wecken wollen. "Wir sind hier, wir sind laut - weil man uns die Bildung klaut!", rief ich. "Wir sind friedlich, was seid ihr?!", riefen andere. Es gab kleine Rangeleien neben mir, als ein paar Jungs hinter ihrem Transpi gegen die Reihen der Polizei Druck machte. Mit festem Blick und verschränkten Armen stand ich einem Polizisten gegenüber, der zwar einen Kopf kleiner als ich war, aber mir ganz cool sagte: "Versucht's besser nicht!" Ich hab ihn dann freundlich zum "Campus Camping" an der Uni für's Wochenende eingeladen und ihm Flyer mit den nächsten Aktionen, zum Verteilen unter seinen Kollegen, angeboten. Wir kamen ins Gespräch und es war klar, dass wir auf einer Seite stehen. So hatten wir uns sogar für heute Abend zum Feiern am Sportler-Fest verabredet! Seine jungen Kollegen waren auch in Ordnung - wir wollten keinen Stress. Nur innerhalb der Demonstration machte sich ein gewisser Frust breit, da das Ziel, die Autobahn, wohl nicht mehr erreicht werden konnte. Durchs Megaphon war eine anspornende Stimme zu hören. Es war die Rede davon, dass einer von uns von nem Polizeihund gebissen wurde - das kann ich nicht bestätigen. Auf Frust folgte Ratlosigkeit, dann aber Tatendrang und wir zogen zurück, Richtung Innenstadt, um diese Niederlage auszugleichen.
Auf dem Weg liefen einzelne Uniformierte zwischen und mit uns, unterhielten sich mit Bekannten oder diskutierten über Politik. Das war ein schönes Bild! Nach vorne hin fuhren Mannschaftswagen und regelten bzw. sperrten den Verkehr. Mich sprach ein Kommilitone an, was wohl nun Plan ist, und ob wir nicht kurzerhand den beschrankten Bahnübergang besetzten sollten, der wichtiger Punkt für die Verbindung der Innenstadt mit besagtem Autobahnanschluss darstellt. Ich hatte Zweifel und dachte an die große Masse mit Geschwindigkeit von Zügen und die damit verbundene Gefahr. Die Polizei hat doch die Pflicht, uns zu schützen, wie sie es beim Straßenverkehr auch macht, war wohl der Grundtenor.
Mir fiel ein junger Mann auf, der aufgebracht auf einen älteren Polizisten vor mir einredete:
"Dich interessiert's doch gar nicht! - Diesen Sommer machen wir unserem Ärger Luft! - Wirst schon sehen!"
Der Polizist hatte die Ruhe weg und entgegnete:
"Ich hör das seit 27 Jahren, das wird sich diesmal auch nicht ändern."
"Dann war das Ihr letztes Jahr..." (den Rest hab ich nicht verstanden - weiß nicht, wie's oder ob's als Drohung gemeint war - er wollte sich eben behaupten)
Die beiden trennten sich und gingen weiter.
Als wir am Bahnübergang waren, stoppten die Leute vor uns und riefen dazu auf, sich auf den Gleisen niederzulassen. Ich trat vor und stellte mich mit meinen Freunden zwischen die andern und verfolgte das Geschehen. Sofort trat der Polizist mit dem Megaphon vor und rief uns dazu auf die Gleise zu räumen. Er sprach davon, dass er nicht so schnell veranlassen könne, dass die Strecke gesperrt würde und wir damit uns und andere gefährden würden. Wir sollten darüber nachdenken, was ein Zug für einen Halteweg hat. Er machte uns ein bisschen nervös, schaffte es aber nicht, uns einzuschüchtern. Dem zum Trotz setzten sich einige hin. Unter meinen Leuten gab es entspannte Gespräche, wir beruhigten uns, aber blieben stehen. Als sich nach wenigen Minuten die Lichter blinkten, die Glocke schellte und sich die Schranken schlossen, folgte ein weiterer Appell des Polizisten an uns, von den Gleisen zu gehen. Ich konnte keine Aufregung in seiner Stimme erkennen und hielt das Ganze für einen Bluff. Ich stellte mir vor, wie sie versuchen, uns reinzulegen, indem sie am Schaltkasten die Schranken manuell runterließen. Ich war hin und hergerissen: Einerseits wollte ich, dass sich die Leute beruhigen und nicht verarschen lassen und zusammen bleiben, andererseits war ich nervös, da ich nicht wusste aus welcher Richtung ein Zug kommen könnte. Zusätzlich beunruhigend war, dass zur einen Seite ein Transparent hochgehalten wurde, das für die meisten die Sicht auf den Streckenverlauf nahm. Und dahinter verschwanden die Gleise nach ca. 50m in einer Rechtskurve hinter dem Gebüsch. Ich versuchte, zwischen einem ausgefetzten Loch in dem Laken durchzusehen, ließ es aber bald bleiben, um mir keine Unsicherheit anmerken zu lassen. So konnte ich mich weder dazu durchringen, Sprechchöre anzustimmen, um zu Geschlossenheit aufzurufen damit sich die Lücken füllen, oder sich die Leute sogar hinsetzen. Noch konnte ich vom Gleis gehen und damit dem Ruf meiner Angst Folge leisten. Immerhin habe ich mich mutig gegen die, mit Schutzausrüstung und Schlagstock gewappneten Gegner gestellt. Da konnte ich jetzt nicht einfach den Schwanz einziehen und meine Truppe demoralisieren.
So blieb ich ruhig stehen und fixierte den Beamten mit dem Megaphon, um seine Gefühle lesen zu können, bis plötzlich einer alarmierend schrie: "Da kommt ein Zug!!" Ich wurde elektrisiert. Die Reaktion der Vorderen, die schon auseinader sprangen, auf die Warnung kam in meinem Bewusstsein zusammen mit diesen Worten und dem Bild, der aus der Kurve schnellenden, roten Lok und ihrem Warnpfiff an. Flucht! Meine Freunde (einer sogar mit Fahrrad) haben's schneller als ich geschafft und waren schon sicher, doch als ich zur Seite Sprang waren noch immer zu viele (vielleicht 6 Menschen) im Gefahrenbereich, dass ich während meinem Satz schon erkannte, dass die Zeit nicht mehr für alle reichen konnte. Diese waren zum Zeitpunkt der Warnung gesessen, was einem von ihnen zum Verhängnis wurde. Auf den letzten Metern der anrauschenden Lok schafften sie es, die Füße auf den Boden zu bekommen und zur Seite zu hechten. Einer flog knapp noch vor den Metallplatten der Schneeräumer (?) hinter der Lok weg, der andere, der in meine Richtung sprang, hatte seine Beine nicht rechtzeitig weggebracht und ist vom Gestell am Schienbein getroffen worden.
Die Bilder in meinem Kopf sind noch immer nicht richtig fassbar. Man muss sich klarmachen, wie knapp wir nur diesem schweren, schnellen Eisenungetüm entkommen sind und welche Bedrohung für den eigenen Leib ein Zusammenstoß bedeutet! Das Ding kommt angerauscht und schickt eine Welle von Angst und Panik unsichtbar voraus, die jeder empfängt, der sich in der Spur des Zuges befindet. Je näher der bedrohliche Körper kommt, desto größer ist die Angst, das unbedingte Verlangen, da nur weg zu kommen. Diese Angst bestand bei mir nur aus der eingebildeten Erfahrung, vom Zug getötet zu werden, die Ordnung meines Körpers beim Aufprall zu verlieren.
Im Auslauf hörte ich, wie er schrie, sah wie er sich das Bein hält und seine aufgerissene Hose den offenen Bruch unter dem linken Knie zeigt. Ich erkannte ihn sofort wieder: Es war der Aufgebrachte, der sich mit dem Polizisten gestritten hat. Schnell habe ich mich weggedreht und mir sofort an den Kopf gefasst, welch Hirnrissige Aktion das war und wie schrecklich dumm wir alle sind. Ich war so getroffen von dem Ereignis und meiner Erkenntnis, dass ich es schwer bereut habe, den Starken zu markieren. Es tat mir so Leid, ich war wütend auf uns und habe laut geflucht. Ich bin zu meinen Freunden, die, Gott sei Dank, alle unversehrt waren, hab einem die Hand auf die Schulter gelegt und nur den Kopf geschüttelt. Die verteilte Menge war entsetzt über dieses Unglück, schockiert. Der junge Mann wurde schnell von den Umstehenden und Polizisten versorgt - wobei auch der geholfen hat, auf den es der Verletzte noch 15 Minuten vorher abgesehen hatte. Wir standen aufgelöst in der Nähe und verweilten noch einige Zeit bis der Krankenwagen kam. Ich wollte noch solange bleiben, bis sie ihn wegbringen. Meine Freunde gingen nach hause.
Kurz danach rief einer dazu auf, zu bleiben, das nicht umsonst geschehen lassen zu haben. Er richtete Vorwürfe gegen die Polizei, die uns nicht auf die Autobahn ließ und den Zugverkehr nicht gestoppt hat. Einige gaben Widerworte und gingen auch nach hause. Etwas später wurde direkt am Verletzten einer (vielleicht ein Helfer) laut und prangerte aufgebracht die Polizei an. Ich ging und fiel meiner Freundin zu hause mit Tränen in den Augen in die Arme. Auf dem Heimweg begriff ich, welch ein Glück ich hatte, dass meinen Freunden nichts passiert ist und kämpfte mit den Tränen. Ich kann Gott nur dafür danken, dass er uns alle den Fängen des Todes entrissen hat und uns mit dieser harten Lektion bestraft hat. Welche Lehre die anderen daraus ziehen, wird sich zeigen.
Ich hoffe, den anderen ist auch klargeworden, welch kostbares Gut das Leben ist und wie dankbar wir sein dürfen, dass es heute niemand verloren hat. Wie viel die Polizei daran Schuld ist, will ich mir nicht anmaßen zu urteilen - ich kann nur fragen. Da der Zug vom Bahnhof gekommen ist, könnte man sagen, dass die Zeit vielleicht gereicht hätte, die Bahnhofskontrolle, oder den Zugführer zu warnen. Aber wie dumm waren wir, auf die Gleise zu gehen und uns darauf zu verlassen? Was machte bloß die 30 Leute zwischen den Schranken so sicher, dass die Kommunikationskette in der Zeit (vielleicht 5-15 Minuten - hab nicht aufgepasst) wirklich den Zugführer erreicht und er den Zug bis dahin stoppen kann? Kann man der Polizei den Vorwurf machen, sie hätte uns nicht geschützt und im Fall der verspäteten oder unmöglichen Warnung an den Zugführer versäumt, das Gleis zu räumen? Hatte der Einsatzleiter genug Kräfte zur Stelle? Hätte sie uns eindringlicher warnen oder drohen sollen? War das ganze vielleicht sogar fahrlässig mit böser Absicht, wie ich es inzwischen von manchen schon gehört habe?
Da man in Deutschland immer einen Schuldigen braucht, werden diese Fragen wohl noch öfter gestellt werden. Ich persönlich finde, die Polizei sollte dafür nicht bestraft oder angeprangert werden. Alle Beteiligten haben einen ordentlichen Schrecken davongetragen und jeder kann froh sein, dass nichts schlimmeres passiert ist. Sollte von Seiten der Studenten der Vorfall instrumentalisiert werden oder von Seiten der Staatsanwaltschaft gegen uns ermittelt werden, würde ich bedauern, dass der erzieherische Wert verkannt wurde (Stimmungsmache!). Würde ich morgen meinen Eltern erzählen, dass wir uns bei geschlossenen Schranken auf ein Gleis gestellt haben und dabei fast draufgegangen wären, könnte ich mit meinen 21 Jahren noch eine saftige Ohrfeige erwarten!
Wir hatten Megaphone und Bongos, waren trotz der Regenschauer motiviert und laut. Ich war an vorderster Front und hab mit entschlossenem Auftreten in meinen Mitstreitern Mut und in meinen Gegenübern in grC;n Respekt wecken wollen. "Wir sind hier, wir sind laut - weil man uns die Bildung klaut!", rief ich. "Wir sind friedlich, was seid ihr?!", riefen andere. Es gab kleine Rangeleien neben mir, als ein paar Jungs hinter ihrem Transpi gegen die Reihen der Polizei Druck machte. Mit festem Blick und verschränkten Armen stand ich einem Polizisten gegenüber, der zwar einen Kopf kleiner als ich war, aber mir ganz cool sagte: "Versucht's besser nicht!" Ich hab ihn dann freundlich zum "Campus Camping" an der Uni für's Wochenende eingeladen und ihm Flyer mit den nächsten Aktionen, zum Verteilen unter seinen Kollegen, angeboten. Wir kamen ins Gespräch und es war klar, dass wir auf einer Seite stehen. So hatten wir uns sogar für heute Abend zum Feiern am Sportler-Fest verabredet! Seine jungen Kollegen waren auch in Ordnung - wir wollten keinen Stress. Nur innerhalb der Demonstration machte sich ein gewisser Frust breit, da das Ziel, die Autobahn, wohl nicht mehr erreicht werden konnte. Durchs Megaphon war eine anspornende Stimme zu hören. Es war die Rede davon, dass einer von uns von nem Polizeihund gebissen wurde - das kann ich nicht bestätigen. Auf Frust folgte Ratlosigkeit, dann aber Tatendrang und wir zogen zurück, Richtung Innenstadt, um diese Niederlage auszugleichen.
Auf dem Weg liefen einzelne Uniformierte zwischen und mit uns, unterhielten sich mit Bekannten oder diskutierten über Politik. Das war ein schönes Bild! Nach vorne hin fuhren Mannschaftswagen und regelten bzw. sperrten den Verkehr. Mich sprach ein Kommilitone an, was wohl nun Plan ist, und ob wir nicht kurzerhand den beschrankten Bahnübergang besetzten sollten, der wichtiger Punkt für die Verbindung der Innenstadt mit besagtem Autobahnanschluss darstellt. Ich hatte Zweifel und dachte an die große Masse mit Geschwindigkeit von Zügen und die damit verbundene Gefahr. Die Polizei hat doch die Pflicht, uns zu schützen, wie sie es beim Straßenverkehr auch macht, war wohl der Grundtenor.
Mir fiel ein junger Mann auf, der aufgebracht auf einen älteren Polizisten vor mir einredete:
"Dich interessiert's doch gar nicht! - Diesen Sommer machen wir unserem Ärger Luft! - Wirst schon sehen!"
Der Polizist hatte die Ruhe weg und entgegnete:
"Ich hör das seit 27 Jahren, das wird sich diesmal auch nicht ändern."
"Dann war das Ihr letztes Jahr..." (den Rest hab ich nicht verstanden - weiß nicht, wie's oder ob's als Drohung gemeint war - er wollte sich eben behaupten)
Die beiden trennten sich und gingen weiter.
Als wir am Bahnübergang waren, stoppten die Leute vor uns und riefen dazu auf, sich auf den Gleisen niederzulassen. Ich trat vor und stellte mich mit meinen Freunden zwischen die andern und verfolgte das Geschehen. Sofort trat der Polizist mit dem Megaphon vor und rief uns dazu auf die Gleise zu räumen. Er sprach davon, dass er nicht so schnell veranlassen könne, dass die Strecke gesperrt würde und wir damit uns und andere gefährden würden. Wir sollten darüber nachdenken, was ein Zug für einen Halteweg hat. Er machte uns ein bisschen nervös, schaffte es aber nicht, uns einzuschüchtern. Dem zum Trotz setzten sich einige hin. Unter meinen Leuten gab es entspannte Gespräche, wir beruhigten uns, aber blieben stehen. Als sich nach wenigen Minuten die Lichter blinkten, die Glocke schellte und sich die Schranken schlossen, folgte ein weiterer Appell des Polizisten an uns, von den Gleisen zu gehen. Ich konnte keine Aufregung in seiner Stimme erkennen und hielt das Ganze für einen Bluff. Ich stellte mir vor, wie sie versuchen, uns reinzulegen, indem sie am Schaltkasten die Schranken manuell runterließen. Ich war hin und hergerissen: Einerseits wollte ich, dass sich die Leute beruhigen und nicht verarschen lassen und zusammen bleiben, andererseits war ich nervös, da ich nicht wusste aus welcher Richtung ein Zug kommen könnte. Zusätzlich beunruhigend war, dass zur einen Seite ein Transparent hochgehalten wurde, das für die meisten die Sicht auf den Streckenverlauf nahm. Und dahinter verschwanden die Gleise nach ca. 50m in einer Rechtskurve hinter dem Gebüsch. Ich versuchte, zwischen einem ausgefetzten Loch in dem Laken durchzusehen, ließ es aber bald bleiben, um mir keine Unsicherheit anmerken zu lassen. So konnte ich mich weder dazu durchringen, Sprechchöre anzustimmen, um zu Geschlossenheit aufzurufen damit sich die Lücken füllen, oder sich die Leute sogar hinsetzen. Noch konnte ich vom Gleis gehen und damit dem Ruf meiner Angst Folge leisten. Immerhin habe ich mich mutig gegen die, mit Schutzausrüstung und Schlagstock gewappneten Gegner gestellt. Da konnte ich jetzt nicht einfach den Schwanz einziehen und meine Truppe demoralisieren.
So blieb ich ruhig stehen und fixierte den Beamten mit dem Megaphon, um seine Gefühle lesen zu können, bis plötzlich einer alarmierend schrie: "Da kommt ein Zug!!" Ich wurde elektrisiert. Die Reaktion der Vorderen, die schon auseinader sprangen, auf die Warnung kam in meinem Bewusstsein zusammen mit diesen Worten und dem Bild, der aus der Kurve schnellenden, roten Lok und ihrem Warnpfiff an. Flucht! Meine Freunde (einer sogar mit Fahrrad) haben's schneller als ich geschafft und waren schon sicher, doch als ich zur Seite Sprang waren noch immer zu viele (vielleicht 6 Menschen) im Gefahrenbereich, dass ich während meinem Satz schon erkannte, dass die Zeit nicht mehr für alle reichen konnte. Diese waren zum Zeitpunkt der Warnung gesessen, was einem von ihnen zum Verhängnis wurde. Auf den letzten Metern der anrauschenden Lok schafften sie es, die Füße auf den Boden zu bekommen und zur Seite zu hechten. Einer flog knapp noch vor den Metallplatten der Schneeräumer (?) hinter der Lok weg, der andere, der in meine Richtung sprang, hatte seine Beine nicht rechtzeitig weggebracht und ist vom Gestell am Schienbein getroffen worden.
Die Bilder in meinem Kopf sind noch immer nicht richtig fassbar. Man muss sich klarmachen, wie knapp wir nur diesem schweren, schnellen Eisenungetüm entkommen sind und welche Bedrohung für den eigenen Leib ein Zusammenstoß bedeutet! Das Ding kommt angerauscht und schickt eine Welle von Angst und Panik unsichtbar voraus, die jeder empfängt, der sich in der Spur des Zuges befindet. Je näher der bedrohliche Körper kommt, desto größer ist die Angst, das unbedingte Verlangen, da nur weg zu kommen. Diese Angst bestand bei mir nur aus der eingebildeten Erfahrung, vom Zug getötet zu werden, die Ordnung meines Körpers beim Aufprall zu verlieren.
Im Auslauf hörte ich, wie er schrie, sah wie er sich das Bein hält und seine aufgerissene Hose den offenen Bruch unter dem linken Knie zeigt. Ich erkannte ihn sofort wieder: Es war der Aufgebrachte, der sich mit dem Polizisten gestritten hat. Schnell habe ich mich weggedreht und mir sofort an den Kopf gefasst, welch Hirnrissige Aktion das war und wie schrecklich dumm wir alle sind. Ich war so getroffen von dem Ereignis und meiner Erkenntnis, dass ich es schwer bereut habe, den Starken zu markieren. Es tat mir so Leid, ich war wütend auf uns und habe laut geflucht. Ich bin zu meinen Freunden, die, Gott sei Dank, alle unversehrt waren, hab einem die Hand auf die Schulter gelegt und nur den Kopf geschüttelt. Die verteilte Menge war entsetzt über dieses Unglück, schockiert. Der junge Mann wurde schnell von den Umstehenden und Polizisten versorgt - wobei auch der geholfen hat, auf den es der Verletzte noch 15 Minuten vorher abgesehen hatte. Wir standen aufgelöst in der Nähe und verweilten noch einige Zeit bis der Krankenwagen kam. Ich wollte noch solange bleiben, bis sie ihn wegbringen. Meine Freunde gingen nach hause.
Kurz danach rief einer dazu auf, zu bleiben, das nicht umsonst geschehen lassen zu haben. Er richtete Vorwürfe gegen die Polizei, die uns nicht auf die Autobahn ließ und den Zugverkehr nicht gestoppt hat. Einige gaben Widerworte und gingen auch nach hause. Etwas später wurde direkt am Verletzten einer (vielleicht ein Helfer) laut und prangerte aufgebracht die Polizei an. Ich ging und fiel meiner Freundin zu hause mit Tränen in den Augen in die Arme. Auf dem Heimweg begriff ich, welch ein Glück ich hatte, dass meinen Freunden nichts passiert ist und kämpfte mit den Tränen. Ich kann Gott nur dafür danken, dass er uns alle den Fängen des Todes entrissen hat und uns mit dieser harten Lektion bestraft hat. Welche Lehre die anderen daraus ziehen, wird sich zeigen.
Ich hoffe, den anderen ist auch klargeworden, welch kostbares Gut das Leben ist und wie dankbar wir sein dürfen, dass es heute niemand verloren hat. Wie viel die Polizei daran Schuld ist, will ich mir nicht anmaßen zu urteilen - ich kann nur fragen. Da der Zug vom Bahnhof gekommen ist, könnte man sagen, dass die Zeit vielleicht gereicht hätte, die Bahnhofskontrolle, oder den Zugführer zu warnen. Aber wie dumm waren wir, auf die Gleise zu gehen und uns darauf zu verlassen? Was machte bloß die 30 Leute zwischen den Schranken so sicher, dass die Kommunikationskette in der Zeit (vielleicht 5-15 Minuten - hab nicht aufgepasst) wirklich den Zugführer erreicht und er den Zug bis dahin stoppen kann? Kann man der Polizei den Vorwurf machen, sie hätte uns nicht geschützt und im Fall der verspäteten oder unmöglichen Warnung an den Zugführer versäumt, das Gleis zu räumen? Hatte der Einsatzleiter genug Kräfte zur Stelle? Hätte sie uns eindringlicher warnen oder drohen sollen? War das ganze vielleicht sogar fahrlässig mit böser Absicht, wie ich es inzwischen von manchen schon gehört habe?
Da man in Deutschland immer einen Schuldigen braucht, werden diese Fragen wohl noch öfter gestellt werden. Ich persönlich finde, die Polizei sollte dafür nicht bestraft oder angeprangert werden. Alle Beteiligten haben einen ordentlichen Schrecken davongetragen und jeder kann froh sein, dass nichts schlimmeres passiert ist. Sollte von Seiten der Studenten der Vorfall instrumentalisiert werden oder von Seiten der Staatsanwaltschaft gegen uns ermittelt werden, würde ich bedauern, dass der erzieherische Wert verkannt wurde (Stimmungsmache!). Würde ich morgen meinen Eltern erzählen, dass wir uns bei geschlossenen Schranken auf ein Gleis gestellt haben und dabei fast draufgegangen wären, könnte ich mit meinen 21 Jahren noch eine saftige Ohrfeige erwarten!
NEINZUSPAM.ralph@grasundh.eu
http://www.hr-online.de/website/fernsehen/sendungen/index.jsp?key=standard_document_22500334&rubrik=3058&seite=1#titel2
Weitere Beiträge:
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Ergänzungen
Kleine Berichtigung
bei allem Verständnis für deine Betroffenheit in dieser Situation (ging mir
und vielen anderen auch so), finde ich deinen Bericht viel zu harmonisierend. Du schreibst, die Bullen hätten bei der Versorgung des
Verletzten geholfen.- Von wegen, die hatten nicht mal nen Verbandskasten parat. Ohne das vorbildliche Eingreifen der DemoSanis - Respekt und Dank an Euch!!!- wär die Sache vielleicht noch schlimmer ausgegangen...
Wir könnten jetzt stundenlang wegen der Streckenabsicherung streiten, aber
für mich ist die "Lehre" aus dieser mißlungenen Aktion, ohne dass ich auf irgendein metaphysisches Wesen oder dessen vermeintliche Gnade ausweichen muss, dass wir uns besser organisieren und für unsere Sicherheit
auf Demos selber Sorgen müssen. Also, beim nächsten mal Bezugsgruppen bilden und in denen die Risiken offen diskutieren. Nicht passiv bleiben -
aktiv eingreifen !!!Sich nicht auf den Staat und seine Agenten verlassen!!!
Hundebiss
Es ist sowieso der Hammer, dass die Polizei schon im Vorfeld mit Hunden in den Uni-Gebäuden auftaucht: schon von Anfang an Präsenz zeigen und einschüchtern. Und dann kam es zu diesem Biss aus einer völlig harmlosen Situation heraus.
Ein paar Menschen mit Transpis hatten sich wohl nach Meinung der Polizei zu weit vor gewagt, und da hat einer der Hundeführer den Hund an der langen Leine gehabt (was für den das Signal ist, loszulegen) und der biss einen Studenten dann in die Seite. Zum Glück nicht schlimm getroffen, kam wohl ohne große ärztliche Behandlung davon. Aber der Hundeführer meinte hinterher nur lapidar: "Ich hab dir doch gesagt, du sollst stehenbleiben.", zog sich hinter die Bullenreihe zurück und wurde nicht mehr gesehen. Einige Studis versuchten, an ihn ranzukommen, baten seine Kollegen, ihn zurückzuholen oder mit ihm reden zu können, aber die schalteten natürlich auf stur (Bullen sind eben unantastbar).
Wenn es unabhängige Gerichte gäbe, hätte eine Anzeige gegen diesen unverantwortlichen Typen sicher Erfolg. Da das aber nicht der Fall ist, möchte der Student nicht in die Öffentlichkeit treten, weil er Gegenmaßnahmen der Polizei fürchtet. Wer es noch nicht weiß: oft reagiert die Polizei auf Anzeigen mit Gegenanzeigen, bei denen sie dann mit irgendwelchen ausgedachten Vorwürfen oder Lappalien wie Beleidigung etc. die Angegriffenen zu kriminalisieren versuchen - meist gelingt das auch.
Ich finde die Emotionalität dieses Artikels auch zuviel für dieses Medium. Ich denke zwar auch oft, dass gerade linke Zusammenhänge zu poserig und gefühllos agieren (wie an den Kommentaren zu sehen), aber für die Polizei z.B. ist so ein Artikel das gefunde Fressen, von wegen die Einsatzkräfte entschuldigen, bei der Freundin weinend Schutz suchen und sich von den Eltern Ohrfeigen lassen. Das klingt sehr nach demütiger Obrigkeitsachtung und sollte nicht in so einem öffentlichen Medium auftauchen. Cool aber, dass der Verfasser noch relativ locker auf die Kommentare reagiert hat...
Als Ergänzung zu diesem Artikel wünsche ich mir noch mehr Beiträge von Leuten, die dabei waren..!
(muss ausgefüllt werden)
- Warum die Züge blockieren? Züge sind ein umweltfreundliches Verkehrsmittel, es macht aus gesamtgesellschaftlicher Sicht keinen Sinn sie zu blockieren. Auch aus Effizienzgründen nicht --- ein Zug hat normalerweise weniger Mitfahrer als eine Innenstadt zur Rushour Autos hat.
- Wenn man die Straße blockieren wollte ist es viel effektiver, sich vor und hinter den Schranken (NICHT dazwischen) zu setzen --- keine Gefahr durch Züge, zwei getrennte Gruppen, vier "Einschleichmöglichkeiten" am Bahndamm entlang ---> doppelter Räumaufwand
- Wenn man schon einen Zug blockieren will, geht das nicht ohne Planung. Was denkt ihr wieso bei Castortransporten noch nie Aktivisten mit Gruppen mit funktionierender Stoppergruppentaktik ( eine Gruppe gibt dem Fahrer ein Notsignal, eine zweite Gruppe verifiziert, das der Zug steht / Schritt fährt und die dritte Gruppe geht erst dann auf die Gleise, wenn die zweite OK gegeben hat ) verletzt wurden? Weil diese Taktik ziemlich sicher ist!
- Schienenblockaden an unübersichtlichen Stellen sind ohne Stopper erst recht unverantwortlich
- Die Polizei (oder Bullen, wie man will) stoppen die Züge nicht für uns, entweder weil die denken "wir bekommen die da schon noch runter" oder weil sie keine Möglichkeit sehen, das zu tun oder nicht wissen, wie. Wir müssen selber stoppen!
Nichtsdestotrotz können wir verstehen, wie so eine Situation entstehen kann --- da ist es dann an den erfahrenen Demonstranten, die "neuen" über die Gefahren aufzuklären und vernünftig auf diese einzuwirken.
Unser Beileid und baldige Genesung an den Verletzten!
@ Floh
Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen
Ojemine — ausgefüllt
Kommetar — Der Autor
Erlebniserzählung — BILDvabot
@ Autor — Pamela