Studentische Militanz

tagmata 18.05.2006 01:35 Themen: Repression
Eigentlich wollte ich ein paar Sachen zu D'dorf schreiben, weil es mich ein bißchen an die Proteste ums Millennium rum erinnert hat, wo ich selber mitgelaufen bin. Wurde aber zu lang für einen Kommentar.
Das ganze sieht nach ner klaren Strategie der Polizei aus. Macht auch sinn angesichts der Tatsache daß momentan einiges am kippen ist in D-schland, und daß die Copz sich für die WM ein bißchen schonen müssen.

Wäre aber auch so früher oder später gekommen. Bei der ersten großen Demo, das ist echt früh, aber ich glaube daß das bei der letzten größeren Protestwelle genauso war.

Die Strategie läßt sich umschreiben mit:

provozieren - einschüchtern - spalten - kriminalisieren.

D.h., durch passiv oder aktiv aggressives Auftreten die Leute einschüchtern. Einige werden sich das nicht gefallen lassen und sich radikalisieren. Dann gibts n kleinen Fotoabgleich nach 4 oder 5 Demos, und die betreffenden Personen sind identifiziert. Bei der nächsten Demo kommt dann ein Kessel und die Verdächtigen werden abgegriffen. Und wenn ihr glaubt, das sei schon "Polizeibrutalität", dann habt ihr noch keine solche gesehen (Tip: es gab mal einen Straßenmusiker namens Neisius, der hatte Probleme mit Polizeibrutalität. Ich hab den sogar mal selbst getroffen, wußte aber nicht wer das war damals. Jetzt weiß ichs). Das was da so aus den News durchklingt ist "nur" rumrüpeln ohne Rücksicht auf Verluste. auf meiner zweiten Studidemo, damals noch in Bonn, ist mal ein Reitercop über eine Kommilitonin (Huf in den Bauch; zum Glück keine inneren Verletzungen). Und selbst der konnte sich mit "kein Vorsatz" rausreden; vielleicht hatte er tatsächlich keinen Vorsatz, man kann ja bei so einem Roß nicht den Motor abstellen.

Jedenfalls dient die Strategie dazu, eine Spaltung zwischen "Randalierern" oder "Rädelsführern" und den Schäfchen zu machen. Erstere kriegen quasi mal die Decke über den Folterinstrumenten an einer Ecke ein bißchen angehoben und dürfen einen kurzen Blick drunter werfen, letztere ignoriert man und läßt sie für ihre Klausuren lernen und WM gucken (wann haben Schäfchen je eine Gefahr dargestellt?)


Was dagegen hilft ist nur eins: keine Randale auf Demos.
Konsequent.
Klare Grenze ziehen, cool bleiben; wenn Kessel, dann die Newbies beruhigen und informieren. JedeR wo aus dem Kessel gezogen wird muß eine EA-Nummer haben. Wer festgenommen wird, Namen und Herkunftsort rufen, damit das an den EA gegeben werden kann (die Bullen werden diese Infos eh bekommen). Bei Ingewahrsamnahmen ist das optional und muß von der Situation abhängig gemacht werden (also was weiß ich, wenn wie jetzt dutzende Leute bloß zum HBF verfrchtet werden sollen, ist das zwar eine Ingewahrsamnahme, weil euch ja die Bewegungsfreiheit genommen wird, aber die Sache mnit Namen für den EA ist da nicht nötig). Alles passive, bis Sitzblockade einschließlich, ist relativ lässig. Egal was die Bullen erzählen, das ist nicht schwerwiegender als über eine rote Ampel zu gehen wenn kein Auto kommt; also ne zwar nicht legale, aber potentiell legitimierte Ordnungswidrigkeit. Obwohl Leute wie Schäuble da anderer Ansicht sind. Aber der ist ja selber kriminell und sollte sich vielleicht etwas bedeckt halten... wenn ihr sicher gehen wollt, dann laßt Autos etc im Schrittempo einzeln durch. Das ist vielleicht auch klüger, weil man dann mehr Leute informiert bekommt und weniger Unpeteiligten ans Bein pißt. Kooperation mit der Polizei nur unter Zwang (bei einer ED zum Beispiel) und dann auch nur soweit wie ihr müßt (Anna & Arthur...). Ansonsten Team Green KONSEQUENT wie Luft behandeln, auch wenn das schwerfällt; die warten nur darauf daß ihr den ersten Stein werft, weil sie dann den ganzen Laden hochnehmen dürfen.

Unbedingt wichtig bei Streß: Kameraaufnahmen. Am besten Digicam. Handy nur im Notfall (ach ja, kritische Telefonnummern nicht mit auf Demos nehmen). Was funktionieren kann, wenn es Streß gibt ("löschen Sie sofort diese Bilder!"): bißchen motzen, nicht agro, aber bestimmt, vielleicht läßt der Bulle ja ab, denn er hat normalerweise kein Recht das zu verlangen, sondern probiert nur wie weit er gehen kann. Wenn er drauf besteht und mit Gewalt droht, die Pix murrend löschen. Die Alibipix im internen Speicher nämlich; die Memorycard mit den interessanten Daten ist dann bereits unauffällig verschwunden. Es gibt da Palmagetricks die ganz gut sind, es waren immer irgendwelche Studis am Start, die mit (Skat)Karten rumspielen konnten, kunstvolles Mischen und so, die können das einem meistens beibringen).

Wenn einen Bullen dumm anmachen, nicht dumm zurückmachen, das ist witzlos Statt dessen schweigen und dem Typen fest und neutral in die Augen schauen wenn ihr das könnt. Generell festen blickkontakt mit individuellen Polizisten suchen kann generell nicht schaden, aber nicht feixen oder Zunge raus, vor allem nicht bei Konfrontationen (Leute die so was machen kriegen wenn es abgeht imemr gerne einen Knüppel "aus Versehen" in die Nieren).

Es sei denn ihr habt noch was vor. Wenn dem so ist, am besten gar nicht erst auf die Demo gehen. Nein, auch nicht zum Sammelpunkt am Bahnhof oder so. Neutrale Klamotten, Kleingruppen (bis 4 Leute ist ziemlich unverdächtig). Unter Einsatz öffentlicher Verkehrsmittel oder besser mit Fahrrädern die Umgebung der Demo abchecken, Polizeikonzentrationen meiden und ausnutzen, um dort wo es nicht grün ist hit-and-run-Aktionen durchzuziehen. Kritische Objekte werden meist lange vor und längere Zeit nach Demos noch von Zivilen observiert.

Der zentrale Punkt ist aber der: wenn ihr Bock auf Bambule habt, dann macht das im Alleingang und seid euch im klaren, daß ihr euch im zweifelsfall auf niemanden verlassen könnt als auf euch selbst: keine Demoleitung, kein AStA, vielleicht noch nicht einmal ein EA. Wenn ihr richtig Scheiße baut und gecasht werded, könnt ihr nicht erwarten, daß sich irgendjemand an euch die Finger verbrennt (aber ihr werdet wahrscheinlich lernen, daß Solidaritätserklärungen nett beschriebenes Klopapier sind, zumindest in der Situation in der ihr dann wahrscheinlich seid; da braucht ihr einen guten Anwalt und kein "das Protestkommittee soundso fordert die Freilassung von XY". Für militante Studiproteste ist meines Wissens nach schon seit längerem keiner mehr in Deutschland im Knast verschwunden, wo Solischreiben wiederum eine ganze Menge bringen).

Keine Gruppe hat ein Recht, die Proteste zu monopolisieren. Umgekehrt bedeutet das, daß jedeR Protestieren kann wie es grad beliebt, und daß noch nicht einmal irgendeine offizielle Gruppe, AStA etc sich zu einer Stellungnahme verpflichtet fühlen muß. Gerade ASten mögen es oft nicht, daß man sie in irgendwelche militanten Aktionen ohne ihr Wissen reinzieht (damit riskieren sie nämlich selbst eine Anzeige). Wenn sie sich nicht zu militanten Aktionen äußern müssen außer wenn sie es selbst so wollen, freuen sich die meisten der Protestinstitutionen.
Und macht euch rechtskundig. Jeder Idiot kann irgendwelche Müllcontis anzünden und von einer Brücke schmeißen, aber wenn er dann nachher verknackt wird, hilft ihm seine Blödheit auch nicht weiter. Man mag das deutsche Rechtssystem mögen oder hassen, respektieren oder nicht, aber wenn man, egal von welcher seite, mit ihm mano a mano gehen will, MUSS mensch es zumindest so weit kennen wie es relevant ist.

Das ist natürlich keine Aufforderung irgendwelche straftaten zu begehen (never underestimate the power of disclaimers ;-)). Würde ja eh niemand davon abhalten. Tut was ihr für richtig haltet, aber macht euch vorher über mögliche Konsequenzen schlau (das kann ne fette Geldstrafe sein, oder, für euch wahrscheinlich fataler, Zwangsexmatrikulation). Sobald es über rein passiven Widerstand hinausgeht, oder sobald zB bei einer Sitzblockade der Unmut in den eigenen Reihen zu groß wird ("laß abhauen bevor gekesselt wird!") - odr auch der der PassantInnen, denen ihr den Weg versperrt; keiner läßt sich gern nötigen - ist es besser, die Sache sausen zu lassen bzw im ersteren Fall das ganze gar nicht erst nicht aus der Gruppe heraus zu machen.

Der einzige Konsens, der bei uns damals machbar war, ist absolut passiver, gewaltfreier Widerstand, ein bißchen ziviler Ungehorsam*, und das ist heut wohl auch nicht anders. Aber das ist nichts schlechtes (eine Gesellschaft die nicht signifikant ein problem mit militanz hat ist auch kein so schöner Anblick. Fragt mal den näxten Somali den ihr trefft). Es ändert ja nichts (wenn man mal von der mein-Ego-ist-das-wichtigste-Schiene runterkommt) bis auf die Tatsache daß die Leute, die Bock auf mehr haben, das eben im Alleingang durchziehen müssen. Man kann sich wie oben angesprochen auch gut von einer Großdemo den Rücken freihalten lassen, OHNE sie mit reinzuziehen in welchen Schabernack man auch immer vorhat. Es ist nicht zuletzt eine frage der Fairness.

Medien sind ist eine komische Sache im Moment. Ich hab mal google angeschmissen, und die Berichterstattung zu D'dorf ist wirklich crap. An der Presse muß gearbeitet werden. Könnte sein daß beim Spiegel ein bißchen was zu reißen ist diesmal, die haben ja eher positiv berichtet (das letztemal als ich bei Studiprotesten mitgemacht hab war das nur herablassende neoliberale "ach die dummen Kinderchen"-Scheiße was aus der Ecke kam) und legen sich kommende Woche wohl eh noch mächtig mit Berlin an wegen dieser BND-Geschichte. Das hat etliche JournalistInnen schwer abgefuckt, und könnten grad mehr Ohren als üblich für ein bißchen Staatskritik offen sein - natürlich streng respektabel und auf dem Boden der FDGO, s ist immer noch der Spiegel. Ausprobieren.

Vernetzung. Alle reden davon, keiner macht es (naja, ein paar Leute. Aber es spielt keine Rolle, sonst würden einige Sachen sehr anders laufen). Ändert das. Vernetzung bedeutet NICHT: hierarchisches Entsenden von Delegierten und Faxen von Solierklärungen und PMs zu Aktionen anderer Gruppen. Es bedeutet konkret: daß ihr mit nicht-Studenten, die anderweitig aktiv sind, eine Stunde oder zwei zusammenhockt, im Park mit einem Bierchen oder einem Fruchtsaft oder einer Pfeife Knaster, wenn ihr eher das rustikal-paralegale liebt oder so, und einfach mal erzählt und erzählen laßt und zuhört. Nicht abstrakt in die große Politik abschweifen, sondern konkret bei aktuellen Anlässen bleiben. Vernetzung heißt: Erfahrungen auszutauschen, Strategien koordinieren. Letzeres kann man irgendwelchen Delegierten überlassen. Aber wenn ihr nach Ende der Protestwelle nicht mit mindestens 10 Leuten per du seid die ihr vorher nicht kanntet und euch, wenn ihr sie auf der Straße trefft, nicht die Zeit für ein Schwätzchen nehmt, und nicht 5 dieser Leute KEINE Studis sind, dann ist die Vernetzung gescheitert, egal was ihr euch einredet (ich hab ein paar erfolgreiche und eine verdammt zu große Menge buzzword-Vernetzungen erlebt und habe festgestellt, daß das obige Kriterium brauchbarer ist als irgendwelche Demozahlen). Oder anders: vernetzt mit einer Gruppe seid ihr, wenn 70% der Aktiven wissen, warum die anderen Leute den Hals voll haben. Nicht akademisch-theoretisch, sondern wie sich Schrödermerkels Deformen KONKRET auf ihr Leben auswirken (zum Beispiel: ich hatte letzten Winter zum ersten Mal im Leben kein Geld für Obst und Gemüse, also gutes Zeug, nicht so Giftbeeren aus'm Treibhaus; ich hab mir von meinen Eltern Apfelsinen schicken lassen, das war schon fast peinlich. Ich war außerdem so kraß und so oft erkältet wie lang nicht mehr. Vielleicht ist das Zufall, vielleicht nicht).

Noch was: Fußball-WM. Einige haben ja schon angedeutet, daß sie da Achterbahn erwarten bzw sich drauf freuen. Ich zitiere:
"Die Welt zu Gast im Strassenkampf :-)
Man ich kanns kaum erwarten."
und empfehle zur Lektüre:
US Army Field Manual 3-19.15: Civil Disturbance Operations. (Immer die SOP der Gegenseite kennen! In dem Punkt ist die SOP in allen westlichen Ländern identisch)

Was aber viel wichtiger ist, ist daß nach der WM so langsam das Semesterende kommt. Das heißt, der Rahmen für Studiproteste wird sich in 2 Wochen kraß verändern und in einem guten Monat schlicht in Luft auflösen. Mag zwar alles ganz rosig aussehen, aber 2 Wochen vor den Klausuren spätestens sind aus 500 ProtestlerInnen ganz plötzlich 10 geworden. Das geht ganz schnell, eine Woche oder so maximal. Das heißt, überlegt euch was ihr im Sommer macht, denn so wie ihr jetzt protestiert werdet ihr das dann nicht mehr können.

Aber es ist generell gut, sich mal Gedanken über Protestformen zu machen, anstatt die übliche Tour:
Vollversammlung - Rektoratsaktion - Demo lokal, Kreuzung besetzt - Demo landesweit, vorm Landtag dumm rumgestanden, Streß mit den Bullen - Podiumsdiskussion, n paar wichtige Leute machen sich noch wichtiger - Demo lokal, bißchen mehr Streß mit Bullen - Militanzdebatte kocht über - Protest schläft ein
runterzurattern wie eine Maschine.

Nach dem Schema wird nämlich seit nunmehr 10 Jahren gegen Studiengebühren protestiert. Waren die Proteste erfolgreich? Aufschiebend sicher, aber heute gibts nix mehr aufzuschieben. Verhindert haben sie jedenfalls nichts, nur verzögert. Und das ist jetzt zu wenig. Wenn ihr die Sache noch reißen wollt, müßt ihr anfangen, euch zusammenzutun mit anderen Kräften und statt gegen Gebühren zu protestieren die Frage in die öffentliche Diskussion einbringen: sind politische Strukturen, die solchen katastrophalen Mist anstellen noch verantwortbar? Wo hakt es, was muß geändert werden, wieviel muß geändert werden? Keine politische Richtung vorgeben - wenn die Sache an Fahrt gewinnt, könnt ihr den Prozeß *so* eh nicht mehr beeinflussen ohne euch komplett lächerlich zu machen.

Wertet die Protestformen aus nach Aufwand, Risiko und Ergebnis. Fragt euch: was können wir KONKRET (also heute und morgen und übermorgen) mit dieser oder jener Aktion erzielen). Gut ist generell, Aktionen ergebnisorientiert in kleine Schritten anzugehen: nächste Woche mal was Nettes für die Presse, am Samstagnachmittag Stunk bei der CDU machen (Sachen die zwischen samstagmittag und samstagnacht passieren, haben die geringste Wahrscheinlichkeit daß über sie einseitig berichtet wird). Aber sich nicht verplanen, sondern flexibel bleiben. Wichtig ist vor allem (gerade über den Sommer), das Thema am Kochen zu halten. Mit Studiengebühren als alleinigem Fokus wird das aber nicht klappen. Irgendwelche netten krassen Aktionen, n Riesentranspi irgendwo aufspannen oder so, keine falsche Eitelkeit, man muß nicht mit jeder Sache die man macht angeben. Wenn die Polizei meint ermitteln zu müssen, kann sie das auch gegen unbekannt tun. Dann tun sie wenigstens mal was für ihr Geld.

Denn was ihr wollt, ist nicht weniger, als geltendes oder quasi-geltendes Recht zu kippen. Und dazu muß man as Übel bei der Wurzel packen und skandalisieren.


Keine Ahnung ob euch das was bringt. Sind halt so Sachen, die mir einfallen, einiges von den letzten Wochen war ein volles deja vu für mich. Aber ne Ferndiagnose ist immer schwierig (wo ich jetzt wohne geht gar nichts ab, und meine alten Connex haben auch nur noch am Rand was mit den Protesten zu tun). Kann sein daß das meiste davon Mist ist. Und ich habe keinen Bock, irgendetwas vorauszudenken. Ich kann nur erzählen, was bei uns damals geklappt hat und was nicht und woran das zu liegen schien.


* "Ziviler Ungehorsam" und "grober Unfug" sind sehr hübsche und extrem wichtige Sachen.
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Ergänzungen

@

tagmata 18.05.2006 - 15:05
"daher erübrigt es sich auch, mit dir über den sinn von militanz zu reden."

lies noch einmal.

ich sage nichts über den sinn oder die legitimität von militanz. ich sage, forderungen nach massenmilitanz sind im moment wahrscheinlich eher unrealistisch, und auf jeden fall, wenn sie so offen kolportiert werden wie es teilweise der fall ist eine absolute steilvorlage für die bullen. merkt ihr was? die wollen euch unter zugzwang setzen. die wollen, daß ihr planlos handelt und fehler macht, die sie euch nachher anhängen können. tut ihn den gefallen halt nicht ;-)

abgesehen davon war meine absicht eher, praxistips zu geben; die umstände unter denen sich etwaige militante aktionen abspielen können und die unter denen es eher nicht geschehen sollte, und über die reaktionen, die militanz bei der gegenseite auslöst und wie man damit umgehen kann*.

in paris konnte man verbarrikadieren und verteidigen. das hat funktioniert, weil ein ausreichender konsens da war. und wer keinen bock hatte, konnte vorher gehen. die leute die bei der räumung da waren waren das aus freien stücken und in klarem bewußtsein, was kommen könnte.

versuch das an einer deutschen hochschule. die diskussionen zu d'dorf legen nahe, daß dir da deine kommilitonInnen noch bevor die polizei anrückt in den rücken fallen würden.

ich habe kein problem mit militanz an sich, nur mit dummer, unüberlegter und perspektivloser militanz (wie mit jeder dummen, unüberlegten und perspektivlosem politaktion). jede protestform hat einen passenden raum und eine passende zeit, und entsprechend auch unpassende. wie bei jeder poltischen aktivität finde ich, daß auch militante aktionen 2 gesichtspunkten genügen müssen:
a) kein zweck ist so groß und so sicher, daß er alle oder auch nur die meisten mittel heiligen würde, dh die legitimation sollte sich weniger aus dem ziel, sondern aus der situation ergeben, und
b) kein protest spielt sich in einem gesellschaftlichen vakuum ab. das würde ihn, da er dann unsichtbar oder unauffällig wäre, ad absurdum führen.

lies meinen text noch einmal, und diesmal auch zwischen den zeilen. ich dachte ich bin schon zu deutlich geworden, aber offenbar liege ich da falsch.

(lesen sie weiter im kapitel "things you don't say on indymedia")

mühsams gedicht kenne ich, mühsam rockt. aber du solltest nicht vergessen, daß seine lebensrealität eine etwas andere war als deine: mühsam hat ne lehre gemacht, dann n bißchen malocht und seine politischen licks gelernt, und ist dann paar jahre trampen gegangen. mühsam hat den "revoluzzer" nicht über militanz geschrieben sondern über bürgerliche salonrevolutionäre, die niemals mit nem proletarier zusammen wassersuppe geschlürft haben. im prinzip die (damaligen) sozialdemokraten a la scheidemann; militant war die zeit damals ohnehin. heute würde eher ehr die leute meinen, auf den sich der kommentar (aus dem d'dorf-artikel) bezog:
"als auf der spontidemo müllcontainer auf die strasse gezogen wurden, um die nachrückenden bullen am weiterkommen zu hindern, waren die dagegen, die immer von französischen verhältnissen reden. an die: meint es ernst, oder redet nicht mehr drüber!!!"
(einem verfolger ein paar hindernisse in den weg zu legen ist keine militanz, sondern eine passiv-defensive aktion. wenn die contis brennen würden, wäre es aktiv-defensiv, aber halt immer noch defensiv. barris *können* auch offensiv sein - alles was "nach vorne" gerichtet ist ist potentiell offensiv)

die einstellung des damaligen bildungsbürgertums hat von hoffmannsthal (der sie voll geil fand, der sack) so umschrieben:

"Tobt der Pöbel in den Gassen, ei mein Kind so laß ihn schrein.
Denn sein Lieben und sein Hassen ist verächtlich und gemein!
Während sie uns Zeit noch lassen, wollen wir uns Schönerm weihn.
Lass den Pöbel in den Gassen: Phrasen, Taumel, Lügen, Schein.
Sie verschwinden, sie verblassen – Schöne Wahrheit lebt allein."

da sind wir heute weiter. immerhin.

später (schon jahre vor der nsdap) dann hatte mühsam es mit leuten zu tun die sangen

"Hakenkreuz am Stahlhelm
schwarz-weiß-rot das Band,
die Brigade Ehrhardt
werden wir genannt."

und das waren hunderte, nicht ein paar dutzend, und sie hatten maschinengewehre und konten damit umgehen, nicht bilder von maschinengewehren auf die sie sich einen runterholten.

um das ganze mal international in kontext zu setzen, militanz hieß für mühsam sachen wie  http://en.wikipedia.org/wiki/Haymarket_Riot.

als lektüre sind vielleicht emma goldmans auslassungen zu elite und masse empfehlenswert.


@arno
"ich hatte mal eine hohe meinung von dir"
danke für deine hohe meinung, aber sie interessiert mich nicht. lies weiter, du wirst verstehen was ich damit meine ;-) (daß sich irgendwer die mühe macht, mein geschwätz zu lesen ist das eigentliche kompliment)

"aber dieser oportunistische scheiß"

situativer scheiß, bitte. wir kennen uns nicht, aber das sei verraten: ich bin als opportunist so großartig wie george w bush als oberbefehlshaber.


der unterschied ist, daß ein opportunist so handelt, um einen persönlichen vorteil zu erlangen (der auch einfach in der geistigen befriedigung bestehen kann, mal wieder auf der gewinnerseite gestanden zu haben).

ich habe eher wenig probleme, eine festgefaßte meinung wegzuschmeißen und was ganz anderes zu behaupten... wenn ich neue informationen kriege, die dazu führen daß meine bisherige interpretation oder ansicht nicht mehr funktionieren kann, NICHT wenn ich denke, es ist besser meine fahne nach dem wind zu hängen (auf friedensdemos kann ich mich nicht mehr blicken lassen, ich hab die leute einmal zu oft ausgelacht, als sie vom "bevorstehenden überfall auf den iran" schwafelten). wenn morgen die revolution abgeht, bin ich dabei. ABER in gegensatz zu einem opportunisten, der die ganze zeit angst hat und betet: hoffentlich kommt sie nicht, würd ich sagen: ach was, heute schon? krass. na dann ärmel hoch und los gehts.

vielleicht muß es keine revolution sein, weil revolutionen historisch sehr oft katastrophal schiefgegangen sind und sehr selten erfolgreich waren. aber eine grundlegende umkrempelung der verhältnisse wird über kurz oder lang unumgänglich sein, und ich habe meinen persönlichen zeitrahmen, in dem ich drauf hinarbeiten werde, so oder so (ist ja nichts neues, daß ich relativ sicher bin, daß ab 2020 rum der zug abgefahren ist und neben dem persönlichen überleben sich das einer irgendwie korrekten gesellschaft hintenanstehen muß). früher geht immer. denn wenn eine, ich sagen mal nicht: revolution, ich sag mal: umfassende zivile revolte ausbricht, werde ich das *wahrscheinlich* lange vorher riechen und b) wird es gut sein, weil es von einer menge leute getragen werden wird.

dh ich versuche, *nicht* als opportunist enden zu müssen. aus erfahrung kann ich sagen, als student denkt man vielleicht, einmal links, immer links. aber ich hab gesehen, daß das so nicht läuft. 90% von der protestgeneration von vor 5 jahren sind mittlerweile bürger, so durch und durch, daß ich das kotzen kriege. sie schämen sich der dinge, die sie damals gemacht haben. es ist ihnen ernsthaft PEINLICH, daß sie damals den campus gerockt haben, "wir waren ja ziemlich naiv" und so scheißsprüche. vielleicht ist das anders mittlerweile, kann sein. aber ich würde noch nicht sagen, daß ihr davon ausgehen solltet, daß ihr um eure jetzige einstellung nicht in ein paar jahren hart kämpfen müßt. abere es ist verdammt wichtig, daß so viele von eurer generation sich eine aufrichtige linke und meinetwegen auch militante, hab ich gar kein problem mit ;-) haltung bewahren. es wird in nicht allzu ferner zeit verdammt viel davon abhängen.

das gift des abstürzens in bürgerlichkeit ist ein süßes. und es wirkt sehr langsam.


* 2 dinge noch:

1: es ist unbedingt wichtig, daß ihr versucht, die motivation und den handlungsspielraum der anderen seite zu erkennen und zu verstehen (konkret sind das in nrw, wie ich das mitbekommen habe, die unileitungen, und in hessen offenbar bald auch, wenn wir mal bei den letzen tagen bleiben). nicht um irgendwelche sympathien für sie zu empfinden, sondern um besser antizipieren zu können, wie ihre reaktion sein wird. wir haben damals sehr blind protestiert, uns von aktion zu aktion gehangelt. man kann auch als schwächere kraft in einem solchen sozialen prozeß diesem sehr gut eine richtung geben. dazu ist es aber wichtig, die gegenseite korrekt einschätzen zu können, um in einer situation die form von protest zu wählen, die eine bestimmte reaktion der gegenseite induziert. verlassen könnt ihr euch nie drauf, aber es ist hilfreich. im moment ist das ganze sehr wie schach.

(wo wir bei schach sind: müht euch nicht mit bauern ab. rektoren, bullen - kleine fische. zb in nrw wird es euch wenig bringen euren rektor *jetzt* rumzubekommen, in 2 jahren ist n neuer da und den kriegt ihr garantiert nicht mehr rum wenn sich bis dahin nix grundlegendes ändert. aim high.)


2: die sachen die ich über die problematik von militanz aus (groß)demos heraus sagte, wären um 2 punkte zu ergänzen:

a) psychologie. in einer pseudoanonymen masse ist die militanzschwelle des individuums gesenkt, weil man sich geschützt fühlt. das ist aber ein relikt aus der zeit vor kameramann arschloch und rflps. denkt dran, wenns euch in den fingern juckt.
fm 3-19.15 civil disturbance ops hat einiges über massenpsychologie und dynamik von demos etc, das sehr sehr lesenswert ist. also, ich meine *wirklich* extrem lesenswert. wer den kram nicht studiert, wird da interessante neue sachen finden. summa summarum sind für die "ordnungsmacht" demos >95% berechenbar und vorhersehbar, und eine demo die in einen riot umschlägt fast immer kontrollierbar, weil sie merken was abgeht noch bevor die meisten in der demo das merken. das heißt konkret, ihr glaut ihr macht voll was los auf so ner demo, aber in der realität wird die meiste zeit mit euch ein spielchen getrieben. uppsi...
lange rede kurzer sinn:  http://www.fas.org/irp/doddir/army/fm3-19-15.pdf - kapitel 1, 3, 4, und eventuell 5 und 6 (die sind ziemlich us-spezifisch). lesen, lernen, verstehen, umsetzen.

b) provokateure. wahrscheinlich noch nicht, aber irgendwann kommt das auch noch: leute, entweder freischaffende demohools oder von der polizei bezahlte, die durch bewußt pressewirksame dilettantische militanz die stimmung ins kippen bringen wollen. auf antifademos erkennt man die leicht wegen des unprofessionellen outfits, aber auf studidemos geht das nicht.
noch ein grund mehr, militanz konsequent aus demos rauszuhalten, *solange* sie ein verstecken *in* der masse ist und nicht ein getragenwerden *von* der masse. ihr glaubt vielleicht das macht keinen unterschied, aber da liegt ihr falsch. sobald werfen von gegenständen ein regelmäßiges phänomen aber noch nicht "konsens" wird, kriegen die meisten studis kalte füße. die meisten asten auch. klar braucht kein student n asta um demonstrieren zu können, aber wir haben die kohle gern genommen damals; sie war gut und reichlich und alles was wir machen mußten ist quittungen ranschaffen - und s ist ja nicht so, daß man den quittungen hätte ansehen können was wir mit dem zeug am ende gemacht haben ;-)

ein Poem.

E. Mühsam 18.05.2006 - 15:56
Wer dabei nicht an den guten Herrn Mühsam denken muss...

Der Revoluzzer
(der deutschen Sozialdemokratie gewidmet)

War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilstand Lampenputzer;
Ging im Revoluzzerschritt
Mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: 'Ich revolüzze!'
Und die Revoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er sonst unverdrutzt
Alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
Rupft man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaster aus,
Zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer Schrie:
'Ich bin der Lampenputzer
Diesen guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn' das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
Laßt die Lampen stehen, ich bitt!
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!'

Doch die Revoluzzer lachten,
Und die Gaslaternen krachten,
Und der Lampenputzer schlich
Fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zu Haus geblieben
Und hat dort ein Buch geschrieben:
Nämlich wie man revoluzzt
Und dabei noch Lampen putzt.

um es zusammenzufassen

tagmata 18.05.2006 - 16:40
"Wir unterstreichen die Aussage des Prozessbüros, dass 'die Frage doch nicht sein (kann), Militanz ja oder nein, sondern wann und wo.' Unsere Fragen bezüglich Sinn und Zweck militanter und bewaffneter Politik stellen diese also nicht an sich zur Disposition, sondern beziehen sich auf die Art der Verknüpfung und Gewichtung von gemeinsamer inhaltlicher Diskussion, praktischer Umsetzung und Organisierungsversuchen..."

und das ist nicht von mir und auch nicht von heute, sondern von einer antiimperialistischen gruppe (als die noch nicht scheiße waren) und von 1997.

ach, was solls.  http://www.geocities.com/militanzdebatte/
read. discuss among yourselves.
insbesondere die letzten artikel sind sehr interessant.

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hallo hallo — des geht dich en scheissdreck an