Anzeige nach Verbindungsmaisingen in Tübingen

Bündnis gegen Hofierung reakt. Seilschaften 15.05.2006 17:07 Themen: Antifa Bildung
Strafanzeige gegen die uniformierten Teilnehmer und Veranstalter des verbindungsstudentischen Maisingens 2006

Das „Bündnis gegen das Hofieren reaktionärer Seilschaften“ zieht die Konsequenz aus dem jahrelangen Versagen der Stadt Tübingen. Seit Jahren lässt die Stadt uniformierte Verbindungsstudenten eine politische Demonstration abhalten, was nach § 3 des Versammlungsgesetzes nicht zulässig ist. Wäre das Maisingen nicht als politische Demonstration sondern als musikalischer Aufzug (Brauchtum) angemeldet, wäre der nächtliche Spuk unter massivem Polizeischutz wohl nicht mehr zu genehmigen. Die Anzeige wird unterstützt durch ein wissenschaftliches Gutachten eines Verbindungsexperten.
Auch in der Nacht zum 1. Mai 2006 zog der reaktionärste Kern der Tübinger Verbindungen wieder fackeltragend, mit Mütze, Bändel und zum Teil in vollem Wichs (Uniform) vom Österberg herunter in die Innenstadt. Angemeldet wurde die, von den Tübinger Verbindungsstudenten auch 2006 wieder als harmloses Brauchtum verbrämte Veranstaltung als politische Demonstration. Geschützt wurden die Korporierten dabei von drei Hundertschaften Polizei, deren Einsatz die SteuerzahlerIn über 50 000 € kostet. Die massive Präsenz und das brutale Eingreifen der Polizei ließ auch dieses Jahr wieder eine Atmosphäre entstehen, die mehr und mehr an einen Ausnahmezustand erinnert. Die Gegendemonstration mit ca. 2000 TeilnehmerInnen wurde zugunsten der 150-250 Verbindungsstudenten in die Seitenstraßen des Holzmarktes abgedrängt.

Versagen der Kommunalpolitik
Anstatt den Verbindungen öffentlich mit einem Bruch in den Beziehungen zur Stadt zu drohen, falls sie das Maisingen wieder veranstalten wollen, ließ man sie auch dieses Jahr wieder gewähren. Mehr noch: Die Stadt ließ die Korporierten wieder auf dem Holzmarkt singen und musste dadurch das Polizeiaufgebot noch einmal aufstocken. Die Stadtverwaltung nutzte dabei nicht ihre Möglichkeiten aus, über Auflagen das Maisingen einzudämmen bzw. zu verhindern. Das Hofieren der reaktionären Aktivitas der schlagenden Verbindungen und ihrer alten Herren durch die Stadt geht unserer Ansicht nach sogar so weit, dass hier ein eklatanter Verstoß gegen das Versammlungsrecht seit Jahrzehnten großzügig übersehen wird: „Es ist verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen“ (§ 3, Absatz 1 des Versammlungsgesetzes). Deshalb hat das „Bündnis gegen das Hofieren reaktionärer Seilschaften“ nun Strafanzeige gegen den Anmelder und die Teilnehmer des diesjährigen Maisingens gestellt.

Rechtliche Grundlagen
Das Uniformierungsverbot beruht auf den historischen Erfahrungen mit militanten Parteiarmeen in den Krisenjahren der Weimarer Republik. Auch in Tübingen gab es in der Weimarer Republik schon Auseinadersetzungen zwischen studentischen Verbindungen mit ihrem uniformierten Auftreten und Tübinger Bürgern (z.B. die sogenannte „Schlacht von Lustnau“ 1926 um den Vortrag des Pazifisten Emil Julius Gumbel). Auch das Maisingen war seit seiner Gründung Ende des 19.Jhr. bis heute, immer schon von Konflikten zwischen Verbindungsstudenten und Einwohnerinnen und Einwohnern Tübingens begleitet worden. Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 festgestellt, dass Uniformiertheit dazu geeignet sei „suggestiv-militante“ Effekte auszulösen und „einschüchternde Militanz“ auszudrücken. Da gleichartige Kleidung hier als ausreichend für den Tatbestand (z.B. „Schwarzer Block“) definiert wurde, ist das Verbot auch zutreffender als „Uniformierungsverbot“ als nur mit „Uniformverbot“ bezeichnet. Das Uniformierungsverbot trifft auch auf politisch motivierte Uniformierungen zu, die nicht in erster Linie Militanz ausdrücken. In einem aktuellen Kommentar zum Versammlungsgesetz von 2005 wird hier z.B. auch „eine Pazifistengruppe in einheitlicher weißer Kleidung mit aufgemalten Friedenssymbolen“ als ausreichend für den Tatbestand genannt. Für den Straftatbestand erheblich ist ob das Tragen der einheitlichen Kleidung (wie z.B. der Mützen oder „Pekeschen“ der Verbindungsstudenten) „Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung ist“.

Mützchen, Bändel und „Pekeschen“ als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Denkweise
Politische Gesinnung ist laut einem aktuellen Kommentar zum Versammlungsgesetz die „grundlegende politische Denkweise“. Dabei geht es um mehr als das Eintreten für Sonderinteressen oder die Einstellung zu einer politische relevanten Einzelfrage. Gerade diese Kriterien sehen wir bei schlagenden studentischen Verbindungen gegeben. Korporationen bezeichnen sich selbst als Erziehungseinrichtungen, die den „ganzen Menschen“ nach bestimmten, gerade auch politischen Kriterien ihrer verbindungsstudentischen Gemeinschaft formen wollen. Dies tun alle schlagenden Verbindungen durch die gleichen Ritualpraktiken (Kneipe, Convent und Mensur) und ausgerichtet auf fast identische Erziehungsziele hin. Dies wird schon deutlich wenn man die Wahlsprüche der großen Dachverbände oder auch von typischen Tübinger Verbindungen vergleicht: „Ehre, Freiheit, Vaterland“ (Deutsche Burschenschaft und Neue Deutsche Burschenschaft), „Ehre, Freiheit, Freundschaft, Vaterland“ (Coburger Convent) oder „Das Herz gehört dem Vaterland“ (Eberhardina Tübingen). Unsere Anzeige stützt sich dabei auch auf ein wissenschaftliches Gutachten des Verbindungsexperten Dr. Stephan Peters vom Projekt „Konservatismus und Wissenschaft“ in Marburg. Herr Peters ist selbst ehemaliger Verbindungsstudent. Des Weiteren wird auch politisches Freidenkertum durch das Absingen von „die Gedanken sind frei“ als gemeinsame grundlegende politische Denkweise vertreten. Außerdem befindet sich auch ein gemeinsamer positiver Bezug auf das Deutsche Reich unter den Hohenzollern in der 3. Strophe des Verbindungsstudentenliedes „alma mater tübingensis“.

Ob sich der Eifer der Tübinger Staatsanwaltschaft auch gegen Verbindungsstudenten richtet?
Wir halten also unser Vorgehen für dringend nötig und hoffen damit diesen Rechtsbruch schon im Vorfeld des nächsten Maisingens unterbinden zu können. Leider befürchten wir aber, das das Prinzip des Lebensbundes der studentischen Verbindungen, Juristen in verantwortlicher Position nicht neutral mit dieser Strafanzeige umgehen lassen könnte. Daher fordern wir, dass „unbelastete“ Staatsanwälte, die also nicht in einer studentischen Verbindung waren, sich dieses Falles annehmen sollten. Wir sind auf den besonderen Eifer der Tübinger Staatsanwaltschaft gespannt, den sie ja auch schon bei der Verfolgung der Tübinger „Tortenattentäter“ sowie im Falle des Hakenkreuzbuttons bewiesen hat. Gerade dieser Fall läge im öffentlichen Interesse, da das Maisingen jedes Jahr viel Energie und Geld der öffentlichen Hand verschlingt. Des Weiteren erschließt sich einem japanischen Touristen die Bedeutung des Fackelzugs uniformierter Studenten nicht von selbst und wir befürchten daher Imageschäden für die Stadt Tübingen.

Weitere Informationen zum Verbindungsunwesen in Tübingen sind unter finden  http://clubhausia.fsrvv.de zu finden.
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Ergänzungen

Richtig so!

Student 15.05.2006 - 18:03
richtig so. allerdings sind die erfolgsaussichten bei diesen ganzen seilschaften von burschis, staatsanwäten und richtern eher gering.

interessant ist im übrigen auch der nachrichtenbericht von rtf.1, auf dem zu sehen ist, wie ein burschi einen gegendemonstranten gewaltsam wegschubst, woraufhin die bullen dann den friedlichen gegendemonstranten (statt des gewalttätigen burschis) eifrig abführen... diese kurze szene ist symbolisch für den ganzen polizeieinsatz.

Toleranz

Dr. Arnold 16.05.2006 - 19:42
Da ihr es im Zeichen von Toleranz und Völkerfreundschaft gerade gelöscht habt, hier nochmal der Hinweis, dass die Tatsache, dass dem Steuerzahler Kosten in Höhe von Euro 50.000 durch den Polizeieinsatz anlässlich des Maieinsingens doch wohl denen zuzurechnen ist, vor denen die Singenden geschützt werden müssen. Ich habe noch keinen Korporierten auf Gegendemonstranten Steine werfen sehen. - Umgekehrt schon. Und das nicht nur in Tübingen! Der Polizeieinsatz wird erst notwendig, um die friendlichen Veranstaltungen Korporierter vor gewalttätigen Übergriffen zu schützen.

Aber Ihr werdet es Euich jetzt wieder einfach machen und erklären, dass Faschismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen ist, und dass die Korporierten alles Faschisten sind, womit Ihr letztlich wieder - weil Euch genehm - Gewalt gegen Andersdenkende legitimiert.

Welche Verhaltensweise in diesem Zusammenhang faschistoide Züge trägt ist aber offensichtlich. Und deshalb werdet Ihr, liebe Mods, diesen "Nazibeitreag" auch sicher gleich wieder ganz löschen. So sieht nämnlich Eure Toleranz aus. - Eine Farce!

MdbW
Arnold

Tradition, Brauch und ihre angebl. Gefahr

Alex. St. 18.05.2006 - 19:21
Ergänzend dazu mein Beitrag. Ich wette, er wird gelöscht. Ganz im demokratischen Sinne natürlich.


Nun denn:

Bräuche werden vielleicht oft mit „Brauchtümelei” verwechselt und allenfalls als Folklore touristisch vermarktet.
Der Tradition geht es in unserer Spaßgesellschaft nicht viel anders: Wer im permanenten Jetzt lebt - selbst das Schulfach „Geschichte” vegetiert ja nur noch als belächelte Randexistenz, kaum wahrnehmbar in dem einen oder anderen Schulalltag -, wer seine Welt als „global village” versteht und nicht gerne aus der Dauernarkose von betäubendem Zeitgeist und den Hitparaden von dem, was gerade in oder „en vogue” oder sonst wie angesagt ist, aufwacht, der merkt nicht einmal, was ihm eigentlich fehlt. Wer permanent im Jetzt lebt, steigert nur noch seine „Lebensqualität” wie ein Süchtiger: Um wenigstens die Wirkung von heute zu erreichen, muss man morgen den heutigen Einsatz steigern. Besinnung wird in diesem Umfeld zum totalen Absturz, Nachdenklichkeit geriert zu einer Art von Geisteskrankheit. Therapeuten herbei! Rufe ich...

Eine kleine ergänzende Geschichte dazu:
(Antoine de Saint Exupéry: Der kleine Prinz. Düsseldorf 1978, 51)

„Es muß feste Bräuche geben,” erklärt der Fuchs dem kleinen Prinzen , als dieser sich beim Versuch der Fuchszähmung unbeholfen anstellt.
„Es wäre besser gewesen, du wärst zur selben Stunde wiedergekommen”, sagte der Fuchs. „Wenn du zum Beispiel um vier Uhr nachmittags kommst, kann ich um drei Uhr anfangen, glücklich zu sein. Je mehr die Zeit vergeht, um so glücklicher werde ich mich fühlen. Um vier Uhr werde ich mich schon aufregen und beunruhigen; ich werde erfahren, wie teuer das Glück ist. Wenn du aber irgendwann kommst, kann ich nicht wissen, wann mein Herz da sein soll ... Es muß feste Bräuche geben.”

Und als der kleine Prinz fragt: „Was heißt ‘fester Brauch?’”, antwortet der Fuchs: „Auch etwas in Vergessenheit Geratenes. ... Es ist das, was einen Tag vom anderen unterscheidet, eine Stunde von den anderen. ... Sonst wären die Tage alle gleich ...”

Der Hinweis, „es muß feste Bräuche geben”, scheint vordergründig nur wegen der Schnelllebigkeit unseren Zeit notwendig zu sein. Aber es gibt noch einen wichtigeren Grund, - einen, der zutiefst mit der menschlichen Existenz verbunden ist: Wahrscheinlich ist der Mensch das einzige Geschöpf, das sich seiner selbst bewusst ist. Wahrscheinlich weiß allein der Mensch, dass er nur „auf Zeit” existiert, dass Geburt und Tod den Anfang und das Ende seiner irdischen Existenz markieren. Eben deshalb kennt der Mensch auch „Zeit”, lernte sie zu messen und fragt nach dem Sinn seines Lebens. Nur der Mensch fragt: Wer, was, wie, wann, wo - und hoffentlich auch - warum ...

Man muss nicht die deutsche Klassik und ihre Klassiker lieben, um Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832) in eben diesem Sinne zu verstehen:

Wer nicht von dreitausend Jahren
sich weiß Rechenschaft zu geben,
bleib im Dunkel unerfahren,
mag von Tag zu Tage leben.

Jetzt solltet ihr Netzbetreiber eigentlich verstanden haben, dass z.B. Autonome unter § 3 ff Versg fallen und Tradition sowie Brauchtum keine Gefahr darstellen. Ihr hättet die Gefahr gern, um, wie Dr. Arnold beschrieben, Gewalt in Form von Hetzdemos zu rechtfertigen.

Denn...:

Ein suggestiv-militante, aggresionsstimulierende und einschüchternde Wirkung besteht seitens der "Maisänger" ganz sicher nicht. Die beschriebene Wirkung, so das Gesetz, geht nicht von gleichartiger Kleidung schlechthin, sondern von der Bedrohlichkeit des Gesamtbildes aus.

Das Singen kann, um hier etwas Humor abzugewinnen, höchstens aufgrund schlechter Stimmlage oder extremer Lautstärke "bedrohlich für das Gehör" sein - mehr aber nicht.

Zitat des Themenstarters:

"Es ist verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen? (§ 3, Absatz 1 des Versammlungsgesetzes)."

Korporierte haben eine GEIMEINSAME POLITISCHE GESINNUNG???

Hier stellt sich die Frage, welche gemeinsame, politische Gesinnung bestehen soll, sodass dieses laienhafte Aufgreifen und Interpretieren des § 3, Abs.1 VerG gerechtfertigt sei?

Aber hier soll ja keine Diskussion entstehen, sondern Eränzungen.

Sodann - dies war meine Ergänzung.



Burschi

david herzog 20.06.2006 - 02:31
Der oder die Autorin des oben stehenden Artikels war niemals Mitglied einer burschenschaftlichen Verbindung. Soviel laesst sich jedenfalls tatsaechlich festhalten. Ich darf mir mal wieder in mein pazifistisches Faeustchen Lachen und verbleibe,

met vriendelijke groetjes.

PS: Postadresse gern auf Nachfrage

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 14 Kommentare an

Ich kann nicht mehr — Turnerschafter

Was wollt Ihr eigentlich? — Korporierter

Weiter so — Buxe

Zum Glück — Johannes

@ Dr. Arnold — ..

@ .. — Korpo

@ .. — Dr. Arnold

...zu unserem kämpfer — der der sich über indies lustig macht

Nachfrage — Dr. Arnold

Nix passiert — Dr. Arnold