Wagenplatz Riss+Lücke: Räumung und Demo

Riss und Lücke 24.05.2006 16:46 Themen: Freiräume
Ausführliche Infos zur Räumung und dem gestrigen Tag mit Demobericht.
Die Besetzer_Innengruppe wird entschlossen weiterkämpfen.
Am Morgen des 23.05.06 wurde der Wuppertaler Wagenplatz „Riss+Lücke“ am Mirke Bahnhof gegen 6.00 Uhr unter immensem Polizeiaufgebot, unter anderem mit einer Hundestaffel, geräumt.
(siehe  http://www.de.indymedia.org/2006/05/147890.shtml) Die fünf zur Feststellung der Personalien in Gewahrsam Genommenen Personen sind inzwischen wieder draußen, konnten sich jedoch im PG eine Menge Machosprüche anhören („Beweg dich was schneller, sonst verlässt du den Wagen waagerecht“, etc.)

Da es letzte Woche noch einen Briefwechsel zwischen Abgeordneten der Stadt Wuppertal und AURELIS gab, in dem AURELIS die Möglichkeit auf eine Duldung eröffnete, bis es von der Stadt ein Alternativgelände gebe, wurden die Bewohner_Innen von der Plötzlichkeit der Räumung relativ überrascht. Es wurde von großen Teilen der Gruppe für wahrscheinlich gehalten, dass es zumindest eine letzte Räumungsfrist geben werde, und nicht, wie geschehen, der Gerichtsvollzieher direkt mit dem Räumkommando anrückt.

Die Räumung hat somit sicherlich nicht dazu beigetragen, das Eskalationsniveau im Kampf um einen neuen Freiraum in Wuppertal niedrig zu halten.

Die rechtliche Besitzerin des Grundstücks, die Bahntochter AURELIS, die außer in der ersten Besetzungswoche konsequent jegliche Verhandlungen und Gesprächsangebote der Besetzter_Innen ausgeschlagen hat, hat sich bei der Räumung natürlich nicht blicken lassen.
Des Weiteren wird in dem Schreiben deutlich, dass ASSETIS bereits zu einer Zeit, als den Besetzer_Innen noch Gespräche über die weitere Nutzung zugesichert wurden, die Wuppertaler Polizei auf eine sofortige Räumung drängte. Diese verzögerte, trotz der wiederholten Aufforderung von ASSETIS die Räumung aber bis heute, da sie ein Vorgehen vor der Autonomen 1.Mai-Demo in Wuppertal für ungeschickt hielt.

Auch gab es auch bei der Räumung wieder keine stichhaltige Begründung der Verwaltung- und Besitzerfirmen AURELIS und ASSETIS für die Vertreibung der Menschen und ihrer Wägen am Mirke Bahnhof.
Die offensichtlich stereotypen Anschuldigungen und schlicht unwahren Begründungen im Gerichtsbeschluss zur Räumung lauten unter anderem im Wortlaut:

- „Durch das (...) Bauwagencamp (...) werden Anwohner und Besucher des Mirke Bahnhofs und der angrenzenden Flächen gestört und belästigt und fühlen sich durch die Antragsgegner bedroht.“

Dass es aus der Nachbarschaft gegenüber den Bewohnern_Innen ausschließlich positive Rückmeldungen und tagtäglich Besuche und Spenden gab, und heute während der Räumung offensichtlich geschockte Anwohner_Innen und sogar Tränen gab, wird natürlich nicht erwähnt.

- „Die Antragsgegner nutzen die Liegenschaft (...) nicht nur widerrechtlich zu Wohnzwecken, sie bieten darüber hinaus (...) unterschiedlichste Veranstaltungen an, mit denen insbesondere soziale Randgruppen auf die Liegenschaft (...) gelockt werden, z.B. durch das kostenlose Verteilen von Speisen.“

Hier wird die heute schon fast normale Vertreibungspolitik, die auf fast jedem öffentlichen Raum lastet, besonders deutlich. Alles was sich nicht kommerziell verwerten lässt, oder sich gar gegen die totale Kommerzialisierung stellt, soll konsequent im Keim erstickt werden. Das Projekt „Riss+Lücke“ wird hier Opfer genau der Linie, gegen die es sich stellt.

- In „der im Bahnhof befindlichen Tanzschule (...) beschwerte sich ein Gast über die dort herrschenden Zustände, insbesondere die Tatsache, dass er und seine Ehefrau bereits des öfteren von dunklen Gestalten, freilaufenden Kampfhunden, und umherliegendem Müll und Unrat belästigt worden sei.“

Abgesehen von stereotypen Beschreibungen mysteriöser „dunklen Gestalten“ besitzt die Gruppe gar keinen „Kampfhund“. Und leider haben mehrere Kofferraumladungen Müll, die von den Besetzer_Innen eingesammelt wurden, noch lange nicht ausgereicht, das früher als illegale Müllkippe genutzte Gelände zu säubern. Aber da die Besetzer_Innen das Gelände in den ursprünglichen Zustand zurückversetzten sollen, sieht sich die Gruppe gezwungen, demnächst eine Müllrückführungsaktion einzuleiten.

Die wirklichen Gründe für die Räumung liegen auf der Hand:
Die Bahn und ihre Tochterunternehmen sind als private bzw. teilprivate Unternehmen, die „natürlichen“ Gegner solcher Freiraumprojekte. Der Versuch von Menschen in einem Kollektiv eine größere Unabhängigkeit von Staat und Kapital, das heißt eine größere Selbstbestimmung zu erlangen, steht entgegen den Verwertungsinteressen, die im Kapitalismus ein privates Unternehmen haben muss. Der Mensch als Mensch bleibt mal wieder auf der Strecke.

Mit der Räumung wird „Riss und Lücke“ obdachlos.

Einem kulturellen Wohn- und Lebensprojekt, mit antirassistischen und antisexistischen Anspruch wurde die Grundlage entzogen. Menschen wurden der Perspektive beraubt, ein Leben in der Gemeinschaft ohne soziale und finanzielle Unterschiede zu führen.

Angesichts dieser Tatsache fordert „Riss und Lücke“ die Stadt Wuppertal auf, ein Alternativgelände für die Wohngemeinschaft zur Verfügung zu stellen, und darauf den Zugang zu Strom und Wasser zu gewährleisten, um eine breitere technische Grundlage für Veranstaltungen zu ermöglichen. Diese Forderungen wurden während einer Demonstration am Abend des Räumungstages von ca. 120 Unterstützer_Innen auf die Straße getragen.

Die Demo verlief peacig, wurde jedoch in der Wuppertaler Innenstadt mehrfach von in der Fußgängerzone anwesenden Nazis gestört, die von den Cops geschützt werden mussten. Auf der Strasse zum Mirke Bahnhof grüßten etliche Anwohner_Innen die Demo aus den Fenstern. Die Endkundgebung verlagerte sich dann spontan auf das nun wieder brachliegende Gelände von „Riss+Lücke“, als die 120 Demonstrant_Innen plötzlich an den verdutzten Bereitschaftlern vorbei den ehemaligen Wagenplatz stürmten.

Riss und Lücke kämpfen weiter,

...denn nach dem Platz ist vor dem Platz!

Für mehr Freiräume und mehr Leben, hier und überall!

Für Riss und Lücke!
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Ergänzungen

Vielfach verschickter Anwohnerbrief

Riss und Lücke 24.05.2006 - 17:12
Hier als Ergänzung ein vielfach an Medien und Organisationen verschickter Brief einiger Anwohner_Innen Riss+Lücke. (Der Brief ist vollständig und wortwörtlich wiedergegeben. Die Namen der Verfasser wurden rausgelassen.)

Der Brief:


Thema: Alternatives Wohnprojekt „Riss und Lücke“
(Kleine Wagenburg hinter dem Mirke Bahnhof

Seit Ostern dieses Jahres erlebten wir, die „Hundegänger“ und Anwohner des alten, stillgelegten DB-Geländes am Mirke Bahnhof rechtsseits des Bahnhofs ein ungewohntes Bild, aber ebenso eine Gruppe junger Leute, die uns vom ersten Tag an offen und freundlich begegneten, ja den meisten von uns in den letzten 5 Wochen zu Freunden wurden.
Diese jungen Leute wollten ganz bewusst eine andere Form von Wohnen und Begegnung leben und dies auf dem alten Bahngelände, in freier Natur, welches vom rechtlichen Eigentümer sträflichst vernachlässigt worden war. In den letzten Jahren sammelten sich in der warmen Zeit dort unter anderem manche fragwürdigen Gestalten, die ihre „Hinterlassenschaft“ in Form von teils zerschlagenen Flaschen, Drogenspritzen und ähnlichem einfach liegen ließen beziehungsweise in der Umgebung verteilten.
Abends traute sich kaum noch jemand dort hin.
Anders die Gruppe von „Riss und Lücke“. Sie haben begonnen, dort Berge von Müll zu beseitigen: Bis heute!
In den frühen Morgenstunden um ca. 5.40 Uhr rückte die geballte Staatsgewalt (unter anderem circa 40 Mann Polizei) zur gewaltsamen Räumung an. Warum?
Weil sich Besucher einer Tanzschule (Bellinghaus) angeblich belästigt fühlten und mit falschen Behauptungen die Vertreibung dieser Gruppe verlangten und erwirken konnten.
Die Behauptungen, so zum Beispiel die Gruppe hätte die Umgebung durch Lärm gestört, Leute angepöbelt, Kampfhunde frei laufen lassen und so weiter sind schlichtweg unwahr und verlogen. Dass sich diese „Tanzschulenbesucher“ gehobenen Anspruchsdenkens gestört fühlten durch eine andere Lebensform in ca. 100 Meter Entfernung und das „etwas andere Äußere“ der Gruppe junger Leute mit ihren Bauwagen, kommt der Wahrheit wohl weit näher!
Ein offensichtlicher Mangel an Toleranz!
Über die Form und den Aufwand der heutigen Räumung von „Riss und Lücke“ sind nicht nur viele „Hundegänger und Anwohner“ zutiefst erschüttert und empört.
Schätzungsweise 10.000,00 Euro für Polizeieinsatz, Räumungsfahrzeuge und so weiter, sollte die Frage erlauben, wo hier die Relation von Aufwand und Nutzen sind?
Dieses Geld hätte zum Beispiel 20.000 – 40.000 kostenfreie Schulessen für Kinder sozial schwacher Eltern gewährleisten können. Wie denken andere Wuppertaler Bürger darüber?

Mit freundlichen Grüßen